JudikaturDSB

K120.766/004-DSK/2002 – Datenschutzkommission Entscheidung

Entscheidung
05. April 2002

Text

BESCHEID

Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. MAIER und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. BLAHA, Dr. KLEIN, Dr. ROSENMAYR-KLEMENZ, Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER und Dr. STAUDIGL sowie des Schriftführers Mag. LECHNER in ihrer Sitzung vom 5. April 2002 folgenden Beschluss gefasst:

Spruch

Die Datenschutzkommission entscheidet über die Beschwerde des Dr. T [Anmerkung: im Folgenden kurz: Beschwerdeführer] vom 4. Juni 2001 gegen die Bundespolizeidirektion Wien (belangtes Organ) wie folgt:

1. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Behauptung, dass das belangte Organ den Beschwerdeführer dadurch in seinem Grundrecht auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten gemäß § 1 Abs 1 Datenschutzgesetz 2000, BGBl I Nr 165/1999 idF BGBl I Nr 136/2001 (DSG 2000), verletzt habe, dass es im Mai 2000 die personenbezogenen Daten Name, Geburtsdatum und Wohnadresse samt amtsärztlichem Gutachten und der Angabe, die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen sei zweifelhaft, die der Amtsarzt des Bezirkspolizeikommissariates E für den Zweck der Ausstellung einer Bescheinigung gemäß § 35 Abs 2 vierter Anstrich Einkommensteuergesetz 1988 ermittelt hatte und die nicht in Form einer Datei vorlagen, für den Zweck der Einleitung eines Verfahrens zur Entziehung der Lenkberechtigung nach § 24 Abs 1 Führerscheingesetz, BGBl I Nr 120/1997 (FSG), verwendete, gemäß § 1 Abs 2 und 5 und § 31 Abs 2 DSG 2000 abgewiesen.

2. Der Antrag des Beschwerdeführers, die 'unzulässig verarbeiteten Daten' 'sowohl im Akt als auch im Computer' zu löschen, wird gemäß §§ 1 Abs 3 und 31 Abs 2 DSG 2000 als unbegründet abgewiesen.

3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedererteilung seiner Lenkberechtigungen ('Kategorien B, C, F und G und einspurige Krafträder bis 125 ccm') wird gemäß § 1 Abs 5 DSG 2000 iVm § 35 FSG wegen Unzuständigkeit der Datenschutzkommission zurückgewiesen.

4. Der Antrag des Beschwerdeführers, ihm gemäß § 33 Abs 1 DSG 2000 einen näher bezifferten Geldbetrag als Schadenersatz zuzusprechen, wird gemäß § 1 Abs 5 und §§ 32 Abs 4 iVm 33 Abs 4 DSG 2000 wegen Unzuständigkeit der Datenschutzkommission zurückgewiesen.

Begründung:

Der Beschwerdeführer und seine Gattin erhoben mit Schreiben vom 4. Juni 2001 Beschwerde und brachten vor, durch Verwendung von Daten ihren Gesundheitszustand betreffend, in ihrem Grundrecht auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten verletzt worden zu sein, weil ein beim belangten Organ bestellter Amtsarzt solche Daten, die für Zwecke einer einkommenssteuerrechtlichen Bescheinigung für das zuständige Finanzamt erhoben worden seien, vermutlich im Wege einer automationsunterstützten Datenanwendung dem beim belangten Organ eingerichteten Verkehrsamt für führerscheinrechtliche Zwecke übermittelt habe. Dem Beschwerdeführer sei dadurch insofern ein Schaden entstanden, als ihm seine Lenkberechtigungen entzogen und nicht im vollen Umfang und nur befristet wieder erteilt worden seien, und er die Kosten des entsprechenden Verfahrens habe tragen müssen.

Die Datenschutzkommission hat ein Ermittlungsverfahren durchgeführt und Beweis erhoben durch Einholung einer Stellungnahme des belangten Organs und Einsichtnahme in die von den Beschwerdeführern und vom belangten Organ vorgelegten Beweisurkunden; dem Beschwerdeführer wurde zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens Parteiengehör eingeräumt.

