Bsw44460/16 – AUSL EGMR Entscheidung
Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache O'Sullivan McCarthy Mussel Development Ltd. gg. Irland, Urteil vom 7.6.2018, Bsw. 44460/16.
Spruch
Art. 1 1. Prot. EMRK, Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 13 EMRK iVm. Art. 1 1. Prot EMRK - Vorübergehendes Verbot der Fischerei in Schutzgebiet zur Umsetzung von EU-Umweltrecht.
Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (einstimmig).
Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).
Unzulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK iVm. Art. 1 1. Prot. EMRK (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Das bf. Unternehmen züchtet Muscheln im Hafen von Castlemaine. Seine Tätigkeit besteht vor allem darin, im Hafen nach jungen Muscheln (Muschelsaat) zu fischen und diese zur Zucht in einen anderen Teil des Hafens zu bringen. Die Muschelfischerei findet in Irland während der Sommermonate statt, wobei der genaue Zeitraum jährlich gesetzlich festgelegt wird. Diese Tätigkeit erfordert eine Reihe von Lizenzen, Genehmigungen und Zulassungen, insbesondere eine jährlich ausgestellte Lizenz zum Fischen nach Muschelsaat. Zuständig für alle diese Genehmigungen sind der Minister für Landwirtschaft, Ernährung und das Meer (im Folgenden: der Minister) und die entsprechende Regierungsabteilung.
Der Hafen von Castlemaine wurde 1994 zu einem Schutzgebiet gemäß den Bestimmungen zur Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie (Anm: RL 79/409/EWG vom 2.4.1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABl. 1979, L 103, 1.) und 2000 auch zu einem besonderen Schutzgebiet im Sinne der Flora-Fauna-Habitat-RL (Anm: RL 92/43/EWG vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. 1992, L 206, 7.) erklärt (»Natura 2000 Gebiet«).
Nachdem die Europäische Kommission bereits seit Ende der 1990er Jahre der Ansicht war, Irland würde seinen Verpflichtungen zur Umsetzung der beiden genannten RL nicht nachkommen, leitete sie im September 2004 ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Ein spezifischer Aspekt des Verfahrens betraf den Betrieb von Aquakulturen in Schutzgebieten ohne vorangegangene Prüfung der Auswirkungen solcher Aktivitäten auf die Umwelt. Am 13.12.2007 erklärte der EuGH in seinem Urteil, dass Irland es versabäumt hätte, seinen aus den beiden RL erwachsenden Verpflichtungen zu entsprechen. (Anm: EuGH 13.12.2007, Kommission gg. Irland, C-418/04.)
Aufgrund dieses Urteils erachtete es der Minister rechtlich nicht für möglich, wirtschaftliche Aktivitäten in den betroffenen Gebieten zu erlauben, bis die geforderten Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt worden waren. Folglich wurde mit dem gesetzlichen Instrument Nr. 176 vom 6.6.2008 das Fischen nach Muschelsaat in 24 Gebieten, einschließlich des Hafens von Castlemaine, untersagt. Nachdem das bf. Unternehmen die Regierung auf die damit einhergehende Bedrohung seiner wirtschaftlichen Existenz hingewiesen hatte, wurde ihm mitgeteilt, dass dem Hafen von Castlemaine hinsichtlich der erforderlichen Untersuchungen Priorität eingeräumt worden sei und eine Einigung mit der Kommission hinsichtlich einer vorläufigen Erlaubnis von Aquakulturen angestrebt werde. Im Juli erhielt das bf. Unternehmen erneut eine Lizenz zum Muschelfischen, nach der jedoch das Fischen in Sperrgebieten nicht erlaubt war. Im selben Monat wurde das Verbot durch das gesetzliche Instrument Nr. 347 aufrechterhalten. Nach erfolgreichen Verhandlungen zwischen der irischen Regierung und der Kommission wurde der Hafen von Castlemaine am 3.10.2008 von der Liste der Gebiete gestrichen, in denen das Fischen nach Muschelsaat verboten war. Das bf. Unternehmen konnte daher ab 5.10.2008 wieder nach Muschelsaat fischen, allerdings war der Bestand durch Raubtiere bereits erheblich dezimiert worden. Aufgrund der zweijährigen Wachstumsdauer von Muscheln machte sich dies 2010 mit einem Gewinnentgang bemerkbar, der nach Angaben des bf. Unternehmens beinahe € 300.000,– betrug. 2009 konnte das Unternehmen seinen Tätigkeiten wie gewohnt nachgehen.
