Bsw56440/15 – AUSL EGMR Entscheidung
Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Snijders gg die Niederlande, Urteil vom 6.2.2024, Bsw. 56440/15.
Spruch
Art 6 Abs 1, Abs 3 lit d EMRK - Zulassung der Aussage eines anonymen Zeugen in Mordprozess.
Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).
Keine Verletzung von Art 6 Abs 1, Abs 3 lit d EMRK (6:1 Stimmen).
Rechtliche Beurteilung
Begründung:
Sachverhalt:
Anfang 2005 wandte sich eine Person (»X.«) an die niederländischen Behörden, die behauptete zu wissen, wer 2002 einen bislang ungeklärten Mord begangen hatte. Zu einer Aussage sei sie jedoch nur bereit, wenn sie anonym bleiben könne. Am 6.4.2005 befragte der Untersuchungsrichter E. des Bezirksgerichts ’s-Hertogenbosch X. unter Eid als anonymen Zeugen. (Anm: Art 190 Abs 2 StPO sieht vor, dass nach der Zuerkennung »beschränkter Anonymität« auf die Protokollierung der Personalien verzichtet werden kann.) X. sagte aus, der Bf habe ihm erzählt, von jemandem für den Mord bezahlt worden zu sein, dem das Opfer Geld aus einem Drogengeschäft geschuldet hätte.
Nachdem 2008 eine Übereinstimmung der am Tatort gefundenen DNA-Spuren mit dem kurz zuvor in die Datenbank eingetragenen DNA-Profil des Bf festgestellt wurde, nahm die Polizei die Ermittlungen wieder auf. Im Zuge dessen wurde unter anderem die Exfreundin des Bf vernommen. Sie gab an, der Bf habe erzählt, wie er den Mord begangen habe. Nachdem er sie wiederholt misshandelt und bedroht hatte, habe sie ihn verlassen.
Im Februar 2010 wurde die Untersuchungshaft über den Bf verhängt, der gerade eine Freiheitsstrafe wegen mehrerer in Deutschland begangener Banküberfälle verbüßte. Im folgenden Strafverfahren wurde X. wegen einer akuten Gefahr für seine Sicherheit der Status eines bedrohten Zeugen gemäß Art 226a StPO gewährt. (Anm: Gemäß Art 226a StPO hat der Untersuchungsrichter die Wahrung der Anonymität eines »bedrohten Zeugen« anzuordnen, wenn es berechtigte Gründe für die Annahme einer Gefahr für Leben, Gesundheit oder Sicherheit des Zeugen gibt und der Zeuge aufgrund dieser Gefahr ansonsten nicht aussagen will.) Aufgrund dieser Entscheidung durften weder der Staatsanwalt noch der Bf oder sein Verteidiger an der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter V. teilnehmen. Zum Ausgleich konnten sie schriftliche Fragen vorlegen, die von X. alle unter Eid beantwortet wurden. X. bestätigte die Identität des Bf und bekräftigte seine 2005 gemachten Aussagen. Zum Schutz der Anonymität wurden einzelne Antworten nicht vollständig in das Protokoll aufgenommen. Staatsanwalt und Verteidiger erhielten die Niederschrift und konnten weitere Fragen vorbringen, worauf sie aber verzichteten.
Am 9.7.2012 verurteilte das Bezirksgericht den Bf wegen Mordes zu 18 Jahren Haft. Das Urteil stützte sich auf die Aussagen von X., die als glaubwürdig erachtet wurden, mit den Angaben der Exfreundin des Bf übereinstimmten und in keinem Widerspruch zu den Sachbeweisen standen. Zudem verfügte X. über spezifisches Wissen zum Tathergang, das nicht aus den Medien stammen konnte.
Aufgrund einer Berufung des Bf behob das Berufungsgericht ’s-Hertogenbosch am 2.4.2014 das Urteil und entschied selbst in der Sache. Der Bf wurde erneut zu 18 Jahren Haft verurteilt, doch stützte sich das Berufungsgericht auf andere Beweise, insb die DNA-Spuren, die Aussage der Exfreundin des Bf und die Aussagen von X. Das Gericht befasste sich eingehend mit der Zulässigkeit der Verwertung der Aussagen des anonymen Zeugen und verneinte angesichts der Vorgehensweise des Untersuchungsrichters und des Bezirksgerichts eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren.
