JudikaturAUSL EGMR

Bsw77400/14 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
08. Oktober 2020

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Ayoub u.a. gg. Frankreich, Urteil vom 8.10.2020, Bsw. 77400/14.

Spruch

Art. 10 EMRK, Art. 11 EMRK, Art. 17 EMRK - Behördliche Auflösung gewaltbereiter rechtsextremer Gruppierungen.

Zulässigkeit der Beschwerden unter Art. 10 EMRK und Art. 11 EMRK (einstimmig).

Unzulässigkeit der Beschwerde unter Art. 17 EMRK (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 11 EMRK gelesen im Lichte des Art. 10 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Beim Bf. der ersten Beschwerde (Bsw. Nr. 77.400/14) handelt es sich um Herrn Ayoub, der bis 2013 Anführer von Troisième Voie (»Dritter Weg«), einer rechtsextremen, revolutionär-nationalistischen Bewegung, und von deren Ordnungsdienst Jeunesses nationalistes révolutionnaires (»Nationalistische Revolutionäre Jugend«; im Folgenden »JNR«) war. Die Bf. der zweiten Beschwerde (Bsw. Nr. 34.532/15) sind Herr Benedetti und die von ihm bis zu ihrer Auflösung angeführte ultranationalistische rechtsextreme Organisation L’Œuvre Française (»Französisches Werk«). Bei den Bf. der dritten Beschwerde (Bsw. Nr. 34.550/15) handelt es sich um Herrn Gabriac und die von ihm bis zu ihrer Auflösung angeführte Organisation Jeunesses Nationalistes (»Nationalistische Jugend«), die als Jugendorganisation für L’Œuvre Française fungierte.

Die vorliegenden Beschwerden betreffen die behördliche Auflösung von Troisième Voie, L’Œuvre Française und Jeunesses Nationalistes im Juli 2013 auf der Basis von Art. L. 212-1 des Code de la Sécurité Intérieure (Gesetz über die innere Sicherheit; im Folgenden »CSI«). Zu diesen Auflösungen kam es, nachdem im Juni 2013 der Student C. M. – ein Mitglied der antifaschistischen Bewegung – aufgrund der in einem Raufhandel mit mehreren Skinheads erlittenen Verletzungen gestorben war. Die Skinheads waren Sympathisanten und/oder Mitglieder von Troisième Voie und der JNR. Am 14.9.2018 wurden zwei der Skinheads wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge unter Einsatz von Waffengewalt zu elf bzw. sieben Jahren Haft verurteilt. Das Berufungsverfahren ist noch anhängig.

Die Auflösung von Troisième Voie und der JNR durch den Staatspräsidenten erfolgte auf Basis von Art. L. 212-1 Z. 2 CSI (danach ist eine Auflösung zulässig, wenn eine Vereinigung oder Gruppierung aufgrund ihrer militärischen Form und Organisation den Charakter einer Kampftruppe oder Privatmiliz aufweist) und Z. 6 (dieser ermöglicht eine Auflösung, weil eine Vereinigung oder Gruppierung aufgrund deren Herkunft oder Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Rasse oder Religion entweder zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber einer Person oder einer Personengruppe provoziert oder Ideen oder Theorien propagiert, die darauf abzielen, diese Diskriminierung, diesen Hass oder diese Gewalt zu rechtfertigen oder zu fördern). Gegen diese Entscheidung wandte sich Herr Ayoub an den Conseil d’État, da er der Ansicht war, die Auflösung seiner Gruppierungen hätte politische Gründe und verfolge nicht den Zweck der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zumal er die betreffenden Gruppierungen zwischenzeitlich selbst offiziell aufgelöst hätte. Am 30.7.2014 bestätigte der Conseil d’État die Entscheidung des Staatspräsidenten. Er befand zwar, dass die Auflösung nicht auf die Z. 6 gestützt werden könne, sie allerdings zurecht auf Basis der Z. 2 erfolgt wäre, da die Gruppierungen als Privatmiliz iSd. Bestimmung angesehen werden könnten. Die Maßnahme wäre daher angesichts der schwerwiegenden Störungen der öffentlichen Ordnung notwendig gewesen.

Die Auflösung von L’Œuvre Française wurde vom Staatspräsidenten auf Art. L. 212-1 Z. 2, Z. 5 (danach ist die Auflösung gestattet, wenn eine Vereinigung oder Gruppierung zum Ziel hat, Individuen zu versammeln, die wegen des Delikts der Kollaboration mit dem Feind verurteilt wurden, oder diese Kollaboration zu verherrlichen) und Z. 6 CSI gestützt. Der vom Bf. über eine Nichtigkeitsklage angerufene Conseil d’État bestätigte die Auflösung auf der Basis der genannten Bestimmungen.

