JudikaturDSB

K202.082/0007-DSK/2009 – Datenschutzkommission Entscheidung

Entscheidung
27. November 2009

Text

[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Anonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]

B E S C H E I D

Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. STAUDIGL, Mag. HUTTERER, Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER, Mag. ZIMMER und Mag. MAITZ-STRASSNIG sowie des Schriftführers Mag. SUDA in ihrer Sitzung vom 27. November 2009 folgenden Beschluss gefasst:

S p r u c h

Über den Antrag der G***forschung OG (Antragstellerin) vom 19. März 2009 auf Genehmigung der Übermittlung einer Stichprobe von Adressen aktueller und ehemaliger Sozialhilfe-Bezieherinnen und -Bezieher im Land Wien aus dem auftraggeberischen Verantwortungsbereich des Magistrats der Stadt Wien (Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht, DVR: 0000***) an die Antragstellerin wird gemäß § 47 Abs. 3 und 4 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000), BGBl I Nr. 165/1999 idgF, entschieden:

c) Die Antragstellerin darf diese Daten erst verarbeiten (speichern), nachdem die Meldepflicht gemäß §§ 17 ff DSG

2000 erfüllt worden ist.

Euro 6,50

zu entrichten.

B e g r ü n d u n g

Die Antragstellerin begehrt für Zwecke einer Befragung (Einholung von Zustimmungen zu tiefer gehenden Telefoninterviews) von Betroffenen für Zwecke der geplanten, aus öffentlichen Mitteln beauftragten Studie „Erwerbspotenzial in der Sozialhilfe in Wien“ die Übermittlung von Namen und Adressen einer ausreichend großen und ausgewogenen Stichprobe von gegenwärtigen und ehemaligen Sozialhilfebezieherinnen und -beziehern aus Wien.

Der folgende Sachverhalt wird festgestellt:

Die Antragstellerin ist ein auf Grundlage der Rechtsform einer unternehmerischen Personengesellschaft (Offene Gesellschaft – OG, FN: *****z des HG Wien) geführte außeruniversitäre Forschungseinrichtung. Die Antragstellerin ist nicht als Auftraggeber im Datenverarbeitungsregister eingetragen. Sie hat vom Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (waff) den Auftrag erhalten, im Zeitrahmen März 2009 bis Februar 2010 eine wissenschaftliche Studie mit dem Titel „Erwerbspotenzial in der Sozialhilfe in Wien“ durchzuführen, die insbesondere Ursachen und Motive des Sozialhilfebezugs bzw. des Ausscheidens aus dem Kreis der Leistungsbezieher, die Zufriedenheit der Leistungsbezieher und deren Potenziale und Ressourcen bei einer möglichen Erwerbsaufnahme erforschen soll. Der waff ist dem Ressort für Finanzen und Wirtschaftspolitik der Stadt Wien zugeordnet. Finanziert werden die Aktivitäten des waff weitgehend von der Gemeinde Wien. Der Magistrat der Stadt Wien – MA 40 hat seine grundsätzliche Zustimmung erklärt, die entsprechenden Daten zur Verfügung zu stellen. In einem ersten Schritt, der Gegenstand dieser Genehmigung ist, soll aus den Namens- und Adressdaten aktueller und ehemaliger Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher eine Stichprobe gezogen und der Antragstellerin übermittelt werden. Diese Adressdaten bilden sodann den Adresspool aus dem in einem zweiten Schritt die briefliche Rekrutierung von 500 Interviewpartnerinnen und –partnern erfolgt, die anschließend fernmündlich auf Grundlage einer zu erteilenden Zustimmung befragt werden. Nach Abschluss der Interviews ist die Löschung aller Daten bzw. die „Anonymisierung“ der im Interview erhobenen Daten vorgesehen.

Beweiswürdigung: Diese Feststellungen beruhen auf dem Vorbringen im Antrag vom 19. März 2009, insbesondere der angeschlossenen und vollständig glaubwürdigen Projektdarstellung sowie auf dem öffentlichen Datenverarbeitungsregister (Stand: 3.9.2009).