Im Februar 2009 strengte das bf. Unternehmen vor dem High Court ein Verfahren gegen Irland an, in dem es Schadenersatz für den entgangenen Gewinn geltend machte und sich vor allem auf seine legitimen Erwartungen und auf eine Fahrlässigkeit bei der Amtsführung berief. Nachdem der High Court der Klage am 31.5.2013 stattgegeben und Ersatz für den entgangenen Gewinn zugesprochen hatte, wurde sein Urteil vom Supreme Court am 22.2.2016 revidiert und die Klage abgewiesen. Das Vorliegen einer legitimen Erwartung hinsichtlich einer ununterbrochenen Fortsetzung der wirtschaftlichen Aktivitäten wurde einstimmig verneint, die Fahrlässigkeit mit einer Mehrheit von drei zu zwei Stimmen.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Das bf. Unternehmen behauptete eine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums) durch den von ihm erlittenen wirtschaftlichen Schaden, für den es die innerstaatlichen Behörden verantwortlich macht und für den es nicht entschädigt worden sei. Außerdem behauptete es eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens), Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde) und von Art. 6 EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK
(67) Das bf. Unternehmen beschwerte sich unter Art. 8 EMRK und Art. 1 1. Prot. EMRK über die Auswirkungen des 2008 verhängten vorübergehenden Verbots der Muschelfischerei auf sein Recht auf Erwerbsausübung.
(69) Nach Ansicht des GH [...] ist diese Beschwerde nur unter Art. 1 1. Prot. EMRK zu prüfen [...].
Zulässigkeit
(71) Laut der Regierung [...] sollte die Beschwerde wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs für unzulässig erklärt werden. [...] Wenn [...] keine andere Schadenersatzklage verfügbar sei, könne eine Person, die eine Verletzung, einen Verlust oder einen Schaden erlitten habe, beim High Court Schadenersatz geltend machen. [...] Das bf. Unternehmen habe diese Möglichkeit der Wiedergutmachung [...] ignoriert.
(72) Die Regierung brachte [zudem] vor, Art. 1 1. Prot. EMRK sei überhaupt nicht berührt, weil der Sachverhalt kein bestehendes Recht des bf. Unternehmens auf ein »Eigentum« erkennen lasse. [...]
(73) Des Weiteren vertrat die Regierung die Ansicht, die Beschwerde wäre wegen des beschränkten Umfangs des Verbots und der beschränkten Auswirkungen auf die Aktivitäten des bf. Unternehmens offensichtlich unbegründet [...].
Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe
(81) Im vorliegenden Fall berief sich das bf. Unternehmen im innerstaatlichen Verfahren vor dem High Court auf eine Reihe von Gründen. [...] Angesichts des Kerns der gegen den Staat gerichteten Klage des bf. Unternehmens steht es dem GH seiner Ansicht nach nicht zu, in Frage zu stellen, dass diese in erster Linie auf legitime Erwartungen und Fahrlässigkeit bei der Amtsführung gestützt wurde. Dies scheint keine unvernünftige Wahl gewesen zu sein [...], da sie geeignet war, im Erfolgsfall direkte Abhilfe gegen den umstrittenen Zustand zu leisten.
(82) Auch wenn sich das bf. Unternehmen nicht ausdrücklich auf Art. 1 1. Prot. EMRK gestützt hat, bezog es sich in seinen Vorbringen an den High Court auf das Verfassungsrecht auf Erwerbsausübung [...]. Der GH ist überzeugt, dass [...] das bf. Unternehmen seine vorliegende Beschwerde der Sache nach im innerstaatlichen Verfahren vorgebracht hat. [...]
(84) Angesichts dieser Umstände und des dem GH vorliegenden Materials kann die Beschwerde nicht wegen Nichterschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe zurückgewiesen werden (einstimmig).
Anwendbarkeit von Art. 1 1. Prot. EMRK
(86) Der Begriff des »Eigentums« iSv. Art. 1 1. Prot. EMRK hat eine autonome Bedeutung, die sich nicht auf den Besitz an materiellen Gütern beschränkt und unabhängig von der formalen Klassifikation im innerstaatlichen Recht ist. Bestimmte andere Rechte und Interessen, die Vermögenswerte darstellen, können ebenfalls als [...] »Eigentum« im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden. Die zu klärende Frage ist in der Regel, ob die Umstände des Falls insgesamt betrachtet dem Bf. einen Anspruch auf ein von dieser Bestimmung geschütztes substantielles Interesse verliehen.
(88) [...] Der vorliegende Fall betrifft »Eigentum«, nämlich das Aquakulturen-Geschäft des bf. Unternehmens. Es stimmt [...], dass sämtliche der Lizenzen und Genehmigungen des bf. Unternehmens 2008 ihre Gültigkeit behielten. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der vorliegende Fall von früher vom GH entschiedenen Fällen, die eine Aufhebung oder einen Widerruf einer Lizenz oder einer Genehmigung und die damit einhergehende Einstellung einer kommerziellen Tätigkeit betrafen [...]. Wie der GH allerdings feststellt, hat er die Anwendbarkeit von Art. 1 1. Prot. EMRK selbst dann bejaht, wenn die fragliche Lizenz nicht entzogen wurde, er aber davon ausging, dass sie ihrer Substanz beraubt wurde.
(89) Der GH ist sich der Notwendigkeit bewusst, den Anschein zu hinterfragen und die Wirklichkeit der im vorliegenden Fall gerügten Situation zu untersuchen. Das vorübergehende Verbot der Muschelfischerei, das in den fraglichen Zeiträumen 2008 galt, muss als Einschränkung einer Genehmigung – der für 2008 erteilten Lizenz zur Muschelfischerei – angesehen werden, die mit der üblichen Durchführung des Geschäfts in Verbindung steht.
(90) Für den GH offenbart der Sachverhalt somit einen Eingriff der innerstaatlichen Behörden in das Recht des bf. Unternehmens auf Achtung seines Eigentums, das die wirtschaftlichen Interessen im Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Betrieb einschließt. Die Tatsachen, dass der umstrittene Eingriff in einem vorübergehenden Verbot eines Teils der einer Lizenz oder Genehmigung unterliegenden Aktivitäten des bf. Unternehmens bestand, dass die Genehmigung nicht entzogen oder widerrufen wurde und dass die Genehmigung, aufgrund derer das bf. Unternehmen tätig war, in jedem Fall Bedingungen unterlag, werden alle Teil der Analyse des Charakters und des Umfangs dieses Eingriffs durch den GH sein. Die Analyse des GH muss in diesem eingeschränkten und besonderen Kontext verstanden werden.
(91) Daraus folgt, dass diese Beschwerde nicht ratione materiae unvereinbar mit Art. 1 1. Prot. EMRK ist. Sie kann auch nicht als offensichtlich unbegründet [...] angesehen werden und ist daher für zulässig zu erklären (einstimmig).
In der Sache
Eingriff
(104) Wie bereits festgestellt, begründen die umstrittenen Handlungen des belangten Staates einen Eingriff in das Recht des bf. Unternehmens auf Achtung des Eigentums. Was den Charakter dieses Eingriffs betrifft, stimmt der GH dem Argument des bf. Unternehmens, wonach er auf eine de facto-Enteignung hinausgelaufen wäre, angesichts der sehr speziellen Art des Eigentums des bf. Unternehmens nicht zu. Der Eingriff ist vielmehr als »Regelung der Benutzung des Eigentums« anzusehen, die unter den 2. Absatz von Art. 1 1. Prot. EMRK fällt. Wie gesagt wird der GH bei der Beurteilung des Eingriffs bedenken, dass die Aktivitäten des bf. Unternehmens den Bedingungen unterlagen, die vom Minister jedes Jahr im Zuge der Ausstellung der Genehmigung für die Muschelfischerei festgesetzt wurden, und dass die Genehmigung 2008 nicht widerrufen oder entzogen wurde, sondern einer zeitlichen Beschränkung unterworfen.
Vereinbarkeit mit Art. 1 Abs. 2 1. Prot. EMRK
Rechtmäßigkeit und Zweck des Eingriffs
(105) Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Eingriffs verweist der GH auf die Feststellungen der Mehrheit des Supreme Court, wonach die vorübergehende Schließung des Hafens für die Muschelfischerei wegen geltendem Sekundärrecht erfolgte, um den aus dem Unionsrecht erwachsenden Verpflichtungen des Staates zu entsprechen.
(106) Das bf. Unternehmen brachte allerdings vor, dass die gesetzlichen Instrumente Nr. 347 und Nr. 395 aus 2008 insofern nicht dem Grundsatz der Rechtssicherheit entsprachen, als sie seiner Ansicht nach nicht ausreichend klar formuliert waren. Es wies außerdem darauf hin, dass die amtliche Kundmachung des ersten dieser Instrumente erst rund zwei Wochen nach seinem Inkrafttreten erfolgte.
(108) Ungeachtet der vom bf. Unternehmen geäußerten Kritik ist der GH der Ansicht, dass es weder hinsichtlich der Art und des Umfangs der Einschränkungen, die 2008 auf den Hafen angewendet wurden, noch hinsichtlich deren rechtlicher Grundlage in irgendeiner Ungewissheit gelassen wurde. Das bf. Unternehmen stand im direkten Kontakt mit der Regierungsabteilung und wurde unverzüglich über die Entscheidung des Ministers informiert, dass es nicht möglich wäre, den Hafen ab 9.6. für die Muschelfischerei zu öffnen. Was die anderen Aspekte ihrer Aktivitäten betrifft, die nicht von dieser Einschränkung betroffen waren, hat das bf. Unternehmen nicht angedeutet, dass diese tatsächlich durch irgendeine rechtliche Unsicherheit berührt gewesen wären. Aus dem Bericht über die Einnahmen des bf. Unternehmens im Jahr 2008 kann im Gegenteil geschlossen werden, dass es weiter wie gewohnt betrieben wurde. Was die Tatsache betrifft, dass das gesetzliche Instrument Nr. 347 zwei Wochen nach seinem Inkrafttreten im Amtsblatt veröffentlicht wurde, schließt der GH aus den vorliegenden Informationen, dass dem bf. Unternehmen die anhaltende Schließung des Hafens sehr wohl bekannt war, protestierte es doch mit einem mit 28.8. datierten Schreiben [...] gegen diese Situation. Außerdem ist der GH angesichts des allgemeinen rechtlichen Rahmens des Falls, der Sekundärrecht, Primärrecht, die RL der EU und das Urteil des EuGH umfasst, nicht der Ansicht, dass eine vergleichsweise kurze Verzögerung bei der Kundmachung des gesetzlichen Instruments Nr. 347 ein ausreichender Grund dafür ist, die »Rechtmäßigkeit« des Eingriffs in diesem Fall in Frage zu stellen. [...]
(109) Was den Zweck des Eingriffs betrifft, ist klar, dass er auf den Schutz der Umwelt abzielte. Wie der GH schon oft festgestellt hat, ist dies eine zunehmend wichtige Überlegung in der heutigen Gesellschaft, da er sich zu einer Sache entwickelt hat, deren Verteidigung das konstante und nachhaltige Interesse der Öffentlichkeit und somit auch der Behörden hervorruft. Die Verantwortung der Behörden sollte in der Praxis dazu führen, dass sie zur angemessenen Zeit einschreiten um sicherzustellen, dass jene gesetzlichen Bestimmungen, die zum Zweck des Schutzes der Umwelt erlassen wurden, nicht völlig ineffektiv sind. Zudem wurden die umstrittenen Maßnahmen im vorliegenden Fall ergriffen, um die Einhaltung der aus dem Unionsrecht erwachsenden Verpflichtungen des belangten Staats zu gewährleisten, was der GH ebenfalls als ein legitimes Ziel des allgemeinen Interesses von erheblichem Gewicht anerkannt hat.
Verhältnismäßigkeit des Eingriffs
(110) Zunächst muss der GH einschätzen, ob – wie von der Regierung vorgebracht – vermutet werden sollte, dass der belangte Staat die Anforderungen von Art. 1 1. Prot. EMRK geachtet hat, also ob die Bosphorus-Judikatur auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. Er erinnert daran, dass die Geltung der Vermutung des gleichwertigen Schutzes im Rechtssystem der EU zwei Bedingungen unterliegt. Erstens muss der umstrittene Eingriff für den belangten Staat eine Angelegenheit einer strikten internationalen rechtlichen Verpflichtung gewesen sein, die jeden Handungsspielraum der innerstaatlichen Behörden ausschließt. Die zweite Voraussetzung ist die Entfaltung des vollen Potentials des vom Unionsrecht vorgesehenen Überwachungsmechanismus, der einen Schutz bietet, der vom GH als gleichwertig mit dem von der Konvention vorgesehenen Schutz anerkannt wurde.
(111) Was die erste Voraussetzung betrifft, erinnert der GH an seine Rechtsprechung, in der er auf den im Rechtssystem der EU bestehenden Unterschied hingewiesen hat zwischen einer Verordnung, die zur Gänze bindend und in allen Mitgliedstaaten direkt anwendbar ist, und einer RL, die hinsichtlich des zu erreichenden Ziels bindend ist, aber den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Form und der Methoden die Wahl lässt.
(112) Im vorliegenden Fall ergab sich die Verpflichtung des belangten Staats grundsätzlich aus Art. 6 Abs. 3 der Fauna-Flora-Habitat-RL. Irlands Versäumnis, seine Verpflichtungen nach dieser Bestimmung zu erfüllen, wurde in einem Vertragsverletzungsverfahren festgestellt, was eine Pflicht des Staates mit sich brachte, dem EuGH-Urteil und dem im Kontext dieses Verfahrens geprüften Sekundärrecht zu entsprechen. Während es daher klar war, dass der belangte Staat die RL und unmittelbar das EuGH-Urteil befolgen musste, handelte es sich beide Male um zu erreichende Ziele und in keinem Fall wurde vorgegeben, wie die Befolgung herbeizuführen war. Dem belangten Staat war daher in dieser Hinsicht nicht jedes Ermessen genommen. Vielmehr behielten die nationalen Behörden einen gewissen Spielraum, um mit der Kommission über die zu setzenden Schritte zu verhandeln. Dies umfasste, auf Vorschlag des belangten Staates, sowohl die vorrangige Behandlung als auch spezielle vorläufige Maßnahmen für den Hafen von Castlemaine, die mit dem Einverständnis der Kommission umgesetzt wurden. Wie der GH bereits früher festgestellt hat, kann das Vorliegen eines gewissen Spielraums der Anwendbarkeit der Vermutung des gleichwertigen Schutzes entgegenstehen. Der GH lässt die Frage offen, ob unter anderen Umständen angenommen werden kann, dass ein EuGH-Urteil nach Art. 248 AEUV dem belangten Staat keinen Spielraum lässt, und stellt unter den Umständen des vorliegenden Falls hinsichtlich der Notwendigkeit, der relevanten EU-RL zu entsprechen, fest, dass die Bosphorus-Vermutung nicht anwendbar war.
(113) Überdies bezog sich die belangte Regierung, als sie auf die in diesem Fall gegebene legitime Notwendigkeit verwies, Ziele des Umweltschutzes zu erfüllen und dabei dem Unionsrecht zu entsprechen, selbst auf ihren weiten Ermessensspielraum.
(114) Der GH muss daher prüfen, ob der Eingriff in das Recht des bf. Unternehmens auf Achtung des Eigentums nach Art. 1 1. Prot. EMRK gerechtfertigt war.
