JudikaturDSB

120.609/5-DSK/98 – Datenschutzkommission Entscheidung

Entscheidung
28. Mai 1998

Text

BESCHEID

Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. MAIER und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. HELMREICH, Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER und Dr. STAUDIGL sowie des Schriftführers Mag. SUDA in ihrer Sitzung vom 28. Mai 1998 folgenden Beschluß gefaßt:

Spruch

Gemäß § 14 Abs.3 des Datenschutzgesetzes (DSG), BGBl. Nr. 565/1978 idF BGBl. Nr. 632/1994 iVm § 88 Abs.6 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl. Nr. 566/1991 wird auf Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenates entschieden:

Die Ermittlung personenbezogener Daten des P. durch Abnehmen der Fingerabdrücke und Fotografieren durch Gendarmeriebeamte auf dem Gendarmerieposten T war infolge Verletzung von §§ 1 Abs.1; 6 DSG iVm § 65 Abs.1 SPG rechtswidrig.

Begründung:

Mit Antrag vom 10. November 1997 beantragte der Unabhängige Verwaltungssenat unter Hinweis, daß es sich bei der vorgelegten Frage um eine gemäß § 14 Abs. 3 DSG von der Datenschutzkommission zu beurteilende Vorfrage handle (vgl. dazu das im Anlaßverfahren ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Juni 1997, Zl. B 1565/96-9), gemäß § 88 Abs. 6 SPG die Entscheidung der Datenschutzkommission über nachstehenden - auf die datenschutzrechtlich bedeutsamen Fakten gekürzten - Sachverhalt:

Am 29. 06. 1995 gegen 23.15 Uhr stellte sich der österreichische Staatsbürger P. (im folgenden: der Beschwerdeführer) bei der Einreise an der Grenzkontrollstelle T. zur Zollabfertigung. Bei der Kontrolle stellte sich heraus, daß der Beschwerdeführer 1,5g Suchtgift, vermutlich Cannabiskraut, bei sich hatte. Dieses befand sich in einer Metalldose, welche in der Jackentasche des Beschwerdeführers gefunden wurde, weshalb wegen des Verdachtes des Vergehens nach § 16 Abs. 1 des Suchtgiftgesetzes gegen 00.00 Uhr des darauffolgenden Tages der Gendarmerieposten verständigt wurde. Die Amtshandlung des Gendarmeriepostens führte Inspektor H., Gruppeninspektor G. war bei den Amtshandlungen zeitweilig anwesend. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge auf den Gendarmerieposten gebracht, wo nach einem Verhör eine Niederschrift mittels EDV aufgenommen wurde. Sohin wurde die Amtshandlung weitergeführt, indem sämtliche Formulare, welche behördenintern für die Aufnahme von Suchtgiftdelikten vorgesehen sind, ausgefüllt wurden, und es wurden dem Beschwerdeführer die Fingerabdrücke genommen. In weiterer Folge wurde er ebenfalls fotografiert. Der Beschwerdeführer hat sich anläßlich der Angabe zu seinen persönlichen Daten sowie bei der Abgabe der Fingerabdrücke und bei der Erstellung der Lichtbilder in keiner Weise zur Wehr gesetzt, er wurde dazu aber auch nicht gezwungen. Der Beschwerdeführer wurde zwar nicht danach gefragt, ob er mit der Vorgangsweise einverstanden sei, doch kam er der Aufforderung des Inspektor H., sich zur Abgabe von Fingerabdrücken und zur Aufnahme von Lichtbildern zur Verfügung zu stellen, nach. Gegen 02.30 war die Amtshandlung zu Ende.

Beweiswürdigung: Diese Sachverhaltsfeststellung gründet sich auf die vom Beschwerdeführer nach Parteiengehör nicht bestrittene, schlüssige, widerspruchsfreie und mit dem Inhalt des Aktes des Unabhängigen Verwaltungssenates, der der Datenschutzkommission vorliegt, übereinstimmende Feststellung des Unabhängigen Verwaltungssenates im Vorlageantrag.

In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

1) anzuwendende Rechtsvorschriften

Materielle Rechtsgrundlage für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Organe der öffentlichen Sicherheit sind die zum Zeitpunkt der gesetzten behördlichen Maßnahme (30. 6. 1995) geltenden Rechtsvorschriften, nämlich das Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. Nr. 566/1991, in der Stammfassung sowie das Datenschutzgesetz (DSG), BGBl. Nr. 565/1978 idF BGBl. Nr. 632/1994.

