K121.508/0011-DSK/2009 – Datenschutzkommission Entscheidung
Text
[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Anonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]
B E S C H E I D
Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Mag. HUTTERER, Dr. KOTSCHY, Mag. MAITZ-STRASSNIG, Mag. HEILEGGER und Dr. HEISSENBERGER sowie des Schriftführers Mag. SUDA in ihrer Sitzung vom 24. Juli 2009 folgenden Beschluss gefasst:
S p r u c h
Über die Beschwerde der Helga R*** (Beschwerdeführerin) aus J***, vertreten durch die O*** Rechtsanwaltspartnerschaft in L***, vom 29. Jänner 2009 gegen die Bezirkshauptmannschaft I*** (Beschwerdegegnerin) wegen Verletzung im Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten in Folge erkennungsdienstlicher Behandlung am 16. Oktober 2008 wird entschieden:
- Der Beschwerde wird s t a t t g e g e b e n und festgestellt, dass die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin durch die Verarbeitung (Ermittlung und Speicherung) dreier Lichtbilder und ihrer Fingerabdrücke vom 16. Oktober 2008 bis dato in der zentralen Informationssammlung der Sicherheitsbehörden (EDV-Zl. 00,***.000, AFIS-Zl. 00***) in ihrem Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten verletzt hat.
Rechtsgrundlagen: § 1 Abs. 1 und 2, §§ 6 und 7 sowie 31 Abs. 2 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000), BGBl I Nr. 165/1999 idgF, iVm §§ 29 und 51, § 65 Abs. 1 und 6 und § 90 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl. Nr. 566/1991 idgF.
B e g r ü n d u n g
A. Vorbringen der Parteien
Die Beschwerdeführerin behauptet in ihrer am 3. Februar 2009 bei der Datenschutzkommission eingegangenen Beschwerde eine Verletzung im Recht auf Geheimhaltung dadurch, dass sie im Auftrag der Beschwerdegegnerin am 16. Oktober 2008 im Zuge eines kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahrens beim Bezirkspolizeikommando (BPK) I*** erkennungsdienstlich behandelt worden sei (gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, Heinrich S***, und dem gemeinsamen Sohn Udo R***, siehe die Beschwerdeverfahren Zlen K121.507 und K121.509 der Datenschutzkommission). Es seien biometrische Daten (Fingerabdrücke, Lichtbilder) ermittelt und verarbeitet worden, ohne dass die Voraussetzungen nach § 65 Abs. 1 SPG vorgelegen seien, da keine Gründe für die Annahme einer Erforderlichkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung (im Folgenden kurz auch: ED-Behandlung) zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe der Beschwerdeführerin gegeben waren.
Die Beschwerdegegnerin , von der Datenschutzkommission zur Stellungnahme aufgefordert, brachte unter Vorlage von Aktenkopien und Datenausdrucken aus dem betreffenden Ermittlungsverfahren am 5. März 2009 vor, die Beschwerdeführerin habe freiwillig an der ED-Behandlung mitgewirkt, jedenfalls sei diese ohne Anwendung oder Androhung von Befehls- oder Zwangsgewalt erfolgt. Die Beschwerdeführerin sei unter Verdacht gestanden, über einen längeren Zeitraum Cannabisprodukte konsumiert zu haben. Weiters habe sie im selben Zeitraum gemeinsam mit Heinrich S*** durch Anbau von Cannabispflanzen Cannabiskraut („Gras“) und (in kleinerer Quantität) Cannabisöl bzw. -harz erzeugt und Teile davon an den gemeinsamen Sohn Udo und, zumindest indirekt, durch Duldung, auch an weitere Jugendliche weitergegeben. Diese Verdachtslage sei insbesondere durch ein umfassendes Geständnis der Beschwerdeführerin am 7. September 2008 begründet. Daraus ergebe sich das Bild gewohnheitsmäßigen und unter ständiger Missachtung der einschlägigen Gesetze erfolgten Suchtgiftkonsums sowie der Suchtgifterzeugung, auf die sich die Prognoseentscheidung gründe, die Risikoschwelle der Beschwerdeführerin, bei weiteren gefährlichen Angriffen betreten zu werden, müsse durch die Verarbeitung erkennungsdienstlicher Daten spürbar hinaufgesetzt werden, wobei es in Folge der Neufassung des § 65 Abs. 1 SPG vorrangig auf die deliktstypische Rückfallsgefahr und nicht mehr auf die Person des Betroffenen ankomme.
