202.001/3-DSK/00 – Datenschutzkommission Entscheidung
Text
BESCHEID
Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr.SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Mag. HUTTERER, Dr.KLEISER und Dr.KOTSCHY sowie des Schriftführers Mag. SUDA in ihrer Sitzung vom 25. Februar 2000 folgenden Beschluss gefasst:
Spruch
Die Datenschutzkommission erteilt gemäß § 46 Abs. 3 Datenschutzgesetz 2000, BGBl. I Nr.165/1999 (DSG 2000), Herrn Dr. O, Univ. Doz. am Institut für Zeitgeschichte der Universität A, als Auftraggeber im Sinne des § 4 Z. 4 DSG 2000 die Genehmigung zur Verwendung personenbezogener Daten aus den Datenbeständen der Gebietskrankenkassen und der Meldebehörden für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung und Statistik nach Maßgabe der folgenden Bedingungen und Auflagen:
1. Die Verwendung ist nur für Zwecke der Durchführung folgender Forschungsaufträge zulässig:
a) für Zwecke eines im Auftrag der S - AG durchzuführenden Forschungsprojekts mit der Themenstellung 'Zwangsarbeit am Standort X der R-werke, Berlin, sowie der von diesem deutschen Konzern übernommenen Betriebe der B-Gesellschaft in Kärnten und der Steiermark';
b) für Zwecke eines im Auftrag der V -AG durchzuführenden Forschungsprojekts über Zwangsarbeit im Bereich der Kraftwerksbauten der NS-Zeit, die sich heute im Eigentum der V-AG befinden (Bauten der E-AG und der R-AG in P).
2. Die Bewilligung zur Datenverwendung gilt hinsichtlich des Verarbeitens von Daten (§ 4 Z. 9 DSG 2000) bis zum Abschluss der unter 1. a) und b) umschriebenen Forschungsprojekte. Der Abschluss dieser Forschungsprojekte ist der Datenschutzkommission schriftlich anzuzeigen.
3. Datenarten und Betroffenenkreise, deren Daten verwendet werden dürfen, bestimmen sich nach dem, was im Rahmen der unter 1. a) und b) umschriebenen Forschungsprojekte notwendig ist, um festzustellen, ob, in welchem Zeitraum und unter welchen Bedingungen eine bestimmte Person als Zwangsarbeiter an bestimmten Unternehmensstandorten (Baustellen) zur Arbeit gezwungen wurde; dies umfasst insbesondere folgende Datenarten:
4. Der Auftraggeber hat Personen, die er im Rahmen der unter 1.
a) und b) umschriebenen Forschungsprojekte für Tätigkeiten, die einen Zugang zu personenbezogenen Daten bedingen, heranzieht, insbesondere die Mitglieder der von ihm zusammenzustellenden HistorikerInnenkommission und sonstige Mitarbeiter nachweislich über die Pflichten aus dem DSG 2000 und diesem Bescheid zu informieren und für eine entsprechende Überwachung der Einhaltung dieser Pflichten zu sorgen. Es dürfen nur Personen herangezogen werden, die einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen oder deren Verlässlichkeit glaubhaft ist und die sich vertraglich und in Schriftform zur Wahrung des Datengeheimnisses (§ 15 DSG 2000) verpflichtet haben.
5. Bei der Verwendung von Daten ist die Bestimmung des § 46 Abs. 5 DSG 2000 zu beachten.
6. Die vorliegende Genehmigung zur Datenverwendung umfasst nicht die allfällige Übermittlung einschließlich der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen in personenbezogener Form; dies gilt auch für die Übermittlung solcher Daten an die zivilrechtlichen Auftraggeber der gegenständlichen Forschungsprojekte. Eine derartige Verwendung von Daten ist nur zulässig, wenn sie im konkreten Einzelfall den Bestimmungen des 2. Abschnittes des DSG 2000 entspricht. Die Übermittlung der verwendeten Daten in personenbezogener Form allein auf der Grundlage einer allfälligen vertraglichen Vereinbarung mit den zivilrechtlichen Auftraggebern der Forschungsprojekte ist nicht zulässig.
Begründung
Gemäß § 46 Abs. 2 Z. 3 DSG 2000 dürfen personenbezogene Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung, soweit zumindest teilweise personenbezogene Ergebnisse beabsichtigt sind, nur mit Genehmigung der Datenschutzkommission verwendet werden.
Aus dem Antrag des Dr. O und dem Schreiben des Vorsitzenden der von der Bundesregierung eingesetzten Historikerkommission, Präsident des Verwaltungsgerichtshofs a.o. Univ. Prof. Dr. Jabloner, vom 28. Jänner 2000 ergibt sich der folgende entscheidungsrelevante
Sachverhalt:
Der Antragsteller wurde von den im Spruchpunkt 1. genannten österreichischen Industrie- und Versorgungsunternehmen mit der Durchführung von zeitgeschichtlichen Forschungsprojekten beauftragt. Der Antragsteller ist ein allgemein anerkannter und am Institut für Zeitgeschichte der Universität A lehrender Historiker. Diese Forschungsprojekte sollen der Klärung der Frage dienen, in wie weit die Errichtung von heute im Eigentum der Forschungsauftraggeber stehenden Industrie- und Kraftwerksanlagen in den Jahren 1938 bis 1945 durch Einsatz von durch das NS-Regime in ganz Europa rekrutierten Zwangsarbeitern, einschließlich von Kriegsgefangenen und Häftlingen aus Konzentrationslagern, ermöglicht wurde.
