IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Marcus Mag. Hohenecker, Kaiser Franz Josef Straße 7, 2301 Groß Enzersdorf, über die Beschwerde vom 30. März 2023 gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 70, Fachbereich Gebühren, vom 2. März 2023 betreffend die Vorschreibung einer Gebühr gemäß §§ 28 und 29 Wiener Rettungs- und Krankenbeförderungsgesetz für die Inanspruchnahme des öffentlichen Rettungsdienstes am 24. Oktober 2022, GZ MA X, im fortgesetzten Verfahren zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
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II. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerdeführerin nahm am 24. Oktober 2022 an einer Klima-Protestaktion teil. Sie klebte sich wie auch andere Personen auf der Straße fest. Die Polizei rief die Rettung zum Demonstrationsort.
Beim Lösen von der Straße durch die Polizei erlitt die Beschwerdeführerin leichte Verletzungen an drei Fingern. Diese wurden von der Rettung derart versorgt, dass die Wunden desinfiziert und anschließend mit einem Pflaster verschlossen wurden.
Mangels aufrechter Sozialversicherung und Kostenübernahme durch den Sozialversicherungsträger wurde der Beschwerdeführerin mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 2. März 2023 für den Rettungseinsatz eine Gebühr in Höhe von 709,00 € vorgeschrieben.
Die dagegen eingebrachte Beschwerde vom 30. März 2023 wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom 18. April 2023 als unbegründet abgewiesen, woraufhin mit Vorlageantrag vom 1. Juni 2023 beantragt wurde, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde mit Erkenntnis vom 12. September 2023 als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig sei.
Die Beschwerdeführerin legte dagegen mit Anbringen vom 22. Jänner 2024 außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ein.
Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. November 2024 wurde das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 12. September 2023 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Bundesfinanzgericht hat gemäß Art 135 Abs 1 B-VG in Verbindung mit § 12 Abs 1 BFGG und § 272 Abs 2 BAO durch den Einzelrichter im fortgesetzten Verfahren erwogen:
1. Sachverhalt
Am 24. Oktober 2022 fand in der Nähe des Pratersterns in Wien eine Protestaktion von Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten statt, in deren Rahmen sich mehrere Personen, wie auch die Beschwerdeführerin, auf der Straße festgeklebt hatten.
Die Berufsrettung Wien wurde von der Bundespolizei Wien telefonisch um 08:10 Uhr mit der Mitteilung an den Ort der Protestaktion berufen, dass sich Demonstrierende festgeklebt hatten. Die Anforderung erfolgte vorsorglich vor deren Entfernung. Es kam in weiterer Folge zur Ausfahrt eines Einsatzfahrzeuges mit dem Berufungsgrund "32B03: Unbekannter Zustand/Andere Codes nicht zutreffend".
Ein Rettungseinsatz im Sinne von § 1 Z 1 bis 4 Wiener Rettungs- und Krankentransportgesetz (WRKG) war nach der Entfernung der Beschwerdeführerin nicht erforderlich.
Aus der Sicht des Mitarbeiters der Berufsrettung Wien, der den Anruf entgegengenommen hatte, konnte bei Anforderung des Rettungswagens nicht mit gutem Grund angenommen werden, dass bei der Beschwerdeführerin ein Zustandsbild gegeben war, der einen Einsatz gemäß § 1 Z 1 bis 4 WRKG erfordert hätte.
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und dem Akt des Bundesfinanzgerichts zur GZ RV/7400068/2023.
Die Anamnese bei der ärztlichen Versorgung der Beschwerdeführerin ergab, dass beim Lösen der Hand der Beschwerdeführerin durch die Polizei sie lediglich leichte Verletzungen an drei Fingern davontrug:
"Pat. hatte sich mit der Hand auf der Straße festgeklebt. Der Kleber wird von der Polizei mit Lösungsmittel entfernt. Die Pat. gibt an sich die Hand verletzt zu haben.
Es zeigen sich drei oberflächliche Wunden, die kaum sichtbar sind. Hand wird mittels Octanisept gereinigt. Offene Wunden werden mit Cosmopor-Pflaster versorgt.
Die Pat. wird gebeten, sollte sich eine der Wunden entzünden, einen Arzt aufzusuchen."
Die Verletzungen wurden zwar vom Rettungsdienst versorgt, hätten aber aufgrund der Geringfügigkeit keinen Rettungseinsatz erforderlich gemacht.
Hinsichtlich des Tatbestandselementes "sofern das Vorliegen dieser Voraussetzungen auf Grund des Zustandsbildes mit gutem Grunde angenommen werden konnte" in § 29 Abs 1 WRKG wird insbesondere auf das Tonbandprotokoll der Anforderung der Berufsrettung hingewiesen:
"Disponent (in weiterer Folge: D): Leitstelle, Guten Morgen.
Beruferin (in weiterer Folge: B): Ja, Polizei P (Name unsicher) spricht. Ich bräuchte bitte einen Rettungswagen zum Praterstern bei der Franzenbrückenstraße bzw. Praterstern, bei der Praterstraße haben wir Demonstranten, die sich angeklebt haben.
D: Okay, gut ist es.
B: Danke, Tschüss.
D: Moment, sind die Festgeklebten eher Richtung Praterstraße vom Praterstern oder eher Franzensbrücke?
B: Bei beiden Seiten, es blockiert bereits alles.
D: Die haben Sie [gemeint wohl: sich] auf beiden Seiten festgeklebt, okay.
B: Ja.
D: Ja, ich kenn mich aus, passt tschüss."
Aus diesem Protokoll geht hervor, dass der Mitarbeiter des Rettungsdienstes (Disponent) nach dem Telefongespräch lediglich wusste, dass sich Demonstrierende angeklebt hatten. Es gibt keinen Hinweis, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine Entfernung von Personen stattgefunden hat. Offensichtlich forderte die Polizei die Rettung vorsorglich für bei Entfernungen eventuell eintretende Verletzungen an.
Der gesundheitliche Zustand der Beschwerdeführerin wurde ebenso wenig wie jener der anderen festgeklebten Personen mitgeteilt. Dieser war der anfordernden Polizei aufgrund der Vorabanforderung auch nicht bekannt.
Diese einzige Information konnte nicht ohne weiteres einen ausreichenden Anschein bei dem den Anruf entgegennehmenden Disponenten begründen, dass der medizinische Einsatz aufgrund des Zustandsbildes der Beschwerdeführerin im Sinne des § 1 Z 1 bis 4 WRKG erforderlich war (vgl VwGH 20.11.2024, Ra 2023/13/0154, der Argumentation der Beschwerdeführerin in der außerordentlichen Revision folgend).
Hinweise, dass es dennoch eine Notwendigkeit einer Hilfeleistung oder eines Transports gab, bzw. beim Disponenten ein solcher Anschein hervorgerufen werden konnte, ergeben sich aus dem Akt nicht. Solche Anzeichen konnte es im Zeitpunkt der Anforderung aufgrund der vorsorglichen Berufung vor der Entfernung der Demonstrierenden auch nicht geben.
Der Sachverhalt erscheint insoweit auch nicht ergänzungsfähig.
Der Disponent, der die Anforderung von der vor Ort befindlichen Polizei entgegennahm, konnte aufgrund des Notrufgesprächs nicht auf den gesundheitlichen Zustand der Beschwerdeführerin schließen und konnte daher diesbezüglich auch nicht mit gutem Grund annehmen, dass der Einsatz nach § 1 Z 1 bis 4 WRKG ihr gegenüber medizinisch erforderlich war.
3. Rechtliche Beurteilung (Spruchpunkt I.)
§ 1 WRKG, LGBL. Nr. 39/2004 idgF lautet auszugsweise:
"§ 1. Aufgaben eines Rettungsdienstes sind:
1. Personen, die eine erhebliche Gesundheitsstörung oder erhebliche Verletzung erlitten haben, erste Hilfe zu leisten, sie transportfähig zu machen und sie erforderlichenfalls unter sachgerechter Betreuung mit geeigneten Transportmitteln in eine Krankenanstalt zu befördern oder ärztlicher Hilfe zuzuführen;
2. Personen wegen unmittelbarer Lebensgefahr sofortige erste notärztliche Hilfe zu leisten, die anders nicht gewährleistet ist;
3. den Transport von Personen durchzuführen, bei denen lebenswichtige Funktionen ständig überwacht oder aufrecht erhalten werden müssen;
4. akute Blut-, Blutprodukte- oder Organtransporte durchzuführen;
[…]"
Für die Inanspruchnahme des öffentlichen Rettungsdienstes der Stadt Wien, insbesondere für die Betreuung (Hilfeleistung, Transport), ist gemäß § 28 Abs 1 WRKG eine Gebühr zu entrichten, wenn es zur Ausfahrt eines Einsatzfahrzeuges kommt.