Die Beschwerdeführerin replizierte auf dieses Vorbringen und die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach Parteiengehör mit Stellungnahme vom 31. März 2009. Sie bestritt, einer Verwendung ihrer Daten zugestimmt zu haben, bestätigte jedoch, keine Androhung oder Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt geltend zu machen. Sie bestritt nachdrücklich und unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien die Auffassung der Beschwerdegegnerin, die durch BGBl. I Nr. 114/2007 erfolgte Neufassung von § 65 SPG habe eine inhaltliche Änderung der Rechtslage in dem Sinne bewirkt, dass keine konkrete, fallbezogene Prognoseentscheidung zur Begründung des Präventionszweckes einer ED-Behandlung mehr erfolgen müsse. Überdies fehle es an aussagekräftigen statistischen Daten, aus denen eine deliktstypische Rückfallswahrscheinlichkeit abgeleitet werden könnte. Die Praxis der Sicherheitsbehörden, in jedem Verdachtsfall eines Suchtmitteldeliktes erkennungsdienstliche Daten zu verarbeiten, widerspreche jedenfalls dem Gesetz, da dies in § 65 Abs. 1 SPG nur für die Fallgruppe des Tätigwerdens „im Rahmen einer kriminellen Verbindung“ vorgesehen sei. Für die der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Straftaten bestehe weder eine Rückfallsgefahr, noch sei ersichtlich, inwieweit zukünftige Verstöße durch die Verarbeitung von ED-Daten leichter aufgeklärt werden könnten.
B. Beschwerdegegenstand
Auf Grund des Vorbringens der Beschwerdeführerin ergibt sich, dass Beschwerdegegenstand die Frage ist, ob die Beschwerdegegnerin berechtigt war, am 16. Oktober 2008 erkennungsdienstliche Daten der Beschwerdeführerin gemäß § 65 SPG zu verarbeiten.
C. Sachverhaltsfeststellungen
Ausgehend vom Beschwerdegegenstand wird der folgende Sachverhalt festgestellt:
Gegen die Beschwerdeführerin wurde seit dem 6. September 2008 (im Zuge der Ermittlungen nach der Auffindung einer von Richard Z*** und Eleonore H*** angelegten Outdoor-Pflanzung von Cannabisstauden) wegen des Verdachts des Besitzes, Konsums und der Erzeugung von Cannabis durch das BPK I***, Polizeiinspektion (PI) B***, kriminalpolizeilich ermittelt. Insgesamt zählt der vom 22. November 2008 datierende Abschluss-Bericht an die Staatsanwaltschaft *** 8 Verdachtsfälle („Fakten“) des Erwerbs, Besitzes, Konsums, der Erzeugung sowie der Weitergabe von Cannabis-Produkten (hauptsächlich „Gras“ aus eigenem Anbau gemeinsam mit Heinrich S***) auf, wobei sich der Zeitraum auf die Jahre 1987 (Beginn des Konsums) bis dato erstreckt, die Weitergabe jedoch auf den Familien- und Bekanntenkreis (Sohn Udo R***, sowie Eleonore H*** und Richard Z***, Freunde des Udo R***, die letzten drei im relevanten Zeitraum minderjährig) beschränkte und kein Verdacht der Weitergabe in Erwerbs- oder Gewinnabsicht vorlag. Die Beschwerdeführerin wird im erwähnten Abschluss-Bericht (GZ: B6/8353/2008-To) als verdächtig bezeichnet, neben den Vergehen nach § 27 Abs. 1 Z 1 und 2 SMG auch das Vergehen nach § 27 Abs. 4 Z 1 SMG (Unerlaubter Umgang mit Suchtgiften – Ermöglichung des Gebrauchs von Suchtgift für Minderjährige) begangen zu haben (Höchststrafe: drei Jahre Freiheitsstrafe). Insbesondere soll die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, jedoch auf dessen Initiative hin und unter dessen Federführung, zwischen 2003 und 2008 insgesamt 2400 bis 3000 Gramm Cannabiskraut durch eigenen Anbau erzeugt, konsumiert und teilweise weitergegeben haben. An den gelegentlichen Cannabiseinkäufen des Heinrich S*** war die Beschwerdeführerin nicht beteiligt, sondern konsumierte nur das von S*** auf diese Weise bezogene und von ihm erhaltene „Gras“.
