JudikaturDSB

K507.515–021/0004-DVR/2005 – Datenschutzkommission Entscheidung

Entscheidung
21. Juni 2005

Text

BESCHEID

Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. HEISSENBERGER, Mag. HUTTERER, Dr. KOTSCHY, Dr. DUSCHANEK, und Mag. PREISS, sowie des Schriftführers Mag. SUDA in ihrer Sitzung vom 21. Juni 2005 folgenden Beschluss gefasst:

Spruch

Unter Zugrundelegung der Meldung der Wiener Linien GmbH Co KG gemäß §§ 17 bis 19 DSG 2000 vom 2. März 2005, verbessert durch Stellungnahme vom 23. Mai 2005, betreffend eine Datenanwendung mit dem Zweck „Videoüberwachung in einzelnen Fahrzeugen der Wiener Linien GmbH Co KG zum Zwecke der Eindämmung von Vandalismusschäden sowie Erhöhung des Schutzes der MitarbeiterInnen und Fahrgäste im Probebetrieb bis 30.7.2006“ werden gemäß § 21 Abs. 2 DSG 2000 folgende Auflagen erteilt:

2. Die Aufzeichnungen nach Pkt. 1 sowie ein Erfahrungsbericht über die Auswirkungen der vorgenommenen Videoüberwachungen sind der Datenschutzkommission zu Ende des Probebetriebs, oder schon früher, falls ein weiterer Antrag eingebracht wird, vorzulegen.

Begründung

1. Sachverhalt:

Die Wiener Linien GmbH Co KG, in der Folge als „Antragstellerin“ bezeichnet, haben beim Datenverarbeitungsregister am 2. März 2005, verbessert durch Schreiben vom 23. Mai 2005, eine Meldung für eine Datenanwendung eingebracht, die die Videoüberwachung in einzelnen Fahrzeugen der Wiener Linien im Probebetrieb bis 30. Juli 2006 zum Gegenstand hatte.

Als Grund für die Erforderlichkeit der Videoüberwachung wurde angegeben, dass die Videoüberwachung voraussichtlich zur Eindämmung von Vandalismusschäden sowie zur Erhöhung des Schutzes von MitarbeiterInnen und Fahrgästen beitragen könne. Über Aufforderung der Datenschutzkommission wurde im Zuge des Registrierungsverfahrens statistisches Zahlenmaterial zur Dokumentation des Ausmaßes von Vandalismusschäden vorgelegt. Dieses Zahlenmaterial weist für die Jahre 2003 und 2004 Reparaturkosten von etwa 200.000 Euro für etwa 500 Fälle von Vandalismus aus, wobei zusätzlich von der Antragstellerin bemerkt wurde, dass nicht alle Fälle von Vandalismus sich in Zahlen niederschlagen, da nicht alles repariert wird (z.B. zerkratzte Fensterscheiben). Weiters wurden Beispiele angeführt, in welchen Vandalismus einhergeht mit echter Gefährdung von Fahrgästen und Personal, wie das Bestreichen von Glasscheiben mit Flußsäure.

Zur Frage der technischen Form der Datenermittlung und zur Sicherheit der Datenspeicherung und Verwendung wurde in der Meldung Folgendes ausgeführt:

Die Bildaufzeichnung erfolgt durch mehrere Kameras im Fahrgastraum, die mit einem Ringspeicher gekoppelt sind, der Bilder in einem Rhythmus von 48 Stunden aufnimmt und überschreibt. Die Aufzeichnung erfolgt verschlüsselt, sodass die Bilder nur mit einer speziellen Software ausgewertet werden können. Der Zugang zu dieser Software ist nur wenigen, besonders geschulten und verpflichteten Mitarbeitern (- im U-Bahn-Bereich: 2 Mitarbeitern -) möglich.

Eine Auswertung der Aufzeichnungen erfolgt nur dann, wenn entweder die Notruf- oder Notstoppeinrichtung im Fahrgastraum durch einen Fahrgast oder einen Mitarbeiter der Wr. Linien ausgelöst wurde oder wenn im Zuge der meist täglich erfolgenden Kontrolle der abgestellten Fahrzeuge ein Vandalismusschaden festgestellt wurde. In diesem Fall wird der Datenträger von Mitarbeitern der Wagenrevision aus dem betreffenden Fahrzeug entfernt und den erwähnten, besonders beauftragten Mitarbeitern zur Auswertung übergeben. Der zur Auswertung herangezogene Computer ist nicht an das Netzwerk der Wr. Linien angeschlossen. Die für die Beweissicherung notwendigen Daten werden auf DVD oder CD gespeichert. Danach werden die restlichen, bei der Auswertung verwendeten Aufzeichnungen gelöscht.