Die Datenschutzkommission stellt folgenden, den Beschwerdeführer betreffenden Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer beantragte im Frühjahr 2000 beim Finanzamt für den 12.,13., und 14. Bezirk und Purkersdorf in Wien 15 anlässlich der Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 1999 die Gewährung der steuerlichen Begünstigung nach § 35 Abs 1 - 3 Einkommensteuergesetz 1988, BGBl Nr 400/1988 idgF (EStG) (Außergewöhnliche Belastung in Folge Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen Behinderung, Freibetrag). Das Finanzamt händigte ihm das Formular L38 der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland aus und forderte ihn auf, gemäß § 35 Abs 2 EStG darauf eine Bescheinigung des Amtsarztes des für seinen Wohnsitz zuständigen Bezirkspolizeikommissariates der Bundespolizeidirektion Wien über Ausmaß und Dauer der Erwerbsminderung beizubringen. Der Beschwerdeführer suchte Anfang Mai 2000 den Amtsarzt des Bezirkspolizeikommissariates E auf und erhielt die gewünschte Bescheinigung, wobei der bereits von einem Vertrauensarzt des Beschwerdeführers vorerstellte Befund bestätigt wurde.

Beweiswürdigung: Diese Feststellungen basieren auf dem Vorbringen des Beschwerdeführers (Beschwerdeschrift vom 4. Juni 2001, protokolliert zu GZ K120.766/001-DSK/2001 am 7. Juni 2001) samt den als Beilagen angeschlossenen Urkunden. Der Beschwerdeführer konnte zwar keine Originalunterlagen über die im Mai 2000 erfolgte amtsärztliche Bescheinigung vorlegen (das vorgelegte Formular L38 ist zwar sogar mit dem Amtssiegel des Finanzamts versehen, datiert aber vom April 2001 und wurde überdies durch nachträgliche kommentierende Beschriftung verfälscht), das Vorbringen ist aber, insbesondere im Lichte der noch folgenden Ereignisse, schlüssig und ist auch mit der Stellungnahme des belangten Organs (siehe sogleich unten) im Einklang.

Der Amtsarzt des Bezirkspolizeikommissariates E erstattete, da Bedenken hinsichtlich der Sehkraft des Beschwerdeführers hervorgekommen waren, über das Ergebnis des amtsärztlichen Gutachtens im Wege des Chefarztes der Bundespolizeidirektion Wien Meldung an das Verkehrsamt als die für kraftfahrrechtliche Angelegenheiten zuständige Abteilung des belangten Organs, wobei das Nationale (Name, Adresse und Geburtsdatum) des Beschwerdeführers, die sinngemäße Angabe 'Bedenken hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeugs gegeben' sowie eine Kopie des amtsärztlichen Gutachtens übermittelt wurden. Das Verkehrsamt leitete darauf am 12. Mai 2000 zu Aktenzahl 200XXXXX736, ein Verfahren zur Überprüfung der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers und in weiterer Folge zur Entziehung der bestehenden Lenkberechtigungen ein. Die Datenübermittlung und Verwendung erfolgte bei den beschriebenen Vorgängen rein akten- und urkundenmäßig auf Papier, erst die Einleitung des führerscheinrechtlichen Verfahrens wurde am 12. Mai 2000 im örtlichen Führerscheinregister des belangten Organs (DVR: 0003506) automationsunterstützt verarbeitet.

Beweiswürdigung: Die Feststellungen zur Datenverwendung und - übermittlung beruhen auf der Stellungnahme des belangten