Die Beschwerdeführerin wurde am 11. September 2008 auf der PI B*** als Beschuldigte einvernommen. Sie legte dabei ein umfassendes Geständnis ab, auf das sich die Verdachtsfälle im schon zitierten Abschluss-Bericht praktisch 1:1 stützen. Anlässlich dieser Vernehmung gab die Beschwerdeführerin an, dass sie es geduldet hätte, „dass er (Anm.: ihr Sohn Udo R***) ab und zu von unserem Cannabis konsumiert hat.“ Weiters erfolgte bereits am 7. September 2008 mit Zustimmung des Heinrich S*** eine kriminalpolizeiliche Nachschau im Haus der Familie der Beschwerdeführerin in 4730 B***, **** 00, bei der mehrere Cannabispflanzen, Cannabiskraut, Cannabisblätter (Ausgangsstoff für die Cannabisöl- und Cannabisharzgewinnung) sowie diverse „Suchtgiftutensilien“ sichergestellt werden konnten.
Am 16. Oktober 2008 wurde die Beschwerdeführerin nach vorheriger einvernehmlicher Terminvereinbarung auf dem BPK I*** erkennungsdienstlich behandelt. Die erkennungsdienstliche Behandlung wurde von der Beschwerdeführerin geduldet und erfolgte ohne Androhung oder Anwendung von Befehls- oder Zwangsgewalt.
Verarbeitet (ermittelt und für Zwecke der zentralen Informationssammlung der Sicherheitsbehörden gespeichert, EDV-Zl. **,000.***, Zl. 00****) wurden drei Lichtbilder (Profil, en face, Halbprofil) sowie Abdrücke aller zehn Finger.
In diesem Zeitpunkt war den ermittelnden Beamten neben den oben dargestellten Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens bekannt, dass die Beschwerdeführerin unbescholten war, und gegen sie auch nie zuvor einschlägige Ermittlungen durchgeführt worden waren.
Beweiswürdigung: Diese Feststellungen beruhen auf dem Inhalt der von der Beschwerdegegnerin als Beilagen zur Stellungnahme vom 5. März 2009, Zl. 0000-**-2009, vorgelegten Aktenkopien und Ausdrucke. Die Feststellungen zu den Annahmen und Schlussfolgerungen der ermittelnden Kriminalbeamten stützen sich insbesondere auf den mehrfach zitierten Abschluss-Bericht an die Staatsanwaltschaft vom 22. November 2008, B*/0000/2008-**, sowie die Niederschrift über die Beschuldigtenvernehmung der Beschwerdeführerin vom 11. September 2008, selbe GZ. Die Feststellungen zum Wissensstand der ermittelnden Beamten am 16. Oktober 2008 sind unstrittig, da die später erstellten und der Datenschutzkommission vorliegenden Auszüge aus dem Strafregister, der Personeninformation und dem kriminalpolizeilichen Aktenindex im Rahmen der zentralen Informationssammlung der Sicherheitsbehörden (weitere Beilagen zur Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vom 5. März 2009, Abfragedatum 26. Februar 2009) nur Daten betreffend das gegenständliche Ermittlungsverfahren enthalten (Strafregisterauskunft überhaupt negativ). Die Feststellungen zum Umfang und zu den näheren Umständen der Ermittlung erkennungsdienstlicher Daten der Beschwerdeführerin (Ausschluss von Befehls- und Zwangsgewalt) stützen sich auf das übereinstimmende Vorbringen beider Parteien, dem die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht widersprechen, sowie den vorliegenden Ausdruck aus der erkennungsdienstlichen Evidenz im Rahmen der zentralen Informationssammlung der Sicherheitsbehörden vom 26. Februar 2009 (weitere Beilage zur Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vom 5. März 2009).
D. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
1. anzuwendende Rechtsvorschriften
Die Verfassungsbestimmung des § 1 Abs. 1 und 2 DSG 2000 lautet unter der Überschrift „Grundrecht auf Datenschutz“:
„§ 1. (1) Jedermann hat, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.
