DSB-D124.1177/0006-DSB/2019 – Datenschutzbehörde Entscheidung
Text
GZ: DSB-D124.1177/0006-DSB/2019 vom 22. Jänner 2021
[Anmerkung Bearbeiter: Namen und Firmen, Rechtsformen und Produktbezeichnungen, Adressen (inkl. URLs, IP- und E-Mail-Adressen), Aktenzahlen (und dergleichen), etc., sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Pseudonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.
Der Name der Beschwerdegegnerin ist nicht pseudonymisiert worden, da eine Bearbeitung des Bescheidinhalts, die eine Identifizierung der Beschwerdegegnerin unmöglich gemacht oder doch deutlich erschwert hätte, nur durch weitgehende Beseitigung der Verständlichkeit des Inhalts der Entscheidung möglich gewesen wäre. Dem Geheimhaltungsrecht (§ 1 DSG) und Geheimhaltungsinteresse der Beschwerdegegnerin, einer juristischen Person, deren rechtmäßiges Handeln in der Entscheidung festgestellt worden ist, steht der gesetzliche Auftrag gemäß § 23 Abs. 2 DSG gegenüber, wobei es sich hier um eine Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung für die Allgemeinheit handelt, da einige Rechtsfragen hier erstmals behandelt worden sind. Die Entscheidung war daher, trotz Unmöglichkeit der vollständigen Pseudonymisierung, wegen Überwiegens des allgemeinen Interesses an der Veröffentlichung in die Entscheidungsdokumentation der Datenschutzbehörde aufzunehmen.]
BESCHEID
SPRUCH
Die Datenschutzbehörde entscheidet über die Datenschutzbeschwerde des Univ. Prof. Dr. Julius A*** (Beschwerdeführer) aus ****, vom 1. August 2019 gegen die Stiftung Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (kurz: DÖW, Beschwerdegegnerin) aus Wien, vertreten durch die Rechtsanwälte B*** und D*** Ges.m.b.H. aus Wien, wegen Verletzung im Recht auf Löschung in Folge Ablehnung des Antrags auf Löschung vom 2. Juli 2019 durch Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 29. Juli 2019 wie folgt:
Die Beschwerde wird abgewiesen .
Rechtsgrundlagen : Art. 5 Abs. 1 lit. b und e, Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 lit. j, Art. 17 Abs. 3 lit. d, Art. 21 Abs. 6 und Art. 89 Abs. 1 und Abs. 3 der der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung, im Folgenden: DSGVO), ABl. Nr. L 119 vom 4.5.2016 S. 1 idgF, iVm § 2b Z 12, § 2d Abs. 6 Z 3 und Z 6 und § 2 f Abs. 1 des Forschungsorganisationsgesetzes (FOG), BGBl. Nr. 341/1981 idgF.
BEGRÜNDUNG
A. Vorbringen der Parteien und Verfahrensgang
1. Dieses Beschwerdeverfahren schließt an das Beschwerdeverfahren Zl. DSB-D123.582 an, das einen Streit zwischen denselben Parteien wegen datenschutzrechtlicher Auskunftserteilung (Art. 15 DSGVO) zum Gegenstand hatte. Jenes Verfahren wurde (nach nachträglicher Auskunftserteilung durch die Beschwerdegegnerin) durch Einstellung gemäß § 24 Abs. 6 DSG beendet.
2. Mit Beschwerde vom 1. August 2019 (in der Fassung der Mangelbehebung vom 10. September 2019) behauptete der Beschwerdeführer , am 2. Juli 2019 die Löschung aller zu seiner Person verarbeiteten Daten bei der Beschwerdegegnerin beantragt zu haben. Die Beschwerdegegnerin verarbeite Daten zu seiner Person und stufe ihn durch Beschlagwortung als „rechtsextrem“ ein. Dies beziehe sich auf von der Beschwerdegegnerin online zugänglich gemachte Medienbeiträge (laut im Beschwerdeverfahren Zl. DSB-D123.582 erteilter Auskunft) und Äußerungen von Dietmar T***, einem Mitarbeiter der Beschwerdegegnerin, gegenüber den Medien. Die Beschwerdegegnerin könne sich auf keine Ermächtigung gemäß DSGVO zur Verarbeitung solcher besonderen Kategorien personenbezogener Daten stützen. Die Beschwerdegegnerin verwende solche Daten überdies nicht, wie behauptet, für wissenschaftliche, sondern für tagespolitische Zwecke. Die durch Schreiben der Rechtsanwälte der Beschwerdegegnerin vom 29. Juli 2019 erfolgte Ablehnung der Löschung sei daher rechtswidrig.
