JudikaturBFG

RV/7102871/2021 – BFG Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** über die Beschwerde vom 1. April 2021 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 2. März 2021 betreffend Haftungsbescheid / Sonstige 01.2012-06.2013 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben und die Haftung auf nachstehende Abgaben im Gesamtbetrag von EUR 32.963,31 eingeschränkt:

AbgabenartZeitraumBetrag in Euro
Umsatzsteuer20127.316,26
Lohnsteuer2012858,48
Einkommensteuer03/134.363,36
Einkommensteuer04/134.560,00
Einkommensteuer05/134.960,00
Einkommensteuer06/135.024,00
Dienstgeberbeitrag2012584,85
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag201257,19
Kraftfahrzeugsteuer10-12/125.239,17

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Strittig ist, ob der Beschwerdeführer (Bf.) infolge der Insolvenz der ***Firma*** (Primärschuldnerin) als ehemaliger Geschäftsführer für die aushaftenden Abgabenschulden zur Haftung herangezogen werden kann.

Mit Schreiben vom 16. Jänner 2019 wurde der Bf. von der belangten Behörde über eine mögliche Haftungsinanspruchnahme in Kenntnis gesetzt und er wurde aufgefordert zu beweisen, dass er ohne sein Verschulden gehindert war, für die Entrichtung der Abgaben zu sorgen. Auf den Vorhalt wurde geantwortet, dass der Bf. im genannten Zeitraum nicht in diesem Bereich für das Unternehmen tätig gewesen sei.

Mit Haftungsbescheid vom 2. März 2021 wurde der Bf. als ehemaliger Geschäftsführer für die aushaftende Abgabenschuld der Primärschuldnerin in Höhe von Euro 41.204,13 in Anspruch genommen.

Dagegen erhob der Bf. mit Eingabe vom 1. April 2021 Beschwerde und brachte vor, dass dem Haftungsbescheid Einkommenssteuerbeträge für das Jahr 2013 aufgenommen sind, welche fern jeglicher Realität seien. Es sei offensichtlich, dass der Bf. derartige Beträge im Rahmen seiner Tätigkeit nicht aus dem Titel Einkommenssteuer vereinnahmen habe können.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 2. August 2021 wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab, da Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung im Haftungsverfahren nicht mit Erfolg vorgebracht werden können.

Mit Eingabe vom 2. September 2021 beantragte der Bf. die Beschwerdevorlage an das Bundesfinanzgericht.

Mit Vorlagebericht vom 2. November 2021 erfolgte die Vorlage der Beschwerde samt Verwaltungsakt an das Bundesfinanzgericht.

Das gegenständliche Beschwerdeverfahren wurde, mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses, vom 29. Jänner 2024, im Zuge einer Altaktenumverteilung dem erkennenden Richter zur Erledigung übertragen.

Mit Vorhalt vom 21. November 2024 ersuchte das Bundesfinanzgericht den Bf., einen Gleichbehandlungsnachweis nachzureichen. Ein Gleichbehandlungsnachweis wurde nicht erbracht, der Bf. verwies auf das Vorbringen in der Beschwerde sowie im Vorlageantrag und hat um Herabsetzung der Haftungssumme sowie Berücksichtigung im Ermessen gebeten.

Am 16. April 2025 fand die mündliche Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht statt, in der verwiesen die Parteien im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen. Der Beschwerdeführer beantragte der Beschwerde Folge zu geben. Die belangte Behörde beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf. war in der Zeit von 24. August 2011 bis 17. August 2013 Geschäftsführer der ***Firma*** (Primärschuldnerin).

Mit Beschluss des ***LG*** vom ***Datum 1*** wurde über die Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom ***Datum 2*** wurde der Konkurs nach Schlussverteilung gemäß § 139 IO und Ausschüttung einer Quote von ca. ***Quote*** aufgeboben. Am ***Datum 3*** wurde die Firma gemäß § 40 Firmenbuchgesetz (FBG) aus dem Firmenbuch gelöscht

Mit Haftungsbescheid vom 2. März 2021 wurde der Bf. als ehemaliger Geschäftsführer für die aushaftende Abgabenschuld der Primärschuldnerin in Höhe von Euro 41.204,13 in Anspruch genommen:

AbgabenartZeitraumFälligkeitstagBetrag in Euro
Umsatzsteuer201215.02.20139.145,32
Lohnsteuer201215.01.20131.073,10
Einkommensteuer03/1315.04.20135.454,20
Einkommensteuer04/1315.05.20135.700,00
Einkommensteuer05/1317.06.20136.200,00
Einkommensteuer06/1315.07.20136.280,00
Dienstgeberbeitrag201215.01.2013731,06
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag201215.01.201371,49
Kraftfahrzeugsteuer10-12/1215.02.20136.548,96
Summe41.204,13

Die Verteilungsquote der Primärschuldnerin (ca. ***Quote*** %, Gesamtbetrag in Höhe von € 7.412,59) wurde vollständig und somit für den Bf. begünstigend mit der Umsatzsteuer 2012 verrechnet.

2. Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes, Abfragen aus dem Firmenbuch, Datenbankabfragen (Abgabenkonto der Primärschuldnerin) sowie ergänzende Ermittlungen durch das Bundesfinanzgericht (Ergänzungsvorhalte, mündliche Verhandlung).

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

Die in den §§ 80 ff. Bundesabgabenordnung (BAO) bezeichneten Vertreter haften gemäß § 9 Abs. 1 BAO neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Damit eine Person nach diesen Bestimmungen zur Haftung für eine fremde Abgabenschuld herangezogen werden kann, müssen daher die folgenden Tatbestandsmerkmale erfüllt sein:

1. Persönlicher Anwendungsbereich - Vertreter iSd §§ 80ff BAO

2. Bestehen einer Abgabenschuld

3. Uneinbringlichkeit der Abgabe

4. Schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher oder sonstiger Pflichten durch den Vertreter

5. Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit der Abgabe

3.1.1. Zum persönlichen Anwendungsbereich - Vertreter iSd §§ 80ff BAO

Der Bf. kommt grundsätzlich als Haftungsschuldner gemäß §§ 9 iVm 80 BAO in Betracht, da er von 24. August 2011 bis 17. August 2013 Geschäftsführer der Primärschuldnerin und damit zur Vertretung der GmbH berufen war.

3.1.2. Zum Bestehen einer Abgabenschuld

Das Bestehen des Abgabenanspruchs ist zwischen den Parteien unstrittig und ergibt sich auch klar aus dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin.

Daher geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass die Abgabenschuld gegenüber der Primärschuldnerin bestanden hat.

3.1.3. Zur Uneinbringlichkeit der Abgaben

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung (vgl. VwGH 28.4.2011, 2011/16/0082). Voraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden (vgl. VwGH 17.12.2009, 2009/16/0092). Die Einbringung einer möglichen Konkursquote vom Primärschuldner ist zu berücksichtigen (vgl. VwGH 24.2.2010, 2006/13/0071).

Der Haftungsbescheid wurde am 2. März 2021 erlassen. Zu diesem Zeitpunkt war der Konkurs der Primärschuldnerin nach Schlussverteilung bereits aufgehoben und die GmbH aus dem Firmenbuch gelöscht. Die ausständigen Abgaben waren bei der Primärschuldnerin daher uneinbringlich.

3.1.4. Zur schuldhaften Verletzung abgabenrechtlicher oder sonstiger Pflichten durch den Vertreter

Gemäß § 80 Abs 1 BAO haben die Vertreter von juristischen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Die vorgeschriebenen und schlussendlich im Haftungsbescheid genannten Abgaben sind nicht zum Fälligkeitszeitpunkt entrichtet worden.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH besteht bei der Frage, ob der Vertreter schuldhaft eine Abgabenpflicht verletzt hat, eine qualifizierte Mitwirkungspflicht des Vertreters. Der Vertreter hat dabei darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten nicht möglich war. Andernfalls kann eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden (vgl zB 18.3.2013, 2011/16/0184; 19.3.2015, 2013/16/0166; 22.4.2015, 2013/16/0208; 19.5.2015, 2013/16/0016). In diesem Zusammenhang muss der Vertreter allerdings keinen negativen Beweis dafür vorbringen, dass keine schuldhafte Pflichtverletzung vorliegt, sondern lediglich eine konkrete, schlüssige Darstellung der Gründe, die einer rechtzeitigen Abgabenentrichtung im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben entgegengestanden sind (vgl zB 4.4.1990, 89/13/0212; 27.10.2008, 2005/17/0259).

Die Haftung kann in diesem Zusammenhang insbesondere dann begrenzt werden, wenn der Haftungspflichtige nachweist, dass ihm im Haftungszeitraum nicht ausreichend liquide Mittel zur Verfügung gestanden sind und er den Abgabengläubiger nicht schlechter behandelt hat (sogenannter Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung).

Nachweis der Gläubigergleichbehandlung

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die fehlende Benachteiligung des Abgabengläubigers nur dann nachgewiesen werden, wenn die liquiden Mittel im Haftungszeitraum zu keiner Zeit ausreichten, um sämtliche fällige Verbindlichkeiten zu tilgen. Im Abgabenrecht gilt der Grundsatz der vollständigen Mittelausschüttung. Der Vertreter handelt schuldhaft, wenn die Primärschuldnerin über Mittel verfügt hätte, um sämtliche fällige Verbindlichkeiten zu bedienen und die Abgaben dennoch nicht vollständig bezahlt wurden. Reichen diese Mittel nicht aus, kann allerdings ein Gleichbehandlungsnachweis angetreten werden (vgl eine übersichtliche Darstellung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 682ff).