(2) Soweit die Verwendung von personenbezogenen Daten nicht im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen oder mit seiner Zustimmung erfolgt, sind Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung nur zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen zulässig, und zwar bei Eingriffen einer staatlichen Behörde nur auf Grund von Gesetzen, die aus den in Art. 8 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, genannten Gründen notwendig sind. Derartige Gesetze dürfen die Verwendung von Daten, die ihrer Art nach besonders schutzwürdig sind, nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen vorsehen und müssen gleichzeitig angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festlegen. Auch im Falle zulässiger Beschränkungen darf der Eingriff in das Grundrecht jeweils nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden.“
§ 6 Abs. 1 und 2 DSG 2000 samt Überschrift lautet:
„Grundsätze
§ 6. (1) Daten dürfen nur
(2) Der Auftraggeber trägt bei jeder seiner Datenanwendungen die Verantwortung für die Einhaltung der in Abs. 1 genannten Grundsätze; dies gilt auch dann, wenn er für die Datenanwendung Dienstleister heranzieht.“
§ 7 Abs. 1 und 3 DSG 2000 samt Überschrift lautet:
„Zulässigkeit der Verwendung von Daten
§ 7. (1) Daten dürfen nur verarbeitet werden, soweit Zweck und Inhalt der Datenanwendung von den gesetzlichen Zuständigkeiten oder rechtlichen Befugnissen des jeweiligen Auftraggebers gedeckt sind und die schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen nicht verletzen.
(2) ...
(3) Die Zulässigkeit einer Datenverwendung setzt voraus, dass die dadurch verursachten Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz nur im erforderlichen Ausmaß und mit den gelindesten zur Verfügung stehenden Mitteln erfolgen und dass die Grundsätze des § 6 eingehalten werden.“
§ 16 Abs. 2 SPG idF BGBl. I Nr. 100/2005 lautet unter der Überschrift „Allgemeine Gefahr; gefährlicher Angriff;
Gefahrenerforschung“:
„§ 16. (1) [...]
(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand
2. nach dem Verbotsgesetz, StGBl. Nr. 13/1945, oder
4. nach dem Suchtmittelgesetz (SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, handelt, es sei denn um den Erwerb oder Besitz eines Suchtmittels zum eigenen Gebrauch.“
§ 29 SPG idF BGBl. I Nr. 85/2000 samt Überschrift lautet:
„Verhältnismäßigkeit
§ 29. (1) Erweist sich ein Eingriff in Rechte von Menschen als erforderlich (§ 28a Abs. 3), so darf er dennoch nur geschehen, soweit er die Verhältnismäßigkeit zum Anlaß und zum angestrebten Erfolg wahrt.
(2) Insbesondere haben die Sicherheitsbehörden und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes
§ 51 SPG idF BGBl. I Nr. 104/2002 samt Überschrift lautet:
„Allgemeines
§ 51. (1) Die Sicherheitsbehörden haben beim Verwenden (Verarbeiten und Übermitteln) personenbezogener Daten die Verhältnismäßigkeit (§ 29) zu beachten. Beim Verwenden sensibler und strafrechtlich relevanter Daten haben sie angemessene Vorkehrungen zur Wahrung der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen zu treffen.
(2) Sofern nicht ausdrücklich Anderes angeordnet wird, finden auf das Verwenden personenbezogener Daten die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 165/1999, Anwendung.“
§ 65 Abs.1, 5 und 6 SPG idF BGBl. I Nr. 114/2007 samt Überschrift lautet:
„Erkennungsdienstliche Behandlung
§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.
[…]
(5) Die Sicherheitsbehörden haben jeden, den sie erkennungsdienstlich behandeln, schriftlich darüber in Kenntnis zu setzen, wie lange erkennungsdienstliche Daten aufbewahrt werden und welche Möglichkeiten vorzeitiger Löschung (§§ 73 und 74) bestehen. In den Fällen des § 75 Abs. 1 letzter Satz ist der Betroffene über die Verarbeitung seiner Daten in einer den Umständen entsprechenden Weise in Kenntnis zu setzen.
