K120.735/002-DSK/2003 – Datenschutzkommission Entscheidung
Text
BESCHEID
Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. MAIER und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. BLAHA, Dr. KOTSCHY, Dr. ROSENMAYR-KLEMENZ, Dr. STAUDIGL und Mag. ZIMMER sowie des Schriftführers Mag. FLENDROVSKY in ihrer Sitzung vom 11. Juli 2003 folgenden Beschluss gefasst:
Spruch
Die Beschwerde des C (Beschwerdeführer) vom 13. Jänner 2001 gegen die Bundespolizeidirektion Wien (belangtes Organ) wegen Verletzung im Recht auf Geheimhaltung wird gemäß den §§ 1 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z. 4 und 31 Abs. 2 des Datenschutzgesetzes 2000, BGBl I Nr. 165/1999 (DSG 2000), in Verbindung mit den §§ 57 Abs. 1 Z. 6, 58 Abs.1 Z. 6 und 60 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl I Nr. 566/1991 (SPG) sowie den §§ 19 Abs. 2 und 55 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl Nr. 52/1991 (VStG 1991), als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit Eingabe vom 13. Jänner 2001, protokolliert am 16. Jänner 2001, erstattete der Beschwerdeführer ein umfangreiches gegen das belangte Organ gerichtetes Vorbringen, dem sich in datenschutzrechtlicher Hinsicht entnehmen ließ, er erachte sich in seinem Recht auf Geheimhaltung durch die automationsunterstützte Speicherung von Eintragungen verletzt, die mit verschiedenen Amtshandlungen zusammen hängen, welche Sicherheitswachebeamte aus dem Bereich des Bezirkspolizeikommissariates A am 20. Oktober 1997 ihm gegenüber vorgenommenen haben.
Auf Grundlage der Beschwerde, der von der Staatsanwaltschaft Wien am 12. April 2001 vorgelegten Anzeigen mit angeschlossenem Einvernahmeprotokoll des Beschwerdeführers vor dem Bezirkspolizeikommissariat A vom 20. Oktober 1997 sowie der Stellungnahmen des belangten Organs vom 15. und 18. Mai 2001 samt vorgelegten Auszügen aus dem 'Kriminalpolizeilichen Aktenindex' sowie der 'Automationsunterstützten Führung von Verwaltungsstrafverfahren' wird folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt angenommen:
Der Beschwerdeführer wurde am 20. Oktober 1997 in einem Amtsgebäude [Anm.: in der nicht anonymisierten Ausfertigung exakt bezeichnet] durch dem belangten Organ zugeordnete Sicherheitswachebeamte einer zwangsweisen Identitätsfeststellung sowie einer Personendurchsuchung nach dem SPG unterzogen. Danach gab der Beschwerdeführer an, dass aus seiner Brieftasche Geld fehle. Da diese Anschuldigung von den einschreitenden Sicherheitswachebeamten für völlig haltlos befunden wurde, erstatteten sie Anzeige wegen des Verdachtes der Vortäuschung einer gerichtlich strafbaren Handlung (§ 298 StGB). Diese wurde vom belangten Organ (Bezirkspolizeikommissariat A) der Staatsanwaltschaft Wien weiter geleitet. Diese legte die Anzeige gemäß § 90 Abs. 2 StPO zurück, weil sie beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 11 StGB, nicht jedoch jene des § 21 StGB, als gegeben erachtete.
Am 23. Oktober 1997 wurde in den 'Kriminalpolizeilichen Aktenindex' folgender Vermerk aufgenommen:
'BPOLDION WIEN BEZPOLKOAT A
23.10.1997 KR x/97
VORTAEUSCHUNG EINER M. STRAFE BEDROHTEN HANDLUNG
Tatzeit: 20.10.1997
Tatort: BPOLDION WIEN BEZPOLKOAT A'
Im Kriminalpolizeilichen Aktenindex finden sich weitere den Beschwerdeführer betreffende Eintragungen, die letzte datiert vom 27. März 2001.
