K202.051/0004-DSK/2007 – Datenschutzkommission Entscheidung
Text
[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Anonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein.]
B E S C H E I D
Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. STAUDIGL, Mag. HUTTERER, Dr. KOTSCHY, Mag. MAITZ-STRASSNIG und Mag. ZIMMER sowie des Schriftführers Mag. SUDA in ihrer Sitzung vom 12. April 2007 folgenden Beschluss gefasst:
S p r u c h
Über den Antrag der M*** Gesellschaft, ***, vertreten durch Univ. Prof. ***, in Wien (Antragsteller) vom 16. Oktober 2006 betreffend Genehmigung der Verwendung von Daten aus dem örtlichen Melderegister (OMR) der Gemeinde Wien zum Zweck der Rekrutierung von Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern für die Durchführung einer medizinischen Studie wird gemäß § 47 Abs. 2 Z 2 lit a Datenschutzgesetz 2000 (DSG 2000), BGBl I Nr 165/1999 idF BGBl I Nr 13/2005, entschieden:
- Der Antrag auf Genehmigung nach § 47 Abs. 3 und 4 DSG 2000 wird zurückgewiesen.
B e g r ü n d u n g
Der Antragsteller begehrt mit Antrag vom 16. Oktober 2006 die Genehmigung zur Verwendung von Daten aus dem örtlichen Melderegister der Gemeinde Wien (kurz: OMR), nämlich Name, Adresse und Geburtsdatum aller Personen, die zwischen 1. Jänner 1937 und 31. Dezember 1947 geboren sind und ihren Hauptwohnsitz im **. oder **. Wiener Gemeindebezirk haben, für schriftliche Einladungen zur Teilnahme an der Studie zum Thema „***“. Für die Studie seien jeweils 40 weibliche und männliche Personen erforderlich, nach Erreichen dieser Anzahl eingehender Patienteninformationen und schriftlicher Einverständniserklärungen werden die Daten nicht mehr benötigt und unverzüglich gelöscht.
A. Der folgende Sachverhalt wird festgestellt:
Der Antragsteller führt wissenschaftliche Arbeiten auf den Gebieten der [Medizin] *** durch. In einem interdisziplinären Ansatz werden verschiedene Projekte, welche für ältere Menschen von Bedeutung sind, von Arbeitsgruppen durchgeführt.
Im vorliegenden Fall beabsichtigt der Antragsteller die Durchführung einer Studie zum Thema „***“. Bei *** [Name des Präparates] handelt es sich um ein Präparat des *** Pharmakonzerns ***, das zur Behandlung von Altersdemenz verwendet wird und bei der Behandlung von dementen Personen in der Literatur bereits sehr gut dokumentiert ist. Bei gesunden Probanden liegen nur wenige und kontroversielle Daten vor, sodass die Studie zeigen soll, dass die Verabreichung von *** über den Behandlungszeitraum von einem Jahr zu einer Steigerung des sog. „***“ (Hauptzielgröße) und zu einer Steigerung der *** (Nebenzielgröße) führt und durch die ein Jahr anhaltende Steigerung des Blutspiegels der beiden Größen die alterbedingten Veränderungen der Körperzusammensetzung (z.B. Muskelkraft, Fettmasse, Knochendichte, linksventrikuläre Herzmuskelstärke) aufgehalten oder verzögert werden können.
Zur Studie werden je 40 männliche und weibliche Studienteilnehmer benötigt, die zwischen 1. Jänner 1937 und 31. Dezember 1947 geboren wurden und – da die Studie im *** [Name des Spitals] durchgeführt wird – aufgrund der kurzen Anfahrtswege ihren Hauptwohnsitz im **. oder **. Wiener Gemeindebezirk haben. Diese Altersgruppe erscheint nach dem dem Antrag beiliegenden Studienprotokoll für die gegenständliche Fragestellung besonders geeignet.
Zur Rekrutierung wurde zunächst in der Kronenzeitung (Ausgabe ***) und im Wiener Bezirksblatt (Ausgabe ***) öffentlich zur Teilnahme an der Studie gegen Entgelt aufgerufen. Auf Grund dieser Anzeigen wurden lediglich vier Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer gefunden. Auch durch die Vorstellung der Studie in dem *** [Spital] nahe liegenden Pensionistenwohnhäusern konnten keine Studienteilnehmerinnen oder Studienteilnehmer gefunden werden.
Der Antragsteller möchte nunmehr eine Liste mit Namen, Adressen und Geburtsdaten jener Personen, die zwischen dem 1. Jänner 1937 und 31. Dezember 1947 geboren wurden und ihren Hauptwohnsitz im **. oder **. Wiener Gemeindebezirk haben, aus dem örtlichen Melderegister der Gemeinde Wien (OMR), welche dem Antragsteller auf einem mit Passwort gesicherten Datenträger übergeben wird.