Die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde am 16.6.2015 vom Obersten Gerichtshof abgewiesen.
Rechtsausführungen:
Der Bf behauptete eine Verletzung von Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d EMRK (Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen).
Zur behaupteten Verletzung von Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d EMRK
(44) Der Bf brachte vor, ihm sei aufgrund der Vorgangsweise bei der Befragung des anonymen Zeugen X. [...] keine Gelegenheit eingeräumt worden, die ihn belastenden Aussagen wirksam in Frage zu stellen [...].
Zulässigkeit
(45) [...] Diese Beschwerde ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen in Art 35 EMRK genannten Grund unzulässig. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).
In der Sache
Relevante Grundsätze
(56) [...] Die Zulässigkeit von Beweisen ist in erster Linie vom innerstaatlichen Recht zu regeln und in der Regel ist es Sache der nationalen Gerichte, die ihnen vorliegenden Beweise zu bewerten. Im Hinblick auf Zeugenaussagen ist es nicht die Aufgabe des GH [...] darüber abzusprechen, ob ihre Zulassung als Beweis angemessen war, sondern [...] sich zu vergewissern, ob das Verfahren insgesamt [...] fair war.
(57) Art 6 Abs 1 lit d EMRK verankert den Grundsatz, dass vor einer Verurteilung des Angeklagten in der Regel alle belastenden Beweise in seiner Anwesenheit in einer öffentlichen Verhandlung vorgelegt werden müssen, um eine kontradiktorische Auseinandersetzung zu ermöglichen. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind möglich, dürfen aber die Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigen, die in der Regel verlangen, dass dem Angeklagten angemessene Gelegenheit gegeben wird, einen Belastungszeugen zu befragen und in Zweifel zu ziehen [...].
Zulässigkeit nicht hinterfragter Aussagen von in der Verhandlung abwesenden Zeugen
(58) In Al-Khawaja und Tahery/GB wurden die Grundsätze, die in Fällen gelten, in denen ein Zeuge der Anklage nicht an der Hauptverhandlung teilnahm und seine früheren Aussagen als Beweise zugelassen wurden, von der GK zusammengefasst und weiterentwickelt. Die Vereinbarkeit eines solchen Verfahrens mit Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d EMRK muss in drei Schritten beurteilt werden: (i) Lag ein guter Grund für die Abwesenheit des Zeugen und folglich für die Zulassung seiner nicht hinterfragten Aussagen als Beweise vor? (ii) War die Aussage des abwesenden Zeugen die alleinige oder entscheidende Grundlage für die Verurteilung [...]? (iii) Gab es ausreichende ausgleichende Faktoren, einschließlich starker prozessualer Sicherungen, um die Behinderungen auszugleichen, mit denen die Verteidigung aufgrund der Zulassung der nicht hinterfragten Aussagen konfrontiert war, und um die Fairness des Verfahrens insgesamt zu gewährleisten?
(60) Diese Grundsätze wurden in Schatschaschwili/DE weiter verdeutlicht. [...]
Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen anonymen und abwesenden Zeugen
(65) Während die Urteile in den Fällen Al-Khawaja und Tahery/GB und Schatschaschwili/DE abwesende und nicht anonyme Zeugen betrafen, [...] unterscheiden sich die von diesen beiden Arten von Zeugen aufgeworfenen Probleme nicht grundsätzlich voneinander, da beide eine potenzielle Benachteiligung der Verteidigung mit sich bringen, weil sie die Integrität und Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen nicht in Frage stellen kann. Der GH wendet daher auf die Zulassung von Aussagen eines abwesenden Zeugen und eines Zeugen, dessen Identität geheim gehalten wird, einen ähnlichen Ansatz an.