Die Auflösung der Jeunesses Nationalistes durch den Staatspräsidenten erfolgte auf der Grundlage von Art. L. 212-1 Z. 5 und Z. 6 CSI. Der vom Bf. über eine Nichtigkeitsklage angerufene Conseil d’État befand zwar, dass keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme gegeben wären, die betreffende Organisation würde die Voraussetzungen der Z. 5 erfüllen, bestätigte aber ihre Auflösung auf der Basis von Z. 6.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupteten aufgrund der Auflösung der genannten Vereinigungen eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Meinungsäußerungsfreiheit) und von Art. 11 EMRK (hier: Vereinigungsfreiheit).

Verbindung der Beschwerden

(55) Angesichts der Ähnlichkeit der vorliegenden Beschwerden in tatsächlicher Hinsicht und bezüglich der aufgeworfenen Rechtsfragen hält es der GH für angemessen, ihre Verbindung anzuordnen [...] (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 und Art. 11 EMRK

(58) Vorab erinnert der GH daran, dass die bf. Vereinigungen sich trotz ihrer Auflösung als Opfer der behaupteten Verletzungen iSd. Art. 34 EMRK ansehen können. Dasselbe gilt für die Bf.

(59) [...] Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist Art. 10 EMRK lex generalis zu Art. 11 EMRK, der lex specialis ist. Es ist daher nicht angezeigt, Ersteren gesondert zu betrachten. Trotz seiner eigenständigen Rolle und der Besonderheit seines Anwendungsbereichs muss Art. 11 EMRK im vorliegenden Fall jedoch auch im Lichte von Art. 10 EMRK gesehen werden.

Allgemeine Grundsätze

(86) [...] Wenn eine Vereinigung [...] durch ihre Aktivitäten oder die in ihrem Programm erklärten Absichten die staatlichen Institutionen oder die Rechte und Freiheiten anderer gefährdet, entzieht Art. 11 EMRK den Behörden eines Staates nicht die Befugnis, diese Institutionen und Personen zu schützen. Dies ergibt sich zugleich aus Art. 11 Abs. 2 EMRK und den positiven Verpflichtungen, die dem Staat aufgrund des Art. 1 EMRK obliegen.

(87) [...] Die in Art. 11 EMRK festgelegten Ausnahmen verlangen eine enge Auslegung. Nur überzeugende und zwingende Gründe können Beschränkungen der Vereinigungsfreiheit rechtfertigen.

(88) Der GH hatte bereits die Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass die Auflösung eine strenge Maßnahme mit gravierenden Konsequenzen ist, die nur in den schwersten Fällen angewendet werden kann. Sofern eine Vereinigung nicht vernünftigerweise als Nährboden für Gewalt angesehen werden kann oder die Negierung von demokratischen Prinzipien verkörpert, ist es schwierig, unter dem Deckmantel des Schutzes der Demokratie radikale Maßnahmen zur Beschränkung der Vereinigungsfreiheit mit dem Geist der Konvention in Einklang zu bringen. Diese bezweckt nämlich, den Ausdruck politischer Ansichten über alle friedlichen und legalen Mittel – einschließlich Vereinigungen und Versammlungen – zu garantieren.

(92) Der GH hat vielfach geurteilt, dass »Art. 17 EMRK – soweit er sich auf Gruppen oder Individuen bezieht – zum Ziel hat, es diesen unmöglich zu machen, aus der Konvention ein Recht abzuleiten, das es ihnen erlaubt, sich einer Aktivität zu widmen oder eine Handlung auszuführen, die auf die Zerstörung der von der Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten gerichtet ist [...]« (Lawless/IRL (Nr. 3), Rn. 7; Roj TV A/S/DK, Rn. 30). Insbesondere liegt das allgemeine Ziel des Art. 17 EMRK darin zu verhindern, dass totalitäre Gruppierungen die in der Konvention dargelegten Prinzipien zu ihren Gunsten ausnutzen können.

Anwendung der Grundsätze auf die Bsw. Nr. 77.400/14

Zulässigkeit

(102) Da die vom Bf. erhobene Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet [...] und auch aus keinem anderen Grund unzulässig ist, erklärt sie der GH für zulässig (einstimmig).

(103) Der GH hält zu diesem Punkt fest, dass die Regierung sich – anders als in den beiden weiteren Fällen –nicht auf Art. 17 EMRK berufen hat. Er hebt [...] hervor, dass der Conseil d’État bei seiner Entscheidung, dass Troisième Voie und die JNR zusammen eine private Miliz iSd. Art. L. 212-1 Z. 2 darstellen und alleine dieser Grund zu ihrer Auflösung berechtigen würde, gleichzeitig den anderen Grund [...] nach Z. 6 der genannten Bestimmung verwarf. Der GH nimmt die rechtliche Einordnung des Sachverhalts durch den Conseil d’État zur Kenntnis, womit sich prima facie kein Verhalten des Bf. offenbart, das auf die Zerstörung der in der Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten gerichtet gewesen wäre. Es ist daher im vorliegenden Fall nicht notwendig zu entscheiden, ob die Beschwerde ratione materiae mit den Bestimmungen der Konvention unvereinbar ist. Der GH betont, dass die von der Regierung unter Art. 11 Abs. 2 EMRK vorgebrachten Argumente ihn jedenfalls dazu bewegen, die Vereinbarkeit der Aktivitäten von Troisième Voie und der JNR mit den Grundwerten der Konvention – Toleranz, Gerechtigkeit und Frieden – zu untersuchen.