Auf Grund eines Vorfalles kurz nach Abschluss der Identitätsfeststellung bzw. Personendurchsuchung wurde gegen den Beschwerdeführer von Sicherheitswachebeamten des Bezirkspolizeikommissariates A Anzeige wegen Übertretungen des § 1 Abs. 1 Z. 1 und 2 des Wiener Landessicherheitsgesetzes sowie des § 81 Abs. 1 SPG erstattet und vom belangten Organ ein diesbezügliches Straferkenntnis erlassen. Der Beschwerdeführer schöpfte den Instanzenzug aus das erstinstanzliche Straferkenntnis wurde jedoch schließlich mit Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 23. Dezember 1998 bestätigt.
Dieses Verwaltungsstrafverfahren betreffende Daten wurden in der vom belangten Organ Datenanwendung 'Automationsunterstützte Führung von Verwaltungsstrafverfahren' verarbeitet.
Beweiswürdigung: Diese Feststellungen beruhen auf den eingangs angeführten Schriftsätzen und Urkunden.
In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
§ 61 Abs. 3 DSG 2000 enthält Übergangsbestimmungen für Beschwerdefälle wegen Datenschutzverletzungen, die vor dem Inkrafttreten des DSG 2000 stattgefunden haben. Die vom Beschwerdeführer gerügte Rechtsverletzung – Speicherung seiner Daten im Kriminalpolizeilichen Aktenindex sowie in der Datenanwendung 'Automationsunterstützte Führung von Verwaltungsstrafverfahren' – betrifft aber einen behaupteterweise rechtswidrigen Dauerzustand, der auch im zeitlichen Anwendungsbereich des DSG 2000 weiterhin (großteils) aufrecht geblieben ist. Es kann sich somit um keine in der Vergangenheit liegende sondern nur um eine gegenwärtige Datenschutzverletzung handeln, demnach sind das DSG 2000 und andere datenschutzrechtliche Gesetze in ihrer im Zeitpunkt der Entscheidungsfällung geltenden Fassung anzuwenden (vgl. dazu zB den Bescheid der Datenschutzkommission vom 20. August 2002, GZ K120.645/003- DSK/2002).
Gemäß § 1 Abs. 1 DSG 2000 hat jedermann, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.
Gemäß § 7 Abs. 1 DSG 2000 dürfen Daten nur verarbeitet werden, soweit Zweck und Inhalt der Datenanwendung von den gesetzlichen Zuständigkeiten oder rechtlichen Befugnissen des jeweiligen Auftraggebers gedeckt sind und die schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen nicht verletzen.
Die beschwerdegegenständlichen Speicherungen betreffen automationsunterstützt verarbeitete personenbezogene Daten, welche einerseits den Verdacht der Begehung einer Straftat (Vergehen nach § 298 StGB), andererseits Ermittlungshandlungen sowie die rechtskräftige Bestrafung wegen Verwaltungsübertretungen dokumentieren. Die Verwendung derartiger Daten verstößt gemäß § 8 Abs. 4 DSG 2000 nur dann nicht gegen schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen wenn
1. eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung oder Verpflichtung zur Verwendung solcher Daten besteht oder
2. die Verwendung derartiger Daten für Auftraggeber des öffentlichen Bereichs eine wesentliche Voraussetzung zur Wahrnehmung einer ihnen gesetzlich übertragenen Aufgabe ist oder
3. sich sonst die Zulässigkeit der Verwendung dieser Daten aus gesetzlichen Sorgfaltspflichten oder sonstigen, die schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen überwiegenden berechtigten Interessen des Auftraggebers ergibt und die Art und Weise, in der die Datenanwendung vorgenommen wird, die Wahrung der Interessen der Betroffenen nach diesem Bundesgesetz gewährleistet.
