JudikaturAUSL EGMR

Bsw569/20 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
Internationales Recht
23. Juni 2022

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Alleleh u.a. gg. Norwegen, Urteil vom 23.6.2022, Bsw. 569/20.

Spruch

Art. 8 EMRK - Ausweisung einer mit einem Norweger verheirateten Mutter von vier Kindern.

Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die ErstBf kam 2001 nach Norwegen, wo sie einen Asylantrag stellte. Diesen stützte sie auf eine erfundene Fluchtgeschichte, wobei sie angab, aus Somalia zu stammen. Nach der Abweisung des Antrags ignorierte sie ihre Verpflichtung zur Ausreise. Im Mai 2003 beantragte sie die Wiederaufnahme des Verfahrens, wobei sie vorbrachte, im ersten Antrag falsche Angaben gemacht zu haben. Allerdings gab sie erneut an, Staatsangehörige Somalias zu sein. Der Antrag wurde abgewiesen.

In der Zwischenzeit heiratete die ErstBf im April 2004 den ZweitBf, der Staatsbürger Norwegens ist. Daraufhin wurde ihr im September 2005 eine Aufenthaltsbewilligung erteilt, wobei sie im Antrag erneut falsche Angaben zu ihrer Herkunft gemacht hatte. Im Februar 2005 wurde ihr erstes Kind geboren. 2007 erhielt sie die norwegische Staatsbürgerschaft, nachdem sie auch in diesem Verfahren Somalia als Herkunftsstaat genannt hatte. 2009 und 2013 brachte die ErstBf drei weitere Kinder zur Welt.

Nachdem im Zuge einer allgemeinen Untersuchung Zweifel über die Herkunft der ErstBf aufgekommen waren, wurde sie dazu befragt und ihr für den Fall falscher Angaben der Entzug der Staatsbürgerschaft und die Ausweisung angedroht. Daraufhin räumte sie erstmals gegenüber den Behörden ein, aus Dschibuti zu stammen. Im Juni 2015 widerrief die Einwanderungsbehörde die Verleihung der Staatsbürgerschaft und im November wurde die Bf unter Verhängung eines zweijährigen Rückkehrverbots ausgewiesen. Der Berufungsausschuss wies ihr Rechtsmittel im März 2016 ab. Zwar würde die Ausweisung negative Folgen für die Kinder der ErstBf nach sich ziehen, doch wäre dies angesichts der Schwere ihres Fehlverhaltens verhältnismäßig.

Im Juni 2016 wandte sich die gesamte Familie mit einem Antrag auf Aufhebung der Ausweisung an das Stadtgericht Oslo. Dieses erklärte die Ausweisung am 27.7.2017 für verhältnismäßig, nachdem es mehrere Zeugen sowie eine Sachverständige gehört hatte. Das von den Bf angerufene Landgericht Borgarting erließ am 8.4.2019 ein Urteil, wonach die Ausweisung wegen Unverhältnismäßigkeit hinsichtlich der Kinder als ungültig anzusehen sei. Der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus der ErstBf war nach Ansicht des Landgerichts kein besonderes Gewicht beizumessen, da der ZweitBf erst nach der Heirat von ihren falschen Angaben gegenüber der Behörde erfahren hatte. Ob die Ausweisung unverhältnismäßig sei, hänge daher nicht von »außergewöhnlichen Umständen« ab, sondern sei anhand einer umfassenden Abwägung der Interessen zu beurteilen.

Nachdem die Regierung gegen dieses Urteil berufen hatte, entschied der Oberste Gerichtshof am 9.12.2019, das Urteil des Landgerichts aufzuheben. Der Oberste Gerichtshof kam nach einer eingehenden Interessenabwägung, im Zuge derer er sich auch mit dem Schutz des Kindeswohls und mit der Rsp des EGMR auseinandersetzte, zum Ergebnis, dass die Ausweisung verhältnismäßig sei. Angesichts des Verhaltens der ErstBf könnten die Interessen der Kinder die Ausweisung nur unverhältnismäßig machen, wenn außergewöhnliche Umstände vorlägen und ihnen damit eine unverhältnismäßige Last auferlegt würde. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht anzunehmen. Damit wurde die Ausweisungsentscheidung rechtskräftig.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf behaupteten eine Verletzung von Art 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Familienlebens) durch die Ausweisung der ErstBf und das zweijährige Rückkehrverbot.