Unstrittig ist es zur Ausfahrt eines Einsatzfahrzeuges gekommen.
Gebührenschuldnerin ist gemäß § 29 Abs 1 WRKG diejenige, für den der öffentliche Rettungsdienst in Anspruch genommen wurde, und zwar auch dann, wenn die Hilfeleistung oder der Transport wegen des Verhaltens oder der Änderung des Zustandes des Gebührenschuldners unterblieb. Die Gebühr ist auch dann zu entrichten, wenn der öffentliche Rettungsdienst zu Personen gerufen wird, ohne dass die im § 1 Z 1 bis 4 geforderten Voraussetzungen gegeben waren, sofern das Vorliegen dieser Voraussetzungen auf Grund des Zustandsbildes mit gutem Grunde angenommen werden konnte.
Der Verwaltungsgerichtshof führt im vorausgegangenen Revisionsverfahren aus, dass es Voraussetzung für die Gebührenschuld ist, dass entweder der Rettungseinsatz von vornherein medizinisch notwendig im Sinne des § 1 Z 1 bis 4 WRKG war oder aufgrund des Zustandsbildes der Patientin/des Patienten davon ausgegangen werden konnte, dass eine medizinische Notwendigkeit vorliegen wird.
Hinsichtlich der Qualifikation als Gebührenschuldnerin hatte der Gesetzgeber den Fall vor Augen, dass der Rettungsdienst zu einer konkreten Person aufgrund eines bestimmten Zustandsbildes gerufen wird. Bei der Beurteilung der Voraussetzungen kommt es auf die Sicht jenes Mitarbeiters des Rettungsdienstes an, der die Anforderung (betreffend den Rettungseinsatz) entgegengenommen hat.
Die Hilfeleistungen, die die Beschwerdeführerin in Anspruch genommen hat, fallen (aufgrund ihrer Geringfügigkeit) nicht unter § 1 Z 1 bis 4 WRKG. Sie kann somit nur Gebührenschuldnerin sein, wenn das Vorliegen dieser Voraussetzungen auf Grund des Zustandsbildes mit gutem Grunde angenommen werden konnte.
Der Mitarbeiter hatte lediglich die Information, dass sich Demonstrierende auf die Straße geklebt hätten. Alleine die Tatsache, dass sich mehrere diese am "Berufungsort" an die Straße geklebt hätten, kann nicht ohne weiteres einen ausreichenden Anschein bei dem den Anruf entgegennehmenden Mitarbeiter des Rettungsdienstes begründen, dass der medizinische Einsatz aufgrund des Zustandsbildes der Revisionswerberin im Sinne des § 1 WRKG erforderlich war (VwGH 20.11.2024, Ra 2023/13/0154).
Unter Verweis auf die getroffenen Feststellungen und die Beweiswürdigung kannte der Mitarbeiter der Rettungsleitstelle nicht den konkreten gesundheitlichen Zustand der Beschwerdeführerin. Er wusste lediglich bei Anforderung durch die Polizei, dass sich mehrere Demonstrierende auf der Straße angeklebt hatten. Ein Anschein, dass ein medizinischer Einsatz hinsichtlich der Beschwerdeführerin im Sinne des § 1 Z 1 bis 4 WRKG erforderlich war, konnte beim Mitarbeiter der Rettungsleitstelle aufgrund der von der Polizei erhaltenen Informationen nicht bestehen.
Es fehlt damit hinsichtlich der Beschwerdeführerin an den Voraussetzungen, die § 29 Abs 1 WRKG an die Gebührenschuld knüpft. Die Beschwerdeführerin ist daher nicht Gebührenschuldnerin.
Dass zum Zeitpunkt des Rettungstransportes die Beschwerdeführerin über keinen aufrechten Sozialversicherungsanspruch verfügte, ist aufgrund der fehlenden Gebührenschuld der Beschwerdeführerin nicht von Belang.
Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
4. Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision (Spruchpunkt II.)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Aufgrund des unter Punkt 3. zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes und den darin zitierten weiteren Erkenntnissen besteht eine, auch einheitliche Rechtsprechung hinsichtlich der sich gegenständlich stellenden Rechtsfragen. Der erkennende Richter folgt dieser. Die ordentliche Revision ist daher nicht zuzulassen.
Wien, am 31. März 2025