(6) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Namen, Geschlecht, frühere Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Namen der Eltern, Ausstellungsbehörde, Ausstellungsdatum und Nummer mitgeführter Dokumente, allfällige Hinweise über die Gefährlichkeit beim Einschreiten einschließlich sensibler Daten, soweit deren Verwendung zur Wahrung lebenswichtiger Interessen anderer notwendig ist und Aliasdaten eines Menschen (erkennungsdienstliche Identitätsdaten), den sie erkennungsdienstlich behandelt haben, zu ermitteln und zusammen mit den erkennungsdienstlichen Daten und mit dem für die Ermittlung maßgeblichen Grund zu verarbeiten. In den Fällen des Abs. 1 sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, eine Personsfeststellung vorzunehmen.“
„§ 90 SPG idF BGBl. Nr. 104/2002 lautet unter der Überschrift „Beschwerden wegen Verletzung der Bestimmungen über den Datenschutz“:
„§ 90. Die Datenschutzkommission entscheidet gemäß § 31 des Datenschutzgesetzes 2000 über Beschwerden wegen Verletzung von Rechten durch Verwenden personenbezogener Daten in Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung entgegen den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes. Davon ausgenommen ist die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ermittlung von Daten durch die Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.“
§ 27 Abs. 1 bis 5 SMG idF BGBl. I Nr. 110/2007 lautet unter der Überschrift „Unerlaubter Umgang mit Suchtgiften“:
„§ 27. (1) Wer vorschriftswidrig
ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Wer jedoch die Straftat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begeht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ist zu bestrafen, wer eine Straftat nach Abs. 1 Z 1 oder 2 gewerbsmäßig begeht.
(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ist zu bestrafen, wer
(5) Wer jedoch an Suchtmittel gewöhnt ist und eine Straftat nach Abs. 3 oder Abs. 4 Z 2 vorwiegend deshalb begeht, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, ist nur mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.“
2. rechtliche Schlussfolgerungen
a) zur Zuständigkeitsfrage
Im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Erkenntnis vom 19. September 2006, Zl. 2005/06/0018) wurde ermittelt, ob gegen die Beschwerdeführerin anlässlich der Ermittlung erkennungsdienstlicher Daten Befehls- oder Zwangsgewalt ausgeübt oder ihr die Ausübung solcher zumindest angedroht worden ist. Diesbezüglich liegt kein Vorbringen und kein in diese Richtung deutendes Ermittlungsergebnis vor. Die Zuständigkeit der Datenschutzkommission, über die vorliegende Beschwerde zu entscheiden, ist daher gemäß § 90 SPG gegeben.
b) in der Sache selbst
Im Beschwerdefall stand im Zeitpunkt der erkennungsdienstlichen Behandlung fest, dass die Beschwerdeführerin begründet (auf Grund ihres eigenen Geständnisses, des sichergestellten Suchtgifts sowie der Aussagen der anderen an den Suchtgiftdelikten der Beschwerdeführerin Beteiligten) verdächtigt wurde, das Suchtgift Cannabis in einer nicht präzise feststehenden, aber jedenfalls keineswegs geringfügigen Menge (allein mindestens 2400 Gramm Cannabiskraut aus eigenem Anbau) gemeinsam mit Heinrich S*** über mehrere Jahre erworben, besessen, erzeugt, konsumiert und weitergegeben zu haben, wobei die Weitergabe im Wesentlichen „nur“ in der Duldung des Konsums des gemeinsam mit Heinrich S*** erzeugten Cannabis durch ihren Sohn Udo bestanden hat.
Die Beschwerdeführerin war damit eines gefährlichen Angriffs nach § 16 Abs. 2 Z 4 SPG verdächtig.
Zu den weiteren Voraussetzungen für eine erkennungsdienstliche Behandlung „wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich scheint“ ist Folgendes auszuführen:
Vor der SPG-Novelle, BGBl. I Nr, 114/2007, lautete § 65 Abs. 1 und 5 SPG wie folgt:
„§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies sonst auf Grund von Umständen in der Person des Betroffenen oder nach der Art der begangenen mit Strafe bedrohten Handlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint.