Wenn keine Vandalismusschäden festgestellt oder strafbaren Handlungen bekannt geworden sind, wird der Datenträger nicht ausgebaut und es werden die aufgezeichneten Daten automatisch nach 48 Stunden durch die Überschreibung mit neuen Aufzeichnungen unkenntlich gemacht.

Hinsichtlich von Übermittlungen wird in der Meldung angegeben, dass Daten aus den Videoaufzeichnungen „an die Sicherheitsbehörden, an die Staatsanwaltschaft und an Gerichte weitergegeben werden auf der Grundlage des § 7 Abs. 2 und § 8 Abs. 4 DSG 2000 iVm § 86 StPO unter Beachtung der Grundrechte der Betroffenen bei Anzeigen an die Behörden.“

2. Rechtliche Erwägungen:

a) Dass Bild- und Tonaufzeichnungen „Daten“ iSd DSG 2000 sein können, ergibt sich aus der Definition des § 4 Z 1 DSG 2000 und ausdrücklich aus Erwägungsgrund 16 der Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG. Dass im Falle einer Videoüberwachung mit digitaler Bildaufzeichnung eine Datenanwendung im Sinne des § 4 Z 7 DSG 2000 stattfindet, ergibt sich daraus, dass nicht nur Bildübertragung, sondern Bildaufzeichnung zum Einsatz kommt, bei welcher Daten jeweils für ca. 48 Betriebsstunden gespeichert bleiben.

Personenbezogene Daten liegen im Übrigen keineswegs erst dann vor, wenn es sich um aufgezeichnete Informationen handelt, die von jedermann unmittelbar einer bestimmten Person zugeordnet werden können, sondern schon dann, wenn die Betroffenen nachträglich bestimmbar sind (vgl. wieder § 4 Z 1 DSG 2000). Bestimmbarkeit bedeutet, dass ein Datum aufgrund eines oder mehrerer Merkmale letztlich einer bestimmten Person zugeordnet werden kann.

Der Umstand, dass bei der Videoüberwachung mit Aufzeichnung der Daten nicht generell, sondern nur in ganz bestimmten Fällen die Identifizierung tatsächlich versucht wird, kann die Eigenschaft als „Verarbeitung mit personenbezogenen Daten“ nicht ausschließen: Die Daten sind – v.a. auch durch die zusätzlich gespeicherten Informationen „Zeitpunkt“ und „Ort“ – identifizierbar und fallen daher unter den Begriff „personenbezogen“.

b) Bei der gegenständlichen Datenanwendung liegt ein Fall des § 18 Abs. 2 Z 2 DSG 2000 vor: Videoaufzeichnungen enthüllen nicht nur Daten über die ethnische Herkunft und unter Umständen auch Gesundheitsdaten der von der Aufzeichnung betroffenen Personen, sondern im vorliegenden Fall voraussichtlich auch strafrechtlich relevante Daten im Sinne des § 8 Abs. 4 DSG 2000. Die Datenschutzkommission hatte daher ein Vorabkontrollverfahren gemäß § 18 Abs. 2 iVm § 20 DSG 2000 durchzuführen, während dessen Dauer die Datenanwendung noch nicht aufgenommen werden durfte.

Die Datenschutzkommission kann bei Datenanwendungen, welche gemäß § 18 Abs. 2 DSG 2000 der Vorabkontrolle unterliegen, auf Grund der Ergebnisse des Prüfungsverfahrens dem Auftraggeber Auflagen für die Vornahme der Datenanwendung erteilen, soweit dies zur Wahrung der durch dieses Bundesgesetz geschützten Interessen der Betroffenen notwendig ist (§ 21 Abs. 2 DSG 2000).