Personenbezogene Daten sind gemäß § 3 Z.1 DSG auf einem Datenträger festgehaltene Angaben über bestimmte oder mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmbare Betroffene. Nach ständiger Entscheidungspraxis der Datenschutzkommission kommt es für die Eigenschaft von Angaben als ‘personenbezogene Daten’ nicht darauf an, ob diese automationsunterstützt verarbeitet wurden oder zu solcher Verarbeitung (in der Regel durch kodierte Speicherung auf einem magnetischen Datenträger) bestimmt sind.

Die Ermittlung personenbezogener Daten zum Zweck der automationsunterstützten Datenverarbeitung ist gemäß § 6 DSG grundsätzlich nur zulässig, wenn dafür eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung besteht (zur Frage der Generalklausel, siehe unten unter 3)).

Eine solche ausdrückliche Ermächtigung besteht für die hier gegenständlichen Datenarten. Gemäß § 64 Abs.1 SPG ist Erkennungsdienst das Ermitteln personenbezogener Daten durch erkennungsdienstliche Behandlung sowie das Verarbeiten, Benützen, Übermitteln, Überlassen und Löschen dieser Daten. Gemäß § 70 Abs.1 SPG hat jede Sicherheitsbehörde erkennungsdienstliche Daten bis zu einer gebotenen Löschung (vgl. §§ 73f SPG) zu verarbeiten. Da die Begriffe ‘Datenverarbeitung’, ‘Ermitteln von Daten’ und ‘Verarbeiten von Daten’ auch im SPG - mangels einer anderslautenden Definition - so zu verstehen sind, wie in den Legaldefinitionen des § 3 Z.5, 6 und 7 DSG, handelte es sich bei der erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschwerdeführers um einen Akt der Datenermittlung für eine automationsunterstützte Datenverarbeitung (ADV).

Gemäß § 64 Abs.2 SPG sind erkennungsdienstliche Maßnahmen insbesondere die ‘Abnahme von Papillarlinienabdrücken’ sowie die ‘Herstellung von Abbildungen’, somit die Abnahme von Fingerabdrücken und das Fotografieren.

Gemäß § 65 Abs.1 SPG sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, Menschen, die in Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln. Gemäß Abs.4 leg. cit. ist der Verdächtige verpflichtet, an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

2) Zulässigkeit der Datenermittlung, Frage des ‘gefährlichen Angriffs’

Ein ‘gefährlicher Angriff’ im Sinne des SPG lag gemäß der Legaldefinition des § 16 Abs.2 Z.2 SPG in der im Beschwerdezeitpunkt anzuwendenden Fassung vor bei rechtswidriger Verwirklichung des Tatbestandes einer ‘nach den §§ 12, 14 oder 14a des Suchtgiftgesetzes, BGBl. Nr. 234/1951’ (SGG), strafbaren Handlung. Die Bestimmungen des SGG, auf die verwiesen wurde, umfaßten jeweils Straftaten im Zusammenhang mit einer sogenannten ‘großen Menge’ an Suchtgift. Eine solche lag gemäß § 12 Abs.1 zweiter Satz SGG vor, wenn die Menge geeignet wäre, in großem Ausmaß eine Gefahr für Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen. Gemäß ständiger Rechtsprechung der Gerichte (Foregger-Serini, StGB (MKK) 5. Aufl , Anm II zu § 12 SuchtgiftG) wird beim Wirkstoff von Cannabiskraut (THC) eine ‘große Menge’ ab 20 Gramm angenommen. Demgemäß wurde richtigerweise jede gegen den Beschwerdeführer vorgenommene Amtshandlung unter der Zugrundelegung des Deliktsverdachts nach § 16 Abs.1 SGG (Einfuhr von Suchtgift in sogenannter ‘kleiner Menge’) vorgenommen. Bei dieser Verdachtslage war es aber von Anbeginn an unzulässig, einen ‘gefährlichen Angriff’ im Sinne von § 16 Abs.2 Z.2 SPG anzunehmen.

Da für einen Beamten der Sicherheitsexekutive, bei dem entsprechende Sach- und Rechtskunde vorausgesetzt werden kann, kein Verdacht bestehen konnte, daß von dem Beschwerdeführer ein gefährlicher Angriff im Sinne des SPG ausging, war die Ermittlung dieser personenbezogenen Daten des Beschwerdeführers somit rechtswidrig.

3) Ermächtigung zur Datenermittlung durch Weisung?

Die belangten Organe, Beamte des Gendarmeriepostens, rechtfertigten diese Vorgehensweise im Maßnahmenbeschwerdeverfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat damit, daß ihnen eine entsprechende, in dem erstzitierten Schreiben auch mit Geschäftszahl angeführte Weisung aus dem Bundesministerium für Inneres vorgelegen sei. Zufolge dieser Weisung sei es zulässig gewesen, einen nach §§ 15 oder 16 SGG Verdächtigen erkennungsdienstlich zu behandeln - demnach, wie oben dargelegt, personenbezogene Daten zu ermitteln - , wenn die Erzeugung, Einfuhr, Ausfuhr oder Weitergabe des Suchtgiftes erfolgte, beabsichtigt war oder ermöglicht werden sollte. Dieser Tatbestand (versuchte Einfuhr von Suchtgift) habe auf den Beschwerdeführer zugetroffen.