(66) Der GH hat allerdings auch anerkannt, dass die genauen Einschränkungen der Möglichkeit der Verteidigung, einen anonymen Zeugen zu hinterfragen, sich von jenen hinsichtlich eines abwesenden Zeugen unterscheiden, dessen Identität trotz allem bekannt ist. [...] Im Fall eines vollkommen anonymen Zeugen, in dem überhaupt keine Details über die Identität oder den Hintergrund des Zeugen bekannt sind, ist die Verteidigung mit der Schwierigkeit konfrontiert, dem Zeugen keine Gründe vorhalten zu können, die er dafür haben könnte, die Unwahrheit zu sagen. Die Verwendung der Aussagen eines völlig anonymen Zeugen als Beweis und die Unmöglichkeit, diesen Zeugen in der Verhandlung zu hinterfragen, kann folglich die Beeinträchtigung der Verteidigung verschärfen.
(67) Wie in Fällen, in denen die Aussage eines abwesenden Zeugen als alleiniger oder entscheidender Beweis angesehen wurde oder einem solchen Beweis erhebliches Gewicht zukam, muss der GH das Verfahren, in dem die Aussage eines anonymen Zeugen als Beweis verwendet wird, der genauesten Prüfung unterziehen. Angesichts dessen muss der GH davon überzeugt sein, dass es ausreichende ausgleichende Faktoren gab, einschließlich des Bestehens starker prozessualer Sicherungen, um eine faire und angemessene Einschätzung der Glaubwürdigkeit dieser Beweise zu erlauben.
Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall
Gab es gute Gründe, die den Schutz der Identität des Zeugen rechtfertigten?
(68) Obwohl es zutrifft, dass der Verteidigung oder der Öffentlichkeit die genaue Quelle der Ängste von X. nie mitgeteilt wurde, beurteilte das Bezirksgericht die Ernsthaftigkeit und Begründetheit seiner Befürchtungen in nichtöffentlicher Sitzung. Als das Gericht den Status des bedrohten Zeugen gewährte, bezog sich seine Begründung detailliert auf die vom Bf ausgehende Gefahr und deren Auswirkungen auf X. und es stellte fest, dass X. um sein Leben, seine Gesundheit oder Sicherheit fürchten würde, wenn seine Identität bekannt würde. Das Gericht stützte sich nicht nur auf die Angaben von X., sondern auch auf objektive Tatsachen [...]. Insb stand der Bf im Verdacht, von jemandem angeheuert worden zu sein, dem das Opfer [...] Geld aus Drogengeschäften schuldete und X. wusste, dass der Bf bereits zu zahlreichen unbedingten Freiheitsstrafen verurteilt worden war [...].
(70) Angesichts der klaren und fallspezifischen Feststellungen zu diesem Punkt kann nicht gesagt werden, die Entscheidung des Gerichts, X. den Status eines bedrohten Zeugen einzuräumen, wäre [...] unzureichend begründet gewesen, hätte spekulative Gründe genannt oder ausschließlich auf der Schwere der begangenen Tat beruht. Vielmehr [...] beruhte die Entscheidung [...] auf objektiven Gründen und war durch Beweise untermauert. Daher kann sie nicht als willkürlich oder offensichtlich unsachlich angesehen werden.
(71) Angesichts der obigen Ausführungen ist der GH bereit anzuerkennen, dass es einen guten Grund gab, der den Schutz der Identität von X. rechtfertigte. War die Aussage von X. die einzige oder entscheidende Grundlage für die Verurteilung des Bf?
(72) [...] Anders als vom Bf behauptet, waren die Aussagen von X. nicht die einzige Grundlage für seine Verurteilung. [...] Wie das Bezirksgericht und das Berufungsgericht ausdrücklich feststellten, bildeten sie auch nicht den entscheidenden Beweis für die Feststellung der Schuld. Das Berufungsgericht führte dies näher aus, indem es darlegte, dass die Aussagen von X. in vielen wesentlichen Aspekten mit denen der Exfreundin des Bf übereinstimmten, die wiederum durch die Aussagen weiterer Zeugen und des Bf bestätigt wurden. Außerdem wurden sie durch die Übereinstimmung der DNA auf dem am Tatort gefundenen Zigarettenstummel mit jener des Bf untermauert, die eine zwingende örtliche und zeitliche Verbindung zwischen dem Bf und dem Mord herstellte, für die der Bf keine überzeugende alternative Erklärung lieferte.
