JudikaturDSB

K202.043/0007-DSK/2006 – Datenschutzkommission Entscheidung

Entscheidung
09. Juni 2006

Text

[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Anonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]

B E S C H E I D

Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. BLAHA, Dr. KOTSCHY, Mag. PREISS, Mag. MAITZ-STRASSNIG und Dr. STAUDIGL sowie des Schriftführers Dr. KÖNIG in ihrer Sitzung vom 9. Juni 2006 folgenden Beschluss gefasst:

S p r u c h

Über den Antrag der H****-Universität (Antragstellerin) vom 28. September 2005, verbessert mit Schreiben vom 18. November 2005 und 21. April 2006 auf Erteilung einer Genehmigung für die Verarbeitung von Daten für Zwecke wissenschaftlicher Forschung und Statistik wird gemäß § 46 Abs. 3 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000), BGBl I Nr. 165/1999 idF BGBl I Nr. 13/2005, entschieden:

Dem Antrag wird Folge gegeben und die Genehmigung zur Verarbeitung (§ 4 Z 9 DSG 2000) personenbezogener Daten ungarischer Flüchtlinge aus Akten der Sicherheitsdirektion Steiermark aus den Jahren 1955 bis 1957 in einer Datenbank für das wissenschaftliche Projekt „Die Steiermark als Aufnahmeland für Ungarnflüchtlinge“ erteilt. Die Genehmigung umfasst die unter der DVR-Nummer 000***1 mit der laufenden Datenanwendungsnummer *** bezeichneten Datenarten.

Von der vorliegenden Genehmigung nicht umfasst sind Übermittlungen (§ 4 Z 12 DSG 2000) in personenbezogener Form.

Die Bewilligung wird unter folgenden Auflagen erteilt:

1. Die Verarbeitung der Daten erfolgt einzig und allein durch wissenschaftliches Personal des Instituts für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung der Antragstellerin sowie Frau Mag. D****.

2. Personen, welche die Auflage 1. erfüllen, dürfen zur Verarbeitung von Daten in der Datenbank erst dann herangezogen werden, wenn sie sich nachweislich schriftlich zur Wahrung des Datengeheimnisses (§ 15 DSG 2000) im Hinblick auf die ihnen bei dieser Tätigkeit zugänglichen Daten verpflichtet haben.

B e g r ü n d u n g

Die Antragstellerin begehrt die Genehmigung zur Verwendung von Daten aus Akten der Sicherheitsdirektion Steiermark für das im Spruchpunkt I. bezeichnete Forschungsprojekt, welches im Rahmen einer Dissertation durchgeführt werden soll.

Der Antrag wurde von der Dissertantin Frau Mag. D**** mit E-Mail vom 28. September 2005 eingebracht. Im Rahmen eines Verbesserungsverfahrens hat sich ergeben, dass die H****-Universität als Antragstellerin auftritt.

Der folgende Sachverhalt steht fest:

Die Antragstellerin plant den Aufbau einer Datenbank, welche bereits dem Datenverarbeitungsregister unter der DVR-Nummer 007***4 gemeldet wurde. Die Grundlage sind Unterlagen der Sicherheitsdirektion Steiermark, die sich im steiermärkischen Landesarchiv befinden. Diese Arbeit soll im Rahmen einer Dissertation von Frau Mag. D**** mit dem Titel „Die Steiermark als Aufnahmeland für Ungarnflüchtlinge“ durchgeführt werden. Es handelt sich dabei um Akten, die bei der Aufnahme von 7.000-9.000 Flüchtlingen aus Ungarn angelegt wurden. Unmittelbar nach Ankunft der Flüchtlinge kamen Mitarbeiter der zuständigen Bezirkshauptmannschaft oder der Gendarmerie in die Flüchtlingsquartiere und registrierten die Flüchtlinge, wobei der Umfang der einzelnen Akten unterschiedlich ist, aber meist handelt es sich um exakte Angaben zur Person und zum Ablauf der Flucht. Die Akten lagen in ungeordneter Form vor. Zur Auswertung sollen die Akten in Form einer Datenbank organisiert werden.

Beweiswürdigung : Diese Feststellungen beruhen auf dem schlüssigen Vorbringen der Antragstellerin.

Die Quellenlage zur Ungarnkrise ist allgemein schlecht und diese Periode der österreichischen Geschichte wenig erforscht. Der 50. Jahrestag der Ungarnkrise fällt auf das Jahr 2006, wodurch das Interesse an den damaligen Ereignissen noch verstärkt wird.

Als Projektmitarbeiter soll grundsätzlich das wissenschaftliche Personal des Instituts für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung der Antragstellerin tätig werden. Frau Mag. D**** gehört als Dissertantin nicht zu dieser Gruppe, hat aber bereits an mehreren wissenschaftlichen Arbeiten mitgewirkt bzw. solche selbst verfasst.

Beweiswürdigung : Diese Feststellung beruht auf dem Vorbringen der Antragstellerin.

In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

Für die Verwendung von Daten für Zwecke der statistischen bzw. wissenschaftlichen Forschung enthält das DSG 2000 in seinem § 46 eine Sondervorschrift. Diese lautet:

§ 46. (1) Für Zwecke wissenschaftlicher oder statistischer Untersuchungen, die keine personenbezogenen Ergebnisse zum Ziel haben, darf der Auftraggeber der Untersuchung alle Daten verwenden, die

(2) Bei Datenanwendungen für Zwecke wissenschaftlicher Forschung und Statistik, die nicht unter Abs. 1 fallen, dürfen Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind, nur

(3) Eine Genehmigung der Datenschutzkommission für die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik ist zu erteilen, wenn

(4) Rechtliche Beschränkungen der Zulässigkeit der Benützung von Daten aus anderen, insbesondere urheberrechtlichen Gründen bleiben unberührt.

