JudikaturBFG

RV/7100269/2024 – BFG Entscheidung

Entscheidung
26. Mai 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom 17. November 2023 gegen den Bescheid des ***FA*** vom 19. Oktober 2023 betreffend Familienbeihilfe 12.2022-09.2023 zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Rückforderungsbescheid vom 19. Oktober 2023 forderte das Finanzamt von der Beihilfenbezieherin die Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag für die Tochter ***T*** für den Zeitraum Dezember 2022 bis September 2023 zurück.

Begründend wurde auf § 26 Abs. 1 FLAG 1967 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 EStG 1988 verwiesen sowie darauf, dass für ein volljähriges Kind die Familienbeihilfe während einer Berufsausbildung bzw. -fortbildung maximal bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres zusteht, das das Kind im November 2022 vollendet hat.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde, in der sie sich im Wesentlichen auf § 2 Abs. 9 FLAG 1967 bezog, wonach die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag aufgrund der COVID-19-Beeinträchtigungen bis Ende des Sommersemesters 2023 weiter zu gewähren seien.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 15. Dezember 2023 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Dabei wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass als COVID-19-Krisenzeitraum das Sommersemester 2020 angesehen werde und das Studium in diesem Zeitraum noch nicht begonnen worden sei.

Dagegen wurde fristgerecht ein Vorlageantrag eingebracht, in dem die Beschwerdeführerin - neben den bereits in der Beschwerde angeführten Punkten - darüber hinaus insbesondere anführte, dass die Rechtsansicht des Finanzamtes, § 2 Abs. 9 FLAG 1967 beziehe sich lediglich auf das Sommersemester 2020, weder im Gesetzeswortlaut Deckung finde noch sich aus den Erläuterungen zur Novelle BGBl. I Nr. 28/2020 erschließen lasse.

Mit Bericht vom 24. Jänner 2024 wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorgelegt und eine Abweisung der Beschwerde beantragt. Für den Zeitraum ab dem Wintersemester 2020 könne ohne entsprechende Nachweise im Einzelnen nicht beurteilt werden, ob der Verlängerungstatbestand des § 2 Abs. 9 FLAG tatsächlich anwendbar sei.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Tochter der Beschwerdeführerin wurde am ***Datum*** geboren und vollendete ihr 24. Lebensjahr somit im November 2022. Sie war seit dem Wintersemester 2020/21 an einer Universität in Wien für das Bachelorstudium ***XY*** inskribiert. Mit 01. Oktober 2021 erfolgte ein Wechsel zum Bachelorstudium ***XZ***. Für dieses Studium ist eine Dauer von sechs Semestern vorgesehen. Im Studienjahr 2021/22 absolvierte die Tochter der Beschwerdeführerin Lehrveranstaltungen des Bachelorstudiums ***XZ*** im Ausmaß von mehr als 16 ECTS-Punkten.

Die Beschwerdeführerin bezog für ihre Tochter bis zur Erreichung der Altersgrenze im Monat November 2022 (Vollendung des 24. Lebensjahres) Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag. Zusätzlich wurde vom Finanzamt für die Monate Dezember 2022 bis einschließlich September 2023 Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge ausbezahlt, deren Rückforderung nunmehr den Streitgegenstand bildet.

Durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie war der Studienbetrieb an den österreichischen Universitäten auch nach dem Sommersemester 2020 beeinträchtigt. Von diesen Beeinträchtigungen waren auch Studierende betroffen, die erst im Wintersemester 2021/22 das Studium begonnen haben. Die COVID-19-Pandemie setzte sich in Österreich im Herbst 2021 fort und führte im November 2021 zu einem vierten allgemeinen Lockdown.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen betreffend die Daten des anspruchsvermittelnden Kindes (Geburtsdatum, Studienbeginn, Studienfach) ergeben sich aus den elektronischen Aktenteilen, insb. aus dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Studienblatt der Universität Wien. Die absolvierten ECTS-Punkte ergeben sich aus den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Studienerfolgsnachweisen. Die Feststellungen zu den Bezugszeiträumen und Rückforderungen ergeben sich aus den Datenbanken der Finanzverwaltung.