In der Sache

(104) Der GH befindet, dass die Auflösung von Troisième Voie und der JNR einen Eingriff in die Ausübung des Rechts des Bf. auf Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 11 EMRK begründet (siehe oben, Rn. 58).

(105) Die Auflösung wurde [...] auf der Grundlage der Voraussetzungen der Z. 2 und 6 des Art. L. 212-1 CSI angeordnet. Das innerstaatliche Gericht hat den ersten Grund für die Auflösung, nämlich das Bestehen einer Privatmiliz, aufrechterhalten. Es befand demgegenüber, dass keine ausreichenden Elemente für die Annahme verfügbar waren, dass der zweite Grund der Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt erfüllt wäre. Der GH beabsichtigt daher nicht, seine Untersuchung auf diesen Aspekt der Aktivitäten der [...] Gruppierungen zu richten, auch wenn dieser möglicherweise bei der Beurteilung des allgemeinen Kontexts des Falles berücksichtigt werden kann.

(106) Der GH stellt fest, dass der Eingriff gesetzlich vorgesehen war, nämlich durch Art. L. 212-1 Z. 2 CSI. Auch wenn der Bf. der Anordnung der Auflösung per Beschluss zuvorkam, indem er [offiziell] eine freiwillige Auflösung von Troisième Voie und der JNR vornahm, befanden die innerstaatlichen Behörden, dass diese Entitäten als de facto-Gruppierungen weiterbestanden, die iSd. zitierten Gesetzesbestimmung aufgelöst werden konnten. Im Übrigen zielte die strittige Auflösung auch darauf ab, der Wiedererrichtung der aufgelösten Gebilde vorzubeugen. Dies war im letzten Absatz des Art. L. 212-1 CSI ebenfalls als Delikt verankert [...]. Unter diesen Umständen stimmt der GH der Behauptung des Bf. nicht zu, wonach es nicht möglich war, den Auflösungsbeschluss auf Art. L. 212-1 CSI zu stützen.

(107) Der GH befindet, dass die strittige Maßnahme als auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit, die Aufrechterhaltung der Ordnung sowie den Schutz der Rechte anderer abzielend angesehen werden kann. Dabei handelt es sich allesamt um legitime Ziele iSd. Art. 11 Abs. 2 EMRK.

(108) Es bleibt zu entscheiden, ob die fragliche Maßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Das verlangt eine Prüfung, ob die von den innerstaatlichen Gerichten angeführten Gründe stichhaltig und ausreichend waren, um ein »dringendes gesellschaftliches Bedürfnis« zu belegen, und ob die Maßnahme verhältnismäßig zu den verfolgten legitimen Zielen war.

(109) Der GH betont zunächst, dass es sich bei Troisième Voie um keine politische Partei handelte, die sich zur Wahl stellte, sondern um eine Vereinigung mit einem politischen Programm (nämlich der Bewerbung der revolutionären nationalistischen Ideologie), das vom Bf. – einer Gestalt der ultrarechten Bewegung – verteidigt wurde. Dies muss den GH dazu veranlassen, eine strengere Prüfung der Notwendigkeit einer Beschränkung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit vorzunehmen als er es bei einer unpolitischen Vereinigung tun würde.

(110) Der GH beobachtet, dass es weder der Zweck der Gruppierung noch die von ihr vermittelte politische Äußerung oder die rein politischen Stellungnahmen ihres Anführers, des Bf., waren, die ihre Auflösung bewirkten, sondern vor allem eine Tat. Infolge des Todes des jungen C. M. entschieden die französischen Behörden unter Berücksichtigung der Störungen der öffentlichen Ordnung, welche dieser gewaltsame Vorfall ausgelöst hatte, Troisième Voie und [...] die JNR aufzulösen. Dieser Vorfall war für die strittige Entscheidung wesentlich, da er gemäß den Worten des Innenministers [...] »einen Hintergrund verschärfter Konflikte zwischen Aktivisten der extremen Linken und der extremen Rechten« enthüllte, der »im Zusammenhang mit Diskussionen und Zusammenstößen rund um das Gesetz betreffend die Ehe für alle« stand. Er ereignete sich also in einem »angespannten Kontext«, der darauf hinwies, dass »die Handlungen von Troisième Voie und der JNR mehr noch als in der Vergangenheit geeignet waren, zu schweren Störungen der öffentlichen Ordnung auszuarten«.

