K202.080/0005-DSK/2009 – Datenschutzkommission Entscheidung
Text
[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Anonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]
B E S C H E I D
Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. KURAS und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. HEISSENBERGER, Dr. ROSENMAYR-KLEMENZ, Dr. BLAHA, Dr. KOTSCHY und Mag. ZIMMER sowie des Schriftführers MAG. SUDA in ihrer Sitzung vom 18. September 2009 folgenden Beschluss gefasst:
S p r u c h
Über den Antrag der Karl-Franzens-Universität Graz (Antragstellerin) vom 16. Februar 2009 auf Erteilung einer Genehmigung für die Verwendung von Daten für Zwecke wissenschaftlicher Forschung und Statistik wird entschieden:
2 Von der vorliegenden Genehmigung nicht umfasst sind
Übermittlungen (§ 4 Z 12 DSG 2000), einschließlich der Veröffentlichung der Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung in personenbezogener Form.
B e g r ü n d u n g
Die Antragstellerin begehrt die Genehmigung zur Verwendung von Daten aus im Jahre 2002 wiederentdeckten Akten der Sicherheitsdirektion für die Steiermark für das im Spruchpunkt 1. bezeichnete Forschungsprojekt, welches von der Historischen Landeskommission des Bundeslands Steiermark unterstützt wird.
Die wissenschaftliche Gesamtleitung des Projekts liegt laut Antrag bei Univ. Prof. Dr. Heinrich S*** und Univ. Prof. Hermine K*** vom Institut für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung der Antragstellerin, mit der operativen Projektdurchführung wurde Frau Mag. Dr. Doris N*** betraut.
Der folgende Sachverhalt steht fest:
Die Antragstellerin plant den Aufbau einer Datenbank, welche bereits zum größten Teil dem Datenverarbeitungsregister unter der DVR-Nummer 00***000, Datenanwendung laufende Nr. xxx, gemeldet wurde. Die Grundlage sind Verwaltungsakten der Jahre 1949 bis 1959 der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark, die von Univ. Prof. Dr. S*** im Jahre 2002 in einem vergessenen Aktenlager entdeckt wurden, und die sich jetzt im steiermärkischen Landesarchiv befinden. Diese historischen Verwaltungsakten, die von Frau Mag. Dr. Doris N*** bereits im Rahmen der Forschungen für ihre Dissertation mit dem Titel „Die Steiermark als Aufnahmeland für Flüchtlinge aus Ungarn 1953 bis 1956“ (siehe Bescheid der Datenschutzkommission vom 9. Juni 2006; GZ: K202.043/0007- DSK/2006) benutzt worden sind, sollen nun als Quelle für eine Analyse zur Erforschung der Migrations- und Flüchtlingsströme über die österreichisch-jugoslawische Grenze Verwendung finden. Es handelt sich dabei um Akten, die bei der Aufnahme von zeitweilig bis zu 100 illegalen Grenzgängern pro Woche an der österreichisch-jugoslawischen Grenze angelegt wurden, und die Auskunft über die Herkunft, soziale Stellung, Fluchtgründe, Fluchtrouten und das weitere Schicksal (Asylgewährung, Weiterreise, Abschiebung etc.) der Flüchtlinge bzw. Migranten geben. Hauptsächliche Quellen sollen dabei Niederschriften der Bundesgendarmerie über die Ersteinvernahme der Betroffenen, Stellungnahmen der Sicherheitsdirektion insbesondere zur Frage des Vorliegens anerkannter Fluchtgründe und weitere in den Akten einliegende Vermerke (wie Stellungnahmen des Vertreters des UNHCR oder die Entscheidung des Bundesministers für Inneres über die Asylgewährung) bilden. Die Informationen liegen in Form unstrukturierter Papierakten vor und sollen zur Ermöglichung einer nicht zuletzt statistischen Systemisierung zur Auswertung in Form einer Datenbank erfasst und organisiert werden.
Beweiswürdigung: Diese Feststellungen beruhen auf dem schlüssigen und glaubwürdigen Vorbringen der Antragstellerin.