Diese Personen erhalten anschließend eine schriftliche Einladung zur Teilnahme an der Studie. In diesem – dem Antrag in Musterform beiliegenden – Schreiben wird zunächst dargelegt, wie der Antragsteller zu Namen und Adresse des Betroffenen gelangt ist. Weiters wird darüber aufgeklärt, dass die Teilnahme an der Studie vollkommen freiwillig ist und die Daten vernichtet werden, wenn nicht binnen der Antwortfrist von acht Wochen Bereitschaft zur Teilnahme erklärt wird. Außerdem wird die Möglichkeit geboten, dass die Daten sofort gelöscht werden, wenn der Betroffene dies verlangt. Darüber hinaus wird in dem Schreiben das Ziel der Studie umrissen und auf ein Entgelt für die Teilnahme hingewiesen. Dem Schreiben ist eine Patienteninformation und Einverständniserklärung zur Teilnahme an der Studie beigelegt.
Sobald die für die Studie – laut Studienprotokoll – notwendige Anzahl von je 40 männlichen und weiblichen Studienteilnehmern erreicht ist, also die entsprechende Anzahl von Patienteninformationen und Einverständniserklärungen beim Antragsteller eingelangt sind, werden die restlichen aus dem OMR stammenden Daten nicht mehr benötigt und gelöscht.
Beweiswürdigung : Diese Feststellungen beruhen auf dem schlüssigen Vorbringen im Antrag und den jeweils angeführten Beilagen (insbesondere dem Studienprotokoll). Der Hersteller des Präparates *** wurde auf der Website *** recherchiert, das Betätigungsfeld des Antragstellers auf seiner Website ***.
B. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus
1. Anzuwendende Rechtsvorschriften
Gemäß § 1 Abs. 1 Datenschutzgesetz 2000 (DSG 2000), BGBl I Nr 165/1999 idF BGBl I Nr 13/2005, hat jedermann, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht.
Gemäß § 7 Abs. 1 DSG 2000 dürfen Daten nur verarbeitet werden, soweit Zweck und Inhalt der Datenanwendung von den gesetzlichen Zuständigkeiten oder rechtlichen Befugnissen des jeweiligen Auftraggebers gedeckt sind und die schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen nicht verletzen. Gemäß Abs. 2 dürfen Daten nur übermittelt werden, wenn sie aus einer gemäß Abs. 1 zulässigen Datenanwendung stammen und der Empfänger dem Übermittelnden seine ausreichende gesetzliche Zuständigkeit oder rechtliche Befugnis - soweit diese nicht außer Zweifel steht - im Hinblick auf den Übermittlungszweck glaubhaft gemacht hat und durch Zweck und Inhalt der Übermittlung die schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen nicht verletzt werden.
Für die Verwendung von Daten für Zwecke der Statistik bzw. wissenschaftlichen Forschung enthält das DSG 2000 in seinem § 46 eine Sondervorschrift. Diese lautet:
„Wissenschaftliche Forschung und Statistik
§ 46. (1) Für Zwecke wissenschaftlicher oder statistischer Untersuchungen, die keine personenbezogenen Ergebnisse zum Ziel haben, darf der Auftraggeber der Untersuchung alle Daten verwenden, die
(2) Bei Datenanwendungen für Zwecke wissenschaftlicher Forschung und Statistik, die nicht unter Abs. 1 fallen, dürfen Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind, nur
(3) Eine Genehmigung der Datenschutzkommission für die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik ist zu erteilen, wenn
(4) Rechtliche Beschränkungen der Zulässigkeit der Benützung von Daten aus anderen, insbesondere urheberrechtlichen Gründen bleiben unberührt.
(5) Auch in jenen Fällen, in welchen gemäß den vorstehenden Bestimmungen die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik in personenbezogener Form zulässig ist, ist der direkte Personsbezug unverzüglich zu verschlüsseln, wenn in einzelnen Phasen der wissenschaftlichen oder statistischen Arbeit mit nur indirekt personenbezogenen Daten das Auslangen gefunden werden kann. Sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes vorgesehen ist, ist der Personsbezug der Daten gänzlich zu beseitigen, sobald er für die wissenschaftliche oder statistische Arbeit nicht mehr notwendig ist.“
Weiters regelt die Spezialbestimmung des § 47 DSG 2000 die Übermittlung von Adressdaten zum Zweck der Benachrichtigung und Befragung von Personen:
„Zurverfügungstellung von Adressen zur Benachrichtigung und Befragung von Betroffenen
§ 47. (1) Soweit gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, bedarf die Übermittlung von Adreßdaten eines bestimmten Kreises von Betroffenen zum Zweck ihrer Benachrichtigung oder Befragung der Zustimmung der Betroffenen.
(2) Wenn allerdings angesichts der Auswahlkriterien für den Betroffenenkreis und des Gegenstands der Benachrichtigung oder Befragung eine Beeinträchtigung der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen unwahrscheinlich ist, bedarf es keiner Zustimmung, wenn
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor und würde die Einholung der Zustimmung der Betroffenen gemäß Abs. 1 einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, ist die Übermittlung der Adressdaten mit Genehmigung der Datenschutzkommission gemäß Abs. 4 zulässig, falls die Übermittlung an Dritte
(4) Die Datenschutzkommission hat die Genehmigung zur Übermittlung zu erteilen, wenn der Antragsteller das Vorliegen der in Abs. 3 genannten Voraussetzungen glaubhaft macht und überwiegende schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Übermittlung nicht entgegenstehen. Die Datenschutzkommission kann die Genehmigung an die Erfüllung von Bedingungen und Auflagen knüpfen, soweit dies zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen, insbesondere bei der Verwendung sensibler Daten als Auswahlkriterium, notwendig ist.