(111) Abgesehen von diesem Gewaltakt, der im Auflösungsbeschluss erwähnt wurde, stellt der GH fest, dass die Exekutivgewalt genauso wie der Conseil d’État die früheren Aktivitäten der fraglichen Gruppierungen als »Privatmiliz« berücksichtigte. Er betont insbesondere, dass für die Untermauerung einer solchen Einordnung folgende Elemente angeführt wurden: die hierarchische Organisation der JNR – mit welcher die Mitglieder von Troisième Voie eng verwoben waren – rund um einen Anführer, den Bf., mit der Devise »glauben, kämpfen, gehorchen«; die Zusammenkünfte in Uniformen und Paraden mit einer kriegerischen Konnotation, die von den Mitgliedern gepflegt wurden; und ihre Rekrutierung aufgrund ihrer körperlichen Eignung, um bei einer »Konfrontation« gegebenenfalls gewaltsame Aktionen durchführen zu können.

(112) Im Urteil Vona/H hat der GH daran erinnert, dass sich die Ziele einer Vereinigung nicht alleine aus dem formalen Inhalt ihres Statuts ergeben können, sondern dass ihre tatsächlichen Ziele und Aktivitäten berücksichtigt werden müssen (Rn. 69). Er betonte, dass die paramilitärischen Zusammenkünfte darauf gerichtet waren, Angst einzuflößen, und hob ebenso das Recht der Staaten hervor, präventive Maßnahmen zu setzen, um die Demokratie vor anderen Gebilden als politischen Parteien zu schützen, wenn ein ausreichend unmittelbarer Nachteil für die Rechte anderer droht, die Grundwerte zu untergraben, auf die sich eine demokratische Gesellschaft stützt (Rn. 57, 66 und 69).

(113) Wenn der Bf. im vorliegenden Fall behauptet, die JNR hätte nicht den Charakter einer Privatmiliz iSd. Art. L. 212-1 Z. 2 CSI aufgewiesen, wiederholt der GH, dass es in erster Linie den nationalen Behörden und insbesondere den Gerichten obliegt, das innerstaatliche Recht auszulegen und anzuwenden. Die Aufgabe des GH besteht lediglich darin, die von den Behörden getroffenen Entscheidungen anhand ihres Ermessensspielraumes zu überprüfen. Daher muss er sich davon überzeugen, dass Letztere sich auf eine vernünftige Beurteilung der einschlägigen Tatsachen gestützt haben. Unter den Umständen des vorliegenden Falles kann der GH die Kriterien, welche der Conseil d’État angeführt hat, um zu belegen, dass es sich bei der JNR um mehr als einen klassischen Ordnungsdienst von Troisième Voie handelte, nicht als unvernünftig oder willkürlich einstufen. Die diesbezüglich vom Innenminister beigebrachten Elemente zeugen von der Realität der Aktivitäten der JNR als Gruppe mit kriegerischer Organisation und entsprechendem Verhalten. Die Regierung betonte vor dem GH im Übrigen den bedrohlichen und aggressiven Charakter der JNR und legte Fotos von Zusammenkünften selbiger sowie Beispiele für Übergriffe vor, die von ihren Mitgliedern im Geiste einer extremistischen Ideologie begangen wurden. Der Bf. hat deren Echtheit nicht bestritten.

(114) Der GH befindet, dass es von Seiten der französischen Behörden vernünftig war zu befürchten, dass eine solche Gruppe, die aus dem Umfeld von Skinheads hervorgegangen war und deren Gewaltneigung bekannt ist bzw. die sogar ihre Existenzberechtigung ausmacht, mit ihren Symbolen, ihren Uniformen, ihren Formationen, ihrem Gewaltkult und ihren Grüßen ein Klima von Gewalt und Einschüchterung bevorzugt, das über jenes hinausgeht, das durch die Existenz einer Gruppe bewirkt wird, die störende oder beleidigende Ideen zum Ausdruck bringt. [...] Der GH beobachtet, dass die Ideologie [der Organisation] »in zahlreichen Gewaltakten ihre Fortsetzung« gefunden hat, welche durch die Überwachung und die begangenen Straftaten enthüllt wurden. Dies schuf im Laufe der Zeit ein Klima der Bedrohung für die Rechte und Freiheiten von anderen und für die öffentliche Ordnung.

(115) Im Übrigen berief sich der Bf. darauf, dass die individuellen Aktivitäten der Mitglieder nicht den Organisationen zugerechnet werden könnten, die er anführte. Der GH stellt jedoch fest, dass der Bf. selbst [...] politische Gewalt befürwortete, indem er dazu aufstachelte, auf den Kampf und auf körperliche Attacken gegen die antifaschistischen Bewegungen und die Sicherheitskräfte zu setzen. [...] Er sieht unter den Umständen des vorliegenden Falles keine Nachweise dafür, dass der Bf. sich von den Gewaltakten distanziert hätte, die von den Mitgliedern der Gruppierungen begangen wurden, die er anführte. Insbesondere missbilligte er den Tod von C. M. nicht, sondern verteidigte die durch Sympathisanten bzw. Mitglieder seiner Vereinigung begangene Tat [...].