Videoüberwachung in öffentlichen Verkehrsmitteln ist eine neuartige Form der Datenverwendung, deren Notwendigkeit und Eignung zur Vandalismusbekämpfung und zur Erhöhung des Schutzes von Personen noch nicht durch ausreichendes Datenmaterial hinterlegt ist. Dass Vandalismus in einem nicht unerheblichen Ausmaß in den Fahrzeugen der Wiener Linien stattfindet, wurde durch das im Registrierungsverfahren vorgelegte Zahlenmaterial belegt. Eine grundsätzliche Berechtigung der Wiener Linien zur Datenermittlung für die angegebenen Zwecke besteht: Dies ergibt sich sowohl aus dem Eigentumsrecht als z.B. auch aus den Pflichten eines Eisenbahnunternehmens zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung des Eisenbahnverkehrs (vgl. die §§ 42 bis 45 Eisenbahngesetz). Da jedoch jede Verwendung personenbezogener Daten einen Eingriff in das Grundrecht auf Geheimhaltung darstellt, der nur zulässig ist, wenn er (u.a.) dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit genügt, muss dargetan werden, dass die beabsichtigte Datenverwendung geeignet und notwendig ist zur Erreichung des angegebenen (legitimen) Zwecks; als Prüfmaßstab der Notwendigkeit ist die vorherrschende Anschauung in einer demokratischen Gesellschaft heranzuziehen.

Eine abschließende Beurteilung von Eignung, Notwendigkeit und damit Verhältnismäßigkeit ist derzeit nicht möglich, da – wie bereits ausgeführt – keine ausreichenden umfassenden Informationen über die Auswirkungen der Videoüberwachung in Fahrzeugen der Wiener Linien vorliegen. Deshalb wird zum einen nur ein Probebetrieb bis zum 30.7.2006 (antragsgemäß) registriert werden; zum anderen muss die Sammlung jenes Datenmaterials in Auftrag gegeben werden, aufgrund dessen erst zukünftige längerfristige Entscheidungen in rational begründbarer Weise getroffen werden können.

Angesichts der umfangreichen Darlegungen in der Meldung des Auftraggebers zur Datensicherheit (siehe Pkt. 1 Sachverhalt) konnte zum gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem über die Handhabung des Systems nur theoretische Informationen zur Verfügung stehen können, von der Vorschreibung weiterer diesbezüglicher Auflagen Abstand genommen werden. Die DSK weist ausdrücklich auf die zentrale Bedeutung der gemeldeten Datensicherheitsmaßnahmen iSd § 14 DSG 2000 hin. Mit Ende des Probebetriebes – bzw. für den Fall einer früheren Antragstellung schon mit diesem Zeitpunkt – wird die DSK die Beurteilung der Angemessenheit der Sicherheitsvorkehrungen neu vornehmen.

Der vom System technisch vorgegebene Aufzeichnungszeitraum von 48 Stunden wird unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber in § 54 Abs. 6 SPG getroffenen Wertung zunächst als vertretbar angesehen. Bei der Analyse des Berichts, den der Auftraggeber zu Ende des Probebetriebs vorzulegen hat, wird jedoch auch zu prüfen sein, ob die Aufzeichnungsfrist von 48 Stunden angemessen ist im Hinblick auf eine ausgewogene Lösung unter Berücksichtigung der Datenschutzinteressen einerseits und der Aufklärungs- und Verfolgungsinteressen andrerseits.

Hinsichtlich der von der Meldung erfassten Übermittlungen hat sich der meldende Auftraggeber auf § 86 StPO berufen, also auf das jedermann zustehende Recht auf Anzeigeerstattung, und zwar in Schadenersatzangelegenheiten und Strafrechtsangelegenheiten, die sich aus der Tätigkeit der Wiener Linien als Beförderungsunternehmen ergeben. Aus der Bezugnahme auf Übermittlungen anlässlich von „Anzeigen“ iSv § 86 StPO folgt, dass die Meldung nur solche Übermittlungen abdeckt, die auf Initiative der Wiener Linien erfolgen. Eine Übermittlung von Daten auf Ersuchen der Sicherheitsbehörden, die nur im Rahmen von § 54 Abs. 1 SPG erfolgen könnte, ist hiedurch nicht erfasst. Diesbezüglich wurde von den Wr. Linien eine weitere Meldung eingebracht, über die von der Datenschutzkommission gesondert zu entscheiden sein wird. Besondere Auflagen waren angesichts des Umstands, dass jedermann das Recht hat, gemäß § 86 StPO Anzeige wegen des Verdachtes des Vorliegens eines strafbaren Sachverhalts zu erstatten, nicht erforderlich.

Es waren daher die im Spruch genannten Auflagen für den Probebetrieb zu erteilen.

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