3. Mit Stellungnahme vom 11. Oktober 2019 hielt die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdegegnerin dem Folgendes entgegen: Der Beschwerdeführer, der der Beschwerdegegnerin offenkundig allgemein mit Abneigung gegenüberstehe, habe Zitate des DÖW-Mitarbeiters Dr. Dietmar T***, zuständig für die [Anmerkung Bearbeiter: genauer Tätigkeitsbereich der betroffenen Person entfernt, da geeignet, diese zu identifizieren] , in einer Presseaussendung der APA vom [Anmerkung Bearbeiter: Datum aus Gründen der Pseudonymisierung gekürzt] 2018 zum Anlass genommen, gegen die Beschwerdegegnerin mit Datenschutzbeschwerden vorzugehen. Die Beschwerdegegnerin sammle für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke und wissenschaftlich-historische Forschungszwecke im so genannten „Schnittarchiv“ themenrelevante Medienberichte und Publikationen und mache diese zugänglich. Diese Datenverarbeitung diene Zwecken gemäß Art. 89 Abs. 1 DSGVO und sei durch § 2d Abs. 6 FOG vom Recht auf Löschung ausgenommen. Die in den Medien zitierten Äußerungen von Dr. T*** würden überdies auf dessen persönlichem Wissen und Einschätzung beruhen. Gemäß Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 lit. e DSGVO sei die Verarbeitung besonders geschützter Daten, etwa zur politischen Überzeugung einer betroffenen Person, erlaubt, wenn sie letztere selbst öffentlich gemacht habe. Die politische Überzeugung des Beschwerdeführers, die Dr. T*** wiedergegeben habe, sei kein Geheimnis und beruhe auf nachweisbaren, öffentlich gemachten Aussagen des Beschwerdeführers (wie etwa jener, die Beschwerdegegnerin sei „[Anmerkung Bearbeiter: Zitat entfernt, da es zur Identifizierung des Beschwerdeführers geeignet erscheint]“ ). Die Beschwerdegegnerin beantragte, das Verfahren „mangels Beschwer“ einzustellen.
4. Mit Verfahrensanordnung vom 15. Oktober 2019, GZ: DSB-D124.1177/0003-DSB/2019, wurde beiden Parteien bekanntgegeben, dass die Datenschutzbehörde näher bezeichnete Teile des Akteninhalts des Beschwerdeverfahrens Zl. DSB-D123.582 von Amts wegen als Beweismittel auch in dieser Sache verwerten werde. Beiden Parteien wurde zu den entsprechenden Akteninhalten (dem Beschwerdeführer überdies auch zur Stellungnahme der Beschwerdegegnerin) Gehör eingeräumt.
5. Der Beschwerdeführer brachte dazu ein einer Stellungnahme vom 16. Dezember 2019 vor, die von der Beschwerdegegnerin erteilte Auskunft beweise, dass die Beschwerdegegnerin Daten jedenfalls nicht „nur“ für wissenschaftliche, sondern auch für tagespolitische Zwecke verarbeite.
B. Beschwerdegegenstand
6. Aus dem Vorbringen der Parteien ergibt sich, dass Sachgegenstand die Frage ist, ob die Beschwerdegegnerin verpflichtet war, auf den Beschwerdeführer bezogene personenbezogene Daten, die für Zwecke des so genannten „Schnittarchivs“ verarbeitet werden, auf Verlangen des Beschwerdeführers zu löschen.
