K600.049-424/0001-DVR/2008/00 – Datenschutzkommission Entscheidung
Text
[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Anonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]
B E S C H E I D
Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. KURAS und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. KOTSCHY, Dr. ROSENMAYR-KLEMENZ, Mag. HUTTERER, Mag. HEILEGGER sowie des Schriftführers Mag. SUDA in ihrer Sitzung vom 6. Februar 2008 folgenden Beschluss gefasst:
S p r u c h
Unter Zugrundelegung der mehrfach verbesserten Registrierungsmeldung des Magistrats der Stadt Wien vom 20. Oktober 2006 betreffend eine Datenanwendung mit dem Zweck:
„V424 Videoüberwachung (temporär) in den Wohnhausanlagen der Stadt Wien“ wird gemäß § 21 Abs. 2 DSG 2000 die Registrierung dieser Datenanwendung
A. I. für folgende Objekte/Bereiche abgelehnt:
**** Wien, I*** / Bereich Eingang und Stiege
**** Wien, H*** / Bereich Stiege **
II. für folgende Objekte/Bereiche befristet mit 31. Dezember 2009 verfügt:
**** Wien, C*** / Bereich Garage und Müllräume **** Wien, Z*** / Bereich Garage
**** Wien, M*** / Bereich Garage
**** Wien, K*** / Bereich Garage
**** Wien, L*** / Bereich Garage und Müllräume
**** Wien, Y*** / Bereich Garage
**** Wien, A*** / Bereich Garage und Aufzüge,
B. wobei folgende Auflagen gemacht werden
I. betreffend die Durchführung der Videoüberwachung:
1. Bei der Videoüberwachung der von der Registrierung umfassten Bereiche darf die Videokameraeinstellung nicht so gewählt werden, dass der Hauseingang oder der unmittelbare Eingang zu Wohnungen mit erfasst wird;
2. eine Auswertung des aufgezeichneten Bildmaterials darf nur im konkreten Anlassfall zum Zweck der Beweissicherung im Hinblick auf strafrechtlich relevante Handlungen vorgenommen werden. Als Anlass gelten nur Vorfälle, die die Interessen des Auftraggebers im Hinblick auf Eigenschutz (d.i. Schutz von Eigentum des Auftraggebers und von Eigentum, Leben und Gesundheit der Organwalter des Auftraggebers) oder Verantwortungsschutz (Schutz von Eigentum, Leben und Gesundheit von Personen, zu welchen der Auftraggeber in einer Schutzrechte begründenden Rechtsbeziehung steht) berühren. Auswertungen für Zwecke des Fremdschutzes (betrifft Personen, mit welchen der Auftraggeber in keiner Rechtsbeziehung steht, die ein Recht auf Schutz von Eigentum, Leben oder Sicherheit dieser Person begründet) dürfen nur vorgenommen werden, soweit für die Herausgabe eine gesetzliche Verpflichtung besteht, wie etwa nach §§ 109 ff, insbes. § 111 Abs. 2 der Strafprozessordnung 1975 idF. BGBl I Nr. 19/2004;
3. jede Auswertung ist so zu protokollieren, dass das auslösende Ereignis und allfällige Übermittlungen nachvollzogen werden können; desgleichen ist die Identität der auswertenden Mitarbeiter sowie der anfordernden Stellen und ihrer Organwalter festzuhalten;
4. die ermittelten Bilddaten sind beim Auftraggeber gegen den Zugriff Unbefugter in jeder Phase ihrer Verwendung zu schützen; dies gilt insbesondere auch für die Übertragung der Daten vom Ermittlungsort an den zentralen Server, wo sie gespeichert werden, sowie für die Aufbewahrung und Weiterverwendung von Auswertungsergebnissen;
5. eine wesentliche Änderung des im Antrag beschriebenen technischen Systems ist der Datenschutzkommission umgehend mitzuteilen;
6. aufgezeichnetes Bildmaterial ist nach 72 Stunden automatisch zu löschen, soweit es nicht gemäß Pkt. 2 der Auswertung unterzogen wird;
II. betreffend die Erzeugung von statistischem Vergleichsmaterial:
1. Für den Zeitraum bis 31. Juli 2009 sind für alle Örtlichkeiten, in welchen Videoüberwachung stattfindet, Aufzeichnungen zu führen über
a) Anzahl, Art (einschließlich ungefährer Schadensumme), Datum, Tageszeit und Ort
der Ereignung der Vorfälle, die dem Auftraggeber der Datenanwendung zur Kenntnis gelangt sind und eine Auswertung der Video-Aufzeichnungen notwendig gemacht haben;
b) Anzahl der vom Auftraggeber zur Anzeige gebrachten Vorfälle und Anzahl jener Fälle, in welchen der Verursacher ausgeforscht wurde;
2. weiters sind für diesen Zeitraum für 10 Wohnhäuser, die im Eigentum der Unternehmung „Stadt Wien - Wiener Wohnen“ stehen und die gegenüber den von der Meldung erfassten Wohnhäusern hinsichtlich Größe und Lage/Umgebung vergleichbar sind und in welchen keine Videoüberwachung stattfindet, Aufzeichnungen über jene Art von Vorfällen vorzunehmen, die bei vorhandener Videoüberwachung zur Auswertung der Video-Aufzeichnungen führen würden;
3. die Aufzeichnungen nach Pkt. 1 und 2 sowie ein Erfahrungsbericht über die Auswirkungen der vorgenommenen Videoüberwachungen sind der Datenschutzkommission bis 1. September 2009 vorzulegen.