Dabei soll auch eine Datenbank der Grundbeschäftigungsdaten der Betroffenen erstellt werden. Die vorgesehene Verwendung personenbezogener Daten erfolgt vor dem Hintergrund einer nach Umfang und Rechtsgrundlage noch ungeklärten Regelung der Entschädigung von Zwangsarbeitern.
Beweiswürdigung: Diese Feststellungen gründen sich auf die vom Antragsteller gemachten Angaben, die schlüssig und glaubwürdig sind, sowie auf das Schreiben des Vorsitzenden der von der Bundesregierung eingesetzten Historikerkommission, Präsident a.o. Univ. Prof. Dr. Jabloner, an die Datenschutzkommission vom 28. Jänner 2000 sowie auf allgemein bekannte Tatsachen zur Frage der Zwangsarbeiterentschädigung.
Der Antragsteller arbeitet bei seinen Forschungen mit der von der Bundesregierung (Beschluss vom 1. Oktober 1998) zur Erforschung des Gesamtkomplexes 'Vermögensentzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS-Zeit sowie Rückstellungen bzw. Entschädigungen (sowie wirtschaftliche und soziale Leistungen) der Republik Österreich ab 1945' eingesetzten Historikerkommission zusammen.
Beweiswürdigung: Diese Feststellungen stützen sich auf das bereits zitierte Schreiben von Dr. Jabloner (GZ 202.001/1- DSK/00).
In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Antragsteller bei seinen Forschungsarbeiten auch sensible Daten verwenden muss - und zwar zumindest aufgrund der angeführten Datenquellen, zu denen auch Unterlagen der Sozialversicherungsträger gehören sollen - waren folgende Tatbestandselemente für die Erteilung der Genehmigung gemäß § 46 Abs. 3 DSG 2000 nachzuweisen:
Die Einholung individueller Zustimmungserklärungen der Betroffenen muss mangels Erreichbarkeit unmöglich oder unverhältnismäßig aufwändig sein;
es muss ein wichtiges öffentliches Interesse an der beantragten Datenverwendung bestehen;
die fachliche Eignung des Antragstellers muss glaubhaft gemacht sein;
es muss gewährleistet sein, dass die Daten nur von an gesetzliche Verschwiegenheitspflichten gebundenen oder sonst glaubwürdig verlässlichen Personen verwendet werden.
Sämtliche tatbestandsmäßigen Voraussetzungen sind erfüllt. Der Antragsteller ist nachweislich ein angesehener und qualifizierter Wissenschaftler. Der Gegenstand der von ihm durchzuführenden Forschungsprojekte ist umfangreich und umfasst eine solch große Zahl von Einzelschicksalen, dass eine Kontaktaufnahme mit jedem Betroffenen zumindest unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde. Aus der nachgewiesenen Kooperation mit der von der Bundesregierung zur Erforschung der Zwangsarbeit im NS-Regime und der wirtschaftlichen Willkürmaßnahmen (Enteignungen, 'Arisierungen' und dgl.) zwischen 1938 und 1945 eingesetzten Historikerkommission ergibt sich, dass die Forschungen des Antragstellers über eine reine Tätigkeit im Interesse seiner zivilrechtlichen Forschungsauftraggeber hinaus gehen werden. Die Tätigkeit, für deren Zwecke diese Bewilligung erteilt wird, liegt daher in einem ausreichend nachgewiesenen wichtigen öffentlichen Interesse, insbesondere da die Erforschung und objektive Aufarbeitung der NS-Vergangenheit dem Ansehen Österreichs in der Welt nützlich sein wird.
Die erteilten Auflagen und Bedingungen waren notwendig, um sicherzustellen, dass die im DSG 2000 verankerten Grundsätze der Zweckgebundenheit (§ 6 Abs. 1 Z. 1 DSG 2000), Wesentlichkeit (§ 6 Abs. 1 Z. 2 und Z. 3 DSG 2000) und der zeitlichen Begrenztheit (§ 6 Abs.1 Z5 DSG 2000) der Datenverwendung gewahrt bzw. nicht in überschießender Weise beeinträchtigt werden. Weiters war durch Auflagen zu bekräftigen und näher auszugestalten, wie für die Verpflichtung von Mitarbeitern und Hilfskräften zur Wahrung des Datengeheimnisses Vorkehrungen zu treffen sind. Hinsichtlich der Übermittlung der Daten in personenbezogener Form besteht allerdings die Gefahr, dass die vom Antragsteller ermittelten und verarbeiteten Daten von den Forschungsauftraggebern (S-AG und V-AG) ohne weitere Vorkehrungen für Zwecke der Rechtsverteidigung in dem Fall verwendet werden, dass ehemalige Zwangsarbeiter im In- oder Ausland Entschädigungsansprüche gegen diese Unternehmen geltend machen. Daher war gemäß § 46 Abs. 3 Z. 3 letzter Satz DSG 2000 durch eine entsprechende Auflage eine Übermittlung an die Forschungsauftraggeber allein auf der Grundlage allfälliger vertraglicher Vereinbarungen zwischen dem Antragsteller und seinen zivilrechtlichen Forschungsauftraggebern zu untersagen, um schutzwürdige Interessen der Betroffenen zu wahren. Für den Fall, dass die Forschungsauftraggeber auf Basis der bei den Forschungen des Antragstellers ermittelten Daten den Betroffenen freiwillig ein Anbot zur Leistung entsprechender Entschädigungszahlungen übermitteln möchten, können die Daten auf Grund einer gemäß § 47 Abs. 3 DSG 2000 zu beantragenden Genehmigung der Datenschutzkommission übermittelt werden.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.