(115) [...] Ein Eingriff muss einen »gerechten Ausgleich« zwischen den Bedürfnissen des allgemeinen Interesses der Gemeinschaft und den Anforderungen des Schutzes der Grundrechte des Einzelnen treffen. [...] Es muss ein angemessenes Verhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln und den verfolgten Zielen bestehen. [...]
(116) Der GH wird zunächst die Folgen der 2008 auf den Hafen angewandten vorübergehenden Beschränkungen für das bf. Unternehmen berücksichtigen. Dabei ist zu bedenken, dass das bf. Unternehmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht, die einer strengen und detaillierten Regulierung durch die innerstaatlichen Behörden unterliegt und, was die Muschelfischerei betrifft, entsprechend den Bedingungen betrieben wird, die in von Jahr zu Jahr erteilten Genehmigungen festgelegt werden. Dies schließt die in der im August 2008 erteilten Genehmigung ausdrücklich enthaltene Bedingung mit ein, dass die Muschelfischerei in Gebieten nicht erlaubt ist, für die solche Aktivitäten vom Minister untersagt wurden. Außerdem ist es für die Beurteilung durch den GH nicht irrelevant, dass der Supreme Court einstimmig das Vorliegen einer Rechtsgrundlage für eine legitime Erwartung des bf. Unternehmens, eine Erlaubnis zu erhalten, 2008 wie üblich arbeiten zu dürfen, verneint hat, nachdem der EuGH das Versäumnis Irlands festgestellt hatte, seinen einschlägigen Verpflichtungen nach dem Unionsrecht zu entsprechen. In den Worten dieses Gerichts wurde im Zuge der Entwicklungen klar, dass der Minister aufgrund des Unionsrechts nicht die rechtliche Befugnis hatte, die ununterbrochene Fortsetzung traditioneller Aktivitäten in geschützten Gebieten zu erlauben.
(117) [...] Während das bf. Unternehmen vorbrachte, es habe im Juni 2008 praktisch keine Kenntnis von der Schließung des Hafens für die Muschelfischerei gehabt, ist es doch ein Wirtschaftsbetrieb und kann daher nicht jegliche Kenntnis über die einschlägigen rechtlichen Vorschriften und Entwicklungen abstreiten. Eher kann von ihm erwartet werden, ein hohes Maß an Achtsamkeit beim Betrieb seiner Aktivitäten und eine besondere Sorgfalt bei der Einschätzung der Risiken, die damit einhergehen können, an den Tag zu legen. [...] Spätestens ab dem Datum des EuGH-Urteils (13.12.2007) – und wohl seit Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission im Jahr 2004 –, das sich ausdrücklich auf Aquakulturen bezog, sollte dem bf. Unternehmen nach Ansicht des GH die mögliche Gefahr einer Unterbrechung oder zumindest gewisser Konsequenzen für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten bewusst gewesen sein. Das Ausmaß und die Folgen eines Vertragsverletzungsurteils konnten nicht vorhergesehen werden, aber das Risiko einer gewissen Unterbrechung war eindeutig nicht auszuschließen. Dieser Faktor darf bei der Einschätzung der Bürde, die dem bf. Unternehmen auferlegt wurde, nicht außer Acht gelassen werden. [...]
(118) Was den Verlust an Einnahmen des bf. Unternehmens betrifft, herrscht Uneinigkeit darüber, ob dieser Verlust vermieden oder zumindest gemindert hätte werden können. Die Regierung behauptete, das bf. Unternehmen hätte Muschelsaat von anderen Betrieben kaufen können, was dieses bestreitet. Der High Court habe anerkannt, dass der Kauf von Muschelsaat früher versucht worden sei und sich als nicht machbar erwiesen habe [...]. Der GH hat diese Feststellung des High Court zur Kenntnis genommen. Was den Supreme Court betrifft, wurde dieser Punkt nicht revidiert, er verlor allerdings angesichts der Begründung der Mehrheit seine Bedeutung. [...]
(119) Uneinigkeit bestand [...] auch dahingehend, ob es für das bf. Unternehmen machbar gewesen wäre, an anderen Orten nach Muschelsaat zu fischen, wie es ihre Genehmigung gestattet hätte. [...] Es scheint, als ob dieser Punkt vor den innerstaatlichen Gerichten nicht aufgeworfen wurde, die in ihrer Begründung nicht darauf eingingen.
(120) Auch wenn der umstrittene Eingriff spürbare nachteilige Auswirkungen auf das Geschäft des bf. Unternehmens hatte, kann der GH angesichts der obigen Ausführungen nicht von der festgestellten Tatsache ausgehen, dass der entgangene Gewinn des bf. Unternehmens im Jahr 2010 die nicht zu vermeidende und nicht zu mildernde Konsequenz der vorübergehenden Schließung des Hafens im Jahr 2008 war.
(121) Es ist auch daran zu erinnern, dass die Tätigkeiten des bf. Unternehmens 2008 nicht gänzlich unterbrochen wurden. Die Versetzung und die Ernte von Muscheln innerhalb des Hafens durften fortgesetzt werden, weshalb die 2008 erzielten Gewinne des bf. Unternehmens nicht beeinträchtigt wurden.
(122) [...] Auch wenn der Staat die Situation des Hafens von Castlemaine offenkundig erst 2011 mit der Fertigstellung der angemessenen Beurteilung für das Gebiet voll in Übereinstimmung mit der RL brachte, gelang es ihm nach anhaltenden Verhandlungen, die Zustimmung der Kommission zu erhalten, schon viel früher, nämlich ab 5.10.2008, die Wiederaufnahme der Muschelsaat-Fischerei zu erlauben. Zwar verhinderte dies nicht den verspätet eintretenden Verlust im Bezug auf 2008, doch konnte das bf. Unternehmen im folgenden Jahr seine üblichen Aktivitäten fortsetzen und [...] 2011 einen Gewinn auf üblichem Niveau erzielen. [...]
(123) Die dem bf. Unternehmen auferlegte Bürde muss gegen das allgemeine Interesse der Gemeinschaft abgewogen werden.
(124) Der GH hat bereits akzeptiert, dass die mit dem umstrittenen Eingriff verfolgten Ziele legitim waren. Wie er in seiner Rechtsprechung oft festgestellt hat, verleihen Umweltschutzpolitiken, bei denen das allgemeine Interesse der Gemeinschaft überragende Bedeutung hat, dem Staat einen Ermessensspielraum, der größer ist, als wenn es ausschließlich um Bürgerrechte geht. Bei der Umsetzung solcher Politiken kann es für den Staat insbesondere erforderlich sein, in den Bereich des öffentlichen Eigentums einzugreifen und unter gewissen Umständen in manchen Situationen, die die Regelung der Benutzung des Eigentums betreffen, sogar das Fehlen einer Entschädigung vorzusehen. [...] Wenn es um eine Maßnahme zur Regelung der Benutzung des Eigentums geht, ist das Fehlen einer Entschädigung ein bei der Entscheidung, ob ein fairer Ausgleich erzielt wurde, zu berücksichtigender Faktor, es ist aber für sich alleine nicht ausreichend zur Begründung einer Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK.
(125) Das bf. Unternehmen warf den innerstaatlichen Behörden vor, ihre Verpflichtungen nach Art. 6 Abs. 3 der Flora-Fauna-Habitat-RL nicht korrekt wahrgenommen zu haben. Nach Ansicht des GH sollte jedoch aus der Feststellung, wonach der belangte Staat seine unionsrechtlichen Verpflichtungen nicht erfüllt hat, im Hinblick auf Art. 1 1. Prot. EMRK keine Minderung der Bedeutung der mit dem umstrittenen Eingriff verfolgten Ziele oder des diesen beizumessenden Gewichts abgeleitet werden. In dieser Hinsicht verweist der GH auf die beiden Mehrheitsvoten des Supreme Court, wonach der Minister eine übergeordnete rechtliche Verpflichtung hatte, dem Unionsrecht zu entsprechen, und seine Sorgfaltspflicht, die Umwelt zu schützen, der größeren Gemeinschaft geschuldet war. Selbst wenn die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen einige Mitgliedstaaten durch die Europäische Kommission in ihrer Eigenschaft als Hüterin der Verträge als ein Anzeichen dafür gesehen werden konnte, dass im Hinblick auf den belangten Staat irgendeine Form der Vertragsverletzung erwartet werden konnte, bleibt es überdies doch eine Tatsache, dass die Beweislast bei der Kommission lag, dass einige Aspekte der angeblichen Verletzung höchst umstritten waren [...] und dass die Kommission hinsichtlich einiger ihrer Behauptungen nicht erfolgreich war. Bevor der EuGH sein Urteil erlassen hat, ist schwer zu sehen, wie der belangte Staat vom Ausmaß und von den Konsequenzen der darin festgestellten Verletzung wissen hätte können. [...]
(126) Auch wenn das bf. Unternehmen behauptet, es hätte möglich sein müssen, eine Erlaubnis zur Öffnung des Hafens im August 2008 zu erlangen, weist der GH darauf hin, dass die Kommission [...] im September 2008 nach wie vor weitere Studien und Klarstellungen für notwendig erachtete. Daraus kann geschlossen werden, dass entgegen der Ansicht des bf. Unternehmens die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Dokumente und Studien nicht ausreichend waren, um die Bedenken auszuräumen. Der GH sieht keine Grundlage dafür, diese technische Einschätzung [...] in Frage zu stellen. Auch vermag er nicht zu erkennen, wie die Möglichkeit, ein Vorbringen zu erstatten, die dem bf. Unternehmen seinen Angaben nach verwehrt wurde, zu einem günstigeren oder schnelleren Ergebnis hätte führen können. [...] Die innerstaatlichen Behörden, denen die besonderen Schwierigkeiten mit dem Hafen von Castlemaine bewusst waren, räumten diesem Gebiet Vorrang ein und verwendeten es als Pilotgebiet zur Entwicklung von vorläufigen Verfahren, die von der Kommission akzeptiert und dann in größerem Umfang angewendet wurden. Dieser Hafen war daher das einzige betroffene Meeresgebiet, das 2008 für die Muschelfischerei geöffnet werden durfte. Aufgrund der anhaltenden Bemühungen der innerstaatlichen Behörden gegen Ende 2008 und im Jahr 2009 [...] stimmte die Kommission der Öffnung des Hafens im Jahr 2009 zu, was es dem bf. Unternehmen gestattete, auf seinem normalen Niveau zu arbeiten.