B e g r ü n d u n g
Sachverhalt:
Der Magistrat der Stadt Wien hat die Registrierung von Videoüberwachung in genau bezeichneten Räumlichkeiten von Wohnhausanlagen beantragt, die im Eigentum der Unternehmung „Stadt Wien - Wiener Wohnen“ stehen. Die Registrierung wird mit der Begründung beantragt, dass an den von der Meldung umfassten Orten Vandalismusschäden in erheblichem Ausmaß während der letzten beiden Jahre verzeichnet wurden und Videoüberwachung als geeignetes Mittel für die Prävention und Aufklärung solcher Vorkommnisse angesehen werde. Dahin gehe auch die überwiegende Meinung der Mieter in den vom Antrag betroffenen Objekten.
Rechtliche Erwägungen:
1. Zur Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit von Videoüberwachung ist im vorliegenden Zusammenhang Folgendes auszuführen:
a) Nach der Spruchpraxis der Datenschutzkommission ist die Befugnis, Videoüberwachung vorzunehmen, an die hausrechtsähnliche Verfügungsgewalt über den zu überwachenden Ort gebunden. Bei Mehrparteien-Wohnhäusern bestehen allerdings hausrechtsähnliche Verfügungsrechte unterschiedlicher Rechtssubjekte (Eigentümer und mehrere Mieter oder mehrere Wohnungseigentümer). Soweit sie sich auf dieselbe Örtlichkeit innerhalb eines Wohnhauses erstrecken oder zumindest in den Randbereichen aufeinander treffen, kann es zu einer durchaus unterschiedlichen Wertung hinsichtlich der Beantwortung der Frage kommen, ob Videoüberwachung erwünscht ist.
Der Antragsteller hat zu dieser Frage ausgeführt, dass Videoüberwachung vielfach durch die Mieter verlangt wird. Ein Mitspracherecht jedes einzelnen Mieters könne jedoch nicht eingeräumt werden; es würde nur die gezielte Information aller Mieter (durch Rundschreiben) erfolgen. Dies bedeutet, dass der Antragsteller aufgrund seiner Eigentümerrolle das maßgebliche Verfügungsrecht in Anspruch nimmt.
Dem kann im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen gefolgt werden:
Die Zustimmung sämtlicher Mieter kann schon deshalb nicht als Grund der Zulässigkeit von Videoüberwachung herangezogen werden, weil von jeder Videoüberwachung jedenfalls auch Personen erfasst sein werden, die vor der Einrichtung der Videoüberwachung nicht um ihre Zustimmung befragt werden konnten. Maßstab der Zulässigkeit von Videoüberwachung muss daher ein objektiver Umstand sein, dessen generelles Vorliegen oder Nicht-Vorliegen am Ort der beabsichtigten Überwachung ex ante beurteilbar ist. Dieses Kriterium ist die Erforderlichkeit der (Video)Überwachung zur Verwirklichung eines überwiegenden berechtigten Interesses des Auftraggebers der Videoüberwachung.