(2) ...(4)
(5) Die Sicherheitsbehörden haben jeden, den sie erkennungsdienstlich behandeln, schriftlich darüber in Kenntnis zu setzen, wie lange erkennungsdienstliche Daten aufbewahrt werden und welche Möglichkeiten vorzeitiger Löschung (§§ 73 und 74) bestehen. In den Fällen des Abs. 1 ist der Betroffene außerdem darauf hinzuweisen, dass die erkennungsdienstliche Behandlung deshalb erfolgte, um der Begehung gefährlicher Angriffe durch sein Wissen um die Möglichkeit seiner Wiedererkennung entgegenzuwirken.“
Zu dieser Rechtslage hat der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf seine vor der SPG-Novelle 2002 im Erkenntnis vom 16. Juli 2003, 2002/01/0592, dargelegte Rechtsansicht folgendes ausgeführt:
„Für die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 65 Abs 1 SPG in der Fassung der SPG-Novelle 2002 ist es erforderlich, dass eine konkrete fallbezogene Prognose getroffen wird. Dabei hat sich die Behörde mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer "Vorbeugung" durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinander zu setzen (vgl dazu das hg Erkenntnis vom 17. September 2002, Zl 2002/01/0320). Im Rahmen dieser so anzustellenden Überlegungen wird es - wie der neue Wortlaut des § 65 Abs 1 SPG ausdrücklich klarstellt - immer auch auf die Art des Deliktes, dessen der Betroffene verdächtig ist, ankommen. Dass (auch) die aktuelle Textierung des § 65 SPG eine rein abstrakte Betrachtungsweise verbietet, steht insoweit mit den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur SPG-Novelle 2002 (1138 BlgNR 21. GP 33) im Einklang, als dort neben der Art des begangenen Delikts die konkreten Umstände bei der Tatbegehung als Maßstab für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe als Parameter genannt werden.“
Durch die am 1. Jänner 2008 in Kraft getretene SPG-Novelle, BGBl. I Nr. 114/2007, erfuhr § 65 Abs. 1 und 5 SPG insofern eine Änderung, als diese gesetzlichen Bestimmungen nunmehr lauten:
„§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.
(2) .... (4)
(5) Die Sicherheitsbehörden haben jeden, den sie erkennungsdienstlich behandeln, schriftlich darüber in Kenntnis zu setzen, wie lange erkennungsdienstliche Daten aufbewahrt werden und welche Möglichkeiten vorzeitiger Löschung (§§ 73 und 74) bestehen. In den Fällen des § 75 Abs. 1 letzter Satz ist der Betroffene über die Verarbeitung seiner Daten in einer den Umständen entsprechenden Weise in Kenntnis zu setzen.“
Die Erläuternden Bemerkungen zu diesen geänderten Normtexten (vgl. GP XXIII RV 272) lauten wie folgt:
„Zu Z 17 und 18 (§ 65 Abs. 1 und 5):
Mit der Änderung des § 65 Abs. 1 durch die SPG Novelle 2002 (vgl. die entsprechenden EB zur RV, 1138 BlgNR, XXI.GP) sollte erreicht werden, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung bei Verdacht einer Einzelstraftat nicht nur dann zulässig ist, wenn beim Betroffenen konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr oder der Gefahr der Begehung anderer gefährlicher Angriffe bestehen, sondern auch wenn eine für bestimmte Deliktsbereiche typische (statistische) Rückfallsgefahr vorliegt. Die Art des begangenen Delikts oder konkrete Umstände bei der Tatbegehung sollten Maßstab für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe darstellen. Zu dieser Fassung des § 65 Abs.1 hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen (etwa VwGH vom 16. Juli 2003, 2002/01/0592 oder VwGH vom 7. Oktober 2003, 2003/01/0191) festgehalten, dass die aktuelle Textierung des § 65 - insbesondere auch wegen des unverändert gebliebenen § 65 Abs. 5 letzter Satz - eine rein abstrakte Betrachtungsweise verbiete. Für die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 65 Abs. 1 sei es immer erforderlich, eine konkrete fallbezogene Prognose zu treffen, bei der sich die Behörde mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 angenommenen Verdachtes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer „Vorbeugung“ durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinander zu setzen habe. Im Rahmen dieser Überlegungen komme es „auch“ auf die Art des Delikts an. § 65 Abs. 5 zweiter Satz bezweckt, dass