Die an Hand der auszuwertenden Verwaltungsakten betriebene Quellenforschung soll neben der Erforschung des Umgangs der österreichischen Behörden mit den Asyl- und Flüchtlingsfragen dieses Zeitabschnitts auch dazu beitragen, die politische und soziale Lage im Jugoslawien am Beginn der Nachkriegszeit im Zuge der Umgestaltung des Staates zu einer „sozialistischen Volksrepublik“ zu erhellen.
Als Projektmitarbeiter soll grundsätzlich das wissenschaftliche Personal des Instituts für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung der Antragstellerin tätig werden. Frau Mag. Dr. N*** hat bereits im Zuge ihrer Dissertation (siehe Verfahren Zl. K202.043 der Datenschutzkommission) mit der Auswertung des betreffenden Aktenbestandes Erfahrung sammeln können.
Beweiswürdigung: Diese Feststellung beruht auf dem Vorbringen der Antragstellerin.
In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
Für die Verwendung von Daten für Zwecke der statistischen bzw. wissenschaftlichen Forschung enthält das DSG 2000 in seinem § 46 eine Sondervorschrift. Diese lautet:
„§ 46. (1) Für Zwecke wissenschaftlicher oder statistischer Untersuchungen, die keine personenbezogenen Ergebnisse zum Ziel haben, darf der Auftraggeber der Untersuchung alle Daten verwenden, die
Andere Daten dürfen nur unter den Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 bis 3 verwendet werden.
(2) Bei Datenanwendungen für Zwecke wissenschaftlicher Forschung und Statistik, die nicht unter Abs. 1 fallen, dürfen Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind, nur
(3) Eine Genehmigung der Datenschutzkommission für die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik ist zu erteilen, wenn
Sollen sensible Daten übermittelt werden, muß ein wichtiges öffentliches Interesse an der Untersuchung vorliegen; weiters muß gewährleistet sein, daß die Daten beim Empfänger nur von Personen verwendet werden, die hinsichtlich des Gegenstandes der Untersuchung einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen oder deren diesbezügliche Verläßlichkeit sonst glaubhaft ist. Die Datenschutzkommission kann die Genehmigung an die Erfüllung von Bedingungen und Auflagen knüpfen, soweit dies zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen, insbesondere bei der Verwendung sensibler Daten, notwendig ist.
(4) Rechtliche Beschränkungen der Zulässigkeit der Benützung von Daten aus anderen, insbesondere urheberrechtlichen Gründen bleiben unberührt.
(5) Auch in jenen Fällen, in welchen gemäß den vorstehenden Bestimmungen die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik in personenbezogener Form zulässig ist, ist der direkte Personsbezug unverzüglich zu verschlüsseln, wenn in einzelnen Phasen der wissenschaftlichen oder statistischen Arbeit mit nur indirekt personenbezogenen Daten das Auslangen gefunden werden kann. Sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes vorgesehen ist, ist der Personsbezug der Daten gänzlich zu beseitigen, sobald er für die wissenschaftliche oder statistische Arbeit nicht mehr notwendig ist.“
Zunächst ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass hinsichtlich der Daten, deren Verwendung die Antragstellerin beabsichtigt, weder die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 DSG 2000 noch jene des Abs. 2 Z 1 oder 2 erfüllt sind. Somit kommt die Verwendung der Daten nur mit Genehmigung der Datenschutzkommission nach § 46 Abs. 2 Z 3 DSG 2000 in Betracht, sodass der Antrag zulässig ist.
Es handelt sich bei den Betroffenen um einen großen Personenkreis, wobei davon auszugehen ist, dass viele der Betroffenen bereits verstorben sind oder über zahlreiche Länder verteilt leben. Daher ist die Einholung der Zustimmung der Betroffenen mangels ihrer Erreichbarkeit unmöglich oder sonst mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden (§ 46 Abs. 3 Z 1 DSG 2000).