Organs vom 9. August 2001, AZ: P 66XXX/01, sowie auf den angeschlossenen Urkundenkopien (Ausdrucke aus dem örtlichen Führerscheinregister der Bundespolizeidirektion Wien). Hinsichtlich der Feststellung, dass zwischen Amtsarzt des Bezirkspolizeikommissariates E, Chefarzt der Bundespolizeidirektion Wien und Verkehrsamt Daten des Beschwerdeführers ohne Verwendung einer Datenanwendung oder sonstigen strukturierten Datei übermittelt wurden, wird der Darstellung des belangten Organs gefolgt und das Vorbringen des Beschwerdeführers, es seien Daten an den 'Zentralcomputer des BM für Inneres' weitergeleitet worden (Beschwerdeschrift vom 7. Juni 2001, GZ K120.766/001-DSK/2001, erste Seite), nicht für wahr gehalten. Das Vorbringen des Beschwerdeführers beruht in diesem Punkt, ohne dass konkretere Angaben wie eigene Beobachtungen etc. gemacht wurden, offensichtlich auf Vermutungen (vgl.: 'Der Amtsarzt,...,hat offenbar nach meinem Verlassen einen Aktenvermerk angefertigt und den Inhalt an den Zentralcomputer des BM für Inneres weitergeleitet.'

Beschwerdeschrift, a.a.O.). Aus datenschutzrechtlicher Sicht kann es nach eindeutiger Gesetzeslage (§§ 16f Führerscheingesetz, BGBl I Nr 120/1997 idF BGBl I Nr 134/1999 (FSG)) überdies im gegebenen Zusammenhang keinen 'Zentralcomputer des BM für Inneres' geben, da das zentrale Führerscheinregister gemäß § 17 Abs 1 FSG im Wirkungsbereich des (nunmehr) Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie als Auftraggeber eingerichtet ist. Das belangte Organ konnte hingegen glaubhaft darlegen und durch Urkunden (Ausdrucke) beweisen, dass erst ab 12. Mai 2000 Daten in dem den Beschwerdeführer betreffenden Entziehungsverfahren im automationsunterstützt geführten örtlichen Führerscheinregister (§ 16 FSG) verarbeitet wurden.

In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

Zu Spruchpunkt 1.:

Gemäß § 1 Abs 1 DSG 2000 hat jedermann ein verfassungsmäßig eingeräumtes Recht auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht.

Gemäß § 1 Abs 2 DSG 2000 sind Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung, soweit die Datenverwendung nicht im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen oder mit seiner Zustimmung erfolgt, bei Eingriffen einer staatlichen Behörde nur auf Grund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art 8 Abs 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) genannten Gründen notwendig sind. Daten betreffend die Gesundheit gehören gemäß § 4 Z 2 DSG zu den sensiblen oder besonders schutzwürdigen Daten.

Liegen die relevanten Daten, so wie es hier nach dem festgestellten Sachverhalt der Fall ist, nicht in automationsunterstützter oder sonst im Sinne von § 4 Z 6 iVm § 58 DSG 2000 in einer Datei strukturierten Form vor, sondern sind sie unstrukturiert auf dem Papier der einzelnen Aktenstücke festgehalten, kommt als verletztes Recht nur dieses Grundrecht auf Datenschutz in Frage (vgl. Bescheid der Datenschutzkommission vom 18. Mai 2000, GZ 120.686/3-DSK/00, veröffentlicht in www.ris.bka.gv.at/dsk/). Im gegenständlichen Fall ist daher die Bestimmung des § 1 DSG 2000 für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Datenverwendung maßgeblich.

Der durch das Grundrecht auf Datenschutz unmittelbar eingeräumte subjektiv-öffentliche Anspruch auf Geheimhaltung personenbezogener Daten schützt sowohl vor ungerechtfertigter Ermittlung als auch Übermittlung von Daten.

Im vorliegenden Beschwerdefall konnte sich das belangte Organ auf den Tatbestand des 'lebenswichtigen Interesses' des Betroffenen gemäß § 1 Abs 2 DSG 2000 stützen. Ein solcher Umstand macht, auch wenn der Eingriff durch eine staatliche Behörde erfolgt, keine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung erforderlich und stellt einen Typus des Eingriffs dar, der - vergleichbar etwa den Bestimmungen über Notwehr, Notstand und Nothilfe (§§ 3 und 10 StGB) - wegen der Bedeutung des bedrohten Rechtsgutes und der Notwendigkeit schnellen Handelns erlaubt ist.