(5) Auch in jenen Fällen, in welchen gemäß den vorstehenden Bestimmungen die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik in personenbezogener Form zulässig ist, ist der direkte Personsbezug unverzüglich zu verschlüsseln, wenn in einzelnen Phasen der wissenschaftlichen oder statistischen Arbeit mit nur indirekt personenbezogenen Daten das Auslangen gefunden werden kann. Sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes vorgesehen ist, ist der Personsbezug der Daten gänzlich zu beseitigen, sobald er für die wissenschaftliche oder statistische Arbeit nicht mehr notwendig ist.“

Zunächst ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass hinsichtlich der Daten, deren Verwendung die Antragstellerin beabsichtigt, weder die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 DSG 2000 noch jene des Abs. 2 Z 1 oder 2 erfüllt sind. Somit kommt die Verwendung der Daten nur mit Genehmigung der Datenschutzkommission nach § 46 Abs. 2 Z 3 DSG 2000 in Betracht, sodass der Antrag zulässig ist.

Es handelt sich bei den Betroffenen um einen relativ großen Personenkreis, wobei davon auszugehen ist, dass viele der Betroffenen bereits verstorben sind oder über zahlreiche Länder verteilt leben. Daher ist die Einholung der Zustimmung der Betroffenen mangels ihrer Erreichbarkeit unmöglich oder sonst mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden (§ 46 Abs. 3 Z 1 DSG 2000).

Da die Antragstellerin auch die Verarbeitung sensibler Daten im Sinn des § 4 Z 2 DSG 2000, nämlich Daten zur Parteizugehörigkeit der Flüchtlinge und zur Art der Beteiligung an der Revolution 1956 beabsichtigt rechtfertigt erst ein wichtiges öffentliches Interesse den durch die Genehmigung bewirkten Grundrechtseingriff gegenüber den Betroffenen. Die Datenschutzkommission hat in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Untersuchung der NS-Zeit das wichtige öffentliche Interesse bejaht, weil die Erforschung und objektive Aufarbeitung der NS-Vergangenheit dem Ansehen Österreichs in der Welt nützlich sein wird (vgl. etwa die Bescheide vom 25. Februar 2000, K202.001/3-DSK/00 bzw. K202.002/2-DSK/00, sowie vom 24. April 2001, K202.010/2-DSK/01, abrufbar im Rechtsinformationssystem des Bundes unter www.ris.bka.gv.at). Im vorliegenden Fall handelt es sich um die wissenschaftliche Aufarbeitung des Ungarnaufstandes 1956, eines bedeutenden Ereignisses in der jüngeren Geschichte Europas. Weiters ist zu bedenken, dass der 50. Jahrestag des Ungarnaufstandes auf das Jahr 2006 fällt, was das Interesse an diesem historischen Ereignis noch weiter fördern wird. Auf Grund der gemeinsamen Grenze von Ungarn und Österreich sind damals viele Menschen über Österreich geflohen, wodurch die österreichischen Forscher in der einzigartigen Lage sind, den Ungarnaufstand und seine Folgen wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Arbeit, die hier geleistet wird, dient ebenfalls dem Ansehen Österreichs und nützt der Geschichtswissenschaft weltweit.

Da es sich bei der Antragstellerin um eine juristische Person handelt, muss die nach § 46 Abs. 3 Z 3 DSG 2000 nachzuweisende fachliche Qualifikation hinsichtlich der für sie bei der Datenverwendung handelnden Personen vorliegen. Diese kann hinsichtlich des wissenschaftlichen Personals eines facheinschlägigen Universitätsinstituts, im vorliegenden Fall des Instituts für Österreichische Rechtsgesichte und Europäische Rechtsentwicklung, als bescheinigt angenommen werden.

Die fachliche Eignung von Frau Mag. D**** ergibt sich schließlich durch ihre in mehrfacher Hinsicht dokumentierte Erfahrung und erfolgreiche Tätigkeit im Bereich der zeithistorischen Forschung.

Somit war die beantragte Bewilligung zu erteilen. Die Auflage 1. war, insbesondere im Hinblick auf die bereits erörterte Verwendung sensibler Daten, erforderlich, um die Durchführung der Datenverwendung ausschließlich durch entsprechend dem § 46 Abs. 3 Z 3 DSG 2000 qualifizierte Personen sicherzustellen und so eine Verwendung durch Unbefugte möglichst hintanzuhalten. Die – im Sinne des § 15 DSG 2000 ausgesprochene - Auflage 2. dient einerseits der Gewährleistung, dass sämtliche Projektmitarbeiter, insbesondere Frau Mag. D****, einer rechtlich durchsetzbaren Verschwiegenheitspflicht unterworfen werden. Andererseits soll diese Auflage auch dazu führen, dass den Mitarbeitern, gerade wenn diese bereits einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen (zB auf Grund von § 126 Abs. 4 oder § 128 UG 2002 iVm § 5 Abs. 1 VBG iVm § 46 Abs. 1 BDG 1979), diese Verpflichtung nochmals deutlich vor Augen geführt wird.

Auf die sich aus § 46 Abs. 5 DSG 2000 ergebende Verpflichtung, den Personsbezug der Daten gänzlich zu beseitigen, sobald er für die wissenschaftliche oder statistische Arbeit nicht mehr notwendig ist, wird an dieser Stelle nochmals hingewiesen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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