IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache
der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Grabher Hannes u Müller Dr Gerhard, Maria-Theresien-Straße 8, 6890 Lustenau,
betreffend den Bescheid des ***FA*** vom 27. Juni 2024
hinsichtlich Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für ***2*** von 11/2023 - 05/2024, SVNr ***1***,
zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum 11/2023 - 05/2024 stehen zu.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurde ausgeführt, Familienbeihilfe stehe bei einer ernsthaften und zielstrebigen Ausbildung zu. Eine solche liege dann vor, wenn das Kind seine volle Zeit dafür verwende und in angemessener Zeit zu Prüfungen antrete. Dies treffe im Gegenstandsfall nicht zu, weshalb Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für ***2*** im umschriebenen Zeitraum zurückzufordern seien.
Die Beschwerdeführerin wandte sich mit Beschwerde gegen diesen Bescheid und erläuterte durch ihre steuerliche Vertretung:
Die Voraussetzungen für eine Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag lägen im Streitzeitraum nicht vor, weil ihre Tochter ***2*** sich in diesem Zeitraum auf den verpflichtenden Aufnahmetest für das Medizinstudium (EMS-Test) vorbereitet habe.
Nach der Rechtsprechung des BFG stelle die Vorbereitung auf die Ablegung von verpflichtenden Aufnahmeprüfungen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Berufsausbildung im Sinne des FLAG dar (es wurden dazu verschiedene Erkenntnisse des UFS bzw. BFG, jeweils unter Hinweis auf das höchstgerichtliche Erkenntnis VwGH 15.12.2009, 2007/13/0125, zitiert). Demnach könne man bei einem wöchentlichen Zeitaufwand für Unterricht und Vorbereitung von mindestens 30 Stunden von einer Berufsausbildung sprechen.
Die Tochter der Beschwerdeführerin sei am 05.10.2024 zum Aufnahmetest für das Studium der Humanmedizin an der medizinischen Universität Wien angetreten. Von 23.10.2023 bis 15.06.2024 habe sie am Vorbereitungslehrgang beim Institut Dr. ***3*** im Ausmaß von wöchentlich ca. 8,5 Stunden teilgenommen. ***2*** habe ihre täglichen Lernzeiten auf einem Lernplan akribisch festgehalten. Es ergebe sich insgesamt ein durchschnittlicher Lernaufwand für das Selbststudium von wöchentlich mindestens 25, bis zu 45 Stunden (zum Beweis des Zutreffens der Aufzeichnungen laut Lernplan wurden verschiedene Zeugen angeboten).
Im fraglichen Zeitraum lägen daher die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages vor und die Rückforderung sei zu Unrecht erfolgt.
Gleichzeitig wurden vorgelegt:
{ "type": "ol", "children": [ { "type": "li", "children": [ "Bestätigung über die Anwesenheit beim Aufnahmetest vom 05.07.2024. " ] }, { "type": "li", "children": [ "Stundenplan des Vorbereitungslehrganges im Institut Dr. ***3***." ] }, { "type": "li", "children": [ "Ein umfangreicher Lernplan mit handschriftlichen Einträgen." ] } ], "attributes": { "class": "ListeAufzhlung", "style": "list-style-type: disc;" } }
Darüber hinaus befinden sich im Akt nachstehende Urkunden:
{ "type": "ol", "children": [ { "type": "li", "children": [ "Anmeldebestätigung des Instituts Dr. ***3***, wonach sich die Tochter der Beschwerdeführerin für den Vorbereitungslehrgang Medizin von 23.10.2023 bis 16.06.2024 angemeldet habe. Der Lehrgangsumfang umfasse 289 Unterrichtseinheiten interaktiver Live-Unterrichtseinheiten inklusive Testsimulationen, 80 Unterrichtseinheiten digitale Lernlobby sowie 16 Unterrichtseinheiten Masterclass for Excellence. Inhalte seien die prüfungsrelevanten Themen Biologie, Mathematik, Chemie, Physik, kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten, Textverständnis und sozial-emotionale Kompetenz sowie eine Vorbereitung auf die Themen des ersten Studienjahres Humanmedizin (Physiologie, Anatomie und Histologie)," ] }, { "type": "li", "children": [ "Ein Studienplatzangebot der medizinischen Universität Wien mit der Mitteilung an die Tochter der Beschwerdeführerin, dass sie aufgrund des von ihr erzielten Testergebnisses den gewünschten Studienplatz für das Studium der Humanmedizin für das Studienjahr 2024/25 erhalte." ] } ], "attributes": { "class": "ListeAufzhlung", "style": "list-style-type: disc;" } }
Die steuerliche Vertretung ergänzte hierzu, dass der Umfang der Teilnahme am Vorbereitungslehrgang nicht, wie in der Beschwerde angegeben, 278,5 Stunden, sondern vielmehr 385 Unterrichtseinheiten umfasst habe (Anm.: Über telefonische Nachfrage der Richterin beim Institut Dr. ***3*** wurde ihr mitgeteilt, dass eine Unterrichtseinheit 45 Minuten umfasse).
