120.616/16-DSK/00 – Datenschutzkommission Entscheidung
Text
BESCHEID
Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. MAIER und in Anwesenheit der Mitglieder Mag. HUTTERER, Dr. KLEISER und Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER sowie des Schriftführers Mag. SUDA in ihrer Sitzung vom 18. Mai 2000 folgenden Beschluß gefaßt:
Spruch:
Gemäß § 1 Abs 5 Datenschutzgesetz 2000, BGBl I Nr 165/1999 wird festgestellt, dass der Magistrat der Stadt Wien - Magistratsabteilung 62 Herrn A N in Wien dadurch, dass er im Schreiben vom 21. März 1997, Zahl MA 62-9/19xxx65-03-V, folgende Daten, nämlich
die Angabe, dass der Beschwerdeführer die Wohnung mit der Adresse 'Wien, Z-Gasse 27/11' selber nicht mehr zum eigenen Wohnbedarf nutze (im Folgenden: Datum 'Wohnungsnutzung');
die Angabe, dass die an der genannten Adresse wohnhaften Personen D N und R N Mutter und Neffe des Beschwerdeführers sind (im Folgenden: Datum 'Verwandtschaftsverhältnisse');
schriftlich an F K in Wien übermittelte, in seinem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf Geheimhaltung dieser personenbezogenen Daten gemäß § 1 Abs 1 DSG, BGBl Nr 565/1978 idF BGBl Nr 632/1994 (DSG), verletzt hat.
Begründung:
Mit Beschwerde vom 12. 3. 1998, ergänzt durch die Stellungnahme vom 16. 6. 1998, ON 4, brachte Herr A N (im Folgenden: der Beschwerdeführer) vor, er sei dadurch, dass die Wiener Magistratsabteilung 62 im Zuge eines Verfahrens zur Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen für Frau D N und den mj. R N (Mutter und Neffe des Beschwerdeführers) den Eigentümern eines näher bezeichneten Mietshauses in Wien, mitgeteilt habe, dass die Wohnung, die dem Beschwerdeführer als Hauptmieter überlassen worden sein, nicht von diesem sondern von D und R N bewohnt werde, worauf die gerichtliche Kündigung des Mietvertrages eingebracht worden sei, in seinen Rechten nach dem Datenschutzgesetz sowie in seinen Rechten auf Schutz seiner Privatsphäre und seines Familienlebens verletzt worden.
Die Datenschutzkommission hat ein Ermittlungsverfahren durchgeführt, dazu in die der Beschwerde angeschlossenen Urkundenkopien (Schreiben der MA 62 vom 21. März 1997; gerichtliche Aufkündigung vom 7. April 1997, Aktenzeichen 5 C 5xx/97v des Bezirksgerichts Favoriten) Einsicht genommen und eine Stellungnahme der Magistratsabteilung 62 eingeholt, sowie in die Bezug habenden Akten des belangten Organs (Zl. MA 20-9/19xx740 betreffend D N und MA 20-9/1xx6065 betreffend R N) sowie in den bereits bezeichneten Akt des Bezirksgerichts Favoriten Einsicht genommen. Dem Beschwerdeführer wurde zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Parteiengehör eingeräumt.
Folgender beschwerderelevanter Sachverhalt wird als erwiesen angenommen:
Im Zuge eines Ermittlungsverfahrens betreffend den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für den minderjährigen R N (Antrag vom 14. März 1997) wurden vom Magistrat der Stadt Wien - MA 62 (im Folgenden kurz: MA 62) als Organ des behördlich zuständigen Landeshauptmanns von Wien die Wohnverhältnisse des Bewilligungswerbers überprüft, um den Tatbestand gemäß § 5 Abs 1 AufG, BGBl. Nr. 466/1992 (AufG; Vorliegen einer gesicherten, für Inländer ortsüblichen Unterkunft des Fremden) beweisen zu können. Der MA 62 war zu diesem Zeitpunkt bereits eine Urkunde, nämlich der zwischen dem Beschwerdeführer und F und U K als den Hauseigentümern des Hauses Z-Gasse 27 in Wien abgeschlossene Mietvertrag über die dortige Wohnung Nr.11, zum Nachweis der gesicherten Unterkunft des Bewilligungswerbers, nämlich beim Beschwerdeführer als dessen Onkel, vorgelegt worden.
Beweiswürdigung: Diese Feststellungen gründen sich hinsichtlich des im Anlassfall anhängig gewesenen Verwaltungsverfahrens auf den von der MA 62 in ihrer Stellungnahme vom 29. April 1998, do. Zl. MA 62-II/131/98, zugestandenen Sachverhalt sowie auf den Inhalt der der Datenschutzkommission vorliegenden Verwaltungsakten.
