Bsw35713/97 – AUSL EKMR Entscheidung
Kopf
Europäische Kommission für Menschenrechte, Plenum, Beschwerdesache A. Y. gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 18.9.1997, Bsw. 35713/97.
Spruch
Art. 3 EMRK, Art. 13 EMRK, Art. 26 EMRK, § 54 FrG, Art. 1 F lit. b GFK - Asyl und innerstaatlicher Rechtsschutz.
Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Der Bf., ein türk. Staatsangehöriger, war in Österreich in der Nähe der österr.-ungar. Grenze festgenommen worden. Vor der Bezirkshauptmannschaft (BH) Neusiedl gab er an, er habe die Türkei vor sieben Monaten verlassen und sei über die Route Rumänien, Tschechien und Deutschland nach Österreich gelangt. Er habe versucht, die Grenze nach Ungarn zu überschreiten, um dort Asyl zu beantragen. Der Bf. wurde daraufhin wegen seiner Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle in Schubhaft genommen und seine Ausweisung angeordnet. Er erhob weder Berufung gegen den Ausweisungsbescheid, noch stellte er einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß § 54 FrG.
In der Folge suchte der Bf. beim Bundesasylamt um die Gewährung von Asyl an. Er gab zu, seine Angaben vor der BH seien unrichtig gewesen:
Bis zu seiner Flucht aus der Türkei sei er in Kontakt zu der linksgerichteten Organisation "DHKP-C" gestanden. Anlässlich eines von einem "Lockspitzel" arrangierten Treffens habe ihn die Polizei festgenommen und zehn Tage lang verhört und gefoltert. Drei Monate später sei er bei einem Brandbombenanschlag auf ein Café von Passanten beobachtet worden. Er habe hierauf Istanbul mit einem gefälschten Ausweis verlassen.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Bf. ab: Der Bf. habe nach eigenen Angaben Kontakte mit der Terrororganisation "DHKP-C" gepflegt. Es sei weiters nicht erwiesen, dass der Bf. tatsächlich gefoltert worden sei. Jedenfalls stelle die Anwendung von Folter keine Verfolgung dar, da letztere nicht aufgrund einer Unterscheidung aus Gründen etwa der Rasse oder der Religion erfolgte. Die dem Bf. zur Last gelegten Handlungen würden auch in westlichen Demokratien strafrechtlich geahndet werden. Eine bloße Ermittlungstätigkeit der Polizei sei aber keine Verfolgung aus politischen Gründen. Das dagegen erhobene Rechtsmittel an den Bundesminister für Inneres (BMfI) wurde abgewiesen: Der Bf. könne im Hinblick auf Art. 1 F (b) GFK nicht als Flüchtling angesehen werden. Nach dieser Bestimmung ist die GFK nicht auf Personen anwendbar, die - bevor sie als Flüchtlinge in das Gastland zugelassen wurden - ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen haben. Das vom Bf. in seiner Heimat begangene Delikt der Brandstiftung sei nach dem österr. StGB (§ 169) mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe zu ahnden und müsse daher als "schwer" angesehen werden.
Der Bf. erhob hierauf Bsw. an den VwGH - mit dem Antrag, er möge dieser aufschiebende Wirkung zuerkennen. Der VwGH gab dem Antrag statt. Zwei Wochen später wurde der Bf. aus der Schubhaft entlassen.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet, seine Abschiebung in die Türkei würde Art. 3 EMRK (hier: Verbot der Folter oder unmenschlicher Behandlung) verletzen. Er behauptet weiters eine Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz), da ihm kein wirksamer Rechtsbehelf gegen seine Abschiebung zur Verfügung gestanden sei. Die Reg. wendet ein, der Bf. habe es verabsäumt, den innerstaatlichen Instanzenzug gemäß Art. 26 EMRK auszuschöpfen. Auf jeden Fall bestehe keine Gefahr, dass der Bf. in die Türkei abgeschoben würde, da der VwGH seiner Bsw. aufschiebende Wirkung zuerkannt habe. Der Bf. bestreitet dies und behauptet, die von der Reg. zitierten Rechtsbehelfe seien nicht wirksam ("effective") gewesen. Er wäre daher nicht verpflichtet gewesen, von diesen Gebrauch zu machen. Das Gebot der Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe gemäß Art. 26 EMRK verlangt den Gebrauch von Beschwerdemöglichkeiten, die wirksam, ausreichend und zugänglich ("effective, sufficient and accessible") sind. Im Falle der Abschiebung eines Ausländers, der behauptet, im Zielstaat unmenschliche Behandlung befürchten zu müssen, könnte ein Rechtsbehelf ohne aufschiebende Wirkung nicht als wirksam angesehen werden. Die Kms. erinnert allerdings daran, dass sie bereits in früheren, ähnlich gelagerten Fällen (vgl. Bsw. 33052/96, Gündogdu/A, ZE v. 6.3.1997 und Bsw. 34371/97, M.U./A, ZE v. 17.4.1997 = NL 97/3/3) darauf hingewiesen hat, dass eine Bsw. gegen eine abweisende Asylentscheidung an den VwGH im Falle der Zuerkennung aufschiebender Wirkung ein wirksamer Rechtsbehelf ist. Der VwGH überprüft in einem solchen Fall dieselben Fragen wie die Kms. bei einer behaupteten Verletzung des Art. 3 EMRK, nämlich ob der Bf. eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung oder vor unmenschlicher Behandlung im Zielstaat haben kann. Im vorliegenden Fall hat der VwGH der Bsw. des Bf. aufschiebende Wirkung zuerkannt. Unter diesen Umständen erübrigt sich eine Prüfung, ob der Rechtsbehelf gemäß § 54 FrG die Voraussetzungen des Art. 13 EMRK erfüllt. Der Bf. hat es verabsäumt, den innerstaatlichen Instanzenzug gemäß Art. 26 EMRK auszuschöpfen. Dieser Beschwerdepunkt ist daher iSv. Art. 27 (3) EMRK zurückzuweisen.
Es wurde bereits festgestellt, dass die Bsw. des Bf. an den VwGH einen wirksamen Rechtsbehelf iSv. Art. 13 EMRK darstellt. Der zweite Beschwerdepunkt ist daher als offensichtlich unbegründet iSv. Art. 27
(2) EMRK zurückzuweisen. Die Bsw. wird für unzulässig erklärt (einstimmig).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung der EKMR vom 18.9.1997, Bsw. 35713/97, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1997, 257) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt. Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format): www.menschenrechte.ac.at/orig/97_6/A.Y..pdf
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.