dem Betroffenen der vorbeugende Charakter der erkennungsdienstlichen Behandlung (entsprechend der sicherheitspolizeilichen Aufgabenstellung des § 22 Abs. 2) nochmals vor Augen geführt werden soll. Da dieser Satz für die Frage, ob die Maßnahme zur Vorbeugung künftiger gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint, keinen Mehrwert bringt, kann er gestrichen werden. Darüber hinaus soll durch die Neufassung von § 65 Abs. 1 klargestellt werden, dass – abgesehen von der Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Verbindung – konkrete Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung oder Begehung anderer gefährlicher Angriffe entweder in der Person des Betroffenen selbst oder in der Art oder Ausführung der Tat liegen können. Es genügt im zweiten Fall eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit, die an der verwirklichten Tat anknüpft und den Schluss rechtfertigt, dass die Tat nach der allgemeinen Lebenserfahrung kein Einzelfall bleiben wird.“
Aus diesen Darlegungen ist klar ersichtlich, dass der Gesetzgeber eine von ihm gewollte Rechtslage (arg.: „sollte erreicht werden“) nicht entsprechend in einen Normtext gegossen hat, wodurch es zu der von ihm nicht intendierten Rechtsauslegung (Argument hiefür ist das unter Anführungszeichen gesetzte Wort „auch“) gekommen ist. Dazu kommt, dass nunmehr in den Erläuternden Bemerkungen zu § 65
Abs. 1 SPG von einem „Entweder ... oder“ die Rede ist und
ausdrücklich davon die Sprache ist, dass „im zweiten Fall (Anm.: Art der Tat, vermutlich aber auch Ausführung der Tat mitgemeint) eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit, die an der verwirklichten Tat anknüpft und den Schluss rechtfertigt, dass die Tat nach der allgemeinen Lebenserfahrung kein Einzelfall bleiben wird“, genüge.
Weiterhin sind aber – soweit nicht ein Tätigwerden im Rahmen einer kriminellen Verbindung gegeben ist – insofern weitere Überlegungen notwendig, als § 65 Abs. 1 SPG die erkennungsdienstliche Behandlung nur dann zulässt, wenn dies zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich scheint. Diese Erforderlichkeit kann sich - wie bereits oben aus den Erläuternden Bemerkungen abgeleitet – entweder aus der Persönlichkeit des erkennungsdienstlich zu Behandelnden oder aber aus der Art oder Ausführung der Tat ergeben, wobei diese einzelnen Tatbestandsmerkmale miteinander insofern verbunden sein können, als doch vielfach aus der Art oder der Ausführung der Tat auf die Persönlichkeit des Täters geschlossen werden kann. Weiters kommt im vorliegenden Fall der Beantwortung der Frage, ob nicht aus bestimmten anderen Gründen die gesetzten erkennungsdienstlichen Maßnahmen gegen den in § 51 SPG normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen haben könnten, entscheidungsrelevante Bedeutung zu. Unter diesen Aspekten können die gegen die Beschwerdeführerin gesetzten erkennungsdienstlichen Maßnahmen nicht als gerechtfertigt erscheinen.
Im Gegensatz zu ihrem Lebensgefährten hat die bis dato unbescholtene Beschwerdeführerin zwar den Canabiskonsum aus dem eigenen Anbau durch ihren Sohn geduldet, sie hat aber nie Suchtmittel von Dritten beschafft und dieses an andere Personen, vor allem Jugendliche, weiter gegeben. Diese Art der Tatbegehung, die keinen über eine vage Vermutung hinausgehenden Schluss auf einen „Suchtmittelhandel“ mit Dritten zulässt, vermag im Zusammenhang mit dem Verhältniskeitsgebot des § 51 SPG die gesetzten erkennungsdienstlichen Maßnahmen nicht zu rechtfertigen. Jedenfalls lässt sich aus dem der DSK vorliegenden Sachverhalt kein Schluss auf eine besondere kriminelle Energie der Beschwerdeführerin ziehen und erscheint sie mehr als eine Art „Mitläuferin“, die sich den Plänen ihres Lebensgefährten nicht widersetzte um selbst diese Art von Suchtmittel ohne viel Kosten im „Familienkreis“ konsumieren zu können. Bei einem solchen deliktischen Verhalten, das keinen objektiv vernünftigen Schluss auf ein „Mehr als das“ zulässt, stehen erkennungsdienstliche Maßnahmen und deren Speicherung in keinem Verhältnis zum Anlass und zum angestrebten Erfolg, weshalb der Beschwerde statt zu geben war.