Am 21 März 1997 richtete die MA 62 unter Zl. MA 62-9/19xxx65-03-V ein Schreiben an F K. Darin enthalten ist die Anfrage, ob eine Weitergabe des Mietgegenstandes durch den Beschwerdeführer vertraglich gestattet sei, und es wird, unter Hinweis darauf, dass es sich bei D und R N offensichtlich um Mutter und Neffen des Beschwerdeführers handle, angefragt, 'ob im Hinblick auf den Inhalt des Mietvertrages (siehe § 7 und § 8 des Mietvertrages) dortigerseits Bedenken gegen diese Untervermietung bestehen bzw. ob bejahendenfalls irgendwelche Schritte in Erwägung gezogen werden, den derzeitigen Zustand zu beenden.'
Dieses Schreiben übermittelt demnach - ausdrücklich wie schlüssig
Beweiswürdigung: Diese Feststellungen gründen sich auf die Urkunde(nkopie) 'Schreiben der MA 62 vom 21. März 1997', Zahl MA 62-9/19xxxx5-03-V, vorgelegt vom Beschwerdeführer mit der Beschwerde. Die im Schreiben der MA 62 sinngemäß enthaltene Angabe, der Beschwerdeführer habe die Wohnung weitergegeben bzw. es liege eine Untervermietung vor, lässt für den Empfänger keinen anderen Schluss zu als den, dass der Beschwerdeführer aus Sicht des belangten Organs vom fraglichen Mietgegenstand selbst nicht mehr Gebrauch mache.
Gestützt auf dieses Schreiben, das auch als Beweisurkunde ./A bei Gericht vorgelegt wurde, brachten die Hauseigentümer gegen den Beschwerdeführer am 7. 4. 1997 zu Aktenzeichen 5 C 5xx/97v des Bezirksgerichts Favoriten die gerichtliche Aufkündigung, gestützt auf die Gründe der § 30 Abs 2 Z.4 und 6 MRG, der Wohnung in Wien, Z-Gasse 27/11, ein.
Beweiswürdigung: Diese Feststellungen stützen sich auf den Inhalt der gerichtlichen Aufkündigung (Gericht und Aktenzeichen wie zitiert), die vom Beschwerdeführer in Kopie mit der Beschwerde vorgelegt wurde, sowie auf den Inhalt des Gerichtsakts.
In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
anzuwendende Rechtsvorschriften
Auf den zu entscheidenden Beschwerdefall war gemäß § 61 Abs 3 DSG 2000 materiell das vor dem 1. Jänner 2000 geltende Recht anzuwenden.
Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 1 DSG, hat jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere im Hinblick auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, hat. Gesetzliche Beschränkungen dieses Rechtes sind gemäß Abs 2 leg.cit. nur zur Wahrung berechtigter Interessen eines anderen oder aus den in Art. 8 Abs 2 MRK angeführten Gründen zulässig.
Das Grundrecht auf Datenschutz ist nach herrschender Meinung an jedermann gerichtet (unmittelbare Drittwirkung kraft gesetzlicher Anordnung, § 1 Abs 6 DSG) und unmittelbar anwendbar. Da für einen Vorgang, der unter den Begriff der (automationsunterstützten) Datenverarbeitung gemäß § 3 Z.5 DSG fallen würde, keine Feststellung vorliegt, war der Sachverhalt am Grundrecht gemäß § 1 Abs. 1 DSG zu messen.
zur Frage: liegen personenbezogene Daten vor?
Das unter 1) oben zitierte Grundrecht schützt personenbezogene Daten. Zur Auslegung dieser Bestimmung kann die Legaldefinition in § 3 Z.1 DSG auf Grund des Wortlautes des Einleitungssatzes ('Im Sinne der folgenden Bestimmungen....bedeuten:') dieser Vorschrift nicht direkt herangezogen werden. Jedenfalls ist der Datenbegriff des § 1 DSG
umfassender als der Begriff der Legaldefinition, da er nämlich nicht auf das 'Festhalten' der Daten auf einem 'Datenträger' Bezug nimmt, und
ansonsten inhaltlich, was die Bedeutung der (Teil )Begriffe 'Daten' und 'personenbezogen' betrifft, mit dem Begriff der Legaldefinition deckungsgleich.
Zu prüfen war demnach, ob es sich im Beschwerdefall um 'Angaben über bestimmte oder mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmbare Betroffene' - nämlich, soweit für dieses Verfahren maßgeblich, den Beschwerdeführer - handelt.