I.Zulässigkeit

(83) [...] Die Beschwerde ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen [...] Grund unzulässig. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

II.Zur behaupteten Verletzung von Art 8 EMRK

1.Einleitende Bemerkungen

(88) [...] Der Widerruf der Verleihung der norwegischen Staatsbürgerschaft [...] wurde weder vor den innerstaatlichen Gerichten angefochten noch vor dem GH in Beschwerde gezogen. Der GH nimmt außerdem zur Kenntnis, dass abgesehen von der ErstBf alle Bf Staatsangehörige Norwegens sind.

(89) Es kann nicht in Frage gestellt werden, dass alle Bf – die beiden Eltern und ihre vier Kinder – in Norwegen ein Familienleben genossen und dass die Entscheidung, die ErstBf auszuweisen und ein [...] Rückkehrverbot zu verhängen, einen Eingriff in das [...] Recht aller sechs Bf auf Achtung ihres Familienlebens mit sich brachte. [...] Diese Entscheidung hatte eine angemessene rechtliche Grundlage [...] und verfolgte legitime Ziele iSv Art 8 Abs 2 EMRK, insb die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Verhütung von Straftaten und das wirtschaftliche Wohl des Landes. Die einzige Frage ist, ob die mit einem Rückkehrverbot verbundene Ausweisung [...] in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.

2.Allgemeine Grundsätze

(90) [...] In Fällen, in denen die Ausweisung eines Familienmitglieds angeordnet wird, umfassen die für die Analyse der Verhältnismäßigkeit relevanten Umstände nach der Rsp des GH im Allgemeinen das Ausmaß, in dem das Familienleben tatsächlich unterbrochen würde, den Umfang der Bindungen im Konventionsstaat, das Bestehen unüberwindbarer Hindernisse für ein Leben der Familie im Herkunftsstaat des betroffenen Fremden und das Bestehen von Faktoren der Einwanderungskontrolle [...] oder Überlegungen der öffentlichen Ordnung, die für die Ausweisung sprechen [...]. [...] Wenn Familienleben zu einer Zeit geschaffen wurde, zu der den beteiligten Personen bewusst war, dass das Fortbestehen des Familienlebens im Gaststaat wegen des Aufenthaltsstatus [...] von Anfang an unsicher sein würde, wird eine Verletzung von Art 8 EMRK nur in »außergewöhnlichen Umständen« wahrscheinlich sein.

(91) Wenn Kinder betroffen sind, müssen ihre Interessen berücksichtigt werden. Zu diesem spezifischen Punkt hat der GH betont, dass [...] in allen Entscheidungen, die Kinder betreffen, das Kindeswohl von vorrangiger Bedeutung ist. [...]

(92) Wenn die innerstaatlichen Gerichte beurteilen, ob die Ausweisung eines Familienmitglieds [...] in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war, müssen sie spezifische Gründe im Lichte der Umstände des Falls vorbringen, nicht zuletzt um dem GH zu ermöglichen, die ihm zugewiesene europäische Kontrolle wahrzunehmen. [...]

(93) Wenn [...] die unabhängigen und unparteiischen innerstaatlichen Gerichte den Sachverhalt sorgfältig geprüft, die relevanten Menschenrechtsstandards in Übereinstimmung mit der EMRK und der Rsp angewendet und die persönlichen Interessen des Bf gegen die [...] öffentlichen Interessen angemessen abgewogen haben, ist es nicht Sache des GH, seine eigene Einschätzung an die Stelle jener der zuständigen nationalen Behörden zu setzen [...]. Eine Ausnahme davon gilt nur, wenn dafür gewichtige Gründe sprechen.

