K202.060/0005-DSK/2007 – Datenschutzkommission Entscheidung
Text
[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Anonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]
B E S C H E I D
Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. KOTSCHY, Mag. MAITZ-STRASSNIG, Dr. BLAHA, Mag. ZIMMER und Dr. STAUDIGL sowie der Schriftführerin Mag. FRITZ in ihrer Sitzung vom 18. Jänner 2008 folgenden Beschluss gefasst:
Spruch
Über den Antrag der K**** V**** (Antragsstellerin) vom 29. Oktober 2007 auf Genehmigung der Verwendung von Daten aus den Akten des Archivs der Y**** Gebietskrankenkasse wird gemäß § 46 Abs. 3 des Datenschutzgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 165/1999 in der Fassung BGBl. I Nr. 13/2005 (DSG 2000), entschieden:
I. Dem Antrag wird Folge gegeben und der Antragsstellerin die Genehmigung erteilt, aus der Dienstgeber-, Dienstnehmer- und Ostarbeiterkartei der Y**** Gebietskrankenkasse personenbezogene Daten von
1. Personen, die während des zweiten Weltkrieges im Bezirk U**** in der Landwirtschaft zur Zwangsarbeit eingesetzt waren und
2. Personen, die die unter Punkt 1 genannten Personen während des zweiten Weltkrieges im Bezirk U**** in der Landwirtschaft zur Zwangsarbeit eingesetzt haben, zu ermitteln und diese Daten für Zwecke ihrer Diplomarbeit zu dem Thema „Dörfliches Leben im Bezirk U**** zwischen 1938 und 1945. Das Zusammenleben am Bauernhof während des zweiten Weltkrieges.“
an der Universität X**** zu verwenden.
Die Genehmigung ist an die Erfüllung der folgenden Bedingungen bzw. Auflagen geknüpft:
1. Die Ermittlung und die Verwendung der Daten erfolgt ausschließlich durch die Antragsstellerin.
2. Personenbezogene Daten werden aus den eingesehenen Daten nur im absolut unerlässlichen Ausmaß von der Antragsstellerin für Zwecke ihrer Diplomarbeit aufgezeichnet. Sie werden gelöscht, sobald dies im Zuge der Ausarbeitung und Prüfung der Diplomarbeit durch die zuständigen Universitätsorgane möglich ist.
3. Der Zugang zu ihren Aufzeichnungen mit personenbezogenen Daten ist durch die Antragsstellerin in geeigneter Weise entsprechend § 14 Abs. 2 Z. 5 und 6 DSG 2000 abzusichern, z.B. durch Verschluss (bei Aufzeichnungen auf Papier) oder durch Passwort (bei elektronischen Aufzeichnungen).
4. Die Auswertung der personenbezogenen Daten in der Diplomarbeit hat in anonymer Form zu erfolgen.
II.) Gemäß § 78 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl I Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl I Nr. 10/2004 (AVG), iVm §§ 1, 3 Abs 1 und TP 1 Bundesverwaltungsabgabenverordnung 1983, BGBl Nr. 24/1983 i. d.F. BGBl II Nr. 460/2002 (BVwabgV), hat die Antragstellerin eine Verwaltungsabgabe in Höhe von
Euro 6,50
zu entrichten.
Begründung
Die Antragsstellerin begehrt die Genehmigung von Daten aus den Archivbeständen der Y**** Gebietskrankenkasse für ihre im Fachbereich „Geschichte“ der Universität X**** betreute im Spruch genannte Diplomarbeit.