Dass der universitäre Betrieb auch nach dem Sommersemester 2020 und auch noch im Wintersemester 2021/22 durch die COVID-19-Pandemie beeinträchtigt war, ergibt sich aufgrund der "Gesamtsituation" im Zusammenhang mit den Ausgangsbeschränkungen und den damit verbundenen Beeinträchtigungen des universitären Betriebes ab November 2020 bis insbesondere Februar 2021 und dann erneut im November/Dezember 2021:

• "Lockdown light" vom 03. November 2020 bis 16. November 2020, dies führte unter anderem zur Schließung von Universitäten und Ausgangsbeschränkungen

• "Harter Lockdown" vom 17. November 2020 bis 06. Dezember 2020

• Rückkehr zum "Lockdown light" vom 07. Dezember 2020 bis 25. Dezember 2020

• "Harter Lockdown" vom 26. Dezember 2020 bis 07. Februar 2021

• "Harter Lockdown" vom 22. November 2021 mit ersten bundesweit nicht einheitlichen Öffnungsschritten am 12. Dezember 2021

Die Daten zur obigen Aufzählung sind dem Corona-Blog der Universität Wien - "Chronologie der Corona-Krise" (https://viecer.univie.ac.at/corona-blog/themenuebersicht/) entnommen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

A Rechtliche Grundlagen

§ 2 Abs. 1 FLAG 1967 lautet auszugweise:

"(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

[…]

b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. Die Studienzeit wird durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (zB Krankheit) oder nachgewiesenes Auslandsstudium verlängert.

[…]

Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird;

[…]"

§ 2 Abs. 9 FLAG 1967 lautet auszugsweise:

"Die Anspruchsdauer nach Abs. 1 lit. b und lit. d bis j verlängert sich im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise, unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung durch diese Krise, nach Maßgabe folgender Bestimmungen:

[…]

b) für volljährige Kinder, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes genannte Einrichtung besuchen, abweichend von lit. a über die Altersgrenze und die Studiendauer, für die nach Abs. 1 Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, hinaus um ein weiteres Semester oder um ein weiteres Ausbildungsjahr, bei einem vor Erreichung der Altersgrenze begonnenem Studium infolge der COVID-19-Krise,

[…]"

§ 55 Abs. 45 FLAG 1967 lautet:

"§§ 2 Abs. 9 und 6 Abs. 7 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 28/2020 treten mit 1. März 2020 in Kraft."

B Erwägungen

Das erste Studienjahr im Bachelorstudium ***XZ*** dauerte von Oktober 2021 bis September 2022. Gemäß dem oben zitierten § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 gilt die Aufnahme als ordentlicher Hörer als Anspruchsvoraussetzung für dieses erste Studienjahr. Das zweite Studienjahr begann im Oktober 2022. Ein Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht - ebenfalls gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 - nur dann, wenn für das vorangegangene Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtausmaß von acht Semesterwochenstunden oder 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird. Dieser Nachweis über 16 ECTS-Punkte konnte im beschwerdegegenständlichen Fall erfolgreich erbracht werden.

Auf Basis der obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Familienbeihilfe im Zeitraum Oktober 2021 bis November 2022 erfüllt waren. Dies wird auch vom Finanzamt nicht angezweifelt.

Fraglich ist, ob im beschwerdegegenständlichen Fall die im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise vorgesehene Verlängerung der Bezugsdauer der Familienbeihilfe über die Altersgrenze (November 2022) hinaus um ein weiteres Semester gemäß § 2 Abs. 9 FLAG 1967 einschlägig ist.

Die COVID-19-Pandemie setzte sich in Österreich im Herbst 2021 fort und führte vom 22. November bis 11. Dezember 2021 zu einem vierten allgemeinen Lockdown, der mit 12. Dezember 2021 für Geimpfte und Genesene wieder aufgehoben wurde.

Durch das 6. COVID-19-Gesetz, BGBl. I Nr. 28/2020, wurde dem § 2 FLAG 1967 ein Abs. 9 angefügt, der gemäß § 55 Abs. 45 FLAG 1967 mit 1. März 2020 in Kraft getreten ist. Nach dessen lit. b verlängert sich die Anspruchsdauer nach Abs. 1 lit. b im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise.

In den Materialien (126 BlgNR XXVII. GP - Ausschussbericht NR - https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/I/126 ) heißt es dazu:

"Für Volljährige wird die Familienbeihilfe grundsätzlich nur dann gewährt, wenn sie sich in Berufsausbildung befinden (z.B. ein Studium betreiben). Mit Vollendung des 24. Lebensjahres endet der Familienbeihilfenbezug, wobei einige Ausnahmen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres vorgesehen sind (z.B. Ableistung des Präsenz- oder Zivildienstes).

Auf Grund der COVID-19-Krise wird die Absolvierung einer Berufsausbildung (z.B. eines Studiums) im Regelfall beeinträchtigt und daher die Fortsetzung bzw. der Abschluss verzögert.