Eine entsprechende Weisung mußte von den Organen, an die sie gerichtet war, zwar schon aufgrund der in Art. 20 Satz 2 und 3 B-VG festgelegten Gehorsamspflicht befolgt werden, vermag aber nichts daran zu ändern, daß der klare und unmißverständlich Wortlaut des SPG in der im Zeitpunkt der in Beschwerde gezogenen Maßnahmen geltenden Fassung den Vollzug einer solchen Weisung rechtswidrig machte. Eine solche Weisung mag vielleicht dadurch ‘erklärlich’ sein, daß auf diese Weise ein rechtswidriger Vorgriff auf die durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 112/1997 geschaffene Rechtslage - wonach gemäß § 16 Abs. 2 SPG in der Fassung dieses Bundesgesetzes nunmehr jede Verwirklichung eines vorsätzlichen suchtgiftrechtlichen Gerichtsstraftatbestandes (nunmehr nach dem Suchtmittelgesetz (SMG), ebenfalls BGBl. I Nr. 112/1997) einen gefährlichen Angriff im Sinne des SPG darstellt - erfolgen sollte.

Bei der Ermittlung dieser Daten konnte sich das belangte Organ auch nicht auf die Generalklausel des § 6 DSG berufen, gemäß welcher die Ermittlung personenbezogener Daten zulässig ist, soweit dies für den Auftraggeber zur Wahrnehmung der ihm gesetzlich übertragenen Aufgaben eine wesentliche Voraussetzung bildet. Diese kann nämlich nur dann angewendet werden, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zur Ermittlung personenbezogener Daten überhaupt fehlt, nicht aber, um eine vom Gesetzgeber ausdrücklich beschränkte Ermächtigung zur Datenermittlung ausweitend zu interpretieren.

4) zur Zuständigkeit der Datenschutzkommission

Nach der im bereits zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ausgedrückten Rechtsansicht schränkt § 90 Abs.1 SPG die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates über Beschwerde gemäß § 88 Abs.2 SPG betreffend sogenanntes ‘schlichtes Polizeihandeln’ zu entscheiden nicht ein, verpflichtet diesen lediglich, in der durch § 14 Abs.3 iVm § 88 Abs.6 SPG bestimmten Weise vorzugehen, wenn eine datenschutzrechtliche Frage zu prüfen ist. Dieser Rechtsansicht steht allerdings der Wortlaut des § 14 Abs.3 DSG idF BGBl. Nr. 632/1994 entgegen, wonach ein solches Verfahren nur in Frage kommt, wenn über eine Vorfrage im Sinne von § 38 AVG zu entscheiden ist (vgl. dazu auch den Bescheid der Datenschutzkommission vom 7.11.1985, GZ 120.048/4- DSK/85=ZfVBDat 1987/4/11). Aus § 88 Abs.6 SPG ist - insbesondere unter Anwendung des Grundsatzes der verfassungskonformen Interpretation - nicht zu entnehmen, daß dieses Verfahrensmodell im Bereich des Rechtsschutzes nach dem SPG durch eine Doppelzuständigkeit, bei der eine der Behörden eine Scheinkompetenz ausübt und nur als ‘zweite Einbringungsstelle’ dient, ersetzt werden sollte. Die Datenschutzkommission neigt daher zu der Rechtsauffassung, die der Unabhängige Verwaltungssenat bereits im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vertreten hat, nämlich daß es sich beim Gegenstand des Bescheidspruches nicht um eine Vor- sondern um eine an den Unabhängigen Verwaltungssenat herangetragene Hauptfrage handelt, die eigentlich gemäß § 90 Abs.1 SPG von der Datenschutzkommission zu prüfen gewesen wäre. Da sich die Datenschutzkommission aber an die vom Verfassungsgerichtshof ausgedrückte Rechtsansicht als gebunden und ihre Zuständigkeit in der Sache selbst als gegeben erachtet - umsomehr, als andernfalls dem Beschwerdeführer nicht zu seinem Recht verholfen werden könnte - war die spruchgemäße Entscheidung trotz Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrages zu treffen.

Es bleibt dem antragstellenden Unabhängigen Verwaltungssenat überlassen, zu beurteilen, ob angesichts des Spruchinhaltes noch für eine weitere Sachentscheidung Raum bleibt, ob und wie das ‘ausgesetzte’ Beschwerdeverfahren demnach fortzusetzen wäre.

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