Erbringt der Vertreter den Nachweis, dass der Abgabengläubiger ebenso viel an vorhandenen Mitteln erhalten hat, wie andere Gläubiger, dann haftet er überhaupt nicht (vgl VwGH 22.9.1999, 96/15/0049). Dabei ist nachzuweisen, dass kein einziger Gläubiger dem Abgabengläubiger vorgezogen wurde (vgl VwGH 29.4.2010, 2008/15/0085; 14.12.2005; 2002/13/0196; 30.10.2001, 98/14/0082). Es ist daher nicht darzustellen, dass der Abgabengläubiger nicht weniger als der Durchschnitt der Gläubiger bekommen hat, sondern dass kein anderer Gläubiger mehr als der Abgabengläubiger erhalten hat. Wird also ein einziger Gläubiger (z.B. ausstehende Löhne, Lieferanten, Bankverbindlichkeiten, Zug-um-Zug-Geschäfte etc) voll bezahlt, liegt eine Schlechterstellung des Abgabegläubigers iSd Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor (vgl VwGH 23.3.2010, 2010/13/0042; 25.1.2006, 2001/14/0126; 19.4.2006, 2003/13/0111; 29.4.2010, 2008/15/0085; 7.9.1990,89/14/0132; 18.6.1993, 93/17/0051). In diesem Zusammenhang ist es nicht relevant, dass solche Zahlungen betriebsnotwendig waren (VwGH 28.9.2004, 2001/14/0176). Tilgt der Vertreter andere Verbindlichkeiten voll oder in einem höheren Ausmaß, dann ist der Abgabengläubiger im gleichen Ausmaß zu befriedigen.

Ein solcher Nachweis konnte vom Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht erbracht werden.

Nachweis einer fiktiven Gläubigergleichbehandlungsquote

Gelingt dem zur Haftung herangezogenen Vertreter der Nachweis nicht, dass er sämtliche Gläubiger im Zeitpunkt der Fälligkeit der in Haftung gezogenen Abgabenschuld tatsächlich gleichbehandelt hat (alle Gläubiger haben dieselbe Quote erhalten), besteht in einem zweiten Schritt die Möglichkeit eine fiktive Quote nachzuweisen, die der Abgabengläubiger erhalten hätte, wenn sämtliche Gläubiger aus den vorhandenen Mitteln gleich befriedigt worden wären. Im Rahmen der Haftung des § 9 BAO haftet der Vertreter nämlich nicht für die volle Abgabenschuld der Primärschuldnerin, sondern nur in jenem Ausmaß in dem der Abgabengläubiger ungleich behandelt wurde (vgl zB VwGH 16.12.2009, 2009/15/0127).

Bei der Berechnung der Quote obliegt dem Vertreter eine qualifizierte Mitwirkungspflicht. Er hat die fiktive Gleichbehandlungsquote zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu berechnen und diese entsprechend nachzuweisen.

Beim Nachweis der fiktiven Quote spielen die Zahlungen an andere Gläubiger keine Rolle. Die fiktive Gleichbehandlungsquote betrachtet nur, wie viel an Abgabenschulden getilgt worden wären, wenn der Vertreter die vorhandenen Mittel gleichmäßig auf alle Verbindlichkeiten verteilt hätte. Diese Quote ist dann der Quote der tatsächlich bezahlten Abgabenschulden gegenüberzustellen. Für den Differenzbetrag haftet der Vertreter (vgl Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 683).

Bei der Berechnung der Quote hat der Vertreter für den Gleichbehandlungsnachweis, zum jeweiligen Fälligkeitstag der Abgaben die fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mitteln gegenüberzustellen (vgl zB VwGH 24.1.2017, Ra 2015/16/0078).

Gelingt dem Vertreter der Nachweis einer entsprechenden Quote, haftet er lediglich im Ausmaß der Quote. Wird keine Quote nachgewiesen haftet der Vertreter für die vollen Abgabenrückstände (vgl Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 683).

Im vorliegenden Fall konnte vom Beschwerdeführer kein Nachweis einer fiktiven Gläubigergleichbehandlungsquote erbracht werden. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die im Sachverhalt festgestellten Abgaben schuldhaft nicht entrichtet wurden.

3.1.5. Zur Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit der Abgabe

Die Haftungsinanspruchnahme setzt eine Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem Abgabenausfall voraus.