3.Anwendung auf den vorliegenden Fall

(94) [...] Die Entscheidung, die ErstBf auszuweisen und ein zweijähriges Rückkehrverbot zu verhängen, wurde zunächst von der Einwanderungsbehörde getroffen und danach vom Berufungsausschuss geprüft. Anschließend erfolgte eine gerichtliche Überprüfung in drei Instanzen. Während dieses Verfahrens wurde eine Psychologin bestellt, um die Interessen der Kinder zu schützen, es wurden mehrere Zeugen gehört und andere Beweismittel herangezogen. Nichts weist darauf hin, dass das Verfahren über die Ausweisung der ErstBf nicht gründlich und rasch geführt wurde [...].

(96) Der GH nimmt zur Kenntnis, dass sich der Oberste Gerichtshof akribisch mit der Rsp des GH auseinandersetzte, um relevante Standards zu Art 8 EMRK abzuleiten und sie [...] bei der Entscheidung über den Fall der Bf [...] anzuwenden. Ein solcher Zugang ist entscheidend für die Aufgabenteilung zwischen dem GH und den innerstaatlichen Gerichten [...].

(97) Der GH misst auch der detaillierten Begründung des Obersten Gerichtshofs hinsichtlich der für die Ausweisung der ErstBf sprechenden gewichtigen, auf die Einwanderungspolitik gestützten Argumente Bedeutung bei. Der Oberste Gerichtshof verwies besonders auf die Schwere ihrer Straftaten und die Überlegung, dass eine Sanktion [...] in Form einer Ausweisung als notwendig erachtet wurde, um im Sinne der Generalprävention die Achtung der Einwanderungsbestimmungen sicherzustellen und vor zukünftigen Übertretungen abzuschrecken. Wie der GH bereits in einer Reihe von Fällen festgestellt hat, wirft ein auf Verwaltungssanktionen in Form von Ausweisungen und Rückkehrverboten beruhendes System des Einwanderungsrechts als solches kein Problem im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK auf. Der GH hat daher grundsätzlich keine Einwände gegen diesen Ansatz des Obersten Gerichtshofs [...].

(98) [...] Sowohl das Stadtgericht Oslo als auch das Landgericht Borgarting prüften den Sachverhalt im Hinblick darauf, was eine Ausweisung für jede einzelne und jeden einzelnen der Bf bedeuten würde [...]. Die Sachverhaltsfeststellungen des Landgerichts Borgarting, die sich auch auf die Situation der Kinder bezogen, bildeten die Grundlage für die Beurteilung des Falls durch den Obersten Gerichtshof aufgrund des Rechtsmittels, das nur die rechtliche Beurteilung durch das Landgericht betraf. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs hatte die Interessenabwägung – anders als vom Landgericht vorgenommen – im Lichte der Rsp des GH zu erfolgen, wonach die Ausweisung einer Person, deren Aufenthaltsgrundlage von Anfang an unsicher war, nur ausnahmsweise unverhältnismäßig wäre. [...] Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs lagen keine solchen außergewöhnlichen Umstände vor. [...]

(99) Was den rechtlichen Ausgangspunkt des Obersten Gerichtshofs zu Art 8 EMRK betrifft, stellt der GH fest, dass die ErstBf in Norwegen insofern keine »niedergelassene Migrantin« war, als ihr Aufenthalt auf während eines langen Zeitraums wiederholt angegebenen falschen Informationen beruhte und daher nie eine gültige Rechtsgrundlage hatte. Dies war der Grund, warum der Oberste Gerichtshof davon ausging, dass die Ausweisung zulässig war, solange keine »außergewöhnlichen Umstände« festgestellt werden konnten. Auch wenn der GH dem Obersten Gerichtshof hinsichtlich dieses Ausgangspunkts nicht widerspricht, bemerkt er auch den sehr besonderen Aspekt des vorliegenden Falls, der darin besteht, dass die über die ErstBf verhängte Sanktion sich gleichermaßen – wenn nicht sogar stärker – auf ihre Familienmitglieder, nämlich ihre Kinder, auswirkte, die alle norwegische Staatsangehörige waren, die in Norwegen geboren wurden und ihr gesamtes Leben dort verbracht hatten. Selbst wenn die anderen Familienmitglieder die