Es erging eine abweisende Beschwerdevorentscheidung, in welcher die Abgabenbehörde nach Bezugnahme auf § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 ausführte:
Unter "Berufsausbildung" verstehe man alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz für das zukünftige Berufsleben erforderliches Wissen vermittelt werde. Es sei dabei nicht allein der Lerninhalt bestimmend, sondern auch die Art der Ausbildung und deren Rahmen. Ziel der Berufsausbildung in diesem Sinne sei es, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen.
Der Vorbereitungslehrgang für die Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium erfülle diese Kriterien nicht, denn die fachliche Qualifikation für die Ausübung des Arztberufes werde erst im Medizinstudium vermittelt. In den Vorbereitungslehrgängen würden Basiskenntnisse in den Fächern Mathematik, Chemie, Biologie und Physik vermittelt. Sie dienten daher dem Test und allenfalls der "Auffrischung" der in den höheren Schulen bis zur Reifeprüfung erworbenen Kenntnisse in diesen Fächern.
Aus Lehre und Rechtsprechung gehe hervor, dass einer tatsächlichen Ausbildung vorangehende Schritte einschließlich eines Tests und eines Bewerbungsgespräches noch keine Ausbildung im Sinne des FLAG verkörperten (es erging dazu ein Hinweis auf Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar sowie auf höchstgerichtliche Judikatur).
Der Vorbereitungskurs, den die Tochter der Beschwerdeführerin besucht habe, stelle schon grundsätzlich keine Berufsausbildung im Sinne des FLAG dar. Es komme daher auch nicht auf den zeitlichen Umfang dieses Vorbereitungskurses an. Die Vorbereitung auf eine Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium sei, unabhängig von ihrem zeitlichen Umfang, nicht als eigenständige Berufsausbildung im Sinne des FLAG zu werten. Die Abgabenbehörde verwies dazu auf die Erkenntnisse des BFG 19.02.2020, RV/3100177/2019 und 30.04.2020, RV/5101372/2019).
Soweit in der Beschwerde ältere Rechtsprechung des UFS und des BFG zitiert worden sei, wonach bestimmte Maßnahmen, welche für die Vorbereitung auf einen Aufnahmetest gesetzt worden seien und für sich gesehen bereits eine eigenständige Ausbildung darstellten, einen Beihilfenanspruch vermittelten, entfaltete diese keine präjudizielle Wirkung und sei durch die jüngere Rechtsprechung - siehe die oben zitierten BFG-Erkenntnisse - überholt.
Abschließend verwies die Abgabenbehörde auf die objektive Erstattungspflicht gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 bei zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe.