Gemäß § 24 der Strafprozessordnung 1975, BGBl. Nr. 631/1975, haben die Sicherheitsbehörden allen Verbrechen und Vergehen, sofern sie nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten untersucht werden, nachzuforschen und, wenn das unverzügliche Einschreiten des Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden kann, die keinen Aufschub gestattenden vorbereitenden Anordnungen zu treffen, die zur Aufklärung der Sache dienen oder die Beseitigung der Spuren der strafbaren Handlung oder die Flucht des Täters verhüten können; sie haben von ihrem Einschreiten und dessen Ergebnis dem zuständigen Staatsanwalt oder Untersuchungsrichter sogleich Mitteilung zu machen.
Nach § 57 Abs. 1 Z. 6 SPG dürfen die Sicherheitsbehörden Namen, Geschlecht, frühere Namen, Staatsangehörigkeit, Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnanschrift, Namen der Eltern und Aliasdaten eines Menschen ermitteln und im Rahmen einer Zentralen Informationssammlung samt dem für die Speicherung maßgeblichen Grund, einer allenfalls vorhandenen Beschreibung des Aussehens eines Menschen und seiner Kleidung und einem allenfalls erforderlichen Hinweis auf das gebotene Einschreiten für Auskünfte auch an andere Behörden verarbeiten, wenn gegen den Betroffenen Ermittlungen im Dienste der Strafrechtspflege eingeleitet worden sind. Nach § 58 Abs. 1 Z. 6 SPG sind derartige Daten für Zugriffe der Sicherheitsbehörden als Auftraggeber zu sperren, sobald feststeht, dass eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft unterbleibt (lit. a) bzw. fünf Jahre nach Aufnahme in die Zentrale Informationssammlung, im Falle mehrerer Speicherungen gemäß § 57 Abs. 1 Z. 6 SPG fünf Jahre nach der letzten (lit. b). Nach Ablauf von zwei weiteren Jahren sind die Daten auch physisch zu löschen.
Bei den vom belangten Organ durchgeführten Ermittlungen wegen des Verdachtes der Begehung eines Vergehens nach § 298 StGB, welche zur Erstattung einer Anzeige gegen den Beschwerdeführer an die Staatsanwaltschaft Wien führten, handelt es sich um eine sicherheitsbehördliche Tätigkeit im Dienst der Strafjustiz. Für die diesbezügliche Datenverarbeitung stellt § 57 Abs. 1 Z. 6 SPG eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage dar.
Die Voraussetzungen für diese Speicherung sind bis heute nicht weggefallen, da hinsichtlich der hierfür alleine ausschlaggebenden Eintragung vom 27. März 2001 die Voraussetzungen für eine Zugriffssperre bzw. Löschung nach § 58 Abs. 1 SPG noch nicht eingetreten sind. Auch die Voraussetzungen für eine vorzeitige Löschung der gemäß § 57 Abs. 1 Z. 6 SPG erfassten sicherheitspolizeilichen Daten, welche nach der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ua. im Erkenntnis vom 16. März 2001, Zl. B 1117/99, in verfassungskonformer Interpretation des SPG jeweils im Einzelfall unter Vornahme einer Interessenabwägung zu prüfen sind, liegen bei der beschwerdegegenständlichen Eintragung nicht vor.
Im Hinblick darauf, dass die Anzeige lediglich deshalb nach § 90 Abs. 2 StPO zurückgelegt wurde, weil die Staatsanwaltschaft zwar die Voraussetzungen des § 11, nicht aber jene nach § 21 StGB gegeben erachtete, ist nämlich keineswegs davon auszugehen, dass die weitere Speicherung der Anzeigedaten für Zwecke der Strafrechtspflege nicht mehr erforderlich ist. Vielmehr scheint ein vom Beschwerdeführer ausgehendes Gefährdungspotential im Hinblick auf die Begehung weiterer gleichartiger oder ähnlicher gerichtlich strafbarer Handlungen nicht so unwahrscheinlich, dass das Interesse des Beschwerdeführers an der Löschung der Daten das öffentliche Interesse an der möglichst effizienten Abwehr gefährlicher Angriffe (also insbesondere der vorsätzlichen Bedrohung von Rechtsgütern, die vom StGB geschützt werden: § 16 Abs. 2 Z. 1 SPG) überwiegen würde. Damit erscheint die weitere Speicherung auch mit Art. 8 Abs. 2 EMRK im Einklang.