In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

Gemäß § 4 Z 8 DSG 2000 bedeutet „Verwenden von Daten“ jede Art der Handhabung von Daten einer Datenanwendung, also sowohl das Verarbeiten (Z 9) einschließlich des Ermittelns, als auch das Übermitteln (Z 12) von Daten:

Für die Zurverfügungstellung von Adressen zur Benachrichtigung und Befragung von Betroffenen enthält das DSG 2000 in seinem § 47 eine Sondervorschrift. Diese lautet:

„Zurverfügungstellung von Adressen zur Benachrichtigung und Befragung von Betroffenen

§ 47. (1) Soweit gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, bedarf die Übermittlung von Adreßdaten eines bestimmten Kreises von Betroffenen zum Zweck ihrer Benachrichtigung oder Befragung der Zustimmung der Betroffenen.

(2) Wenn allerdings angesichts der Auswahlkriterien für den Betroffenenkreis und des Gegenstands der Benachrichtigung oder Befragung eine Beeinträchtigung der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen unwahrscheinlich ist, bedarf es keiner Zustimmung, wenn

1. Daten desselben Auftraggebers verwendet werden oder

Anlaß und Inhalt der Übermittlung innerhalb angemessener Frist keinen Widerspruch gegen die Übermittlung erhoben hat.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor und würde die Einholung der Zustimmung der Betroffenen gemäß Abs. 1 einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, ist die Übermittlung der Adreßdaten mit Genehmigung der Datenschutzkommission gemäß Abs. 4 zulässig, falls die Übermittlung an Dritte

(4) Die Datenschutzkommission hat die Genehmigung zur Übermittlung zu erteilen, wenn der Antragsteller das Vorliegen der in Abs. 3 genannten Voraussetzungen glaubhaft macht und überwiegende schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Übermittlung nicht entgegenstehen. Die Datenschutzkommission kann die Genehmigung an die Erfüllung von Bedingungen und Auflagen knüpfen, soweit dies zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen, insbesondere bei der Verwendung sensibler Daten als Auswahlkriterium, notwendig ist.

(5) Die übermittelten Adreßdaten dürfen ausschließlich für den genehmigten Zweck verwendet werden und sind zu löschen, sobald sie für die Benachrichtigung oder Befragung nicht mehr benötigt werden.

(6) In jenen Fällen, in welchen es gemäß den vorstehenden Bestimmungen zulässig ist, Namen und Adresse von Personen, die einem bestimmten Betroffenenkreis angehören, zu übermitteln, dürfen auch die zum Zweck der Auswahl der zu übermittelnden Adreßdaten notwendigen Verarbeitungen vorgenommen werden.“

Rechtliche Erwägungen:

Zunächst ist festzuhalten, dass das Auswahlkriterium für die InterviewpartnerInnen als ein solches eingestuft werden muss, das geeignet ist, die Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen zu beeinträchtigen. Es kommt daher nur die Anwendbarkeit des § 47 Abs. 3 in Betracht, wonach eine Genehmigung der Datenschutzkommission erteilt werden kann, wenn zum einen die vorherige Einholung der Zustimmung der Betroffenen einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten würde und andrerseits (u.a.) die Datenermittlung für Zwecke einer wissenschaftlichen Untersuchung erfolgen soll.

Die im Spruch verbindlich festgelegte Art der Information der Betroffenen – die vom Antragsteller selbst auch zugesagt wurde – ist der Einholung einer Zustimmung zur Übermittlung der Adressdaten nicht gleichzusetzen, weshalb ja auch die Genehmigung der DSK beantragt wurde. Diese Vorgangsweise ist jedoch geeignet, einen tauglichen Kompromiss zwischen den Interessen der zu Befragenden – die vor einer Beantwortung von Fragen eingehend über die Bedeutung ihrer Mitarbeit informiert wurden und daher eine informierte Entscheidung treffen können – und den Interessen der wissenschaftlichen Forscher, die mit Recht darauf hingewiesen haben, dass dann, wenn die Erlaubnis zur telefonischen Kontaktierung vom vorherigen Einlangen einer Zustimmung bei der MA 40 abhängig gemacht würde, kaum die notwendige Anzahl von InterviewpartnerInnen gefunden werden könnte, da erfahrungsgemäß die wenigsten angeschriebenen Personen sich der Mühe der Abgabe einer Antwort auf das Ersuchschreiben unterziehen. Daher war die Beantragung einer Genehmigung der Datenschutzkommission zur Übermittlung der Adressdaten als einzig zielführende Lösung zulässig (§ 47 Abs. 3 leg.cit.).