b) Zur Frage des Vorliegens „Überwiegender berechtigter Interessen“ des Auftraggebers, die die Vornahme von Videoüberwachung erforderlich machen:
Im Antrag wird der Zweck der Videoüberwachung wie folgt benannt: „Eindämmung von Vandalismusschäden und Brandstiftung in öffentlich zugänglichen Bereichen von Wohnhausanlagen“ des Antragstellers. Dies ist im Lichte der bisherigen Entscheidungspraxis der Datenschutzkommission wie folgt zu beurteilen:
Vandalismus- und insbesondere Brandstiftungsbekämpfung ist als Fall des „Eigenschutzes“ und – in einem Mehrparteienwohnhaus sicherlich auch – des „Verantwortungsschutzes“ anzusehen. Für die Verfolgung derartiger Zwecke ist jener Rechtsträger, der über das zu überwachende Objekt verfügungsberechtigt ist, grundsätzlich berechtigt. Zu untersuchen ist allerdings, ob dieser Zweck im vorliegenden Fall auch ein überwiegendes berechtigtes Interesse des Verfügungsberechtigten gegenüber den Datenschutzinteressen der von der Videoüberwachung Betroffenen begründet, was für die konkrete Zulässigkeit von Videoüberwachung erforderlich ist.
Ein überwiegendes berechtigtes Interesse am Eigen- oder Verantwortungsschutz von Personen oder Sachen, die sich an einer bestimmte Örtlichkeit befinden, kann sich aus einer grundsätzlich höheren Gefährdung dieser Örtlichkeit im Vergleich zu anderen Örtlichkeiten ergeben (dies ist aufgrund der Lebenserfahrung z.B. für Banken anzunehmen) – dies kann auch bloß temporär der Fall sein (z.B. während einer bestimmten Veranstaltung an einem sonst nicht besonders gefährdeten Ort). Ein überwiegendes berechtigtes Schutzinteresse kann sich aber auch im Hinblick auf Örtlichkeiten ergeben, die bei durchschnittlicher Betrachtung nicht ungewöhnlich gefährdet sind, wenn aus besonderen Vorkommnissen an diesem Ort auf besondere Gefährdung der Schutzinteressen zu schließen ist.
Im vorliegenden Fall kann nach Ansicht der Datenschutzkommission nicht davon ausgegangen werden, dass Mehrparteienwohnhäuser in Wien und speziell Wohnanlagen der Gemeinde Wien einen Ort grundsätzlich höherer Gefährdung darstellen. Der Antragsteller hat sich durch die Auflistung der Schadensfälle an bestimmten Räumlichkeiten in bestimmten Wohnanlagen aber offenbar darauf berufen, dass an diesen speziellen Orten in der Vergangenheit Vandalismus in erheblichem, das übliche Maß übersteigendem Ausmaß stattgefunden hat. Soweit der Eintritt von erheblichem Schaden in bestimmten Wohnanlagen aus jüngster Zeit vom Antragsteller nachgewiesen wurde, musste vom – zumindest temporären – Vorliegen eines überwiegenden berechtigten Interesses an der Videoüberwachung ausgegangen und deshalb die Registrierung verfügt werden.
c) Festzuhalten ist jedoch, dass auch dann, wenn ein objektiv feststellbares überwiegendes berechtigtes Interesse des Eigentümers am Schutz seines Eigentums (- seiner Wohnhausanlage -) grundsätzlich besteht, dieses dort seine Grenze findet, wo die Privatsphäre der Wohnungsinhaber unverhältnismäßig beeinträchtigt wird: Die Videoüberwachung etwa des Eingangs in einzelne Wohnungen kann nicht erfolgreich mit dem Bestehen eines Verfügungsrechts des Hauseigentümers an einem Wohnhaus begründet werden – sie stellt vielmehr einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre der ein- und ausgehenden Menschen dar. Deshalb war auch die Erteilung der Auflage erforderlich, dass Wohnungseingänge keinesfalls von der Videoüberwachung betroffen sein dürfen.