(116) Schließlich hält der GH fest, dass die JNR und Troisième Voie derart miteinander verschachtelt waren, dass die Behauptungen des Bf., die zweitgenannte Vereinigung würde ein friedliches politisches Projekt bewerben, ins Leere gehen. Über die JNR konnte diese ihre in Wirklichkeit aufrührerischen Ziele erreichen, was laut [...] der Akte den Rückgriff auf gewaltsame Aktivitäten wie solche, die den Tod von C. M. bewirkten, implizierte. Der GH erinnert diesbezüglich daran, dass der »Nachweis durch politische Akteure, dass sie in der Lage und willens sind, eine paramilitärische Truppe zu organisieren, über den Einsatz von friedlichen und legalen Mitteln zum Ausdruck von politischen Meinungen hinausgeht« (Vona/H, Rn. 66).

(117) Angesichts des Vorgesagten und des Kontextes, in dem die Maßnahmen gesetzt wurden, konnten die [...] Behörden die Ansicht vertreten, dass stichhaltige und ausreichende Gründe für ein »dringendes gesellschaftliches Bedürfnis« zur Anordnung der strittigen Auflösung zum Zwecke der Vorbeugung vor Störungen der öffentlichen Ordnung und von deren Beendigung existierten.

(118) Was die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme zu den verfolgten legitimen Zielen angeht, anerkennt der GH, dass die Auflösung einer Vereinigung eine radikale Maßnahme darstellt.

(119) Er befindet, dass es die Regierung angesichts der Schwere der Ereignisse vom 5.6.2013, welche bereits in der Vergangenheit verursachte Störungen der öffentlichen Ordnung bestätigten, für notwendig erachten konnte, Rückgriff auf diese ultima ratio zu nehmen. Dieser erfolgte daher in einem angespannten Umfeld, das durch Bekundungen von Intoleranz durch Organisationen aus der ultraradikalen Bewegung gekennzeichnet war, zu dem auch Troisième Voie und sein Ordnungsdienst gehörten. In diesem Rahmen konnte die Regierung glauben, dass der Fortbestand Letzterer von der Allgemeinheit und insbesondere von den jungen Leuten als eine indirekte Legitimation von vergangenen und zukünftigen Störungen der öffentlichen Ordnung wahrgenommen würde.

(120) Die Regierung verfügte zwar nicht über weniger einschneidende legale Mittel, um die umstrittene Beschränkung vorzunehmen, da etwa keine Suspendierung [...] möglich war. Trotzdem hält der GH fest, dass der Conseil d’État geurteilt hat, dass ein gerechter Ausgleich zwischen der Achtung der Vereinigungsfreiheit und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geschaffen wurde. Das innerstaatliche Gericht hat daher eine sorgfältige Kontrolle der Einordnung der Tatsachen vorgenommen, wie durch die Verwerfung des [...] Auflösungsgrundes nach Art. L. 212-1 Z. 6 CSI mangels von der Regierung vorgebrachter konkreter Elemente sowie durch eine gründliche Untersuchung der konstituierenden Elemente für eine Privatmiliz iSd. Art. L. 212-1 Z. 2 CSI auf der Basis von zahlreichen Beweisen gezeigt wurde, die vom Minister während des Verfahrens vorgelegt wurden. Auch wenn der Conseil d’État seine Begründung nicht ausdrücklich auf der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme aufgebaut hat, so geht aus den Aktenelementen doch hervor, dass er die Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem »durch die Gesetze der Republik anerkannten Grundprinzip der Vereinigungsfreiheit« untersuchte – und dabei die »Schwere der Störung der öffentlichen Ordnung« berücksichtigte [...].

(121) Im Übrigen ist sich der GH bewusst, dass die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Auflösung für die innerstaatlichen Behörden die Prüfung ihrer Zweckmäßigkeit sowie ihres Potentials und ihrer Erforderlichkeit impliziert, die Gefahr für die öffentliche Ordnung [...] zu beenden. Dank ihrer direkten und ständigen Kontakte zu den tragenden Kräften ihres Landes sind die Behörden des Staates grundsätzlich in einer besseren Position als der internationale Richter, um über die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs zu entscheiden, der dazu bestimmt ist, die demokratische Gesellschaft, deren Ordnung erschüttert wird, gegen die Aktivitäten einer Vereinigung zu schützen, die sich der Gewalt hingibt. Neben dem im Hinblick auf die Ahndung der Wiedererrichtung von aufgelösten Vereinigungen oder Gruppen eingerichteten Rechtsrahmen, dem die Selbstauflösung der JNR und von Troisième Voie erlaubte zu entkommen, vermerkt der GH die Feststellung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den abschreckenden Folgen der betreffenden behördlichen Auflösungen als Verfahren, welche »die Gruppierungen desorganisieren«. Diese Elemente berechtigen den GH dazu zu befinden, dass der von den innerstaatlichen Behörden gesetzte Schritt notwendig war, um den erwähnten Störungen der öffentlichen Ordnung so wirksam wie möglich vorzubeugen. Der GH erinnert diesbezüglich daran, dass die nationalen Behörden dort, wo es zu einer Anstachelung zum Einsatz von Gewalt gegenüber einem Individuum, einem Vertreter des Staates oder einem Teil der Bevölkerung kommt, bei der Prüfung der Notwendigkeit eines Eingriffs in Art. 11 EMRK einen weiteren Ermessensspielraum genießen (Schwabe und M. G./D, Rn. 113; Les Authentiks und Supras Auteuil 91/F, Rn. 84).