In der Folge langte ein Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ein, der keine weiteren Ausführungen enthielt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
{ "type": "ol", "children": [ { "type": "li", "children": [ "***2***, die Tochter der Beschwerdeführerin, ist am ***4*** geboren." ] }, { "type": "li", "children": [ "Sie maturierte im Juni 2023 und nahm im Oktober 2023 das Bachelorstudium Mathematik an der Universität Wien auf." ] }, { "type": "li", "children": [ "Sie brach dieses Studium, in welchem sie keine Prüfungen ablegte, mit Ende des Wintersemesters 2023/24 ab." ] }, { "type": "li", "children": [ "Sie strebte in weiterer Folge ein Medizinstudium an und besuchte im Hinblick darauf von 23.10.2023 bis 16.06.2024 einen Vorbereitungslehrgang am Institut Dr. ***3***." ] }, { "type": "li", "children": [ "Der Umfang des Vorbereitungslehrganges betrug nach ursprünglichen Angaben 278,5 Stunden insgesamt und 8,5 Stunden wöchentlich." ] }, { "type": "li", "children": [ "Später wurde diese Angabe auf einen Umfang von 385 Unterrichtseinheiten korrigiert." ] }, { "type": "li", "children": [ "Eine Unterrichtseinheit umfasst 45 Minuten, es ergeben sich daher 17.325 Minuten, das sind 288,75 Stunden, verteilt auf 34 Wochen (23.10.2023 bis 16.06.2024) daher 8,49 Stunden pro Woche." ] }, { "type": "li", "children": [ "Hinzu kam ein durchschnittlicher Lernaufwand für das Selbststudium von mindestens 25 und bis zu 45 Stunden wöchentlich." ] }, { "type": "li", "children": [ "Am 05.07.2024 nahm ***2*** am Aufnahmetest für das Studium der Humanmedizin an der medizinischen Universität Wien teil und bestand ihn." ] }, { "type": "li", "children": [ "Seit dem Wintersemester 2024/25 ist sie für das Humanmedizinstudium an der Universität Wien inskribiert." ] } ], "attributes": { "class": "ListeAufzhlung", "style": "list-style-type: disc;" } }
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen zum Sachverhalt gründen sich auf unstrittigen Akteninhalt mit Bestätigung des Instituts Dr. ***3*** betreffend den Lehrgangsumfang, einem umfangreichen, von der Tochter der Beschwerdeführerin geführten Lernplan, einem schriftlichen Studienplatzangebot der medizinischen Universität Wien nach erfolgreich absolviertem Aufnahmetest sowie einer telefonischen Nachfrage der Richterin beim Institut Dr. ***3*** betreffend den zeitlichen Umfang einer Unterrichtseinheit.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Strittig ist: Erfolgte die Rückforderung an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für ***2*** für den Zeitraum November 2023 bis Mai 2024 zu Recht?
Der Familienbeihilfenanspruch für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden, ist in § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 geregelt.
§ 26 Abs. 1 FLAG 1967 normiert, dass, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen hat.
Die Abgabenbehörde stützt ihre Rückforderung im Wesentlichen auf die Sichtweise, dass der Vorbereitungskurs zum Aufnahmetest für das humanmedizinische Studium schon grundsätzlich keine Berufsausbildung im Sinne des FLAG darstelle, weshalb es auch nicht auf den zeitlichen Umfang dieses Vorbereitungskurses ankomme. Sie verweist diesbezüglich auf die Erkenntnisse des BFG vom 19.02.2020, RV/3100177/2019 und 30.04.2020, RV/5101372/2019 und auf die Kommentarstelle in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 2 Rz 45.
Zutreffend stellen gemäß dieser Kommentarstelle und der Rechtsprechung einer tatsächlichen Ausbildung vorangehende Schritte einer Bewerbung einschließlich eines Tests und eines Bewerbungsgesprächs keine Ausbildung dar.