Im Beschwerdefall steht fest, dass der Amtsarzt Bedenken hinsichtlich der Sehkraft des Beschwerdeführers und damit seiner Tauglichkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen im Sinne von § 5 Abs 1 Z 5 Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung, BGBl. II Nr. 322/1997 idF BGBl. II Nr. 138/1998 (FSG-GV) hatte. Das Lenken von Kraftfahrzeugen stellt eine an sich gefährliche Tätigkeit dar, für die der Gesetzgeber nicht ohne Grund den Nachweis gesundheitlicher Eignung fordert. Durch Teilnahme einer körperlich un- oder mindertauglichen Person am Straßenverkehr als Lenker eines Kraftfahrzeugs wird eine Gefahr hervorgerufen, die Leben und die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen bedroht. Damit war eine Situation gegeben, in der lebenswichtige Interessen des Betroffenen selbst die Übermittlung von Daten an die zuständige Führerscheinbehörde zulässig machten, um den noch nicht völlig klargestellten Sachverhalt zumindest einer Überprüfung unterziehen zu können.

Ein Amtsarzt ist bei der Ausübung seiner amtlichen Aufgaben im Gegensatz zu den Behauptungen des Beschwerdeführers (Stellungnahme vom 14. September 2001, GZ: K120.766/005- DSK/2001) nicht an die ärztliche Schweigepflicht nach § 54 Ärztegesetz 1998, BGBl I Nr 169/1998 idF BGBl I Nr 110/2001 (ÄrzteG), gebunden, da diese kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in § 41 Abs 4 und 5 ÄrzteG bei der Ausübung der amtlichen Dienstpflichten nicht anzuwenden ist. Damit stand auch die ärztliche Schweigepflicht im Beschwerdefall einer Datenverwendung nicht entgegen.

Zu Spruchpunkt 2.:

Wie die Datenschutzkommission in ständiger Entscheidungspraxis (vgl. etwa die Bescheide vom 7. Juli 1999, GZ 120.621/12- DSK/99 und vom 10. November 2000, GZ: 120.707/7-DSK/00, beide veröffentlicht in www.ris.bka.gv.at/dsk/) betont, besteht ein Anspruch auf Löschung von Daten, die nicht zur automationsunterstützten Verarbeitung oder zur Verarbeitung in einer manuellen Datei bestimmt sind, sondern in anderer Weise verwendet werden, nicht. Die Verfassungsbestimmung von § 1 Abs 3 DSG 2000 ist in diesem Punkt e contrario klar und eindeutig. Im Beschwerdefall wurde keine für die Begründung eines Löschungsanspruchs erforderliche Form der Datenverwendung festgestellt. Die Beschwerde war daher allein deswegen in diesem Punkt abzuweisen.

Zu Spruchpunkt 3.:

Hinsichtlich des Antrages auf Ersatz der Lenkerberechtigungen in vollem Umfang wird auf die Zuständigkeitsregelung des § 35 Führerscheingesetz verwiesen. Der Datenschutzkommission kommt dem gemäß [Anmerkung: im Original durch Redaktionsversehen:

'mit dem gemäß'] keine Zuständigkeit zu, weshalb der Antrag zurückzuweisen war.

Zu Spruchpunkt 4.:

Der Beschwerdeführer richtete auch ein näher beziffertes Schadenersatzbegehren an die Datenschutzkommission, wobei er, wie anzumerken ist, auch die Führerscheinausstellung anscheinend gewissermaßen als 'Naturalrestitution' unter Schadenersatz subsumiert. Gemäß § 33 Abs 1 DSG 2000 hat der Betroffene gegen den Auftraggeber oder Dienstleister Anspruch auf Schadenersatz nach den allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts. Solche Ansprüche sind aber, wie aus § 33 Abs 4 iVm § 32 Abs 4 DSG klar hervorgeht, wie fast alle bürgerlich-rechtlichen Ansprüche durch Klage auf dem gerichtlichen Rechtsweg geltend zu machen. Da der Anspruch auf Schadenersatz auch nicht zu den aus dem Grundrecht auf Datenschutz gemäß § 1 Abs 1 DSG ableitbaren Ansprüchen (Geheimhaltung, Löschung, Richtigstellung, Auskunft) gehört, fällt er gemäß § 1 Abs 5 DSG 2000 nicht in die Zuständigkeit der Datenschutzkommission.

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