ErstBf während der Gültigkeit des Rückkehrverbots nach Dschibuti begleiten würden, um ihr »Familienleben« aufrecht zu erhalten, wären sie durch die Übersiedlung in ein Land, zu dem sie keine Verbindung haben und dessen Sprache sie nicht sprechen, mit einem erheblichen und ungewollten Wandel in ihrem »Privatleben« konfrontiert. Dies unterscheidet sie von der Situation der ErstBf, die aus Dschibuti stammt, die Landessprache spricht, dort über Familie verfügt und das Land besucht hat, nachdem sie nach Norwegen ausgewandert ist. Die über die ErstBf zur Sanktionierung ihres Verhaltens verhängte Ausweisung konnte daher paradoxerweise den anderen Familienmitgliedern eine gleichermaßen schwere wenn nicht sogar schwerere Belastung auferlegen. [...]

(100) [...] Die Rolle des Obersten Gerichtshofs beschränkte sich darauf, die falsche Auslegung des Gesetzes durch das Landgericht Borgarting zu korrigieren. Dennoch erforderte selbst eine Prüfung, ob irgendwelche »außergewöhnlichen Umstände« vorlagen, eine konkrete und umfassende Prüfung des gesamte Falls und der Auswirkungen, welche die Ausweisung eines Familienmitglieds für die gesamte Familie haben würde. Es könnte sogar besonders wichtig sein, dass der Oberste Gerichtshof in einer Situation, in der das untergeordnete Gericht [...] eine detaillierte, auf in einer Verhandlung direkt aufgenommenen Beweisen beruhende Erklärung darüber abgegeben hat, warum es die Ausweisung als unvereinbar mit dem Kindeswohl erachtete [...], diese konkrete Beurteilung darlegt.

(101) Was die konkrete Verhältnismäßigkeitsprüfung betrifft, bemerkt der GH, dass der Sachverhalt betreffend die Auswirkungen einer Ausweisung auf die Kinder im Wege eines gründlichen Prozesses ermittelt wurde, im Zuge dessen eine Expertin bestellt wurde und die Ansichten der Kinder eingeholt wurden, soweit dies aufgrund ihres Alters und ihrer Reife möglich war. Die diesbezüglichen Sachverhaltsfeststellungen wurden vom Landgericht Borgarting detailliert dargelegt, was dem Obersten Gerichtshof eine Grundlage für seine rechtliche Beurteilung bot.

(102) Vor diesem Hintergrund sieht der GH keine Grundlage für die Schlussfolgerung, der Oberste

Gerichtshof hätte sich bei seiner Einschätzung geirrt, der ihm vorliegende Fall würde keine Tatsachen aufweisen, die Anlass dafür gegeben hätten, die Situation der Kinder anders einzuschätzen als eine, die sich im Grunde immer aus der Ausweisung eines Elternteils ergibt. Der GH versteht daher die Zurückhaltung des Obersten Gerichtshofs, die Umstände als »außergewöhnlich« im Sinne der Rsp des GH zu qualifizieren. [...] Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den Fällen Nunez/NO und Kaplan ua/NO, in denen der GH Verletzungen von Art 8 EMRK festgestellt hat. Er verweist auf Antwi ua/NO, wo ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot vom GH unter Verweis auf die Tatsache akzeptiert wurde, dass das betroffene Kind, das ebenfalls die norwegische Staatsbürgerschaft besaß und sein gesamtes Leben seit Geburt in Norwegen verbracht hatte, nicht aufgrund einer vorigen Zerrüttung vulnerabel war [...]. Die bf Kinder des vorliegenden Falls wurden ebenfalls nicht demselben Grad an Zerrüttung und Stress ausgesetzt

wie jene im Fall Nunez/NO. Den Behörden kann auch nicht vorgeworfen werden, den Ausweisungsfall nicht zügig behandelt zu haben. [...]