(73) Die obige Feststellung des Berufungsgerichts ist weder willkürlich noch offensichtlich unsachlich. Angesichts dessen, dass es nicht seine Aufgabe ist, als Gericht vierter Instanz zu handeln, sieht der GH keinen Grund dafür, seine Einschätzung des Gewichts der umstrittenen Aussagen an die Stelle jener des Berufungsgerichts zu setzen.
(74) [...] Der GH anerkennt daher die Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach die Verurteilung des Bf nicht alleine oder entscheidend auf den Aussagen von X. beruhte. Da diese aber von nicht unerheblichem Gewicht waren [...] und nach Art 6 EMRK die Fairness des Verfahrens insgesamt beurteilt werden muss, wird der GH dennoch prüfen, ob es ausreichende Faktoren gab, die etwaige Beeinträchtigungen ausglichen, die sich für die Verteidigung aus der Zulassung dieses Beweises ergeben konnten.
Gab es ausreichende ausgleichende Faktoren?
(75) Bei der Beurteilung der Angemessenheit ausgleichender Faktoren erachtete der GH die folgenden Elemente als relevant: den Umgang des Gerichts mit den nicht hinterfragten Beweisen; die Verfügbarkeit und Stärke bestätigender Beweise, welche die nicht hinterfragten Zeugenaussagen unterstützen; und die prozessualen Maßnahmen, die ergriffen wurden, um etwaige Beeinträchtigungen auszugleichen, die sich aus der Zulassung dieser Beweise für die Verteidigung ergeben haben könnten.
(76) [...] Die Frage nach den ausreichenden ausgleichenden Faktoren hängt eng mit dem Gewicht zusammen, das den Aussagen eines nicht hinterfragten Zeugen beigemessen wurde. Dieses hängt wiederum mit dem Gewicht weiterer Beweismittel zusammen. Je wichtiger die übrigen Beweise, desto geringer wird mit anderen Worten das den Aussagen eines nicht hinterfragten Zeugen beigemessene Gewicht sein und desto weniger schwerwiegend müssen die ausgleichenden Faktoren sein, damit das Verfahren insgesamt als fair betrachtet werden kann.
(77) Was den Umgang der innerstaatlichen Gerichte mit den nicht hinterfragten Aussagen und das Vorliegen weiterer belastender Beweise betrifft, bemerkt der GH, dass das Berufungsgericht das Gewicht, die Kohärenz und Konsistenz der Aussagen überprüfte, sie mit anderen verfügbaren Beweisen verglich und sich selbst in sorgfältiger Weise und mit einer detaillierten Begründung davon überzeugte, dass die Aussagen von X. glaubwürdig waren. Das Berufungsgericht berücksichtigte in diesem Zusammenhang sowohl die diesbezüglichen Feststellungen von zwei Untersuchungsrichtern und die bestätigenden Beweise, vor allem die sehr ähnlichen Aussagen der Exfreundin des Bf (deren Glaubwürdigkeit durch ein Kreuzverhör geprüft wurde und die keiner Absprachen verdächtig war) sowie die auf dem Zigarettenstummel gefundene DNA des Bf [...]. Diese Begründung hielt zudem der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof stand [...].
(78) Was die zum Ausgleich der fehlenden Gelegenheit zur direkten Befragung des Zeugen in der Verhandlung ergriffenen prozessualen Maßnahmen betrifft, bemerkt der GH Folgendes: Während dem Grundsatz der Unmittelbarkeit besser gedient gewesen wäre, wenn die verhandelnden Richter [...] den anonymen Zeugen X. selbst befragen oder zumindest die volle Niederschrift [...] seiner Vernehmung durch den Untersuchungsrichter erhalten hätten können, [...] wurde das in Art 226a–226f der Strafprozessordnung vorgeschriebene Verfahren eingehalten, das spezifisch darauf abzielt, ausgleichende Verfahrensgarantien zur Verfügung zu stellen. Im Fall Kok/NL wurde dieses Verfahren als ausreichend zur Achtung der Verteidigungsrechte angesehen. [...]
