IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Adresse***, über die Beschwerde vom 15. Februar 2011 gegen den Bescheid des ***FA*** (nunmehr Finanzamt Österreich) vom 21. Jänner 2011 betreffend Umsatzsteuer 2006 zu Steuernummer xxx zu Recht erkannt:
I. Von der Festsetzung dieser Abgabe wird gemäß § 206 Abs. 1 lit b BAO Abstand genommen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Bei der Beschwerdeführerin (Bf.), einer im Streitzeitraum auf den NA ansässigen und im dortigen Handelregister - C Commercial Register - unter der Nummer yyy eingetragenen "Naamloze Vennootschap", N.V., (niederländische Rechtsform für eine Aktiengesellschaft), fand eine Betriebsprüfung betreffend die Umsatzsteuer 2006 statt, die zu einer Nachforderung an Umsatzsteuer in Höhe von 4.038.762,86 € führte. Gegen diesen Umsatzsteuerbescheid vom 21. Jänner 2011 wurde durch die damalige steuerliche Vertretung das Rechtsmittel der Berufung - nunmehr Beschwerde - eingebracht.
Am 4. Juni 2013 langte ein Schreiben der steuerlichen Vertretung vom 29. Mai 2013 ein, in dem mitgeteilt wurde, dass die Fiskalvertretung zurückgelegt werde, da die Bf. in Österreich keine umsatzsteuerlichen Leistungen mehr erbringe.
In den Grunddaten der Finanzanwendungen ist eine weitere Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft als Vertretung angemerkt. Nach Kontaktaufnahme durch das BFG am 11. Oktober 2023 wurde mitgeteilt, dass auch diese Gesellschaft die Vollmacht mittlerweile zurückgelegt habe.
Eine Abfrage durch das BFG vom Oktober 2023 im "C Commercial Register" hat ergeben, dass die Bf. zum 28. Juli 2016 in Liquidation ist ("In liquidation as of July 28, 2016"). Die Eintragung wurde ab dem 29. Juli 2016 eingestellt ("The registration is discontinued as of July 29, 2016"). Das Datum der Registrierung des Plans für die Verteilung ist ebenfalls der 29. Juli 2016 ("Date registration plan of distribution July 29, 2016"). Ebenso am 29. Juli 2016 erfolgte die Eintragung der Endabrechnung ("Date registration final account July 29, 2016").
Diese Angaben wurden nach einer Anfrage vom 2. November 2023 bei der im Bundesministerium für Finanzen, Amt für Betrugsbekämpfung, angesiedelten "Zentralstelle internationale Zusammenarbeit" mit Antwortschreiben vom 20. September 2024 bestätigt. Angeschlossen war ein mit dem Stempel "Ministry of Finance" versehener Auszug vom 17. September 2024 aus dem "C Commercial Register", dem ebenso die oben angegebenen Informationen zu entnehmen sind.
Sowohl im Oktober 2023 als auch im Oktober 2024 wurde das Finanzamt von diesen Ermittlungsergebnissen informiert.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Aus dem geschilderten Verfahrensgang ergibt sich, dass die Bf. (mindestens) seit Juli 2016 keine wirtschaftlichen Aktivitäten mehr gesetzt hat. Im Inland wurde seit 2006 keine gewerbliche Tätigkeit mehr ausgeübt. Ein inländischer Fiskalvertreter besteht nicht.
Ermittlungen des BFG haben ergeben, dass die Bf. in Liquidation ist/war. Ihr Vermögen wurde verteilt und die Eintragung im Handelsregister von C - "C Commercial Register" mit 29. Juli 2016 beendet.
Am Abgabenkonto der Bf. ist ein Betrag von 4.038.762,86 € an Umsatzsteuer und ein Betrag von 80.775,26 € aus einem festgesetzten Säumniszuschlag ausgesetzt. Diese Beträge sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich bei der Bf. nicht einbringlich.
2. Beweiswürdigung
Diese Sachverhaltsfeststellungen gründen sich einerseits auf den vorgelegten Verwaltungsakt und andererseits auf die durch das BFG geführten Ermittlungen (Anfrage bei der Zentralstelle internationale Zusammenarbeit; Versuche, einen steuerlichen Vertreter ausfindig zu machen...) und Abfragen (Abgabenkonto, Finanzanwendungen, "C Commercial Register"...).
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.