Innerhalb der derzeit im FLAG 1967 vorgesehenen Altersgrenze kann eine Unterbrechung der Berufsausbildung (z.B. eines Studiums) insofern saniert werden, als die Studiendauer, für die Familienbeihilfe gewährt wird, durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verlängert werden kann. Die derzeitige COVID-19-Krise ist als derartiges Ereignis anzusehen und zwar unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung. Diese Verlängerung wird unmittelbar in Bezug auf jene Studienphase wirksam, in der die Beeinträchtigung durch die COVID-19-Krise erfolgt.

Um die angesprochenen Nachteile für die in Rede stehende Personengruppe zu kompensieren, deren Gesamtstudiendauer, die für die Gewährung der Familienbeihilfe im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise zur Verfügung steht, über die Vollendung des 24. oder 25. Lebensjahres hinausgeht, soll die Zeitdauer der Gewährung der Familienbeihilfe über diese derzeit geltende Altersgrenze hinaus verlängert werden. Damit soll gewährleistet werden, dass auch - zusätzlich zur bereits vorgesehenen Studiendauer, für die Familienbeihilfe gewährt wird - für jene Zeiten Familienbeihilfe weiter gewährt werden kann, in denen der Studienbetrieb beeinträchtigt war.

Dies soll durch eine Verlängerung des Anspruches auf die Familienbeihilfe im Falle einer allgemeinen Berufsausbildung um längstens sechs Monate und im Falle eines Studiums um ein Semester bzw. ein Studienjahr erfolgen."

Gemäß dem festgestellten Sachverhalt und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung steht für die erkennende Richterin fest, dass auch im Wintersemester 2021/22 der Betrieb an den Universitäten durch die COVID-19-Krise beeinträchtigt war (vgl. dazu auch BFG vom 21.03.2024, RV/5100572/2023 und BFG vom 03.01.2024, RV/5100398/2023).

Gemäß dem expliziten Wortlaut des Gesetzes verlängert sich - unter anderem - die Anspruchsdauer des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung durch die COVID-19-Krise um ein weiteres Semester (vgl. dazu auch VwGH 17.12.2024, Ro 2024/16/0007). Einen besonderen Nachweis für diese Beeinträchtigung in zeitlicher Hinsicht verlangt die Bestimmung des § 2 Abs. 9 FLAG 1967 nach ihrer Formulierung nicht, wenn die Verlängerung der Anspruchsdauer "unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung" erfolgen soll. In sachlicher Hinsicht ist den Materialien lediglich zu entnehmen, dass die COVID-19-Krise die Absolvierung einer Berufsausbildung (z.B. eines Studiums) im Regelfall beeinträchtigt und daher die Fortsetzung bzw. den Abschluss verzögert.

Der Gesetzgeber ist somit offenkundig davon ausgegangen, dass eine Beeinträchtigung im Regelfall vorliegt, ein besonderer Nachweis wird auch diesbezüglich nicht verlangt. Zudem ist der Beschwerdeführerin dahingehend zuzustimmen, dass sich weder in den Materialien noch dem Gesetz selbst eine Einschränkung auf das Sommersemester 2020 finden lässt.

Die Anspruchsdauer nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 verlängerte sich daher gemäß § 2 Abs. 9 lit. b FLAG 1967 für die volljährige Tochter der Beschwerdeführerin, die ein vor Erreichung der Altersgrenze begonnenes Bachelorstudium betrieb, über die Altersgrenze (November 2022) (also dem Wintersemester 2022/23) hinaus um ein weiteres Semester (Sommersemester 2023) (vgl. VwGH vom 17.12.2024 Ro 2024/16/0007, VwGH 1.2.2024 Ro 2023/16/0020).

Der Beschwerdeführerin steht dementsprechend während des gesamten folgenden Sommersemesters 2023, sohin bis einschließlich September 2023, Familienbeihilfe und, gemäß § 33 EStG 1988 daran anknüpfend, der Kinderabsetzbetrag zu (vgl. zB BFG vom 21.03.2024, RV/5100572/2023, BFG vom 09.11.2022, RV/7103223/2022, BFG vom 29.3.2024, RV/7100574/2024).

Aus den dargelegten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht folgt mit dem vorliegenden Erkenntnis dem Wortlaut der im Beschwerdefall maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen sowie der dazu ergangenen oben zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt daher nicht vor.

Wien, am 26. Mai 2025

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