Da die Antragstellerin auch die Verarbeitung sensibler Daten im Sinn des § 4 Z 2 DSG 2000, nämlich Daten zur Nationalität (innerhalb des früheren jugoslawischen Staatsverbands; d.h. auch zur ethnischen Herkunft des Betroffenen), zu Vorstrafen sowie zu möglicherweise in den Fluchtgründen (für deren Erfassung ist in der Datenbank ein längeres Freitextfeld programmtechnisch vorgesehen) dargelegten politischen oder auch religiösen Überzeugungen der Betroffenen beabsichtigt, rechtfertigt erst ein wichtiges öffentliches Interesse den durch die Genehmigung bewirkten Grundrechtseingriff gegenüber den Betroffenen. Die Datenschutzkommission hat in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Untersuchung der NS-Zeit das wichtige öffentliche Interesse bejaht, weil die Erforschung und objektive Aufarbeitung der NS-Vergangenheit dem Ansehen Österreichs in der Welt nützlich sein wird (vgl. etwa die Bescheide vom 25. Februar 2000, K202.001/3-DSK/00 bzw. K202.002/2-DSK/00, sowie vom 24. April 2001, K202.010/2-DSK/01, RIS). Im vorliegenden Fall handelt es sich um die systematische wissenschaftliche Untersuchung einer lang andauernden, kontinuierlichen Flucht- bzw. Migrationsbewegung, die für eine grenzüberschreitende (vgl. die im Antrag dargelegte Bereitschaft zur Mitarbeit seitens des Justizministeriums der Republik Slowenien) wissenschaftliche Erfassung dieser zeitgeschichtlichen Epoche von Bedeutung sein könnte. Die Aktualität des Themenkomplexes „Migration, Flucht Asylgewährung“ ist durch zahlreiche öffentliche Diskussionen darüber allgemein bekannt. Es liegt daher ein wichtiges öffentliches Interesse vor. Daraus, sowie aus der Notwendigkeit, die in Art. 17 StGG verfassungsgesetzlich garantierte Freiheit der Wissenschaft nicht über das durch zwingende Erfordernisse des Schutzes des Grundrechts auf Datenschutz gebotene Maß zu beschränken, ergibt sich, dass die grundlegenden allgemeinen Voraussetzungen einer Genehmigung nach § 46 Abs. 3 DSG 2000 gegeben sind.
Da es sich bei der Antragstellerin um eine juristische Person handelt, muss die nach § 46 Abs. 3 Z 3 DSG 2000 nachzuweisende fachliche Qualifikation hinsichtlich der für sie bei der Datenverwendung handelnden Personen vorliegen. Diese kann hinsichtlich des wissenschaftlichen Personals eines facheinschlägigen Universitätsinstituts, im vorliegenden Fall des Instituts für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung, als bescheinigt angenommen werden.
Die fachliche Eignung von Frau Mag. Dr. Doris N*** wurde bereits im Verfahren Zl. K202.043 der Datenschutzkommission nachgewiesen.
Somit war die beantragte Bewilligung zu erteilen. Die Auflage
a. war, insbesondere im Hinblick auf die bereits erörterte Verwendung sensibler Daten, erforderlich, um die Durchführung der Datenverwendung ausschließlich durch entsprechend dem § 46 Abs. 3 Z 3 DSG 2000 qualifizierte Personen sicherzustellen und so eine Verwendung durch Unbefugte möglichst hintanzuhalten. Die – im Sinne des § 15 DSG 2000 ausgesprochene – Auflage b. dient einerseits der Gewährleistung, dass sämtliche Projektmitarbeiter, insbesondere Frau Mag. Dr. N***, einer rechtlich durchsetzbaren Verschwiegenheitspflicht unterworfen werden. Andererseits soll diese Auflage auch dazu führen, dass den Mitarbeitern, gerade wenn diese bereits einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen (zB auf Grund von § 126 Abs. 4 oder § 128 UG 2002 iVm § 5 Abs. 1 VBG iVm § 46 Abs. 1 BDG 1979), diese Verpflichtung nochmals deutlich vor Augen geführt wird. Die Bedingung 3. war im Hinblick darauf, dass die im Spruch bewilligten Datenarten über die gemeldete Datenanwendung (DVR-Nummer 00**000, xxx erfasste Datenarten) hinausgehen, zu erteilen.
Auf die sich aus dem Einleitungssatz von § 46 Abs. 1 sowie Abs. 5 DSG 2000 ergebende Verpflichtung, keine personenbezogenen Forschungsergebnisse zu veröffentlichen sowie den Personsbezug der Daten gänzlich zu beseitigen, sobald er für die wissenschaftliche oder statistische Arbeit nicht mehr notwendig ist, nimmt Punkt 2. des Spruchs Bezug.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.