C. Sachverhaltsfeststellungen
7. Die Beschwerdegegnerin ist als Stiftung gemäß Bundes-Stiftungs- und Fondsgesetz 2015 (BStFG 2015) organisiert, hat ihren Sitz in Wien und ist zur lfd. Nr. 216 im Stiftungsregister des Bundesministeriums für Inneres eingetragen.
Beweiswürdigung : Diese Feststellung, die unbestritten ist, stützt sich auf die Angaben der Beschwerdegegnerin sowie die Einsicht in das online aufliegende Stiftungsregister https://www.bmi.gv.at/409/files/2019_12_Stiftungs-Administration.pdf, am 10. Jänner 2020).
8. Die Beschwerdegegnerin verfolgt unter anderem den Zweck wissenschaftlicher Forschung zur Geschichte des Faschismus und Nationalsozialismus, des Widerstands gegen letztere Bewegungen und zu politischen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus, darunter den bereits im Namen der Einrichtung aufscheinenden Dokumentations- und Archivzweck. Die Beschwerdegegnerin, die seit 1983 als Trägerin des DÖW fungiert, wurde und wird zu maßgeblichen Teilen vom Bund und der Stadt Wien finanziert.
Beweiswürdigung : Diese Feststellung beruht auf allgemein bekannten Tatsachen (§ 45 Abs. 1 AVG).
9. Die Beschwerdegegnerin betreibt unterschiedliche Arten von Archiven. Hier relevant ist das so genannte „Schnittarchiv“, in welchem Ausschnitte aus diverser Medien, insbesondere Tageszeitungen, gespeichert werden. Diese Artikel werden online gespeichert und beschlagwortet.
10. Betreffend den Beschwerdeführer werden folgende Medienberichte im „Schnittarchiv“ mit dem Namen des Beschwerdeführers verknüpft (beschlagwortet) verarbeitet:
[Anmerkung Bearbeiter: Die Aufzählung der Medienberichte [samt URLs] wurde entfernt, da sie zur Identifizierung des Beschwerdeführers geeignet erscheint und für das Verständnis der Entscheidung nicht zwingend erforderlich ist.]
Beweiswürdigung : Diese Feststellungen beruhen auf dem den Parteien zur Kenntnis gebrachten Akteninhalt der GZ: DSB-D123.582/0002-DSB/2019 und der GZ: DSB-D123.582/0003-DSB/2018.
11. Am 2. Juli 2019 übermittelte der Beschwerdeführer folgendes Schreiben an die Beschwerdegegnerin:
[Anmerkung Bearbeiter: Das an dieser Stelle als grafische Datei wiedergegebene Dokument kann mit vertretbarem Aufwand nicht pseudonymisiert werden. Es handelt sich um einen Antrag auf Löschung gemäß Art. 17 DSGVO auf einem von der Datenschutzbehörde zur Verfügung gestellten Formular. Die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe für sein Recht auf Löschung lauten: „Das DÖW führt an (…), dass die Daten „zu im öffentlichen Interessen liegenden Archivzwecken und wissenschaftlichen und historischen Forschungszwecken“ gespeichert sind. Das DÖW hat in seiner Presseaussendung vom […] auf zu meiner Person gespeicherten Daten referenziert. Diese Presseaussendung hatte die dezitierte Intention, tagespolitischen Einfluss zu nehmen. Sie zielt zudem darauf ab das Ansehen meiner Person in der Öffentlichkeit zu mindern. Dies sind weder Archivzwecke noch wiss. und historischer Forschungszwecke nach § 2d iVm §2f FOG und Art 89 DSGVO.“]
12. Die Beschwerdegegnerin ließ dem Beschwerdeführer darauf folgende Antwort zukommen:
[Anmerkung Bearbeiter: Das im Original an dieser Stelle als grafische Datei wiedergegebene Antwortschreiben vom 29. Juli 2019 kann mit vertretbarem Aufwand nicht pseudonymisiert werden; hier eine leicht gekürzte Transkription:]
[Briefkopf der die Beschwerdegegnerin vertretenden Rechtsanwaltsgesellschaft]
„Sehr geehrter Herr Univ.-Prof. Dr. Julius A***!