(127) Das bf. Unternehmen behauptete auch, die schlussendlich in Befolgung der einschlägigen unionsrechtlichen Verpflichtungen des Staates durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfungen würden zeigen, dass die Art von pauschalem Verbot, das im Sommer 2008 verhängt wurde, nicht notwendig war. Wie das einstimmige Urteil des Supreme Court über das Fehlen einer legitimen Erwartung allerdings feststellte, war für den Minister nach dem Unionsrecht nicht das unbewiesene Risiko entscheidend, sondern vielmehr das bewiesene Fehlen eines Risikos.
(128) [...] Es ist auch daran zu erinnern, dass sich die Auswirkungen des EuGH-Urteils nicht auf das bf. Unternehmen und auf den Hafen von Castlemaine beschränkten. [...] Zwischen 2008 und 2010 mussten rund 150 Natura 2000-Gebiete geprüft werden. [...] Im Juni 2008 war der Hafen von Castlemaine eines von 24 Gebieten, in denen die Muschelfischerei vorübergehend verboten war. Die Situation, die einen Staat mit einer Küstenlinie von 7.100 km betrifft, hatte damit eine nationale Dimension und musste auf dieser Ebene gelöst werden. In dieser Größenordnung innerhalb eines akzeptablen Zeitrahmens eine Übereinstimmung mit den staatlichen Verpflichtungen nach dem EU-Umweltrecht herzustellen, kann gewiss als Angelegenheit von allgemeinem Interesse der Gemeinschaft angesehen werden, was einen weiten Ermessensspielraum der innerstaatlichen Behörden mit sich bringt.
(129) Auch wenn das bf. Unternehmen eine Anomalie und sogar Willkür darin sah, dass eine Aktivität (das Fischen nach Muschelsaat) verboten war, während eine andere, ähnliche Aktivität (die Ernte reifer Muscheln) erlaubt blieb, war es nach Ansicht des GH in erster Linie Sache der nationalen Behörden, innerhalb ihres Ermessensspielraums über Art und Ausmaß der erforderlichen Maßnahmen zu entscheiden. Aus dem Urteil des EuGH ging klar hervor, dass die frühere Praxis im Bereich der Aquakulturen ohne die angemessenen Einschätzungen, die nach der Entscheidung des EuGH vorab zu erfolgen hatten, nicht dem Unionsrecht entsprach. Der GH möchte noch hinzufügen, dass die Anwendung einer teilweisen Einschränkung wirtschaftlicher Tätigkeiten im Hafen im Vergleich zu einem totalen Verbot dem bf. Unternehmen eher zum Vorteil gereichte [...].
(130) Die wesentliche Beschwerdebehauptung im vorliegenden Fall bezieht sich darauf, dass der vom bf. Unternehmen 2010 entgangene Gewinn nicht entschädigt wurde. Wie vom Supreme Court festgestellt, ergab sich der vom bf. Unternehmen behauptete Schaden nicht aus einer Francovich-Verletzung des Unionsrechts. (Anm: Als Francovich-Haftung wird eine Entschädigungspflicht des Staates für eine verabsäumte oder fehlerhafte Umsetzung von Unionsrecht bezeichnet; vgl. EuGH 19.11.1991, Francovich u.a. gg. Italien, C-6/90 und C-9/90.) Vor dem EGMR versuchte sie allerdings über Art. 1 1. Prot. EMRK eine Staatshaftung für einen Schaden geltend zu machen, der angeblich durch Maßnahmen verursacht wurde, die ergriffen wurden, um das Unionsrecht korrekt, wenn auch verspätet, umzusetzen. Der GH [...] hat das Gewicht der verfolgten Ziele und die Stärke des allgemeinen Interesses im belangten Staat an einer vollen und generellen Befolgung seiner aus dem Umweltrecht der EU erwachsenden Verpflichtungen anerkannt. Er ist nicht davon überzeugt, dass der umstrittene Eingriff [...] eine individuelle und übermäßige Last für das bf. Unternehmen darstellte, oder dass der belangte Staat es verabsäumte, einen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Interesse der Gemeinschaft und dem Schutz individueller Rechte zu treffen.
(131) Folglich hat keine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK stattgefunden (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 EMRK
(132) Das bf. Unternehmen behauptet, das innerstaatliche Verfahren wäre nicht in angemessener Zeit abgeschlossen worden.
(138) Der GH stellt fest, dass dieser Teil der Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet [...] und auch aus keinem anderen Grund unzulässig ist. Er muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).