Unter Berücksichtigung dieses Ermessensspielraumes und der besonderen Umstände des Falles kommt der GH zum Schluss, dass die Auflösung als zum verfolgten Ziel verhältnismäßig angesehen werden kann.

(122) Im Ergebnis war der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig. Deshalb erfolgte keine Verletzung von Art. 11 EMRK, gelesen im Lichte des Art. 10 EMRK (einstimmig).

Anwendung der Grundsätze auf die Bsw. Nr. 34.532/15 und 34.550/15

(123) Der GH stellt fest, dass die Regierung der Ansicht ist, die Beschwerden müssten gemäß Art. 17 EMRK aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit den Bestimmungen der Konvention ratione materiae für unzulässig erklärt werden. Er wird deshalb prüfen, ob Art. 17 EMRK auf die vorliegenden Fälle anwendbar ist. [...]

Vorbemerkungen

(125) Der GH beobachtet, dass das Ereignis, welches zur Absicht des Ministers führte, die Auflösung der bf. Vereinigungen auf Basis des Art. L. 212-1 CSI in die Wege zu leiten, der Tod von C. M. war – ein Akt, an dem ihre Mitglieder nicht beteiligt waren. Er hält ebenfalls fest, dass die bf. Vereinigungen vor dem Drama des 5.6.2013 seit ihrer rechtmäßigen Gründung keinen strafrechtlichen Verfolgungen im Zusammenhang mit der Umsetzung ihres Zwecks ausgesetzt waren – vielmehr wurden alleine ihre Mitglieder für individuell begangene Taten verhaftet und verurteilt –, auch wenn sie als Gruppen, die geeignet waren, die öffentliche Ordnung zu stören, einer Überwachung durch den Geheimdienst unterworfen waren. Der GH beobachtet zudem, dass es sich bei den bf. Vereinigungen nicht um politische Parteien handelte, sondern sie über ein politisches Programm verfügten, das sie während der vielen Jahre vor ihrer Auflösung bei Zusammenkünften oder auf ihrer Internetseite darlegten oder vertraten. Die Gesamtheit dieser Umstände führte sie dazu, eine »politische« Auflösung durch die französischen Behörden zu behaupten, die auf die Unterdrückung von radikalen Gegnern der an der Macht befindlichen politischen Kraft abzielen würde. Diese Überlegungen muss der GH im Kopf behalten, wenn er die Rüge der Bf. untersucht.

(126) Zweifellos hatten die beschlossenen Auflösungen eine politische Dimension. Sie wurden nach einem Verfahren in die Wege geleitet, das eine Untersuchung der gewalttätigen und hasserfüllten Aktivitäten der Vereinigungen oder ihrer Mitglieder [...] durch den Geheimdienst miteinschloss, und erfolgten nach einem entsprechenden Vorschlag des Innenministeriums sowie letztlich einem Beschluss des Staatspräsidenten. Außerdem hält der GH fest, dass die Bf., obwohl sie eine extreme Minderheitenströmung repräsentierten, zu der Kategorie von politischen Organisationen gehörten, die im demokratischen System einen »Einfluss« hatten (Vona/H, Rn. 56 und 58). Wie er vielfach wiederholt hat, charakterisieren nun aber Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit eine »demokratische Gesellschaft« und findet sich die freie politische Debatte im Wesen des Konzepts der demokratischen Gesellschaft, welches die gesamte Konvention durchzieht.

(127) Der GH wird seine Prüfung daher auf die Vereinbarkeit des Programms und der politischen Handlungen der Bf. mit den Grundlagen der Demokratie konzentrieren.

(128) Um den Bf. zu antworten, die die Anwendung von Art. L. 212-1 CSI zu politischen Zwecken rügen, legt der GH Wert darauf, dass die Auflösungsbeschlüsse nach einem kontradiktorischen Verfahren verfügt wurden, in welchem sie ihre Stellungnahmen abgeben konnten. Diese Beschlüsse waren im Übrigen Gegenstand [...] einer Nichtigkeitsklage an den Conseil d’État, der seine Kontrolle auf die gesetzlich vorgesehenen Auflösungsgründe erstreckte. Diese rechtliche Kontrolle beruhte insbesondere auf dem Grundsatz, dass eine Auflösung nur gerechtfertigt werden kann, wenn die einer Vereinigung zur Last gelegten Tatsachen nachgewiesen wurden.