(103) Wie der GH zudem bemerkt, betonte der Oberste Gerichtshof mehrere Aspekte, welche die Auswirkungen der Ausweisung auf die Kinder milderten. Erstens betonte der Oberste Gerichtshof, dass die Befristung des Rückkehrverbots auf zwei Jahre [...] nur aus Rücksicht auf die Kinder erfolgt war. [...]

(104) Überdies unterstrich der Oberste Gerichtshof die Möglichkeit der ErstBf, eine Aufhebung des Rückkehrverbots zu beantragen. Eine solche Überprüfung [...] würde es den innerstaatlichen Behörden erlauben, jede spätere negative Entwicklung zu berücksichtigen, wie etwa die fehlende Fähigkeit des ZweitBf, sich angemessen um die vier Kinder zu kümmern, oder jegliche unvorhersehbare Änderung der Gesundheit oder der Gesamtsituation der Kinder. Der Oberste Gerichtshof verwies auch auf die Möglichkeit der ErstBf, während der Gültigkeit des Rückkehrverbots die Einreise nach Norwegen für kurze Besuche zu beantragen. Zuletzt sieht sich der GH veranlasst, nicht nur die Bedeutung der Tatsache zu betonen, dass das Rückkehrverbot auf zwei Jahre befristet wurde, sondern dass er davon ausgeht, dass es ihr nach Ablauf dieser zwei Jahre erlaubt sein wird, ihr Familienleben in Norwegen wieder aufzunehmen.

(105) Angesichts all dieser Überlegungen akzeptiert der GH, dass der vorliegende Fall keine außergewöhnlichen Umstände aufwies, die es als solche vom belangten Staat verlangt hätten, die Ausweisungsentscheidung aufzuheben, um es den Bf zu erlauben, ihr Familienleben in Norwegen aufrechtzuerhalten [...]. Überdies anerkennt der GH, dass die innerstaatlichen Behörden eine Interessenabwägung in einer Situation vornehmen mussten, wo besonders schwerwiegende Interessen der Einwanderungskontrolle für die Ausweisung der ErstBf sprachen, während die Ausweisung gleichzeitig erhebliche Schwierigkeiten für die anderen Bf mit sich bringen würde. Der GH akzeptiert auch, dass die innerstaatlichen Behörden und Gerichte einschließlich des Obersten Gerichtshofs versuchten, den Interessen der Kinder insofern gerecht zu werden, als diese mit dem öffentlichen Interesse an einer Sanktionierung des Verhaltens der ErstBf vereinbart werden konnten.

(106) Was die endgültige Schlussfolgerung betrifft, wonach die Ausweisung nicht unverhältnismäßig war, weil sie nicht den vom GH in seiner Rsp dargelegten Standards [...] widersprach, findet der GH daher, dass die Behörden des belangten Staats ihren Ermessensspielraum nicht überschritten haben, als sie nach einer sorgfältigen Prüfung des Sachverhalts und einer angemessenen Abwägung der berührten Interessen entschieden, die ErstBf auszuweisen und ein zweijähriges Rückkehrverbot zu verhängen. Der GH sieht insb angesichts der sorgfältigen Prüfung durch die innerstaatlichen Gerichte auch keine anderen Gründe dafür, deren Einschätzung durch seine eigene zu ersetzen.

(107) Der GH gelangt [...] zum Ergebnis, dass keine Verletzung von Art 8 EMRK stattgefunden hat (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Darren Omoregie ua/NO, 31.7.2008, 265/07 = NL 2008, 229

Nunez/NO, 28.6.2011, 55597/09 = NLMR 2011, 169

Antwi ua/NO, 14.2.2012, 26940/10

Butt/NO, 4.12.2012, 47017/09

Kaplan ua/NO, 24.7.2014, 32504/11

Jeunesse/NL, 3.10.2014, 12738/10 (GK) = NLMR 2014, 417

Savran/DK, 7.12.2021, 57467/15 (GK) = NLMR 2021, 508

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 23.6.2022, Bsw. 569/20, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2022, 253) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Original des Urteils ist auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise