JudikaturAUSL EGMR

Bsw14497/06 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
20. Juni 2013

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Wallishauser gg. Österreich (Nr. 2), Urteil vom 20.6.2013, Bsw. 14497/06.

Spruch

Art. 14 EMRK, Art. 1 1. Prot. EMRK - Keine Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen durch die US-Botschaft.

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Art. 1 1. Prot. EMRK (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Art. 14 EMRK (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 14 EMRK (einstimmig).

Unzulässigkeit der Beschwerde im Übrigen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die Bf. war seit 1978 Angestellte der US-Botschaft in Wien und verfügte seit 1981 über einen unbefristeten Arbeitsvertrag als Fotografin. In Folge eines Unfalles im Jahre 1983 fiel sie unter den Schutz nach dem Invalideneinstellungsgesetz. Nach einem Arbeitsunfall im März 1987 wurde sie im September 1987 entlassen.

Während ihrer Anstellung bei der US-Botschaft meldete sie sich selbst als Arbeitnehmerin gemäß § 35 Abs. 4 lit. a ASVG an und zahlte bis August 1988 sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung bei der Gebietskrankenkasse ein. Gemäß ihrem Arbeitsvertrag erstatteten die Vereinigten Staaten die Arbeitgeberbeiträge zurück, die sich auf 53?% der gesamten Sozialversicherungsbeiträge bis November 1983 beliefen. Mit Verwaltungsmitteilungen der US-Botschaft Wien vom 21.4.1982 und 13.1.1984 sicherten die Vereinigten Staaten zu, ihren Arbeitnehmern nach einer rechtzeitigen Erklärung durch die Gebietskrankenkasse die Arbeitgeberbeiträge in Höhe von 55?% der gesamten Sozialversicherungsbeiträge zurückzuerstatten. Nach Angaben der Bf. erfolgte dies in ihrem Fall bis März 1987, nach Angaben der Regierung bis August 1988.

Die Entlassung der Bf. wurde vom Arbeits- und Sozialgericht (ASG) Wien für nichtig erklärt, da sie zunächst die Zustimmung der zuständigen Behörde nach dem Invalideneinstellungsgesetz erfordert hätte. Der OGH bestätigte diese Entscheidung am 21.11.1990. Aufgrund dieser Verfahren verfügte die Bf. weiterhin über einen gültigen Arbeitsvertrag mit der US-Botschaft, welche sich jedoch weigerte, die Dienste der Bf. in Anspruch zu nehmen.

Die Bf. klagte auf Zahlung ihres Gehalts. In einem ersten Verfahren, das Gehaltszahlungen von 1.9.1988 bis 30.6.1995 betraf, erhoben die Vereinigten Staaten erfolglos die Einrede der Immunität. Nach einem Urteil des ASG Wien vom 14.7.1995 zahlten die Vereinigten Staaten der Bf. insgesamt eine Summe von 3,7 Millionen Österreichische Schilling (»ATS«, ca. € 269.000,–), die sich aus drei Millionen ATS für Gehaltsrückstände samt Zinsen zusammensetzte. Wie zuvor beinhalteten die Gehaltszahlungen die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, die die Bf. an die Gebietskrankenkasse leisten musste.

Weitere Verfahren, die Gehaltszahlungen von Juli 1995 bis August 1996 betrafen, endeten mit einem Versäumnisurteil des ASG Wien. Die Vereinigten Staaten kamen ihrer Zahlungsverpflichtung jedoch nicht nach. Weitere Beschwerden der Bf. bezüglich Gehaltszahlungen ab 1996 waren Gegenstand der Beschwerde Wallishauser/A, wo der GH eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK feststellte.

In einer Entscheidung vom 17.3.1999 stellte das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales fest, dass die Bf. aufgrund ihres Arbeitsvertrages mit der US-Botschaft weiterhin Arbeitnehmerin iSd. § 4 ASVG sei. Folglich wurde sie in das Sozialversicherungssystem eingegliedert und von der Gebietskrankenkasse dazu aufgefordert, die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung von 1.9.1988 bis 30.6.1995 zu zahlen. Da die Gebietskrankenkasse über die von der Bf. dagegen erhobenen Einsprüche nicht fristgerecht entschied, stellte diese einen Devolutionsantrag.

Am 7.6.2000 ordnete der Wiener Landeshauptmann die Zahlung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge durch die Bf. in Höhe von insgesamt ATS 1.088.676,76 (€ 79.117,22) für den oben genannten Zeitraum an. Die Entscheidung stützte sich auf § 53 Abs. 3 lit. a ASVG, wonach die Vereinigten Staaten ein die Vorrechte der Extraterritorialität genießender Dienstgeber seien, der keinerlei Sozialversicherungsbeiträge für die Bf. während des fraglichen Zeitraumes geleistet habe. Die Bf. zahlte die Arbeitnehmerbeiträge in Höhe von ATS 502.631,67 (€ 36.527,70) und legte Berufung ein. Sie brachte insbesondere vor, dass die US-Botschaft in ihrer Verwaltungsmitteilung die Übernahme der Arbeitgeberbeiträge zugesichert habe. Am 18.6.2001 ließ das Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen die Berufung zu und entschied, dass nicht die Bf. die Arbeitgeberbeiträge für den genannten Zeitraum zahlen müsse, sondern die US-Botschaft.

Am 3.10.2001 lehnte der VfGH die Beschwerde der Bf. mangels Erfolgsaussichten ab und verwies diese an den VwGH. Die Gebietskrankenkasse erhob ebenfalls Beschwerde beim VwGH, da die Bf. zur Zahlung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge iSd. § 53 Abs. 3 lit. a ASVG verpflichtet sei. Am 15.3.2005 hob der VwGH die Entscheidung des Bundesministeriums auf und bestätigte die Ansicht der Gebietskrankenkasse.

Mit Entscheidung vom 10.6.2005 ordnete das Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz die Zahlung des gesamten Betrages durch die Bf. an.

Die von der Bf. erhobene Verfassungsbeschwerde wurde am 27.9.2005 mangels Erfolgsaussichten abgelehnt. Diese Entscheidung wurde dem Anwalt der Bf. am 7.10.2005 zugestellt.

Während der genannten Verfahren brachte die Bf. auch Beschwerden auf Rückerstattung der Arbeitgeberbeiträge ein. Nach einem Ruhen des Verfahrens während des am VwGH anhängigen Verfahrens entschied das ASG Wien am 27.12.2005, dass die Leistung der Beiträge unmöglich sei.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. rügt eine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums) durch die Verpflichtung zur Zahlung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung gemäß § 53 Abs. 3 lit. a ASVG. Darüber hinaus behauptet sie Verletzungen von Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) und Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK

Der GH wiederholt, dass eine Person bei einer fehlenden Beeinträchtigung auch dann Opfer iSd. Art. 34 EMRK sein kann, wenn eine Konventionsverletzung denkbar ist. Er beobachtet, dass die Bf. unmittelbar von den Entscheidungen betroffen war, in denen sie zur Zahlung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge aufgefordert wurde. Die Regierung bringt vor, dass die Bf. bezüglich der Arbeitnehmerbeiträge keinen Nachteil erlitten habe, da diese in den Zahlungen, die sie von ihrem Arbeitgeber für den relevanten Zeitraum erhalten habe, enthalten gewesen seien. Die Bf. bringt vor, zumindest einen gewissen Nachteil erlitten zu haben. Die in Folge des ASG an sie gezahlten Beiträge seien durchschnittlich kalkuliert gewesen und würden aufgrund ihres Ansteigens im Laufe der Verfahren nicht mehr den Betrag decken, den sie zu zahlen habe. Zu diesem Zeitpunkt befindet es der GH als ausreichend zu wiederholen, dass das Fehlen einer Beeinträchtigung den Opferstatus der Bf. nicht beseitigt. Die Einrede der Regierung ist daher zurückzuweisen. Dieser Beschwerdepunkt ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig und muss somit für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Der GH stellt fest, dass die Verpflichtung zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum von 1.9.1988 bis 30.6.1995 einen Eingriff in das Recht der Bf. auf Achtung des Eigentums darstellt. Dieser fällt unter Art. 1 Abs. 2 1. Prot. EMRK, wonach die Mitgliedstaaten die Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben regeln können. Nach gefestigter Rechtsprechung des GH muss ein solcher Eingriff ein faires Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen des Allgemeininteresses und dem Schutz der Grundrechte des Einzelnen schaffen.