§ 206 Bundesabgabenordnung (BAO) lautet in der Fassung BGBl. I Nr. 14/2013 auszugsweise wie folgt:
(1) Die Abgabenbehörde kann von der Festsetzung von Abgaben ganz oder teilweise Abstand nehmen,a) […]b) soweit im Einzelfall auf Grund der der Abgabenbehörde zur Verfügung stehenden Unterlagen und der durchgeführten Erhebungen mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass der Abgabenanspruch gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein wird;c) […]
(2) Durch die Abstandnahme (Abs. 1) erlischt der Abgabenanspruch (§ 4) nicht. Die Abstandnahme berührt nicht die Befugnis, diesbezügliche persönliche Haftungen gegenüber Haftungspflichtigen geltend zu machen.
Abstandnahmen von der Festsetzung können nicht nur von Abgabenbehörden, sondern auch von Verwaltungsgerichten getroffen werden (vgl. Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I3 § 206 BAO Rz 2).
Maßnahmen gemäß § 206 BAO verdrängen die aus § 114 Abs. 1 BAO ableitbare grundsätzliche Verpflichtung der Abgabenbehörden, in allen abgabepflichtigen Fällen dem entstandenen Abgabenanspruch im Sinne des § 4 BAO entsprechende Abgabenfestsetzungen vorzunehmen. Sie erfolgen gemäß § 206 BAO von Amts wegen (vgl. VwGH 24.6.2010, 2008/15/0195).
Nach der Rechtsprechung des VwGH hat die Abstandnahme von der Festsetzung zur Voraussetzung, dass die Abgabenbehörde Erhebungen durchführt und diese eindeutig ergeben, dass die Abgaben uneinbringlich sind (vgl. VwGH 31.3.2011, 2010/15/0150 mwN).
Eine Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung gegenüber der Abgabepflichtigen ist unabhängig davon möglich, ob für die betroffenen Abgaben persönliche Haftungen in Betracht kommen. Dies gilt auch für in Beschwerdevorentscheidungen und in Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte vorgenommene Abstandnahmen. Solche Abstandnahmen sprechen nicht über die Höhe des Abgabenanspruches ab (vgl. dazu die Erläuterungen zum Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012, ErläutRV 2007 d.B. 24. GP 16).
Da die Einhebung der streitgegenständlichen Abgabenschuld gemäß § 212a BAO ausgesetzt und diese daher nicht entrichtet wurde, würde sich selbst bei vollinhaltlicher Stattgabe durch ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes kein Aktivvermögen in Form eines abgabenrechtlichen Rückzahlungsanspruches der Bf. ergeben. Dass die Bf. über kein sonstiges Vermögen verfügt und die streitgegenständliche Abgabenschuld als uneinbringlich anzusehen ist, wurde auf Grundlage der Ergebnisse der geführten Erhebungen und der vorhandenen Beweismittel festgestellt.
Maßnahmen nach § 206 BAO liegen im Ermessen der für die Abgabenfestsetzung zuständigen Abgabenbehörde bzw. des Bundesfinanzgerichtes (vgl. VwGH 25.10.2006, 2005/15/0012). Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben, müssen sich gemäß § 20 BAO in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Vor dem Hintergrund der festgestellten Uneinbringlichkeit des Abgabenanspruches gegenüber der beschwerdeführenden Abgabenschuldnerin mit (ehemaligem) Sitz auf C, NA, erscheint die Leistung von weiterem Verwaltungsaufwand nicht mehr verhältnismäßig. Demnach war es nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geboten, von einer Festsetzung der Abgaben Abstand zu nehmen.
Durch die Abstandnahme erlischt der Abgabenanspruch nicht. Es wird lediglich trotz des Fortbestandes des Abgabenanspruches von der Festsetzung in Betracht kommender Abgaben ganz oder teilweise Abstand genommen. Im Übrigen berührt die Abstandnahme gemäß § 206 Abs. 2 BAO nicht die Befugnis, diesbezügliche persönliche Haftungen gegenüber Haftungspflichtigen geltend zu machen.
Insgesamt war daher von einer Festsetzung der Abgaben gemäß § 206 Abs. 1 lit. b BAO Abstand zu nehmen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Dass für den Fall der mit Bestimmtheit anzunehmenden Uneinbringlichkeit eines Abgabenanspruches gegenüber der Abgabenschuldnerin von der Festsetzung der Abgaben ganz oder teilweise Abstand genommen werden kann, ergibt sich aus der Gesetzesbestimmung des § 206 Abs. 1 lit. b BAO.Es liegt im gegenständlichen Fall keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weshalb die ordentliche Revision nicht zuzulassen war.
Graz, am 7. November 2024