Eingangs dürfen wir erneut bekanntgeben, dass wir die Stiftung Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes rechtsfreundlich vertreten. Im Namen unserer Mandantin dürfen wir Ihnen folgende Stellungnahme zu Ihrem Antrag auf Löschung vom 02. Juli 2019 übermitteln:
Aus Ihrem Antrag auf Löschung ist für uns nicht erkenntlich, welche personenbezogenen Daten Sie gelöscht wünschen, zumal es keine schriftliche Presseaussendung des DÖW vom [Anmerkung Bearbeiter: Datum aus Gründen der Pseudonymisierung gekürzt] 2018 gibt. Wie bereits in unserer Auskunftserteilung vom 15. März 2019 dargestellt, beruht das Zitat von Herrn Doktor T*** auf seinem umfangreichen Fachwissen zu diesem Thema. Die Stellungnahme zur Anfrage der APA erfolgte von Herrn Doktor T*** lediglich in mündlicher Form.
Zahlreiche Exemplare der Zeitschrift des Österreichischen [Anmerkung Bearbeiter: Name einer Dachorganisation von Schüler- und Studentenverbindungen] sind in der Bibliothek des DÖW öffentlich einsehbar. Die Autoren der einzelnen Artikel oder die in diesen Artikeln genannten Personen werden von unserer Mandantin jedoch weder analog noch digital erfasst und gespeichert. Es ist unserer Mandantin daher auch nicht möglich die referenzierte Rede, welche in einer Zeitschrift des Österreichischen [Anmerkung Bearbeiter: wie zuletzt] abgedruckt ist, zu löschen. Es handelt sich um eine physische Zeitschriftensammlung, bei welcher die Zeitschriften jahrgangsweise abgelegt werden.
Bei dieser Zeitschriftensammlung werden keinerlei personenbezogene Daten verarbeitet oder gespeichert, darüber hinaus bestehen diesbezüglich jedenfalls im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke sowie wissenschaftliche und historische Forschungszwecke.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen haben wir Sie zu belehren, dass Ihnen das Recht zusteht, wegen behaupteter Verletzungen Ihrer Rechte eine Beschwerde an die Datenschutzbehörde (www.dsb.gv.at) zu erheben.“
Beweiswürdigung : Diese Feststellungen beruhen auf den vom Beschwerdeführer als Beilagen zur Beschwerde vorgelegten Dokumenten.
D. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
Summe :
13. Die Beschwerde hat sich als nicht berechtigt erwiesen.
Verfahrensrechtliche Anmerkung
14. Das Beschwerdeverfahren gemäß Art. 77 DSGVO ist, insbesondere in der österreichischen verfahrensrechtlichen Gestaltung durch § 24 DSG, ein durch einen Parteienantrag, die Beschwerde, eingeleitetes kontradiktorisches Mehrparteienverfahren, in dem die Datenschutzbehörde durch Bescheid entscheiden muss, soweit und solange Beschwer vorliegt. Letzteres ist der Fall, und die von der Beschwerdegegnerin beantragte Einstellung des Verfahrens kommt daher hier nicht in Betracht.
Beschwerdegegnerin als wissenschaftliche Einrichtung
15. Die Beschwerdegegnerin ist eine wissenschaftliche Einrichtung gemäß § 2b Z 12 FOG, da sie als gemeinnützige Einrichtung (Stiftungen gemäß BStfFG sind gemäß § 1 Abs. 1 BStfFG per definitionem entweder „gemeinnützig“ oder „mildtätig“ , wobei letzteres schon mangels entsprechender Behauptung ausscheidet) Tätigkeiten der Forschung vornimmt. Aus der öffentlichen Finanzierung der Beschwerdegegnerin ist das öffentliche Interesse an deren Tätigkeiten ableitbar.