Gemäß Abs. 4 leg.cit. hat die Datenschutzkommission die Genehmigung zu erteilen, wenn glaubhaft ist, dass die Einholung der Zustimmung nicht zielführend wäre (siehe dazu oben) und wenn überwiegende schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen der Übermittlung nicht entgegenstehen.

Hiezu ist Folgendes auszuführen:

An der Durchführung der antragsgegenständlichen Studie besteht ein von der Antragstellerin überzeugend dargelegtes wissenschaftliches und öffentliches Interesse. Da der Magistrat der Stadt Wien, nicht zuletzt aus Datenschutzgründen, allein über die Adressdaten von Wiener Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern verfügt, ist der Schluss zu ziehen, dass keine – zumutbare – alternative Methode zur Verfügung steht, die entsprechenden sozialwissenschaftlichen Basiserhebungen durchzuführen. Das öffentliche Interesse gründet sich dabei nicht zuletzt darauf, dass für Änderungen im System der Sozialhilfe wissenschaftlich korrekte (statistische) Daten benötigt werden, auf die die politische Entscheidungsfindung aufbauen kann. Auch dürfen die Bestimmungen der §§ 46 f DSG 2000 nicht so ausgelegt werden, dass sie der Freiheit der wissenschaftlichen Forschung, die durch den ersten Satz des Art. 17 StGG verfassungsmäßig jedermann garantiert ist (vgl. Mayer, B-VG3 (2002) Art. 17 StGG I.2.), unzumutbare Schranken setzen.

An der antragsgegenständlichen Datenverwendung besteht daher ein erhebliches Interesse der Öffentlichkeit. Gleichzeitig wird durch die im Spruch gemachten Bedingungen und Auflagen sichergestellt, dass durch den im öffentlichen Interesse erfolgenden Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz durch Übermittlung der Adressdaten von aktuellen und ehemaligen Sozialhilfeempfängern diesen keine erkennbaren Nachteile erwachsen können. Es wurden gemäß § 47 Abs. 4 DSG 2000 folgende Bedingungen und Auflagen erteilt:

Spruchpunkt 2.a) Durch diese Vorgangsweise soll gesichert werden, dass die Mitwirkung von Befragten erst nach vollständiger Information über Sinn und Zweck des Projekts erbeten wird und diese ihre freie Entscheidung aufgrund umfassender Information treffen können.

Spruchpunkt 2.b) legt den Betroffenenkreis näher fest und bestimmt, dass nur eine Stichprobe zu ziehen ist (also nicht die Daten aller in Frage kommenden Betroffenen übermittelt werden dürfen). Die Datenauswahl für die Ziehung einer Stichprobe ist als hilfsweise Datenverarbeitung unmittelbar gemäß § 47 Abs. 6 DSG 2000 zulässig.

Spruchpunkt 2.c) setzt die Bedingung, dass vor Verwendung der zu übermittelnden Daten die Meldepflicht gemäß § 17 DSG 2000 erfüllt werden muss. Die, wenn auch nur vorübergehende, Speicherung der verfahrensgegenständlichen Daten fällt unter keine der in § 17 Abs. 2 und 3 DSG 2000 vorgesehenen Ausnahmen.

Spruchpunkt 2.d) stellt sicher, dass die Datenverwendung präzise auf eine bestimmte Forschungsarbeit und den in § 47 DSG 2000 geregelten Zweck begrenzt bleibt.

Spruchpunkte 2.e) und f) stellen das Datengeheimnis sicher und dienen der konkreten Umsetzung der in § 14 DSG 2000 geregelten Datensicherheitspflichten. Entsprechend einer Ermessensübung im Sinne des DSG 2000 konkretisieren diese Auflagen die Datensicherheitsmaßnahmen des § 14 Abs. 2 Z 5 und 6 DSG 2000 für den vorliegenden Fall und schreiben den Passwortschutz (anders als § 14 Abs. 2 DSG 2000, der dem Auftraggeber beim Einsatz der Datensicherheitsmaßnahmen einen Spielraum gewährt) verbindlich vor.

Spruchpunkt 2.g) : Diese Auflage dient der Konkretisierung der aus § 47 Abs. 5 DSG 2000 erfließenden Verpflichtungen, die Adressdaten zu löschen bzw. Personendaten zu pseudonymisieren, sobald sie für die Forschungsarbeit nicht mehr erforderlich sind.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Rückverweise