Der folgende Sachverhalt wird festgestellt :
Die Antragsstellerin beabsichtigt in ihrer Diplomarbeit die veränderte dörfliche Lebenswelt bzw. die veränderten Lebensbedingungen im ländlichen Raum während der Jahre 1938 und 1945 zu untersuchen und herauszuarbeiten. Eine mögliche Ursache einer solchen Veränderung soll der durch den kriegsbedingten Abzug der männlichen Bevölkerungsschicht notwendige Einsatz von Zwangsarbeitern in der Landwirtschaft gewesen sein. Diesem durch den Einsatz von vorwiegend aus Osteuropa stammenden Zwangsarbeitern hervorgerufenen veränderten Zusammenleben im Dorf bzw. auf den landwirtschaftlichen Betrieben möchte die Antragsstellerin einen wesentlichen Teil ihrer Arbeit widmen. Grundlage ihrer Diplomarbeit sollen 10 Gespräche mit zwischen 1920 und 1926 geborenen „Bäuerinnen“ bilden, die sie über „Mittler- und Brückenfiguren“ direkt ansprechen will. Um einerseits deren Angaben in Bezug auf den Einsatz von Zwangsarbeitern in der Landwirtschaft vergleichen zu können bzw. andererseits näher herausarbeiten zu können, in welcher Art von landwirtschaftlichen Betrieben (beispielsweise ab welcher Größe oder in welchen Teilen der Gemeinde) Zwangsarbeiter wann und wie lange eingesetzt waren, ist eine Einsichtnahme in die Archivbestände der Y**** Gebietskrankenkasse (konkret: in die Dienstnehmerkartei, in die Ostarbeiterkartei und in die Dienstgeberkartei, in der u.a. die allgemeinen Dienstgeberunterlagen für die Jahre 1939 bis 1976 und die Dienstgeberunterlagen der Landwirtschaftskasse enthalten sind) erforderlich. In diesen Karteien befinden sich sowohl Daten der Zwangsarbeiter (Name, Geburtsdatum, Versicherungsnummer, Adresse, Staatsbürgerschaft, Versicherungszeiten, Dienstgeberwortlaut, Beschäftigungszeiten, Beitragsgruppen sowie eventuell Krankenstände und Diagnosen) als auch der Dienstgeber (in Bezug auf die Landwirtschaft: Name, Angaben über den Betrieb sowie über die jeweiligen Dienstnehmer). Das von der Antragsstellerin gewählte Diplomarbeitsthema ist bislang wissenschaftlich kaum aufgearbeitet worden. Die Antragsstellerin ist - nach den Angaben des Betreuers ihrer Diplomarbeit, Univ. Prof. Dr. A**** - aufgrund ihrer außerordentlichen Motivation, ihrer bisherigen ausgezeichneten Erfolge während des Studiums und ihrer Fähigkeit zur kritischen und selbständigen Bearbeitung von Quellen jeglicher Art fachlich geeignet diesen Bereich aufzuarbeiten.
Beweiswürdigung: Diese Feststellungen beruhen auf dem schlüssigen Vorbringen im Antrag vom 29. Oktober 2007 bzw. dessen auftragsgemäßer Verbesserung mit Schreiben vom 16. November 2007 sowie dem angeschlossenen Arbeitskonzept der Diplomarbeit, einem angeschlossenen Schreiben der Y**** Gebietskrankenkasse vom 27. Juni 2007 und einem angeschlossenen Schreiben des Betreuers der Diplomarbeit der Antragsstellerin, Univ. Prof. Dr. A**** vom 24. Oktober 2007 sowie einem Telefonat der ha. Sachbearbeiterin der Datenschutzkommission mit der Y**** Gebietskrankenkasse vom 5. Dezember 2007.
In rechtlicher Hinsicht folgt daraus :
Für die Verwendung von Daten für Zwecke der statistischen bzw. wissenschaftlichen Forschung enthält das DSG 2000 in seinem § 46 eine Sondervorschrift. Diese lautet:
„Wissenschaftliche Forschung und Statistik
§ 46. (1) Für Zwecke wissenschaftlicher oder statistischer Untersuchungen, die keine personenbezogenen Ergebnisse zum Ziel haben, darf der Auftraggeber der Untersuchung alle Daten verwenden, die
(2) Bei Datenanwendungen für Zwecke wissenschaftlicher Forschung und Statistik, die nicht unter Abs. 1 fallen, dürfen Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind, nur
(3) Eine Genehmigung der Datenschutzkommission für die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik ist zu erteilen, wenn
(4) Rechtliche Beschränkungen der Zulässigkeit der Benützung von Daten aus anderen, insbesondere urheberrechtlichen Gründen bleiben unberührt.
(5) Auch in jenen Fällen, in welchen gemäß den vorstehenden Bestimmungen die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik in personenbezogener Form zulässig ist, ist der direkte Personsbezug unverzüglich zu verschlüsseln, wenn in einzelnen Phasen der wissenschaftlichen oder statistischen Arbeit mit nur indirekt personenbezogenen Daten das Auslangen gefunden werden kann. Sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes vorgesehen ist, ist der Personsbezug der Daten gänzlich zu beseitigen, sobald er für die wissenschaftliche oder statistische Arbeit nicht mehr notwendig ist.“
Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich zunächst, dass weder hinsichtlich der Daten, deren Verwendung die Antragsstellerin beabsichtigt, die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 DSG 2000 erfüllt sind, noch dass ein Fall des § 46 Abs. 2 Z. 1 oder 2 leg. cit. vorliegt. Somit kommt eine Verwendung dieser Daten nur mit Genehmigung der Datenschutzkommission nach § 46 Abs. 2 Z. 3 iVm § 46 Abs. 3 DSG 2000 in Betracht.