(143) [...] Die insgesamt zu berücksichtigende Zeitspanne begann am 12.2.2009, als das bf. Unternehmen ein Verfahren vor dem High Court anstrengte, und endete mit der Entscheidung des Supreme Court vom 26.2.2016. Das Verfahren dauerte somit sieben Jahre.
(145) [...] Der Fall betraf einen komplexen Sachverhalt [...] und er war auch rechtlich komplex, da er wichtige Fragen zum innerstaatlichen Schadenersatzrecht aufwarf [...]. Zudem betraf er relativ komplexe Fragen betreffend die Umsetzung eines Vertragsverletzungsurteils des EuGH durch einen EU-Mitgliedstaat und allgemeiner betreffend die Einhaltung des EU-Umweltrechts.
(155) Auch wenn der Gegenstand des Verfahrens – der Gewinnentgang im Jahr 2010 – für das bf. Unternehmen wichtig war, handelte es sich dabei zum Zeitpunkt, als die Sache bereit zur Verhandlung vor dem High Court war, um ein vergangenes Ereignis und das bf. Unternehmen hatte es geschafft, zu einem normalen Niveau wirtschaftlicher Tätigkeit zurückzukehren. Das Verfahren hatte daher keine besondere Dringlichkeit [...].
(156) Der GH [...] sieht kein Anzeichen für eine besondere Verzögerung seitens der Gerichte. Im Gegenteil, dem Fall wurde angesichts der Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen vorrangige Behandlung durch den Supreme Court eingeräumt. [...] Angesichts der unzweifelhaften faktischen und rechtlichen Komplexität des Falls kommt der GH zu dem Schluss, dass die Dauer des Verfahrens zwar insgesamt lang war, aber unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls nicht als unverhältnismäßig angesehen werden kann.
(157) Folglich hat keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK stattgefunden (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK iVm. Art. 1 1. Prot. EMRK
(158) Das bf. Unternehmen rügte das Fehlen eines effektiven Rechtsbehelfs betreffend die Einschränkung seiner Aktivitäten [...].
(160) [...] Es konnte seine Rüge der Sache nach vor den innerstaatlichen Gerichten im Wege der Behauptung einer Verletzung legitimer Erwartungen und Fahrlässigkeit bei der Amtsführung geltend machen und es tat dies auch. Zwar wurden seine Klagen letztendlich abgewiesen, doch erinnert der GH daran, dass die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs iSv. Art. 13 EMRK nicht von einem für den Bf. günstigen Ausgang abhängt [...].
(161) Außerdem resultierte der behauptete Verdienstentgang aus dem vorübergehenden Verbot des Fischens nach Muschelsaat, das auf eine Reihe von gesetzlichen Instrumenten zurückging [...]. Die Möglichkeit, die Gültigkeit dieser Maßnahmen im Wege einer gerichtlichen Überprüfung anzufechten, wurde vom Supreme Court ausdrücklich angesprochen. Das bf. Unternehmen bezog sich vor dem GH nicht auf dieses mögliche Rechtsmittel [...]. Überdies hat sich der GH bereits in seinen Überlegungen zur Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe auf zwei weitere [...] Rechtsbehelfe bezogen, von denen einer auf dem durch die Verfassung garantierten Recht, den Lebensunterhalt zu verdienen, und der andere auf der Möglichkeit der Geltendmachung von Schadenersatz nach dem Gesetz von 2003 beruht. Auch wenn festgestellt wurde, dass das bf. Unternehmen diese beiden Rechtsbehelfe nicht neben seiner Klage wegen Fahrlässigkeit und seiner Berufung auf legitime Erwartungen nutzen musste, um Art. 35 Abs. 1 EMRK zu entsprechen, ist der GH davon überzeugt, dass diese Rechtsbehelfe für die Rüge unter Art. 1 1. Prot. EMRK relevant und für das bf. Unternehmen grundsätzlich verfügbar waren. Das bf. Unternehmen hat jedoch in keinem Verfahrensstadium dargelegt, warum diese Rechtsbehelfe nicht als effektiv iSv. Art. 13 EMRK angesehen werden konnten und es stattdessen vorgezogen, sich ausschließlich auf die Entscheidung des Supreme Court zu konzentrieren, mit der die Fahrlässigkeit verneint wurde. Schließlich konnte sich das bf. Unternehmen auf eine Verletzung seiner legitimen Erwartungen berufen, was es auch tat. Dieser Anspruch scheiterte, weil die Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt waren.
(162) Anhand der dem GH verfügbaren Informationen folgt daraus, dass dieser Teil der Beschwerde als offensichtlich unbegründet anzusehen und daher [als unzulässig] zurückzuweisen ist (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Bosphorus Airways/IRL v. 30.6.2005 (GK) = NL 2005, 172 = EuGRZ 2007, 662
Michaud/F v. 6.12.2012 = NLMR 2012, 396
Avotinš/LV v. 23.5.2016 (GK) = NLMR 2016, 227
Werra Naturstein GmbH Co KG/D v. 19.1.2017 = NLMR 2017, 58
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 7.6.2018, Bsw. 44460/16, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2018, 273) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/18_3/O'Sullivan.pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.