(5) Die übermittelten Adreßdaten dürfen ausschließlich für den genehmigten Zweck verwendet werden und sind zu löschen, sobald sie für die Benachrichtigung oder Befragung nicht mehr benötigt werden.
(6) In jenen Fällen, in welchen es gemäß den vorstehenden Bestimmungen zulässig ist, Namen und Adresse von Personen, die einem bestimmten Betroffenenkreis angehören, zu übermitteln, dürfen auch die zum Zweck der Auswahl der zu übermittelnden Adressdaten notwendigen Verarbeitungen vorgenommen werden.“
2. Anwendung auf den Genehmigungsfall
a. Der Antragsteller stützt seinen Antrag sowohl auf § 46 Abs. 3 DSG 2000 als auch auf § 47 Abs. 3 Z 3 DSG 2000. Aus dem OMR sollen die Namen und Adressen jener Personen, die im **. oder **. Wiener Gemeindebezirk ihren Hauptwohnsitz haben, übermittelt werden, die zwischen dem 1. Jänner 1937 und 31. Dezember 1947 geboren wurden, also lediglich Adressdaten und das Geburtsdatum sowie den Hauptwohnsitz als Auswahlkriterium. Damit ist die Bestimmung des § 47 DSG 2000 einschlägig, die im Verhältnis zu § 46 DSG 2000 als lex specialis anzusehen ist. Grundsätzlich wird man – im Hinblick auf dessen Abs. 2 – auf Grundlage des § 47 DSG 2000 neben der Übermittlung der Adressdaten auch die Übermittlung des Auswahlkriteriums (soweit es nicht schon in den Adressdaten enthalten ist) als zulässig ansehen müssen.
b. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass hinsichtlich der Daten, deren Verwendung der Antragsteller beabsichtigt, weder die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 DSG 2000 noch jene des Abs. 2 Z 1 erfüllt sind.
c. Nach § 47 Abs. 2 Z 2 lit a DSG 2000 ist aber, wenn angesichts der Auswahlkriterien für den Betroffenenkreis und des Gegenstands der Benachrichtigung oder Befragung eine Beeinträchtigung der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen unwahrscheinlich ist, die Zustimmung der Betroffenen zur Verwendung nicht notwendig, wenn an der Benachrichtigung oder Befragung auch ein öffentliches Interesse besteht. Diesfalls ist nach Abs. 3 auch keine Genehmigung der Datenschutzkommission erforderlich – und damit die Erteilung einer solchen nicht zulässig.
Die Auswahlkriterien sind hier das Geburtsdatum (zwischen dem 1. Jänner 1937 und 31. Dezember 1947) und der Wohnort (**. oder **. Wiener Gemeindebezirk). Im Hinblick darauf ist eine Beeinträchtigung der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen zunächst deshalb unwahrscheinlich, weil keine sensiblen Daten übermittelt werden und auch nicht auf solche Daten rückgeschlossen werden kann (auch ein Anschein einer Auswahl anhand sensibler Datenarten entsteht nicht – vgl. dazu den Bescheid vom 7. September 2006, GZ K202.047/0009-DSK/2006). Weiters bewirkt erst eine Antwort auf das zugesendete Schreiben, dass man an der Studie teilnimmt (insofern handelt es sich zunächst nur um eine reine Information). Schließlich werden die Daten aller Betroffenen gelöscht, wenn dies entweder verlangt wird oder sobald die notwendige Anzahl von Probanden für die Studie erreicht ist; spätestens aber nach Ablauf der Antwortfrist von acht Wochen.
Obwohl *** das Präparat eines Pharmakonzerns ist und dessen Austestung in erster Linie wohl den Interessen des Konzerns selbst dient, kann hier auch ein öffentliches Interesse (und dies lässt § 47 Abs. 2 Z 2 lit. a DSG 2000 schließlich genügen) bejaht werden, da nach dem (dem Antrag beiliegenden) Studienprotokoll die Einnahme des Präparates zum Nachweis führen kann, dass dadurch die altersbedingten Veränderungen der Körperzusammensetzung aufgehalten oder verzögert werden. Durch die Zusammensetzung des Präparates kann man daher auch ganz allgemein Rückschlüsse auf die Wirkung verschiedener Stoffe auf den Alterprozess schließen. Dadurch könnten sich, wie der Antragsteller im Antrag auch bescheinigt, neue Behandlungsmöglichkeiten für ältere Menschen ergeben.
Da aber mit dem Vorliegen des öffentlichen Interesses zwingend die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Z 2 lit a DSG 2000 erfüllt sind und das Recht, das durch die Datenschutzkommission hier dem Antrag entsprechend verliehen werden soll, unmittelbar auf Grundlage des Gesetzes bereits besteht, war der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.