Hinsichtlich der Bestimmbarkeit des Beschwerdeführers bestehen keine Zweifel, da er im gegenständlichen Schreiben als Hauptmieter namentlich angeführt wird.
Die Frage, ob es sich bei den 'Angaben' im Schreiben der MA 62 um Daten handelt, ist zu bejahen. Erstens geben Gesetzesmaterialien (EB zur RV, 72 BlgNR XIV GP) klar darüber Auskunft, dass der Begriff der personenbezogenen Daten bewusst sehr weit gefasst wurde. Zweitens kann nach dem Sachverhalt nicht bezweifelt werden, dass es sich beim Inhalt des Schreibens um Angaben handelt, die dem Adressaten (hier: einem Miteigentümer des Hauses, der zum Beschwerdeführer im Vertragsverhältnis des (Mit )Vermieters stand) gewisse Aufschlüsse über teils bekannte (Name, Eigenschaft als Hauptmieter), teils unbekannte (behauptete Verlegung des Wohnsitzes), persönliche Lebensumstände des Beschwerdeführers liefern sollten. Somit sind sie klar als 'Angaben' über den Beschwerdeführer und damit auch als 'personenbezogene Daten' im Sinne von § 1 Abs. 1 DSG zu bewerten.
zur Frage: sind die Daten schutzwürdig?
Bei der Beurteilung der Frage des schutzwürdigen Interesses an der Geheimhaltung der verfahrensgegenständlichen Daten sind zwei Ansätze möglich. Zunächst kann es sich beim 'schutzwürdigen Interesse' - positiv wie negativ - um ein von der Rechtsordnung ausdrücklich geregeltes Interesse handeln. Fehlt eine positivrechtliche Regelung, so ist die Abwägung im Einzelfall unter Heranziehung der Methoden der Rechtsanalogie oder gegebenenfalls durch Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm zu treffen. Im Beschwerdefall liegt nun keine positivrechtliche Regelung vor.
Schon anhand der Formulierung des Schreibens der MA 62 an die Hauseigentümer und der darauf folgenden Kündigung des Mietvertrages mit dem Beschwerdeführer, ergibt sich ein wirtschaftliches Interesse am Unterbleiben dieser Datenübermittlung. Dieses besteht darin, die Nutzung eines Mietgegenstandes zu behalten und diese nicht in einem aufwändigen und mit Kostenrisiko verbundenen Gerichtsverfahren verteidigen zu müssen. Ein wirtschaftliches Interesse allein reicht aber nicht aus, um das Geheimhaltungsinteresse zu einem schutzwürdigen zu machen.
Der Beschwerdeführer bringt zur Frage der Schutzwürdigkeit aber auch sinngemäß vor, er sei durch die Datenübermittlung in seinem Privat- und Familienleben beeinträchtigt worden. Dieses Argument hat bezüglich der Übermittlung des Datums 'Name' kein Gewicht, als den Hauseigentümern dieser bekannt sein musste und eine Schutzwürdigkeit daher nicht in Frage kommt. Anders hinsichtlich der Daten 'Verwandtschaftsverhältnisse' und 'Wohnungsnutzung'. Ohne auf die Frage einzugehen, was im Lichte des Art. 8 MRK als 'Familienleben' zu gelten hat, gehören beide fraglichen Daten zweifellos zur Privatsphäre des einzelnen (vgl. Matzka, Datenschutzrecht für die Praxis (1988), § 1 DSG Kommentar, 5). Insbesondere Angaben über Verwandtschaftsverhältnisse gehören schon zu einem sehr intimen und höchstpersönlichen Lebensbereich und bilden wegen möglicher Schlussfolgerungen auf 'rassische und ethnische Herkunft' einer Person geradezu einen Grenzfall zum besonders schutzwürdigen Bereich der 'sensiblen' Daten (vgl. Art 8 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, der Grundlage für die nunmehrigen §§ 4 Z 2, 9 DSG 2000 und Art. 6 der Datenschutzkonvention des Europarates, ETS 108).