Wie im Vorpunkt dargestellt, geht das Bundesfinanzgericht auf Basis der Aktenlagen und mangels anderer Vorbringen des Beschwerdeführers davon aus, dass er seine abgabenrechtlichen Pflichten als Geschäftsführer für Abgaben schuldhaft verletzt hat. Nach der Judikatur des VwGH spricht bei schuldhafter Pflichtverletzung die Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgabe. (vgl zB 28.2.2014, 2012/16/0001; 19.5.2015, 2013/16/0016; 27.5.2020, Ra 2020/13/0027). Da der Beschwerdeführer auch in diesem Zusammenhang keine gegenteiligen Nachweise vorlegen konnte, geht das Bundesfinanzgericht der ständigen Rechtsprechung des VwGH folgend von einer Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Beschwerdeführers und der Uneinbringlichkeit der Abgabe aus.

Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass alle Tatbestandsmerkmale der anwendbaren Haftungsbestimmung im vorliegenden Fall erfüllt sind.

3.1.6. Ermessen

Wenn alle Tatbestandsmerkmale für eine Haftung erfüllt sind, liegt die Inanspruchnahme eines zur Haftung Verpflichteten schlussendliche im Ermessen der Abgabenbehörde. Die Ermessensentscheidung der Abgabenbehörde hat sich gem § 20 BAO innerhalb der Grenzen zu halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (vgl VwGH 23.1.1989, 87/15/0136; 10.11.1993, 91/13/0181; 16.10.2002, 99/13/0060).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes ist eine Erwägung, die in diese Ermessensübung miteinzubeziehen ist, ein langer Zeitabstand zwischen der Haftungsinanspruchnahme des Vertreters und dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Feststehen der Uneinbringlichkeit der Forderung bei der Primärschuldnerin (vgl zB VwGH 7.9.2022; Ra 2019/13/0066; 22.6.2022, Ra 2021/13/0132; 18.10.1995, 91/13/0037; 17.6.2015, Ra 2015/16/0044; 16.10.2014, Ra 2015/16/0044; VwGH 16.10.2014, Ra 2014/16/0026; VwGH 3.9.2008, 2006/13/0159).

Im vorliegenden Fall liegen für die Abgaben, die bis zum 15. Juli 2013 fällig waren, und der schlussendlichen Haftungsinanspruchnahme mit Bescheid vom 2. März 2021 über sieben Jahre. Dieser Zeitraum übersteigt die reguläre Vollstreckungsverjährung von 5 Jahren gem § 238 BAO. Aufgrund der oben zitierten Judikatur ist diesem Umstand im konkreten Fall im Rahmen des Ermessens Rechnung zu tragen.

Zwar ist der belangten Behörde zuzugestehen, dass bereits im Jänner 2019, als sich die Nichteinbringlichkeit der Abgabe zeigte, ein Haftungsvorhalt an den Beschwerdeführer ergangen. Dieser wurde vom Beschwerdeführer umgehend (wenn auch unzureichend) beantwortet. Der schlussendliche Haftungsbescheid wurde allerdings erst rund 2 Jahre später erlassen, ohne das aktenkundig wäre, dass der Beschwerdeführer für die Verzögerung des Verfahrens verantwortlich gewesen wäre.

Unter Rücksichtnahme all dieser Aspekte des konkreten Einzelfalls und hier insbesondere der lange Zeitraum von über sieben Jahren zwischen Entstehung des Abgabenanspruchs und der schlussendlichen Haftungsinanspruchnahme war der Haftungsbetrag betreffend die Abgaben, die bis zum 15. Juli 2013 fällig waren, um 20% zu reduzieren. Der Beschwerde ist insoweit teilweise stattzugeben und der angefochtene Bescheid spruchgemäß abzuändern.

3.1.7. Zu den Einwendungen betreffend die Grundlagenbescheide

Außerdem bestreitet der Bf. die Richtigkeit der der Haftung zugrundeliegenden Abgabenbescheide.

Der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige kann gemäß § 248 BAO unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid) innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen.

Wenn ein zur Haftung Herangezogener sowohl gegen die Geltendmachung der Haftung als auch gemäß § 248 BAO gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Beschwerde einbringt, ist zunächst nur über die Beschwerde gegen die Geltendmachung der Haftung zu entscheiden, weil sich erst aus dieser Entscheidung ergibt, ob eine Legitimation zur Beschwerde gegen den Abgabenanspruch überhaupt besteht. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung sind in einem gemäß § 248 BAO durchzuführenden Abgabenverfahren und nicht im Haftungsverfahren geltend zu machen (vgl. VwGH 27.1.2011, 2010/16/0258).

Demnach ist auf die Einwendungen, die sich gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung gegenüber der Primärschuldnerin richten, im gegenständlichen Verfahren betreffend die Haftungsinanspruchnahme des Bf. nicht einzugehen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht folgt der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, weshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt und die ordentliche Revision nicht zuzulassen war.

Wien, am 16. Mai 2025

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