L’Œuvre française und Herr Benedetti

(129) Der GH stellt fest, dass die Auflösung von L’Œuvre française [...] auf der Basis von Art. L. 212-1 Z. 2, 5 und 6 CSI vorgenommen wurde, nämlich weil die bf. Vereinigung zu Hass oder Diskriminierung gegenüber Personengruppen aufgrund deren Nichtzugehörigkeit zur französischen Nation und muslimischen oder jüdischen Herkunft oder Konfession provozierte, die Kollaboration mit dem Feind verherrlichte und eine Privatmiliz darstellte. Der Conseil d’État seinerseits zog »präzise und übereinstimmende« Elemente heran, um die Tatsachen einzuordnen, und urteilte dann, dass die Auflösung aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt war.

(130) Der GH betont, dass die Statuten von L’Œuvre française das nationalistische Ziel der Vereinigung offenbaren, nämlich »die Wiedererlangung des souveränen Nationalstaates durch die Franzosen«, »der gegenüber außen unabhängig ist«. Es handelt sich dabei um eine politische Strömung, die Teil der französischen politischen Landschaft ist. Abgesehen von diesem Ziel und entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung sind es die Handlungen und die Positionierung ihres Anführers, die von den französischen Behörden sorgfältig berücksichtigt wurden, um über die strittige Auflösung zu befinden. Die diesbezüglich im Verlaufe des innerstaatlichen Verfahrens und vor dem GH beigebrachten Beweiselemente haben Folgendes zutage gebracht:

(131) Erstens rufen die Vereinigung und ihr Anführer über ihre Internetseite zu einer nationalen Revolution auf, die von der allgemeinen Sorge inspiriert ist, sich von Personen zu befreien, die »nicht weiß« sind, »den Parasiten«, die Frankreichs Souveränität »zerstören«. Dieser fremdenfeindliche Aufruf ist mit der Verbreitung der Idee verbunden, das »politische Judentum« hätte zum Ziel, die französische Identität zu zerstören, sowie mit der Verbreitung von Publikationen gegen die Juden von für ihren Antisemitismus allgemein bekannten Personen, mit welchen der Bf., der sich selbst als antisemitisch bezeichnet, enge Beziehungen unterhält. Es gibt auch Beweise dafür, dass für ihre den Holocaust leugnenden Thesen bekannte und deswegen verurteilte Personen an von den Bf. organisierten Events oder Camps teilnahmen. Der Bf. selbst vertritt auch solche Thesen. Die Gesamtheit der Verbreitungen der bf. Vereinigung und ihres Anführers umfassten daher Verweise auf Autoren von antisemitischen oder rassistischen Theorien oder Publikationen und beinhalteten Elemente, die zur Diskriminierung provozierten oder eine solche rechtfertigten.

(132) Zweitens wurde vor dem Conseil d’État gezeigt, dass L’Œuvre française und ihr Anführer Personen verherrlichten, die mit Nazideutschland kollaboriert hatten. Sie pflegten einen Kult um Marschall Pétain und die Ideologie des Vichy-Regimes, die für die Deportation von zehntausenden französischen Juden in die Vernichtungslager verantwortlich gewesen waren. Sie identifizierten sich mit diesem Regime, indem sie das Keltenkreuz trugen, das häufig mit Bewegungen der extremen neonazistischen und neofaschistischen Rechten in Verbindung gebracht wird, und indem sie daraus ein Symbol machten, das bei den Gedenkfeiern, aber auch während eines Sommerlagers zu Ehren von Philippe Pétain verwendet wurde. Sie nahmen in ihren Schriften und Publikationen eine ideologische Anlehnung an Personen für sich in Anspruch, die der Kollaboration mit dem Feind freundlich gesinnt waren. Schließlich wäre es die Nationale Revolution von Philippe Pétain mit ihrer Rassengesetzgebung, die sie umsetzen würden, wenn sie an die Macht kämen. Damit würden sie eine schmerzhafte Vergangenheit wiederbeleben, für welche [...] die Verantwortung des Staates anerkannt wurde [...].

(133) Drittens geht aus den Aktenelementen hervor, dass es die Organisation von paramilitärischen Ausbildungslagern durch die Bf. erlaubte, die von der Vereinigung vermittelte Ideologie zu verbreiten und junge Aktivisten auszubilden, um daraus »Politsoldaten« zu machen. Dieser Aspekt der Aktivitäten der Bf. hebt klar ihre Absichten zur Indoktrinierung und Ausbildung insbesondere der Jugend hervor. Der GH sieht darin angesichts der verbreiteten Ideologie und der organisierten paramilitärischen Übungen eine Bedrohung für die Erziehung zur demokratischen Staatsbürgerschaft, die für den Kampf gegen den Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit wesentlich ist.