Durch die Datenspeicherung im Kriminalpolizeilichen Aktenindex ist der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten verletzt.
Die Datenanwendung 'Automationsunterstützte Führung von Verwaltungsstrafverfahren' wurde dem Datenverarbeitungsregister am 10. Jänner 1996 gemeldet. Als – für den vorliegenden Fall relevante – Rechtsgrundlagen wurden die §§ 13 und 60 SPG sowie § 55 VStG 1991 angeführt. Nach § 19 Abs. 2 VStG 1991 iVm § 33 Z. 1, 2 StGB stellt es jeweils einen Erschwerungsgrund dar wenn jemand mehrere strafbare Handlungen derselben oder verschiedener Art begangen, die strafbare Handlung durch längere Zeit fortgesetzt hat oder schon wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Tat verurteilt worden ist.
Ein Milderungsgrund liegt nach § 19 Abs. 2 VStG 1991 iVm § 34 Z. 2 StGB vor, wenn der Täter bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht.
§ 55 VStG 1991 lautet:
'Tilgung der Strafe
§ 55. (1) Ein wegen einer Verwaltungsübertretung verhängtes
Straferkenntnis zieht, sofern gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, keinerlei Straffolgen nach sich und gilt nach Ablauf von fünf Jahren nach Fällung des Straferkenntnisses als getilgt.
(2) Getilgte Verwaltungsstrafen dürfen in amtlichen Leumundszeugnissen oder Auskünften für Zwecke eines Strafverfahrens nicht erwähnt und bei der Strafbemessung im Verwaltungsstrafverfahren nicht berücksichtigt werden.'
Gemäß § 60 Abs. 1 SPG haben die Sicherheitsdirektionen für Zwecke der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung eine Evidenz der wegen Übertretungen nach den §§ 81 bis 84 verhängten Strafen zu führen und hiefür die ihnen gemäß Abs. 2 übermittelten personenbezogenen Daten (Namen, Geschlecht, frühere Namen, Geburtsdatum sowie Geburtsort und Wohnanschrift des Bestraften; Aktenzeichen, Übertretungsnorm, Strafart und Strafausmaß, entscheidende Behörde, Datum der Strafverfügung oder des Straferkenntnisses sowie Datum des Eintrittes der Rechtskraft) zu verarbeiten. Diese personenbezogenen Daten sind fünf Jahre nach Eintritt der Rechtskraft zu löschen.
Gemäß Art. 78b Abs. 1 B-VG ist für Wien die Bundespolizeidirektion zugleich Sicherheitsdirektion.
Aus diesen Bestimmungen ergibt sich die Zulässigkeit der Verarbeitung der Daten hinsichtlich des gegen den Beschwerdeführer geführten Verwaltungsstrafverfahrens.
Für die Verarbeitung der Bestrafung nach § 81 Abs. 1 SPG liefert § 60 SPG eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage im Sinn von § 8 Abs. 4 Z. 1 DSG 2000.
Doch auch außerhalb des SPG ist die Verarbeitung von Verwaltungsstrafverfahren betreffenden Daten durch das belangte Organ nach § 8 Abs. 4 Z. 2 DSG 2000 im vorliegenden Fall als zulässig anzusehen, weil die Kenntnis von anderen Verwaltungsübertretungen des Beschwerdeführers Voraussetzung für die gesetzmäßige Ausübung der Strafbemessung war.
Es liegt daher auch keine Verletzung durch die Verarbeitung personenbezogener Daten in der Verwaltungsstrafevidenz des belangten Organs vor.