Eine solche Genehmigung der Datenschutzkommission ist im vorliegenden Fall nach § 46 Abs. 3 DSG 2000 aber nur dann zulässig, wenn
Wie sich dazu aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt, soll die begehrte Einsichtnahme in die Archivbestände der Y**** Gebietskrankenkasse (überwiegend) gerade den Zweck verfolgen, festzustellen, welcher Zwangsarbeiter wie lange bei welchem Dienstgeber eingesetzt war. Die Einholung der Zustimmung der für die Antragsstellerin noch unbekannten Betroffenen für die Einsichtnahme in die Archivbestände der Y**** Gebietskrankenkasse ist daher schon aus diesem Grund unmöglich. Aber auch in jenen Fällen, in denen die Einsichtnahme in die Archivbestände lediglich Vergleichszwecken dienen soll und der Antragsstellerin aufgrund der Angaben der 10 Zeitzeuginnen („Bäuerinnen“) die Identität einzelner Betroffener bereits ohne Einsicht in die Archivbestände (allenfalls) bekannt sein mag, kann die Einholung der Zustimmung dieser Betroffenen aufgrund der zweifellos bestehenden Schwierigkeit, den jetzigen Aufenthaltsort für eine Kontaktaufnahme feststellen zu können, als mit einem unverhältnismäßigen Aufwand für die Antragsstellerin angesehen werden (vgl. dazu u.a. den Bescheid der Datenschutzkommission vom 1. Februar 2005, GZ: Zl. K202.041/0004 – DSK/2005; abrufbar im Rechtsinformationssystem des Bundes unter www.ris.bka.gv.at). Die Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 Z. 1 DSG 2000 sind daher im gegenständlichen Fall insgesamt als erfüllt anzusehen.
Da im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Antragsstellerin auch sensible Daten der Betroffenen verwendet (Inhalt der Dienstnehmer- bzw. Ostarbeiterkartei sind Daten über die Herkunft sowie unter Umständen Daten über Krankenstände und Diagnosen), ist im Sinne des § 46 Abs. 3 2. Satz DSG 2000 ein wichtiges öffentliches Interesse an der Untersuchung erforderlich. In diesem Zusammenhang bestätigt der Betreuer der Diplomarbeit der Antragsstellerin deren Angaben, wonach das beabsichtigte Diplomarbeitsthema bislang wissenschaftlich kaum aufgearbeitet wurde und insofern einen wertvollen Beitrag für die Wissenschaft liefern würde. Bereits aufgrund dieser glaubhaften Angaben kann von einem wichtigen öffentlichen Interesse an der gegenständlichen Arbeit ausgegangen werden. Davon abgesehen geht die Datenschutzkommission im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Untersuchung der NS-Zeit regelmäßig von einem wichtigen öffentlichen Interesse aus, weil die Erforschung und objektive Aufarbeitung der NS-Vergangenheit dem Ansehen Österreichs in der Welt nützlich sein wird (siehe dazu u.a. den bereits zitierten Bescheid vom 1. Februar 2005).
Auch in Bezug auf die fachliche Eignung der Antragsstellerin bestehen aufgrund der gleichfalls glaubhaften Angaben ihres Diplomarbeitsbetreuers, wonach sie ihm durch ausgezeichnete Leistungen, außerordentliche Motivation und die Fähigkeit zur kritischen und selbständigen Bearbeitung von Quellen jeglicher Art aufgefallen ist, einerseits und dem Umstand, dass nach der Rechtsprechung der Datenschutzkommission bereits das Verfassen einer universitär betreuten und insofern überprüften Diplomarbeit die fachliche Eignung der Antragsstellerin in sich birgt (siehe dazu den Bescheid der Datenschutzkommission vom 14. September 2007, GZ: Zl. K202.052/0007-DSK/2007, in Bezug auf eine Dissertationsarbeit), andererseits, keine Bedenken.
Die beantragte Bewilligung war daher zu erteilen.
Die erteilten Auflagen dienen einerseits der Datenvermeidung, indem die Löschung des Personenbezugs zum frühest möglichen Zeitpunkt aufgetragen wird, zum anderen der Datensicherheit bei der Verwendung der Daten, u.a. durch Beschränkung der zulässigerweise Einblick zu gewährenden Personen.