(79) Im vorliegenden Fall [...] entschied Untersuchungsrichter V., der die Identität von X. festgestellt hatte, ihn an einem geheimen Ort zu vernehmen. Diese Entscheidung beruhte auf einer Sicherheitsanalyse der Abteilung für Zeugenschutz [...]. Er erachtete diese Maßnahme als notwendig, um die Sicherheit von X. zu gewährleisten. Nicht nur die Verteidigung, sondern auch der Staatsanwalt waren abwesend. Der Zeuge wurde vor der Vernehmung vereidigt. Die gestellten Fragen waren in großer Zahl vorab schriftlich von der Verteidigung formuliert worden. Zudem wurde der Verteidigung die Gelegenheit gegeben, anhand der (zum Teil bearbeiteten) Antworten weitere Fragen an X. schriftlich vorzubringen und damit Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Aussage aufzuwerfen.
(80) Der GH hat anerkannt, dass Art und Umfang der Fragen, die an einen anonymen Zeugen gestellt werden, durch die Anonymität erheblich eingeschränkt werden und das Recht, schriftliche Fragen an einen solchen Zeugen zu stellen, nicht als Ersatz für das grundlegende Recht auf Befragung von Zeugen angesehen werden kann, vor allem wenn es keine guten Gründe für die Anonymität gibt. Auf der anderen Seite ist dem GH ebenso bewusst, dass es die Verteidigung im vorliegenden Fall unterlassen hat, die Gelegenheit für zusätzliche Fragen zu nutzen. Aufgrund dieser Vorgangsweise kann von einem Verzicht der Verteidigung auf ihr Recht ausgegangen werden, die Glaubwürdigkeit der Aussagen von X. im Hinblick auf mögliche Unstimmigkeiten oder Widersprüche zu den Aussagen anderer Zeugen anzufechten. Der Verteidigung musste bewusst sein, dass die auf diesem Weg erlangten Aussagen in der Hauptverhandlung als Beweis verwendet werden konnten.
(81) Überdies bemerkt der GH, dass die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit von X. von Untersuchungsrichter E. 2005 und von Untersuchungsrichter V. 2012 positiv beurteilt wurden. Deren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bildete eine wichtige prozessuale Sicherung für die Fairness des Verfahrens. [...] Schließlich stellt der GH fest, dass [...] das Berufungsgericht geprüft hat, ob die Entscheidung des Bezirksgerichts, X. den Status eines bedrohten Zeugen zu gewähren [...], mit einer Verletzung grundlegender Prinzipien verbunden war.
(82) In Anbetracht des Vorstehenden und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Aussagen von X. nicht der einzige oder entscheidende Beweis für die Verurteilung des Bf waren, ist der GH der Ansicht, dass die Schwierigkeiten, mit denen die Verteidigung aufgrund der X. gewährten Anonymität konfrontiert war, durch die Vorgangsweise der Gerichte ausreichend ausgeglichen wurden.
Schlussfolgerung
(83) Unter Berücksichtigung des Sachverhalts und der Umstände des Falls kann [...] nicht gesagt werden, dass das Strafverfahren gegen den Bf in seiner Gesamtheit betrachtet wegen der Zulassung der Aussagen von X. unfair war.
(84) Folglich hat keine Verletzung von Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d EMRK stattgefunden (6:1 Stimmen; abweichendes Sondervotum von Richter Serghides; gemeinsames, im Ergebnis übereinstimmendes Sondervotum der Richter Pavli und Zünd).
Vom GH zitierte Judikatur:
Kok/NL, 4.7.2000, 43149/98 (ZE)
Al-Khawaja und Tahery/GB, 15.12.2011, 26766/05, 22228/06 (GK) = NLMR 2011, 375
Pesukic/CH, 6.12.2012, 25088/07
Scholer/DE, 18.12.2014, 14212/10 = NLMR 2014, 509 = EuGRZ 2015, 454
Schatschaschwili/DE, 15.12.2015, 9154/10 (GK) = NLMR 2015, 503 = EuGRZ 2016, 511
Asani/MK, 1.2.2018, 27962/10
Süleyman/TR, 17.11.2020, 59453/10
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 6.2.2024, Bsw. 56440/15, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2024, 21) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Original des Urteils ist auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.