Das Problem der Verhältnismäßigkeit von (Video)Überwachung besteht auch – wenn auch in geringerem Maße – bei der Überwachung von Hauseingangs- und Stiegenbereichen, da deren Betreten nicht vermieden werden kann, wenn die (der Privatsphäre zuzurechnende) Kommunikation mit Hausbewohnern gesucht wird. Da im vorliegenden Fall für diese Bereiche – soweit sie überhaupt Gegenstand des Antrags waren – keine Schadensfälle aus Vandalismus dokumentiert waren, war davon auszugehen, dass ein berechtigtes Interesse an der Überwachung, das die Datenschutzinteressen derjenigen überwiegt , die das Haus betreten, im konkreten Fall nicht ausreichend nachgewiesen wurde, sodass die Registrierung abzulehnen war.
2. Angesichts der besonderen Grundrechtsrelevanz von Überwachungsmaßnahmen musste die Zulässigkeit der Verwendung der ermittelten Daten sowie die technische und organisatorische Sicherheit ihrer Verwendung durch mehrere Auflagen abgesichert werden. Eine eigene Auflage betreffend die Pflicht zur Information der Betroffenen über die Vornahme von Videoüberwachung konnte unterbleiben, da sie sich bereits zwingend aus dem DSG 2000 (§ 24) ergibt. Werden wesentliche Änderungen im technischen Konzept vorgenommen, ist dies der Datenschutzkommission vorher anzuzeigen, damit beurteilt werden kann, ob die erforderliche Sicherheit des Systems nach wie vor gegeben ist.
3. Im Antrag werden konkrete Angaben über das Schadensausmaß in den letzten beiden Jahren gemacht, doch fehlt – wie der Antragsteller auch selbst eingeräumt hat – verlässliches statistisches Zahlenmaterial, anhand dessen beurteilt werden könnte, wann von einem das übliche Maß übersteigenden Ausmaß von Vandalismusschäden in großen Wohnhausanlagen gesprochen werden kann. Aus Sicht der Datenschutzkommission kommt daher bei dieser Sachlage nur eine zeitlich begrenzte Registrierung in Frage. Erst nach Vorliegen von statistisch relevantem Zahlenmaterial wird eine endgültige Aussage darüber möglich sein, ob und wann ein das übliche Ausmaß signifikant übersteigendes Ausmaß von Vandalismusschäden in Wohnanlagen vorliegt, das eine Überwachung im konkreten Fall rechtfertigt. Durch relevantes statistisches Zahlenmaterial ist auch die weitere Frage zu belegen, ob Videoüberwachung ein geeignetes Mittel für die erfolgreiche Wahrnehmung der Schutzinteressen ist, indem darzulegen sein wird, wie sich die Zu- oder Abnahme von Vandalismusschäden in (vergleichbaren) Wohnhausanlagen mit und ohne Videoüberwachung entwickelt.
4. Die Auswertung und Weitergabe von aufgezeichnetem Bildmaterial ist datenschutzrechtlich von entscheidender Bedeutung. Die Verwendung von Auswertungen als Beweismaterial in Fällen des Eigenschutzes und des Verantwortungsschutzes ist – neben der Generalprävention – der eigentliche Zweck der Videoüberwachung. Für jene Zwecke, für die Videoüberwachung durch den Verfügungsberechtigten zulässig ist, wird daher auch die Weiterverwendung zur Spezialprävention (Strafverfolgung) als zulässig anzusehen sein.
Anders ist die Sachlage bei der Verwendung von aufgezeichnetem Bildmaterial für Zwecke des sogenannten „Fremdschutzes“ (siehe Auflage B I 2), der kein „berechtigter Zweck“ für die Videoüberwachung durch Private sein kann – „Fremdschutz“ ist vielmehr Aufgabe der Sicherheitsbehörden. Für diesen Zweck ist die Verwendung der Daten aus privater Videoüberwachung nicht mehr Ausfluss eines Verfügungsrechtes, das den Anspruch mit umschließt, im Wege der Kontrolle ermittelte Daten über Verletzungen der Rechtssphäre des Verfügungsberechtigten auch zur Ahndung solcher Verletzungen verwenden zu dürfen. Daher muss jeweils ein besonderer Rechtsgrund für die Weiterverwendung bestehen. Angesichts des durch die Weiterverwendung bewirkten erheblichen Grundrechtseingriffs muss dieser Rechtsgrund auch entsprechend genau determiniert sein. In Auflagen B I 2 war daher die Zulässigkeit der Weitergabe von Bildmaterial für Zwecke des Fremdschutzes an das Vorliegen einer gesetzlichen Verpflichtung zur Herausgabe zu knüpfen.