Darüber hinaus besteht üblicherweise ein weiter Ermessensspielraum des Staates, wenn es um allgemeine wirtschaftliche oder soziale Maßnahmen geht. Grundsätzlich können die nationalen Behörden aufgrund der unmittelbaren Kenntnis der Bedürfnisse der Gesellschaft am besten beurteilen, was aus sozialen oder wirtschaftlichen Gründen im Allgemeininteresse liegt. Der GH respektiert grundsätzlich die politischen Entscheidungen des Gesetzgebers, außer wenn eine nachvollziehbare Begründung offensichtlich fehlt.

Im vorliegenden Fall stützt sich die Verpflichtung der Bf. zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge auf § 53 Abs. 3 lit. a ASVG. Die Bf. bringt vor den nationalen Behörden und dem GH vor, dass in ihrem Fall diese Bestimmung nicht zur Anwendung hätte kommen sollen. Der VwGH lieferte jedoch detaillierte Gründe dafür, dass die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit von § 53 Abs. 3 lit. a ASVG vorlagen, da der Dienstgeber der Bf. die Vorrechte der Extraterritorialität genossen und keine Sozialversicherungsbeiträge geleistet habe. Er stellte ausdrücklich fest, dass die Zusicherung der US-Botschaft, ihren Arbeitnehmern die Arbeitgeberbeiträge zurückzuerstatten, an dieser Beurteilung nichts ändert. Der GH betrachtet diese Einschätzung nicht als willkürlich. Da die Auslegung und Anwendung nationalen Rechts in erster Linie den nationalen Gerichten zukommt, ist er der Ansicht, dass der Eingriff eine Grundlage im nationalen Recht hat.

Die fragliche Bestimmung ist darauf ausgerichtet, das Funktionieren des Sozialversicherungssystems zu sichern. Wie die Regierung ausgeführt hat, basiert die Finanzierung der Kranken- und Unfallversicherung und des Pensionssystems nach dem ASVG auf einem Umlageverfahren, weshalb es wichtig ist, dass Sozialversicherungsbeiträge tatsächlich gezahlt werden. Der GH ist daher der Ansicht, dass der Eingriff in die Eigentumsrechte der Bf. ein legitimes Ziel im Einklang mit dem Allgemeininteresse darstellt.

Es ist nun zu prüfen, ob der Eingriff verhältnismäßig zum verfolgten Ziel war. Die Bf. behauptet, dass die Ausnahmeregelung nach § 53 Abs. 3 lit. a ASVG nicht mehr notwendig sei, da nach geltendem Völkerrecht Verpflichtungen, die aus Dienstverträgen mit diplomatischen Vertretungen eines fremden Staates resultieren, nicht mehr aus Gründen der Staatenimmunität von der Jurisdiktion ausgeschlossen seien. Der GH hat bereits festgestellt, dass sich das Völkerrecht in die Richtung einer Begrenzung der Immunität im Bezug auf Arbeitsstreitigkeiten entwickelt: Diese Entwicklung wird in Art. 5 des Übereinkommens über die Staatenimmunität von 1972 und Art. 11 der Draft Articles on Jurisdictional Immunities of States and Their Property von 1991 der International Law Commission (ILC) deutlich und ist nun in Art. 11 des »Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Immunität von Staaten und ihres Vermögens« von 2004 enthalten.

Der vorliegende Fall bezieht sich jedoch auf soziale Sicherheit und wirft die Frage auf, ob die Annahme, auf die sich § 53 Abs. 3 lit. a ASVG stützt, nämlich die Unmöglichkeit der Durchsetzung einer Verpflichtung eines extraterritorialen Dienstgebers zur Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen, nach Völkerrecht noch gültig ist.

Das Übereinkommen von 1972 stützt das Vorbringen der Bf. nicht, da Verfahren, die die soziale Sicherheit betreffen, von seinem Anwendungsbereich ausgeschlossen sind.

Das Übereinkommen von 2004 ist noch nicht in Kraft getreten. Österreich ratifizierte es im Jahr 2006, als die betreffenden Verfahren bereits beendet waren. Die Vereinigten Staaten haben es noch nicht ratifiziert. Der GH hat bereits festgestellt, dass es ein feststehender völkerrechtlicher Grundsatz ist, dass eine vertragliche Bestimmung als Völkergewohnheitsrecht auch dann Bindung entfalten kann, wenn der betreffende Staat den Vertrag nicht ratifiziert hat, vorausgesetzt er hat dem nicht widersprochen. Nach Art. 18 bis 21 des Übereinkommens von 2004 sind die Möglichkeiten zur Durchsetzung eines Urteils gegen einen fremden Staat ausdrücklich begrenzt. Die Art. 18 und 19 der Draft Articles von 1991 enthalten ähnliche Bestimmungen. Der Kommentar der ILC zu Art. 18 der Draft Articles von 1991 stellt klar, dass die Immunität bezüglich der Gerichtsbarkeit und bezüglich der Vollstreckung voneinander zu trennen sind.

Daraus folgt, dass auch für den Fall, dass die Art. 18 bis 21 des Übereinkommens von 2004 als Bestimmungen des Völkergewohnheitsrechts auf den betreffenden Zeitraum anwendbar wären, dies die Position der Bf. nicht stärken würde. Die Tatsache, dass sich ein Staat bei bestimmten Dienstverträgen nicht auf Immunität bezüglich der Gerichtsbarkeit berufen kann, bedeutet nicht, dass ein Urteil gegen einen fremden Staat in derselben Weise durchgesetzt werden kann wie gegen einen gewöhnlichen Arbeitgeber. Der dem § 53 Abs. 3 lit. a ASVG zugrundeliegende Zweck, nämlich dass Verpflichtungen nach dem Sozialversicherungsgesetz gegen einen extraterritorialen Dienstgeber nicht oder nicht in derselben Weise wie gegen einen gewöhnlichen Dienstgeber durchgesetzt werden können, ist somit immer noch zutreffend. Im Hinblick auf diese Feststellungen kann nicht behauptet werden, dass die Entscheidung des Gesetzgebers zur Beibehaltung von § 53 Abs. 3 lit. a ASVG offensichtlich unbegründet war.

Es bleibt festzustellen, ob der Bf. im vorliegenden Fall eine unverhältnismäßige Last aufgebürdet wurde. Der GH nimmt zunächst zur Kenntnis, dass die Bf. für den Zeitraum von 1.9.1988 bis 30.6.1995, für den sie die Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten hatte, nach dem Urteil des ASG Wien Gehaltszahlungen von der US-Botschaft erhielt. Das Argument der Bf., dass Sozialversicherungsbeiträge grundsätzlich selbst dann fällig sind, wenn kein Gehalt gezahlt wird, ist daher im vorliegenden Fall nicht relevant. Bezüglich der Verpflichtung der Bf. zur Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge nimmt der GH zur Kenntnis, dass diese in dem oben genannten Betrag enthalten waren. Diese Zahlungen stellten somit keine Last für die Bf. dar. Ihr Vorbringen, dass diese Beiträge in ihrer Klage vor dem ASG als durchschnittliche monatliche Beiträge kalkuliert waren und das Ansteigen  der Beiträge während der Verfahren bewirke, dass diese nicht mehr gedeckt seien, hätte sie im betreffenden Verfahren geltend machen können und müssen.

Bezüglich der Verpflichtung der Bf. zur Zahlung der Arbeitgeberbeiträge beobachtet der GH, dass sie nicht behauptete, dass ihr Arbeitgeber die Arbeitgeberbeiträge an die Gebietskrankenkasse je direkt zahlte. Im Gegenteil, bei der Aufnahme ihrer Tätigkeit für die Botschaft registrierte sich die Bf. selbst gemäß § 35 Abs. 4 lit. a ASVG als Arbeitnehmerin eines extraterritorialen Dienstgebers. Folglich erstattete ihr die US-Botschaft die Arbeitgeberbeiträge gemäß ihrem Arbeitsvertrag und der gegebenen Zusicherung zurück. Die Bf. bringt vor, dass die Sozialversicherungsbehörden von dieser Vereinbarung Kenntnis hatten und an dieser beteiligt waren. In jedem Fall bestehen keine Hinweise dafür, dass der Arbeitgeber der Bf. eine Verpflichtung zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge an die Gebietskrankenkasse akzeptiert hat. Andererseits folgt daraus ausdrücklich, dass die Arbeitgeberbeiträge durch die Bf. gezahlt wurden und in der Folge durch den Arbeitgeber rückerstattet wurden.