Aus diesem Postulat darf aber nicht abgeleitet werden, dass Kurse, die auf einen Aufnahmetest vorbereiten, nicht unter bestimmten Umständen als selbständige Berufsausbildung angesehen werden können. Voraussetzung ist unter anderem ein Zeitaufwand, der jenem für den Besuch einer höheren Schule entspricht, also etwa 20-30 Wochenstunden zuzüglich Hausaufgaben (vgl. Lenneis aaO § 2 Rz 40 sowie BFG 02.06.2015, RV/5101278/2012; 02.12.2019, RV/7104952/2019; 15.11.2024, RV/7101383/2024).
Die höchstgerichtliche Rechtsprechung unterscheidet nämlich zwischen Bewerbung und Test einerseits, die als solche keine Berufsausbildung darstellen und der Vorbereitung, die bei entsprechender zeitlicher Inanspruchnahme eine Berufsausbildung verwirklichen kann (VwGH 18.05.2020, Ra 2020/16/0017).
Schon im Erkenntnis VwGH, 15.12.2009, 2007/13/0125 arbeitet das Höchstgericht heraus, dass die Vorbereitungszeit auf eine Aufnahmeprüfung - diesfalls für den physiotherapeutischen Dienst - dem Grunde nach als Berufsausbildung anzusehen ist. Beanstandet wird in diesem Erkenntnis lediglich, dass die belangte Behörde keine Feststellungen darüber getroffen hat, ob die Berufsausbildung auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nahm.
Die seitens des BFG vereinzelt vertretene Ansicht (19.02.2020, RV/3100177/2019 und 30.04.2020, RV/5101372/2019, siehe oben), wonach Vorbereitungskurse zum Medizin-Aufnahmetest grundsätzlich keine Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967 darstellen und es daher auf die zeitliche Komponente nicht ankomme, hat der Verwaltungsgerichtshof daher weder in älteren noch in jüngeren Judikaten geteilt und handelt es sich insofern bei der die Argumentation der Beschwerdeführerin stützenden Rechtsprechung keinesfalls um eine "veraltete und nicht präjudizielle" (vgl. auch BFG 15.11.2024, RV/7101383/2024).
Für den Streitfall ergibt sich daher:
Es entspricht mittlerweile der Lebenserfahrung, dass sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Eignungstest für das Medizinstudium bereits Monate vor dem Termin für diesen anspruchsvollen Test vorbereiten. Die Beschwerdeführerin hat Nachweise über den Umfang des Vorbereitungskurses, den ihre Tochter besucht hat, vorgelegt. In der Bestätigung des Instituts Dr. ***3*** wird nicht nur auf die zeitliche Komponente Bezug genommen, sondern auch dargelegt, dass neben der Vermittlung allgemeiner Kenntnisse in den Fächern Biologie, Mathematik, Chemie, Physik, sowie kognitiver Fähigkeiten und Fertigkeiten, auch eine Vorbereitung auf das erste Studienjahr Humanmedizin mit den Fächern Physiologie, Anatomie und Histologie erfolgte. Die umfangreichen handschriftlichen Aufzeichnungen der Tochter in ihrem Lernplan vermitteln für das BFG in glaubhafter Weise eine fortlaufende, eifrige Auseinandersetzung mit dem relevanten Lernstoff im ergänzenden Selbststudium über einen langen Zeitraum.
Setzt man resümierend auf Grundlage der aktenkundigen Unterlagen 8,5 Unterrichtsstunden als wöchentliche Untergrenze an und fügt mindestens 5 Stunden Selbststudium pro Tag für je fünf Wochentage hinzu, so ergibt sich eine wöchentliche Mindestvorbereitungszeit von 33,5 Stunden im Rückforderungszeitraum. Der Aufwand ist daher zeitlich von einem solchen Umfang, dass - im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung - von einer Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 gesprochen werden kann.
Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag samt anteiligen Geschwisterstaffelbeträgen stehen daher zu und der Rückforderungsbescheid war spruchgemäß aufzuheben.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Lösung der in Streit stehenden Rechtsfrage findet Deckung in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, weshalb eine Revision nicht zuzulassen war.
Feldkirch, am 2. Juni 2025