(134) Der GH leitet aus der Summe der den nationalen Gerichten und ihm selbst vorgelegten Beweise ab, dass die von den Bf. tatsächlich befürworteten Ziele, die von den Mitgliedern der bf. Vereinigung [...] – bei diversen Gelegenheiten auch gewaltsam – umgesetzt wurden, eindeutig Elemente der Provokation zu Hass und rassischer Diskriminierung umfassten, die unter der Konvention verboten sind. Er beobachtet, dass die Bf. davon nicht Abstand nahmen, sondern lediglich angaben, die ihnen zur Last gelegten Tatsachen wären falsch, oder sie bagatellisierten. Folglich befindet er, dass die Bf. durch die politischen Thesen, die sie vertraten, die Propaganda, die sie verbreiteten, und die Handlungen, die sie zur Förderung dieser Thesen organisierten, versuchten, ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit mit dem Ziel zu verwenden, die Ideale und Werte einer demokratischen Gesellschaft zu zerstören. Ihre Aktivitäten waren mit den Grundlagen der Demokratie unvereinbar.

Die Jeunesses nationalistes und Herr Gabriac

(135) Der GH betont, dass die Auflösung [...] auf der Basis der Voraussetzungen in Art. L. 212-1 Z. 5 und 6 CSI verfügt wurde. Der Conseil d’État erhielt den zweiten Auflösungsgrund aufrecht, nämlich die Provokation zu Hass, Diskriminierung oder Gewalt. Er befand demgegenüber, dass er nicht über ausreichende Elemente für die Annahme verfügen würde, dass auch der erste Auflösungsgrund [...] erfüllt wäre. Dieses Element kann jedoch eventuell bei der Beurteilung des allgemeinen Kontexts des Falles berücksichtigt werden (siehe Rn. 105 oben).

(136) Der GH befindet, dass die Erwägungen in den Rn. 130-134 auch auf die Beschwerde von Herrn Gabriac und der Jeunesses nationalistes Anwendung finden. Er hält fest, dass letztgenannte Organisation der Jugend von L’Œuvre française einen Rahmen bot. Die Aktenelemente offenbaren enge Verbindungen zwischen den Anführern der beiden Vereinigungen und das Teilen einer gleichen Ideologie. Wie bei L’Œuvre française

befindet der GH, dass gezeigt wurde, dass das politische Programm der Vereinigung Jeunesses nationalistes, untermauert durch ihre Publikationen, ihre Leitsprüche und die Interviews ihres Anführers, Ziele umfasste, die mit hasserfüllten und diskriminierenden Absichten gegenüber muslimischen Einwanderern verknüpft waren, und einen tief verwurzelten Antisemitismus sowie starken Hass auf Homosexuelle und deren Diskriminierung anpries. Die wahren Ambitionen des Bf. und der Vereinigung, die er anführte, zeigten sich über Erklärungen, unmissverständliche Äußerungen, Aktivitäten, kollektive Handlungen und Behauptungen, die der Vereinigung eine eindeutig antidemokratische Orientierung verliehen.

(137) Der GH leitet daraus ab, dass die Bf. versuchten, ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit mit dem Ziel zu verwenden, die Ideale und Werte einer demokratischen Gesellschaft zu zerstören. Ihre Aktivitäten waren mit den Grundlagen der Demokratie unvereinbar.

Ergebnis

(138) Angesichts des Vorgesagten kommt der GH zum Schluss, dass der Staat davon ausgehen konnte, dass die bf. Vereinigungen und ihre Anführer durch Art. 17 EMRK verbotene Ziele verfolgten und ihre Vereinigungsfreiheit als radikale Organisation, die im Widerspruch mit den der Konvention zugrundeliegenden Werten der Toleranz, des sozialen Friedens und der Nichtdiskriminierung den politisch-demokratischen Prozess bedrohte, missbraucht hatten. In ihrer Auflösung kommen nach Ansicht des GH Entscheidungen zum Ausdruck, die mit Blick auf eine vertiefte Kenntnis der innerstaatlichen politischen Situation und zugunsten einer »wehrhaften Demokratie« in einem Kontext des Weiterbestehens und der Erstarkung des Rassismus und der Intoleranz in Frankreich und Europa getroffen wurden.

(139) Folglich befindet der GH, dass die Bf. gemäß Art. 17 EMRK keinen Schutz unter Art. 11 EMRK, betrachtet im Lichte des Art. 10 EMRK, genießen können. Daraus folgt, dass ihre Beschwerden [...] als mit den Bestimmungen der Konvention ratione materiae unvereinbar [und daher unzulässig] zurückgewiesen werden müssen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Lawless/IRL (Nr. 3) v. 1.7.1961

Schwabe und M. G./D v. 1.12.2011 = NLMR 2011, 367 = EuGRZ 2012, 141

Vona/H v. 9.7.2013 = NLMR 2013, 245

Perinçek/CH v. 15.10.2015 (GK) = NLMR 2015, 435

Les Authentiks et Supras Auteuil 91/F v. 27.10.2016

Roj TV AG/DK v. 17.4.2018 (ZE)

Stiftung Zehra u.a./TR v. 10.7.2018 = NLMR 2018, 361

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 8.10.2020, Bsw. 77400/14, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2020, 357) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Original des Urteils ist auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise