JudikaturAUSL EGMR

Bsw10211/12 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
04. Dezember 2018

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Große Kammer, Beschwerdesache Ilnseher gg. Deutschland, Urteil vom 4.12.2018, Bsw. 10211/12.

Spruch

Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK, Art. 7 Abs. 1 EMRK - Zulässigkeit der therapeutisch ausgerichteten nachträglichen Sicherungsverwahrung.

Keine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK (15:2 Stimmen).

Keine Verletzung von Art. 7 Abs. 1 EMRK (14:3 Stimmen).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. wurde 1999 vom Landgericht Regensburg wegen Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt, nachdem er 1997 im Alter von 19 Jahren eine Frau in einem Park getötet, den Leichnam entkleidet und danach masturbiert hatte.

Im Anschluss an seine Freiheitsstrafe wurde er ab 17.7.2008 einstweilig in Sicherungsverwahrung angehalten. Am 22.6.2009 ordnete das LG Regensburg unter dem Vorsitz von Richter P. die nachträgliche Sicherungsverwahrung an. Das Gericht ging aufgrund eines Gutachtens davon aus, dass nach wie vor eine hohe Gefahr der Begehung weiterer gewalttätiger Sexualstraftaten bestand. Die dagegen erhobene Revision wurde am 9.3.2010 vom BGH verworfen. Mit einer Leitentscheidung des BVerfG vom 4.5.2011 (2 BvR 2333/08, 2 BvR 1152/10) wurde der Beschwerde des Bf. stattgegeben. Die angefochtenen Urteile wurden aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen.

Nachdem der Bf. am 5.5.2011 in Folge des Urteils des BVerfG seine sofortige Freilassung begehrt hatte, ordnete das LG Regensburg am folgenden Tag erneut seine einstweilige Sicherungsverwahrung an. Diese Entscheidung wurde vom OLG Nürnberg am 16.8.2011 bestätigt. Das vom Bf. erneut angerufene BVerfG nahm am 22.5.2011 die Beschwerde nicht zur Behandlung an.

Im fortgesetzten Verfahren ordnete das LG Regensburg am 3.8.2012 erneut die nachträgliche Sicherungsverwahrung des Bf. an. Eine Einschätzung seiner Persönlichkeit, seiner Straftat und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs würde zeigen, dass nach wie vor eine hochgradige Gefahr bestünde, dass er schwerste sexuell motivierte Gewaltstraftaten begehen könnte. Außerdem stellte das LG fest, dass es sich bei dem sexuellen Sadismus des Bf. um eine geistige Störung im Sinne des Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz – ThUG) handle. Die gegen dieses Urteil erhobene Revision des Bf. wurde am 5.3.2011 vom BGH verworfen. Das BVerfG lehnte die Behandlung der Beschwerde des Bf. am 5.12.2013 ohne Angabe von Gründen ab.

In weiterer Folge wurde die Notwendigkeit der Sicherungsverwahrung in regelmäßigen Abständen überprüft. Während der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe weigerte sich der Bf., mit der gebotenen Motivation an den Therapien mitzuwirken. Seit 20.6.2013 ist der Bf. im neu errichteten Zentrum für Sicherungsverwahrte Straubing untergebracht, bei dem es sich um eine separate Einrichtung auf dem Gelände der JVA Straubing handelt. Auch hier lehnte er zunächst jede Therapie ab.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptete eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK (Recht auf persönliche Freiheit), Art. 7 EMRK (Nulla poena sine lege) und Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren).

Umfang der Rechtssache vor der GK

(99) [...] Die Kammer strich die vorliegenden Beschwerden aus dem Register, soweit sich der Bf. [...] über seine in der JVA Straubing vollzogene Sicherungsverwahrung zwischen 6.5.2011 und 20.6.2013 beschwerte. Die Streichung [...] beruhte auf einer einseitigen Erklärung der Regierung, mit der eine Verletzung der Konvention anerkannt wurde, weil der Bf. in dieser Zeit nicht in einer angemessenen Einrichtung für psychisch kranke Patienten untergebracht war.

(100) [...] Die GK kann jene Teile der Beschwerde nicht prüfen, die von der Kammer für unzulässig erklärt wurden.

(101) Die selben Überlegungen gelten [...], wenn Teile der Beschwerde wie im vorliegenden Fall nicht für unzulässig erklärt, sondern vor der Entscheidung der Kammer über die Zulässigkeit aus der Liste gestrichen wurden. Diese Teile gehören daher nicht zur an die GK verwiesenen Rechtssache.

(103) Folglich fällt die Vereinbarkeit der Sicherungsverwahrung des Bf. zwischen 6.5.2011 bis 20.6.2013 [...] nicht in die Jurisdiktion der GK.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK

(107) Der Bf. behauptete, dass seine auf dem Urteil des LG Regensburg vom 3.8.2012 beruhende, nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung im Zentrum für Sicherungsverwahrung Straubing ab 20.6.2013 mit seinem Recht auf persönliche Freiheit unvereinbar gewesen sei. [...]

(142) Der GH ist aufgefordert [...] zu entscheiden, ob die Sicherungsverwahrung des Bf. unter einen der zulässigen Gründe für eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 lit. a bis lit. f EMRK fiel und ob sie »rechtmäßig« im Sinne dieser Bestimmung war [...].

(143) [...] Die Zeitspanne, um die es im Verfahren vor der GK geht, begann am 20.6.2013, als der Bf. von der allgemeinen Abteilung in das neue Zentrum für Sicherungsverwahrung der JVA Straubing verlegt wurde. [...] Sie endete am 18.9.2014, als die Fortsetzung der Sicherungsverwahrung des Bf. im Zuge der periodischen gerichtlichen Überprüfung angeordnet wurde, was der Bf. gesondert vor den innerstaatlichen Gerichten bekämpfen könnte.

Gründe für die Freiheitsentziehung

(144) [...] Die Sicherungsverwahrung des Bf. wurde nach seiner Verurteilung vom 29.10.1999 in einem gesonderten Urteil vom 3.8.2012 nachträglich angeordnet. [...] Seine Anhaltung konnte daher nicht nach Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK als Freiheitsentziehung »nach Verurteilung« gerechtfertigt werden, weil keine ausreichende kausale Verbindung zwischen der Verurteilung des Bf., die keine Anordnung der Sicherungsverwahrung enthielt, und seiner Freiheitsentziehung aufgrund der 2012 erfolgten Anordnung der Sicherungsverwahrung bestand.

(145) Die Sicherungsverwahrung des Bf. konnte gleichermaßen nicht auf Art. 5 Abs. 1 lit. c EMRK [...] gestützt werden. Dieser Haftgrund [...] bietet den Mitgliedstaaten nur ein Mittel zur Verhütung von Straftaten, die insbesondere hinsichtlich des Tatorts und der Tatzeit sowie ihrer Opfer ausreichend konkret und spezifisch sind, was sich nicht auf potentielle weitere Delikte erstreckt, die der Bf. begehen könnte.

(146) Der GH wird daher prüfen, ob [...] die Anhaltung des Bf. als Freiheitsentziehung einer psychisch kranken Person iSv. Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK gerechtfertigt werden kann. Dies erfordert zunächst, dass zum relevanten Zeitpunkt der Entscheidung, mit der die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, die psychische Krankheit des Bf. verlässlich festgestellt worden ist. Es muss also von einer zuständigen Behörde aufgrund objektiver ärztlicher Expertise eine wirkliche psychische Störung festgestellt worden sein.

(147) [...] Das LG, das zwei externe Experten für Psychiatrie [...] herangezogen hatte, war überzeugt davon, dass der Bf. an einer Störung der sexuellen Präferenz, nämlich Sadismus [...], litt. Die psychische Störung, die seine brutale Straftat verursacht und sich in dieser manifestiert hatte, bestand nach wie vor. Der Bf. litt daher an einer psychischen Störung iSv. § 1 Abs. 1 ThUG. [...]

(149) Da dem Begriff der »psychisch kranken Person« eine autonome Bedeutung gegeben werden muss, ist es nicht erforderlich, dass die betroffene Person an einem Zustand leidet, der nach dem innerstaatlichen Recht die strafrechtliche Zurechenbarkeit bei der Tatbegehung ausschließt oder mindert.

(150) Der GH verweist auf seine früheren Feststellungen [...], wonach der Begriff der »psychisch kranken Person« in Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK enger sein könnte als der Begriff der »psychischen Störung« in § 1 Abs. 1 ThUG. Die Konvention verlangt allerdings nicht, dass die im innerstaatlichen Recht verwendeten Begriffe und insbesondere der Begriff der psychischen Störung iSv. § 1 Abs. 1 ThUG gleich definiert oder ausgelegt werden wie die in der Konvention enthaltenen Begriffe. Es kommt nach Ansicht des GH darauf an, ob die innerstaatlichen Gerichte in dem ihnen vorliegenden Fall eine Störung festgestellt haben, von der gesagt werden kann, dass sie einer wirklichen psychischen Störung entspricht, wie sie in der Rechtsprechung des GH definiert wurde. [...]

(151) Im vorliegenden Fall stellten die innerstaatlichen Gerichte [...] fest, dass der Bf. an einer Form von sexuellem Sadismus litt, die als schwerwiegend angesehen werden muss. Der Zustand des Bf. erforderte eine umfassende Therapie, die entweder im Zentrum für Sicherungsverwahrung oder in einem psychiatrischen Krankenhaus geboten werden musste. Der GH ist daher überzeugt davon, dass der beim Bf. diagnostizierte Zustand einer wirklichen psychischen Erkrankung iSv. Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK entsprach.

(152) [...] Der GH ist davon überzeugt, dass die Feststellung des LG, die im Rechtsmittelweg bestätigt wurde, auf objektiver ärztlicher Expertise beruhte.

(153) Zur Frage, ob die innerstaatlichen Gerichte »feststellten«, dass der Bf. an einer wirklichen psychischen Erkrankung iSv. Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK litt, bemerkt der GH, dass das LG Regensburg in seinem umstrittenen Urteil vom 3.8.2012 die in den Berichten der beiden beigezogenen Experten für Psychiatrie enthaltenen Feststellungen ebenso wie die Befunde zahlreicher medizinischer Experten, die den Bf. zuvor nach seiner Festnahme aufgrund seiner Straftat untersucht hatten, genau überprüfte und auf dieser Grundlage entschied, dass der Bf. an sexuellem Sadismus litt.

(154) Der GH übersieht dabei nicht, dass das LG im 2012 geführten Verfahren, um das es hier geht, von einer schwerwiegenden psychischen Störung des Bf. ausging, während das den Bf. verurteilende Gericht nicht vom Vorliegen einer solchen bei der 1997 erfolgten Tatbegehung ausgegangen war und daher die volle strafrechtliche Verantwortlichkeit angenommen hatte. Dies reicht jedoch nicht aus, um unter den Umständen des Verfahrens, um das es im vorliegenden Fall geht [...], Zweifel an den Tatsachenfeststellungen der innerstaatlichen Gerichte betreffend den Geisteszustand des Bf. zu säen.

(155) In diesem Zusammenhang ist erstens festzustellen, dass die nationalen Gerichte ein gewisses Ermessen betreffend den Inhalt klinischer Diagnosen haben. Außerdem befasste sich das LG mit dem Fortschritt bei der Einschätzung des Geisteszustands des Bf. durch die ärztlichen Experten und die Gerichte. [...] Der Bf. hatte seine sadistischen Motive für die Straftat bei seiner Verhandlung 1999 verschwiegen. [...] Erst 2006/07 gestand er gegenüber zwei Experten seine sexuellen Gewaltphantasien ein, die er mit dem Mord in die Tat umgesetzt hatte. [...]

(156) [...] Wie das vorliegende statistische Material zeigt, wurde seit dem Urteil des GH im Fall M./D eine erhebliche Zahl der in nachträglich angeordneter oder verlängerter Sicherungsverwahrung angehaltenen Personen entlassen. Dies kann als Zeichen für die Durchführung einer individuellen Beurteilung des psychischen Zustands von Personen in nachträglicher Sicherungsverwahrung gesehen werden.

(157) Außerdem kann sich der psychische Zustand einer Person mit der Zeit ändern. [...] Im Kontext von Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK ist es nur notwendig zu prüfen, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Anordnung der freiheitsentziehenden Maßnahme psychisch krank ist (und nicht zur Zeit der Begehung einer vorangegangenen Straftat, die in jedem Fall keine Voraussetzung für eine Anhaltung nach lit. e ist). Bei der Entscheidung, ob die psychische Störung von einer Art oder einem Grad ist, der eine zwangsweise Unterbringung erfordert, ist es außerdem üblicherweise notwendig, die Gefahr einzuschätzen, die eine Person im Zeitpunkt der Anordnung und in der Zukunft für die Öffentlichkeit darstellt. Angesichts dieser im Wesentlichen vorausblickenden Elemente kann die gegen den Bf. angeordnete Sicherungsverwahrung am besten als »nachträglich« zu seiner früheren Straftat und Verurteilung beschrieben werden, obwohl bei der Beurteilung seiner Gefährlichkeit auch seine Vorgeschichte von Straftaten zu berücksichtigen ist, was einen rückblickenden Aspekt umfasst.

(158) [...] Was die zweite Voraussetzung dafür betrifft, eine Person als »psychisch krank« einzustufen, konnte das LG nach Ansicht des GH angesichts des von diesem Gericht festgestellten hohen Risikos der Begehung einer weiteren ähnlichen Straftat [...] aufgrund dieser Störung zu Recht davon ausgehen, dass die psychische Störung des Bf. von einer Art oder einem Grad war, die eine zwangsweise Unterbringung erforderten.

(159) Drittens war die Gültigkeit der fortgesetzten Anhaltung des Bf. vom Fortbestehen seiner psychischen Störung abhängig. Nach dem innerstaatlichen Recht (§ 67d Abs. 2 StGB iVm. § 316f Abs. 2 und Abs. 3 EGStGB) konnten die innerstaatlichen Gerichte die Fortsetzung seiner Sicherungsverwahrung in den folgenden Verfahren zur periodischen gerichtlichen Überprüfung nur anordnen, wenn und solange eine hochgradige Gefahr bestand, dass er nach seiner Entlassung infolge dieser Störung erneut Straftaten begehen würde. Nichts [...] deutet darauf hin, dass diese Gefahr während der im vorliegenden Fall zu prüfenden Zeitspanne wegfiel.

(160) Der GH gelangt daher zu dem Schluss, dass der Bf. eine psychisch kranke Person iSv. Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK war.

»Rechtmäßige« Freiheitsentziehung »auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise«

(161) Was die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung des Bf. betrifft, stellt der GH fest, dass sie mit Urteil des LG vom 3.8.2012 gemäß § 7 Abs. 2 Z. 1 und § 105 Abs. 1 JGG, ausgelegt im Lichte des Urteils des BVerfG vom 4.5.2011, angeordnet und vom Berufungsgericht bestätigt wurde.

(164) Die Rechtmäßigkeit der Anhaltung des Bf. gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK erfordert weiters, dass die Freiheitsentziehung in einer Einrichtung durchgeführt wird, die für psychisch kranke Patienten angemessen ist. Die für diese Einschätzung relevante Zeit [...] ist die Periode der umstrittenen Anhaltung, die von 20.6.2013 bis zur nächsten periodischen gerichtlichen Entscheidung über die Fortsetzung der Sicherungsverwahrung des Bf. dauerte, die am 18.9.2014 erfolgte, und nicht der Zeitpunkt, zu dem die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Zwischen 20.6.2013 und 18.9.2014 wurde der Bf. im neu errichteten Zentrum für Sicherungsverwahrung der JVA Straubing angehalten.

(165) [...] Der Bf. stellte nicht in Abrede, dass sich die ärztliche und therapeutische Betreuung in dieser Einrichtung von den Zuständen in der JVA Straubing unterschied. Wie der GH feststellt, [...] kümmern sich 71 Angestellte um maximal 84 Insassen [...]. Insbesondere sind ein Psychiater, sieben Psychologen, ein Allgemeinmediziner und vier Krankenschwestern mit der ärztlichen und therapeutischen Behandlung betraut. Ein breites Behandlungsangebot steht für Personen mit psychischen Störungen bereit [...]. Dem Bf. wurden insbesondere eine Einzel- und Gruppentherapie, ein Intensivprogramm für Sexualstraftäter und eine von einem externen Psychiater durchgeführte Therapie angeboten.

(167) [...] Entsprechend dem verfassungsrechtlichen Abstandsgebot zwischen Sicherungsverwahrung und Strafvollzug werden nunmehr allen Personen in Sicherungsverwahrung, unabhängig davon, ob sie wegen einer psychischen Störung untergebracht sind, generell wesentlich verbesserte materielle Haftbedingungen geboten im Vergleich zu jenen, unter denen sie früher in besonderen Gefängnisabteilungen angehalten wurden. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Schlussfolgerung, dass die medizinische und therapeutische Versorgung im Zentrum für Sicherungsverwahrung nicht für psychisch kranke Personen wie den Bf. angemessen wären. Wie erwähnt wird dem Bf. ein individuelles Therapieprogramm geboten, das auf seine Bedürfnisse und seinen Geisteszustand zugeschnitten ist. [...]

(168) Angesichts dieser Faktoren ist der GH überzeugt, dass dem Bf. eine therapeutische Umgebung geboten wurde, die für eine als psychisch kranker Patient angehaltene Person angemessen war, und dass er damit in einer für die Zwecke des Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK passenden Einrichtung angehalten wurde. [...]

(169) Damit die Anordnung der Freiheitsentziehung rechtmäßig und frei von Willkür ist, muss sie zudem unter den Umständen notwendig gewesen sein. [...] Die innerstaatlichen Gerichte stellten fest, dass im Fall einer Entlassung des Bf. ein hohes Risiko der Begehung eines weiteren Sexualmordes bestehen würde, und sie erachteten weniger schwerwiegende Maßnahmen als eine Freiheitsentziehung als unzureichend [...]. Der GH ist [...] davon überzeugt, dass die Freiheitsentziehung des Bf. unter den gegebenen Umständen auch notwendig war.

Schlussfolgerung

(170) [...] Die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung des Bf. war, soweit sie [...] zwischen 20.6.2013 und 18.9.2014 im Zentrum für Sicherungsverwahrung der JVA Straubing durchgeführt wurde, nach Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK [...] gerechtfertigt.

(171) Folglich stellt der GH fest, dass in dieser Hinsicht keine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK stattgefunden hat (15:2 Stimmen; abweichendes Sondervotum von Richter Pinto de Albuquerque, gefolgt von Richter Dedov).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 7 EMRK

(172) Der Bf. brachte weiters vor, seine nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung, die aufgrund des Urteils des LG Regensburg vom 3.8.2012 ab 20.6.2013 [...] vollstreckt wurde, habe auch sein Recht verletzt, nicht zu einer schwereren Strafe verurteilt zu werden, als zur Zeit der Begehung seiner Straftat im Juni 1997 vorgesehen war. [...]

Allgemeine Grundsätze

(203) [...] Damit Art. 7 EMRK effektiven Schutz bietet, muss es dem GH freistehen [...] selbst einzuschätzen, ob eine bestimmte Maßnahme ihrem Wesen nach eine »Strafe« im Sinne dieser Bestimmung darstellt. [...] Ein sehr gewichtiger Faktor ist [dabei], ob die fragliche Maßnahme nach einer Verurteilung wegen einer Straftat verhängt wurde. Weitere relevante Faktoren sind die Charakterisierung der Maßnahme nach innerstaatlichem Recht, die Art und der Zweck der Maßnahme, die mit ihrer Schaffung und Durchführung verbundenen Verfahren und ihre Schwere. [...]

(204) Die spezifischen Bedingungen der Durchführung der fraglichen Maßnahme können insbesondere für ihre Art und ihren Zweck sowie für die Schwere der Maßnahme relevant sein und damit für die Einschätzung, ob die Maßnahme als Strafe iSv. Art. 7 Abs. 1 EMRK einzustufen ist. Diese Bedingungen der Durchführung können sich während einer Zeitspanne ändern, die von ein und derselben gerichtlichen Anordnung umfasst ist. Genau wie auch im Kontext von Art. 5 Abs. 1 EMRK ist es dann notwendig zu klären, ob es die Vollstreckungsbedingungen zu dem Zeitpunkt, zu dem die Maßnahme – wie die Freiheitsentziehung einer Person – angeordnet wurde, oder die Bedingungen während einer späteren vom GH zu beurteilenden Phase sind, die für die Einschätzung relevant sind, ob die fragliche Maßnahme eine Strafe iSv. Art. 7 Abs. 1 EMRK war.

(206) [...] In manchen seltenen Fällen – insbesondere wenn das nationale Recht eine Maßnahme nicht als Strafe qualifiziert und ihr Zweck ein therapeutischer ist – kann eine wesentliche Änderung, insbesondere der Bedingungen der Durchführung der Maßnahme, die ursprüngliche Einschätzung der Maßnahme als Strafe iSv. Art. 7 Abs. 1 EMRK widerrufen, selbst wenn diese Maßnahme auf der Grundlage derselben Anordnung durchgeführt wird.

(207) Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 2. Satz EMRK, wonach keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe »verhängt« werden darf, steht nach Ansicht der GK einer Auslegung dieser Bestimmung nicht im Wege, die Rücksicht auf die Tatsache nimmt, dass eine Maßnahme über eine längere Zeitspanne hinweg »verhängt« werden und während ihrer Verhängung die Art ihrer Durchführung und damit ihren Charakter ändern kann.

(208) Der GH [...] ist nur in der Lage, anhand der in seiner Rechtsprechung entwickelten Kriterien vollständig einzuschätzen, ob eine Maßnahme ihrem Wesen nach eine Strafe darstellt, wenn er Veränderungen bei der tatsächlichen Durchführung einer Maßnahme aufgrund derselben Anordnung berücksichtigt. Manche dieser Kriterien können als »statisch« oder nicht anfällig für Veränderungen nach dem Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme beschrieben werden, insbesondere das Kriterium, ob die fragliche Maßnahme nach einer Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung erfolgt ist, sowie jenes des Verfahrens, das ihrer Erlassung vorangegangen ist. Im Gegensatz dazu können andere Kriterien, einschließlich der Art und des Zwecks der Maßnahme, als »dynamisch« oder anfällig für Veränderung im Lauf der Zeit beschrieben werden. Um die Vereinbarkeit einer Maßnahme mit Art. 7 Abs. 1 EMRK während einer bestimmten Zeit zu beurteilen, muss daher die tatsächliche Art und Weise, wie die Maßnahme während dieser Zeit durchgeführt wurde, als relevant erachtet und vom GH berücksichtigt werden.

(209) Folglich ist für die Beurteilung, ob eine Maßnahme eine Strafe iSv. Art. 7 Abs. 1 EMRK war [...], die Zeitspanne relevant, die Gegenstand des Verfahrens vor dem GH ist, also die Zeit von 20.6.2013 bis 18.9.2014, und nicht der Zeitpunkt, zu dem die Maßnahme angeordnet wurde.

Anwendung im vorliegenden Fall

Verhängung der Maßnahme im Anschluss an eine Verurteilung wegen einer Straftat

(215) [...] Die Anordnung der Sicherungsverwahrung des Bf. erfolgte nicht zusammen mit seiner Verurteilung, sondern mit einem gesonderten Urteil im Jahr 2012 und damit mehrere Jahre nach seiner 1999 erfolgten Verurteilung. Dennoch war die Anordnung aber mit der Verurteilung verbunden – und erfolgte damit »im Anschluss« an diese –, weil es gemäß § 7 Abs. 2 JGG eine Voraussetzung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung war, dass der betroffene jugendliche Straftäter wegen eines insbesondere gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung gerichteten Verbrechens zu einer mindestens siebenjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Außerdem musste nach dieser Bestimmung das Verfahren betreffend die Sicherungsverwahrung des Straftäters auf Beweisen beruhen, die vor dem Ende der wegen der besagten Straftat verhängten Freiheitsstrafe erlangt worden waren.

(216) [...] Das LG hatte in seinem Urteil vom 3.8.2012 die Sicherungsverwahrung des Bf. nicht in einer bestimmten Einrichtung angeordnet [...]. Als das LG seine Anordnung traf, war klar, dass der Bf. aufgrund des vom LG angewendeten Leiturteils des BVerfG vom 4.5.2011 sobald wie möglich in eine Einrichtung verlegt werden musste, die ihm nicht nur stärker an die allgemeinen Lebensbedingungen angepasste Bedingungen bot, sondern insbesondere ein auf seine Bedürfnisse als psychisch kranker Patient zugeschnittenes therapeutisches Angebot. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung deckte daher die Unterbringung des Bf. im neuen Zentrum für Sicherungsverwahrung während der hier in Rede stehenden Zeitspanne.

Charakterisierung der Maßnahme nach innerstaatlichem Recht

(217) [...] Sicherungsverwahrung [...] wird vom deutschen Recht nicht als Strafe angesehen [...], für die das absolute verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot gilt. In seinem Leiturteil vom 4.5.2011 bekräftigte das BVerfG erneut, dass Sicherungsverwahrung entgegen den Feststellungen des GH betreffend den Begriff der Strafe nach Art. 7 EMRK keine Strafe im Sinne des im GG enthaltenen absoluten Verbots der rückwirkenden Anwendung des Strafrechts ist. Es stellte jedoch weiters fest, dass die damals geltenden Bestimmungen des StGB über die Verhängung und die Dauer der Sicherungsverwahrung nicht dem Gebot der Differenzierung zwischen rein präventiven Maßnahmen [...] und Strafen [...] entsprachen. Das BVerfG ordnete daher eine Änderung der Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung im StGB durch den Gesetzgeber an, die diesem Abstandsgebot Rechnung tragen musste.

(218) Dieser Anforderung entsprechend dienen die mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vorgenommenen Änderungen des StGB dazu, die Unterschiede zwischen der Vollstreckung von Freiheitsstrafen und Sicherungsverwahrung klarzustellen und zu verstärken [...]. [...]

Art und Zweck der Maßnahme

(219) [...] Zur relevanten Zeit wurde der Bf. im Zentrum für Sicherungsverwahrung Straubing angehalten. Seine Freiheitsentziehung wurde somit nicht in einem gesonderten Flügel für Sicherungsverwahrte in einem gewöhnlichen Gefängnis durchgeführt, wie in den Fällen M./D und Glien/D, sondern in einer Einrichtung, die mit der in Bergmann/D in Rede stehenden vergleichbar war. Ihm wurde als psychisch kranke Person die Freiheit entzogen und eine auf seine psychische Störung gerichtete Behandlung geboten.

(220) [...] Es bestanden erhebliche Unterschiede zwischen der Freiheitsentziehung in einem gewöhnlichen Gefängnis und der Sicherungsverwahrung des Bf. im neuen Zentrum für Sicherungsverwahrung, das errichtet wurde, um dem neuen Konzept der Sicherungsverwahrung [...] zu entsprechen. In diesem Zentrum wurde dem Bf. die Freiheit unter wesentlich besseren materiellen Bedingungen entzogen als in einem gewöhnlichen Gefängnis, um den Anforderungen der deutschen Verfassung entsprechend zwischen diesen beiden Formen der Freiheitsentziehung zu differenzieren. [...]

(221) [...] Im Zentrum für Sicherungsverwahrung Straubing [...] versorgte eine erhöhte Zahl spezialisierten therapeutischen Personals Insassen wie den Bf. mit einer individualisierten ärztlichen und therapeutischen Behandlung [...]. Der Bf. [...] akzeptierte erst nach der vom vorliegenden Verfahren erfassten Zeitspanne einen Teil der Therapieangebote. Der GH sieht allerdings keinen Grund zu bezweifeln, dass die dem Bf. gemachten Therapieangebote zur relevanten Zeit angemessen, ausreichend und für ihn verfügbar waren. Es hat daher keine Auswirkungen auf die Feststellungen des GH über Art und Zweck der Sicherungsverwahrung des Bf., dass er die ihm gemachten Angebote nicht sofort annahm.

(223) Der GH [...] ist überzeugt, dass die von den innerstaatlichen Behörden ergriffenen Maßnahmen eine wesentliche Verbesserung der Bedingungen bewirkten, unter denen Personen in Sicherungsverwahrung untergebracht werden. Im Mittelpunkt dieser Form der Freiheitsentziehung steht nun die Behandlung, die darauf gerichtet ist, die von diesen Personen ausgehende Gefahr für die Öffentlichkeit so weit zu reduzieren, dass die Unterbringung so bald wie möglich beendet werden kann [...].

(224) Der GH stimmt [...] mit der Ansicht der Regierung überein, wonach die Reform des deutschen Systems der Sicherungsverwahrung vor dem Hintergrund eines Dialogs zwischen dem GH und dem BVerfG durchgeführt wurde.

(225) Nach Ansicht des GH sind die Änderungen der Art der Durchführung von Sicherungsverwahrung für Personen essentiell, die wie der Bf. als psychisch kranke Personen untergebracht sind. Der GH misst der Tatsache besondere Bedeutung bei, dass nach § 7 Abs. 2 und § 105 Abs. 1 JGG in Verbindung mit den im Urteil des BVerfG vom 4.5.2011 dargelegten Anforderungen die nachträgliche Sicherungsverwahrung des Bf. zur relevanten Zeit nur unter einer neuen, zusätzlichen Voraussetzung angeordnet werden konnte, nämlich dass festgestellt wurde, dass er an einer psychischen Störung litt.

(226) Diese Voraussetzung war unabhängig von der ursprünglichen, wegen einer Straftat verhängten Sanktion. Sie unterscheidet daher den Typ von Sicherungsverwahrung in der Situation des Bf. von einer Sicherungsverwahrung gefährlicher Straftäter, die nicht nachträglich angeordnet (oder verlängert) wurde. Für diese Personengruppe wird nach innerstaatlichem Recht nicht verlangt, dass sie an einer psychischen Störung leiden und sie werden nicht für den Zweck der Behandlung solcher Störungen angehalten.

(227) Für Personen, die als psychisch kranke Patienten angehalten werden, kommt dem von dem geänderten Konzept der Sicherungsverwahrung verfolgten präventiven Zweck besondere Bedeutung zu. Der GH übersieht nicht, dass die Verbindung zwischen der Maßnahme und der Straftat, wegen der sie verhängt wurde, auch im Hinblick auf diese Personengruppe nicht völlig gelöst ist. Es bleibt eine Voraussetzung für die nachträgliche Anordnung oder Verlängerung der Sicherungsverwahrung, dass die betroffene Person einer schweren Straftat für schuldig befunden wurde. Angesichts des Umfelds, in dem Sicherungsverwahrung nach dem neuen Konzept durchgeführt wird, ist der GH überzeugt, dass der Fokus der Maßnahme nunmehr auf der medizinischen und therapeutischen Behandlung der betroffenen Person liegt. Die medizinischen und therapeutischen Vorkehrungen waren zentral bei den spezifischen Pflegemaßnahmen, die dem Bf. geboten wurden. Diese Tatsache änderte die Art und den Zweck der Freiheitsentziehung von Personen wie dem Bf. und wandelte sie in eine Maßnahme um, die auf die medizinische und therapeutische Behandlung von Personen mit einer kriminellen Vorgeschichte fokussiert ist.

(228) Der GH möchte in diesem Kontext klarstellen, dass [...] »gewöhnliche« Sicherungsverwahrung, die nicht mit dem Ziel durchgeführt wird, die psychische Störung der angehaltenen Person zu behandeln, selbst wenn sie entsprechend dem neuen rechtlichen Rahmen durchgeführt wird, nach wie vor eine Strafe iSv. Art. 7 Abs. 1 EMRK darstellt. Die verbesserten materiellen Bedingungen und die verbesserte Pflege reichen unter diesen Umständen nicht aus, um die auf eine Strafe hindeutenden Umstände zu tilgen.

Verfahren zur Schaffung und Umsetzung der Maßnahme

(229) [...] Die Sicherungsverwahrung des Bf. wurde von den (Straf)gerichten verhängt. Ihre folgende Durchführung wurde durch die für die Strafvollstreckung zuständigen Gerichte bestimmt, also durch Gerichte, die ebenfalls zur Strafjustiz gehören.

(230) Der GH hätte den therapeutischen Charakter der Maßnahme betonen können, wären die Zivilgerichte mit der Anordnung der Anhaltung besonders gefährlicher Personen mit einer kriminellen Vorgeschichte, die an einer psychischen Störung leiden, betraut gewesen, wie dies gemäß § 1 und § 4 ThUG vorgesehen war, was in der Praxis keine Bedeutung erlangt zu haben scheint.

(231) Der GH nimmt das Argument der Regierung zur Kenntnis, wonach die Strafgerichte besonders erfahren in der Einschätzung der Notwendigkeit einer Unterbringung psychisch kranker Personen sind, die Straftaten begangen haben [...]. Er stellt weiters fest, dass die Kriterien für die Verhängung von Sicherungsverwahrung dieselben gewesen wären, egal ob ein Zivil- oder ein Strafgericht [...] zuständig gewesen wäre.

Schwere der Maßnahme

(232) [...] Die Anordnung der Sicherungsverwahrung zog eine Freiheitsentziehung ohne Höchstdauer mit sich. Sie blieb damit eine der schwersten Maßnahmen, die nach dem StGB verhängt werden konnten. [...] Wie die Statistiken [...] bestätigen, werden Sicherungsverwahrungen als ultima ratio verhängt. Im März 2017 waren 519 Personen in Deutschland [...] in Sicherungsverwahrung.

(233) Der GH übersieht auch nicht die Tatsache, dass der Bf. seine erste Straftat als Jugendlicher begangen hat und die sich darauf beziehende Sicherungsverwahrung 2012 angeordnet wurde, als er 35 Jahre alt war. Ihm konnte daher potentiell die Freiheit für eine längere Zeit entzogen werden als Personen, gegen die eine solche Anordnung in einem höheren Alter ergangen ist.

(234) Wie der GH allerdings wiederholt bestätigt hat, ist die Schwere der Maßnahme für sich alleine nicht entscheidend. Außerdem hatte die Freiheitsentziehung, anders als im Fall von Freiheitsstrafen, auch keine Mindestdauer. Die Freilassung des Bf. war nicht vor Ablauf einer bestimmten Zeitspanne ausgeschlossen, sondern von der Feststellung der Gerichte abhängig, dass nicht länger eine hochgradige Gefahr der Begehung schwerwiegender Gewalt- oder Sexualstraftaten aufgrund der psychischen Störung des Bf. bestand.

(235) Die Dauer der Freiheitsentziehung des Bf. war damit in erheblichem Maße von seiner Kooperation bei gebotenen therapeutischen Maßnahmen abhängig. [...] Seine Verlegung in das neue Zentrum für Sicherungsverwahrung Straubing versetzte den Bf. in eine bessere Lage, durch seinen Bedürfnissen angepasste Therapien auf seine Entlassung hinzuarbeiten. Überdies unterlag seine Freiheitsentziehung regelmäßigen gerichtlichen Überprüfungen in relativ kurzen Abständen. Dies erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme nicht übermäßig lang dauern würde. Die Schwere der Anordnung der Sicherungsverwahrung wurde durch diese Faktoren gemildert.

Schlussfolgerung

(236) [...] Der GH ist der Ansicht, dass [...] die entsprechend dem neuen rechtlichen Rahmen durchgeführte Sicherungsverwahrung im Fall des Bf. während der hier in Rede stehenden Zeitspanne nicht länger als Strafe iSv. Art. 7 Abs. 1 EMRK eingestuft werden kann. [...] Das strafende Element der Sicherungsverwahrung und ihre Verbindung zu der vom Bf. begangenen Straftat war unter diesen Umständen in einem Ausmaß getilgt, dass die Maßnahme nicht länger eine Strafe darstellte.

(237) Angesichts dieser Feststellung ist es nicht notwendig zu prüfen, ob über den Bf. durch die Anordnung oder Durchführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung eine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt wurde.

(239) Es hat folglich keine Verletzung von Art. 7 Abs. 1 EMRK stattgefunden (14:3 Stimmen; im Ergebnis übereinstimmendes Sondervotum von Richter Ravarani; abweichende Sondervoten von Richter Sicilianos und von Richter Pinto de Albuquerque, gefolgt von Richter Dedov).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK

(240) Der Bf. brachte [...] weiters vor, die innerstaatlichen Gerichte hätten in den Verfahren, in denen er die Rechtmäßigkeit seiner vorläufigen Sicherungsverwahrung anfechten wollte, nicht rasch entschieden. [...]

(276) Es hat [...] keine Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK stattgefunden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK

(278) Der Bf. brachte vor, im Hauptverfahren gegen ihn vor dem LG Regensburg [...] wäre Richter P. voreingenommen gewesen. [...]

(290) Es hat [...] keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK stattgefunden (15:2 Stimmen; abweichendes Sondervotum von Richter Pinto de Albuquerque, gefolgt von Richter Dedov).

Vom GH zitierte Judikatur:

Mooren/D v. 9.7.2009 (GK) = NL 2009, 205 = EuGRZ 2009, 566

M./D v. 17.12.2009 = NL 2009, 371 = EuGRZ 2010, 25

Glien/D v. 28.11.2013 = NLMR 2013, 436

Bergmann/D v. 7.1.2016 = NLMR 2016, 30 = EuGRZ 2016, 352

Petschulies/D v. 2.6.2016 = NLMR 2016, 223

W. P./D v. 6.10.2016

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 4.12.2018, Bsw. 10211/12, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2018, 526) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Original des Urteils ist auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abrufbar: http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-187540

Rückverweise