Hinsichtlich der Daten 'Verwandtschaftsverhältnisse' und 'Wohnungsnutzung' lagen somit personenbezogene Daten vor, an deren Geheimhaltung der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse hatte.
zur Frage von Eingriffsvorbehalt und Interessenabwägung
Das Grundrecht auf Wahrung des Datengeheimnisses steht unter zweifachem Vorbehalt: Es darf durch Gesetz durchbrochen werden, um private 'berechtigte Interessen' eines anderen zu wahren, sowie dann, wenn die in Art 8 Abs 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen den Eingriff rechtfertigen. Im Zweifel hat gemäß § 1 Abs 2 letzter Satz DSG die vertrauliche Behandlung personenbezogener Daten Vorrang zu genießen. Der durch letztere Vorschrift normierte Vorrang der vertraulichen Behandlung personenbezogener Daten schließt das Gebot in sich, sowohl die Voraussetzungen, die im Sinne der Ermächtigung des § 1 Abs 2 erster Satz DSG gesetzliche Beschränkungen des Grundrechtes auf Datenschutz zu rechtfertigen vermögen, als auch die zufolge dieser Ermächtigung erlassenen, das Grundrecht beschränkenden Rechtsvorschriften restriktiv auszulegen (VfGH-Erkenntnis vom 30. September 1989, VfSlg 12166).
Die MA 62 brachte in ihrer Stellungnahme vom 29. April 1998, Zl. MA 62 - II/131/98, vor, die verfahrensgegenständliche Datenübermittlung sei erforderlich gewesen, um den Tatbestand gemäß § 5 Abs. 1 AufG überprüfen zu können. Sinngemäß wird damit behauptet, dass damit eine gesetzliche Ermächtigung vorliege, die das Grundrecht auf Wahrung des Datengeheimnisses aus Gründen der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 MRK, hier wohl gemeint: Sicherung eines geordneten Fremdenwesens) beschränke.
Dem kann allerdings nicht beigepflichtet werden.
Für die Unzulässigkeit eines solchen Ermittlungsschritts spricht der systematische Zusammenhang des AufG: Gemäß § 8 Abs. 1 AufG konnte die zuständige Behörde von Amts wegen den Verlust der Aufenthaltsbewilligung verfügen, wenn nachträglich eine Änderung des Sachverhaltes eintritt, der Grundlage der Entscheidung war, der Fremde also u.a. die 'für Inländer ortsübliche Unterkunft' verliert. Die Vorkehrung eines solchen Eingriffs in rechtskräftige Bewilligungen wäre wohl unsachlich und unverhältnismäßig, wenn die Aufenthaltsbehörde schon bei der Prüfung des Antrags jede mögliche zukünftige Entwicklung des Sachverhaltes einzubeziehen hätte.
Die gegenständliche Datenübermittlung war damit - mangels einer ausdrücklichen Ermächtigung im Gesetz - keine wesentliche Voraussetzung für die gesetzlichen Aufgaben der MA 62.
Es liegt nach dem Sachverhalt auf der Hand, dass die übermittelten Daten von den Hauseigentümern - ohne die Berechtigung dazu hier materiell prüfen zu wollen - zur Wahrung ihrer rechtlichen Interessen - nämlich der Möglichkeit, das Bestandverhältnis mit dem Beschwerdeführer zu beenden - verwendet wurden. Die MA 62 führt in ihrer Stellungnahme zu diesem Punkt aus, die Hauseigentümer hätten gemäß § 20 Abs. 1 Meldegesetz, BGBl. Nr.9/1992 idF BGBl. Nr.505/1994 (MeldeG) das Recht gehabt, Namen und Adresse aller in ihrem Haus gemeldeten Personen übermittelt zu erhalten.
Diese Einwendung ist schon deswegen unzutreffend, weil nicht die Übermittlung der Meldeadresse des Beschwerdeführers in Beschwerde gezogen wurden, sondern - neben dem Namen - die Übermittlung von Daten bzw. Angaben über die 'Verwandtschaftsverhältnisse' bzw die 'Wohnungsnutzung'. Außerdem kann § 20 Abs 1 MeldeG auch deswegen nicht einschlägig sein, weil dort ausdrücklich nur eine Ermächtigung zur Datenübermittlung auf Verlangen der Eigentümer erteilt wird. Das Vorliegen eines solchen Verlangens wird von der MA 62 nicht einmal behauptet. Darüber hinaus ermächtigt diese Bestimmung die Meldebehörde, welche für das Gebiet der Stadt Wien gemäß § 13 Abs 1 MeldeG die Bundespolizeidirektion und nicht der Landeshauptmann, Bürgermeister oder Magistrat ist.
Da es somit keine taugliche Ermächtigung zum Eingriff in das Grundrecht gemäß § 1 Abs 1 DSG gab, brauchte auch keine Interessenabwägung im Sinne von § 1 Abs 2 letzter Satz DSG vorgenommen zu werden; es war daher spruchgemäß zu entscheiden.