16. Die Führung des so genannten „Schnittarchivs“ fällt nach Ansicht der Datenschutzbehörde unter die Datenverarbeitung für einen im öffentlichen Interesse liegenden Archivzweck gemäß Art. 89 Abs. 3 DSGVO. Die entgegenstehende Behauptung des Beschwerdeführers, die Beschwerdegegnerin verfolge „tagespolitische Zwecke“ und sei daher nicht wissenschaftlich tätig, trifft nicht zu. Dazu müsste nachgewiesen sein, dass die Archivführung ausschließlich den Zweck verfolgte, vom Beschwerdeführer nicht näher dargestellten politischen Zielen dienlich zu sein. Für die Aufnahme eines solchen Beweises lag jedoch nicht einmal eine ausreichend substantiierte Tatsachenbehauptung vor. Dass die Beschwerdegegnerin eine schon aus ihrem Namen erschließbare politische Grundhaltung einnimmt und diese immer wieder auch öffentlich zum Ausdruck bringt, schadet dem wissenschaftlichen Zweck der Tätigkeit der Beschwerdegegnerin hingegen nicht.
Forschungsprivileg gemäß § 2d Abs. 6 FOG :
17. Die Beschwerdegegnerin kann sich, entgegen ihrem Vorbringen, jedoch hier nicht auf den pauschalen Schutz des § 2d Abs. 6 Z 3 FOG berufen, der eine Löschung von personenbezogenen Daten aus Archiven wissenschaftlicher Einrichtungen ausschließt.
18. § 2d FOG lautet auszugsweise samt Überschrift:
„ Grundlegende Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten
§ 2d . (1) […]
(6) Die folgenden Rechte finden insoweit keine Anwendung, als dadurch die Erreichung von Zwecken gemäß Art. 89 Abs. 1 DSGVO voraussichtlich unmöglich gemacht oder ernsthaft beeinträchtigt wird:
1.[…]
3. Recht auf Löschung bzw. Recht auf Vergessenwerden (Art. 17 DSGVO),
[…]
6. Widerspruchsrecht (Art. 21 DSGVO).“
19. Gemäß § 1 Abs. 3 Z 1 FOG regelt dieses Bundesgesetz Rahmenbedingungen für Verarbeitungen (Art. 4 Z 2 DSGVO) zu im öffentlichen Interesse liegenden Archivzwecken , zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken sowie zu statistischen Zwecken im Sinne des Art. 89 Abs. 1 DSGVO.
20. Bei § 2d Abs. 6 FOG handelt es sich unter anderem um eine in Art. 89 Abs. 3 DSGVO (Öffnungsklausel) grundsätzlich vorgesehene nationale Sonderbestimmung zu Gunsten von im öffentlichen Interesse liegenden Archivzwecken.
21. Diese Bestimmung verstößt jedoch genau in jenem Punkt, auf den sich die Beschwerdegegnerin stützt, der Ziffer 3, gegen den Wortlaut von Art. 89 Abs. 3 DSGVO, der national festgelegte Ausnahmen vom Recht auf Löschung („Vergessenwerden“) gemäß Art. 17 DSGVO für die Datenverarbeitung zu Archivzwecken ausdrücklich nicht vorsieht.
22. Gemäß dem Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts (vgl. EuGH, Urteil vom 9.3.1978, C-106/77 – Simmenthal II) hat § 2d Abs. 6 Z 3 FOG daher hier unangewendet zu bleiben.
23. Grundsätzlich kann daher gemäß Art. 17 DSGVO eine Löschung von Daten auch aus Verarbeitungen verlangt werden, die im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke verfolgen.
Erweiterte Rechtmäßigkeitsprüfung der Datenverarbeitung
24. Es bleibt daher zu erwägen, ob eine Anwendung des Rechts auf Löschung („Vergessenwerden“) gemäß Art. 17 DSGVO den Löschungsanspruch des Beschwerdeführers zu begründen vermag.
25. Gemäß Art. 17 Abs. 1 DSGVO muss dazu einer der in lit a bis f aufgezählten Löschungstatbestände erfüllt sein.
26. In Frage kommen hier gemäß lit c ein Widerspruch des Beschwerdeführers gegen die Verarbeitung seiner Daten (unter der logisch-systematischen Annahme, dass ein Antrag auf Löschung immer auch einen Widerspruch gegen die Datenverarbeitung beinhaltet) oder gemäß lit d das Fehlen einer rechtmäßigen Grundlage der Datenverarbeitung.
a. Rechtsgrundlagen der Datenverarbeitung der Beschwerdegegnerin
27. Die Unionsgesetzgeber (Rat und Parlament) sehen mehrfach Ausnahmen von strengeren Regeln der DSGVO für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke vor und bringen damit zum Ausdruck, dass eine Archivierung grundsätzlich eine zulässige Form der Datenverarbeitung ist. Nachrichten- und Pressearchive, wie das „Schnittarchiv“ , stehen überdies unter dem besonderen Schutz des Art. 11 GRC (DSGVO, ErwGr 153).
28. Auf die Zulässigkeit der Datenverarbeitung für im öffentlichen Interesse liegenden Archivzwecke nimmt auch Art. 5 Abs. 1 lit. b und e DSGVO Bezug.
29. Art. 9 Abs. 2 lit. j DSGVO erlaubt die Verarbeitung besonderer Kategorien von Daten, unter anderem zur politischen Überzeugung einer betroffenen Person, auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsieht, für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Art. 89 Abs. 1 DSGVO.
30. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 DSG darf der Verantwortliche für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder statistische Zwecke, die keine personenbezogenen Ergebnisse zum Ziel haben, alle personenbezogenen Daten verarbeiten, die öffentlich zugänglich sind.
31. Gemäß § 7 Abs. 2 Z 1 DSG dürfen bei Datenverarbeitungen für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder statistische Zwecke, die nicht unter Abs. 1 fallen, personenbezogene Daten u.a. gemäß besonderen gesetzlichen Vorschriften verarbeitet werden.
32. § 2f FOG lautet auszugsweise samt Überschrift (Unterstreichung durch die Datenschutzbehörde):
„ Datengrundlagen für Tätigkeiten zu Zwecken gemäß Art. 89 Abs. 1 DSGVO
§ 2f . (1) Wissenschaftliche Einrichtungen (§ 2b Z 12) dürfen Forschungsmaterial (§ 2b Z 6) für Zwecke gemäß Art. 89 Abs. 1 DSGVO insbesondere sammeln, archivieren und systematisch erfassen und dazu sämtliche Daten (§ 2b Z 5) verarbeiten, die erforderlich sind, um einen optimalen Zugang zu Daten (§ 2b Z 5) und Forschungsmaterial für Zwecke gemäß Art. 89 Abs. 1 DSGVO („Repositories“) zu gewährleisten, wie insbesondere:
1. Namensangaben gemäß § 2g Abs. 2 Z 1,
[…]
5. sonstige Daten, die für die Archivierung und Klassifikation erforderlich sind, wie etwa Fundortdaten oder Angaben gemäß § 2g Abs. 2 Z 1 und 2 zu Personen, die das Forschungsmaterial zur Verfügung gestellt haben, sowie
6. weitere Angaben, wie insbesondere:
a) politische Hintergrundinformationen […]“
33. Aus den zitierten Bestimmungen des § 2 f Abs. 1 FOG ergibt sich, dass die Beschwerdegegnerin über eine ausreichende gesetzliche Rechtsgrundlage zur Führung des „Schnittarchivs“ verfügt.
34. Der Löschungsgrund gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. d DSGVO liegt daher nicht vor. Das Unionsrecht deckt, zusammen mit dem ergänzenden nationalen Recht, auch die Verarbeitung besonderer Datenkategorien für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, darunter auch „politische Hintergrundinformationen“ zu Personen, die Gegenstand archivierter Dokumente sind. Jedenfalls gedeckt ist eine Kategorisierung, die, wie hier der Fall, eine Auffindung von Medienberichten ermöglicht, die dem Beschwerdeführer eine „völkische“ bzw. „deutschnationale“ Gesinnung zuschreiben.
b. Vorliegen eines wirksamen Widerspruchs
35. Abschließend ist zu prüfen, ob die Beschwerdegegnerin einen Widerspruch des Beschwerdeführers zu beachten hatte, der gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. c DSGVO ebenfalls im Ergebnis zu einer Löschungspflicht führen würde, wobei aus dem logisch-systematischen Zusammenhang der zuletzt zitierten Bestimmung zu schließen ist, dass dies nicht nur für den Widerspruch gemäß Art. 21 Abs. 1 oder 2 DSGVO, sondern auch für jenen gemäß Abs. 6 leg. cit. gelten muss.
36. In Frage kommt hier nämlich nur ein Widerspruch gemäß Art. 21 Abs. 6 DSGVO, welche Spezialbestimmung den Widerspruch gegen eine Datenverarbeitung für die in Art. 89 Abs. 1 DSGVO genannten Verarbeitungszwecke regelt.
37. Gemäß Art. 21 Abs. 6 DSGVO hat die betroffene Person das Recht, aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben , gegen die sie betreffende Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten, die zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken gemäß Art. 89 Abs. 1 erfolgt, Widerspruch einzulegen, es sei denn, die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe erforderlich.
38. Wie insbesondere durch den ErwGr 156 zur DSGVO verdeutlicht wird, soll es den Mitgliedstaaten erlaubt sein, unter bestimmten Bedingungen und vorbehaltlich geeigneter Garantien für die betroffenen Personen Präzisierungen und Ausnahmen in Bezug auf die Rechte auf Löschung und Widerspruch bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecken, zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken vorzusehen.
39. Das Widerspruchsrecht gemäß Art. 21 Abs. 6 DSGVO ist ein relatives Widerspruchsrecht, das begründet werden muss. Der Verantwortliche kann gemäß Art. 21 Abs. 6 den Widerspruch ablehnen, wenn die Verarbeitung zu wissenschaftlichen, historischen oder statistischen Zwecken zur Erfüllung einer im öffentlichen Interessen liegenden Aufgabe erforderlich ist (so Haidinger in Knyrim , DatKomm Art. 21 DSGVO (Stand 1.10.2018, rdb.at), Rz 2 und Rz 45 f).
40. Der Beschwerdeführer hat zur Begründung seines Widerspruchs bzw. Löschungsantrags zusammengefasst vorgebracht, die Beschwerdegegnerin verarbeite Daten nicht zu Archivzwecken bzw. wissenschaftlichen und historischen Forschungszwecken, sondern verwende diese Daten bzw. habe sie in einer Presseaussendung vom [Anmerkung Bearbeiter: Datum aus Gründen der Pseudonymisierung gekürzt] 2018 - bei der es sich laut Vorbringen der Beschwerdegegnerin jedoch um die Äußerung eines wissenschaftlichen Mitarbeiters der Beschwerdegegnerin gegenüber einem Mediendienst handelte - dazu verwendet, seinem Ansehen in der Öffentlichkeit zu schaden und „tagespolitischen Einfluss“ auszuüben.
41. Ob dies so ist bzw. war, konnte dahingestellt bleiben, weil die Verwendung von Archivdaten, die gemäß § 2 f Abs. 1 Z 6 lit. a FOG ausdrücklich unter Beifügung „politischer Hintergrundinformationen“ verarbeitete werden dürfen, für solche Zwecke das öffentliche Interesse an dieser Datenverarbeitung nicht aufzuheben vermag (siehe dazu auch oben). Dem Beschwerdeführer wäre es zum Schutz seiner rechtlich geschützten Interessen diesbezüglich freigestanden, gegen die Äußerung (Medienbericht, Presseaussendung, Stellungnahme gegenüber einem Medienmitarbeiter oder Mediendienst, Inhalt eines Interviews o.ä.) mit den Mitteln des Zivil- und Medienrechts vorzugehen.
42. Dem Beschwerdeführer ist es jedoch nicht gelungen, einen begründeten Widerspruch nachzuweisen, aus dem sich ergeben hätte, dass die Verarbeitung von den Beschwerdeführer betreffenden Daten zu wissenschaftlichen, historischen oder statistischen Zwecken zur Erfüllung einer im öffentlichen Interessen liegenden Aufgabe nicht erforderlich ist.
43. Daher hat die Beschwerdegegnerin die Löschung der Daten des Beschwerdeführers auch unter Zugrundelegung des Widerspruchsrechts gemäß § 21 Abs. 6 DSGVO zu Recht abgelehnt.
44. Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.