Bei Beginn des Rechtsstreits weigerte sich die US-Botschaft, die Beiträge zurückzuerstatten. Dies ändert jedoch nichts am Verhältnis der Bf. gegenüber der Gebietskrankenkasse. Dieses basierte auf besonderen Regeln, zu denen auch § 53 Abs. 3 lit. a ASVG gehört, die auch schon beim Abschluss des Vertrages der Bf. mit der US-Botschaft gegolten haben und die Bf. zur Schuldnerin der gesamten Sozialversicherungsbeiträge machten. Das Argument der Regierung ist berechtigt, dass von der Bf., die das obige System akzeptierte, mehr als von anderen Versicherten erwartet werden konnte, dass sie das Risiko auf sich nahm, das im Fall einer Weigerung der Erfüllung der vertraglichen Pflichten durch die Vereinigten Staaten bestand. Hinsichtlich der begrenzten Möglichkeiten zur Durchsetzung einer Klage gegen einen fremden Staat ist der GH vom Argument der Bf. nicht überzeugt, dass kein vorhersehbares Risiko bestand.

Im Hinblick auf die Höhe der Arbeitgeberbeiträge für den betreffenden Zeitraum, nämlich etwa € 42.600,–, ist der GH der Ansicht, dass dieser nicht unverhältnismäßig gegenüber dem Gesamtbetrag von € 269.000,–, den die Bf. als Gehaltszahlung erhielt, ist. Zusammenfassend bedeutet die Verpflichtung zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge keine überhöhte Last für die Bf. und ist daher nicht als mit Art. 1 1. Prot. EMRK unvereinbar anzusehen. Keine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 EMRK

Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 1 1. Prot. EMRK oder iVm. Art. 6 EMRK. Sie bringt vor, dass der § 53 Abs. 3 lit. a ASVG zugrundeliegende Zweck, nämlich dass keine Klagen gegen die Vorrechte der Extraterritorialität genießende Dienstgeber durchgesetzt werden könnten, und daher die Unterscheidung zwischen extraterritorialen und anderen Dienstgebern nicht mehr gerechtfertigt seien.

Diese Beschwerdepunkte sind eng mit dem oben Geprüften verbunden und daher für zulässig zu erklären

(einstimmig). Im Hinblick auf die Feststellungen zu Art. 1 1. Prot. EMRK ist der GH der Ansicht, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Maßnahme nach Art. 14 EMRK ein Gleichgewicht zwischen denselben Faktoren herzustellen wäre und daher keine Verletzung von Art. 14 EMRK feststellbar ist, egal ob iVm. Art. 6 EMRK oder Art. 1 1. Prot. EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 EMRK

Die Bf. bringt nach Art. 6 EMRK vor, dass es sowohl das Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz als auch der VfGH versäumt hätten, dem EuGH die Frage, ob § 53 Abs. 3 lit. a ASVG mit Unionsrecht vereinbar ist, zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Der GH wiederholt, dass die Konvention kein Recht auf eine Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV garantiert, auch wenn die willkürliche Verweigerung eines solchen Antrages das Recht auf ein faires Verfahren verletzen kann. Im vorliegenden Fall brachte die Bf. keine Argumente bezüglich eines möglichen Konflikts von § 53 Abs. 3 lit. a ASVG mit Unionsrecht in ihrer Berufung vor. In ihrer Beschwerde beim VfGH beantragte sie allgemein ein Vorabentscheidungsverfahren. Auch wenn sie vorbrachte, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die von der Konvention garantierten Rechte als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind, hat sie nicht konkretisiert, welche Bestimmungen des Unionsrechts in ihrem Fall von Bedeutung wären. Unter diesen Umständen stellt die Tatsache, dass der VfGH den Fall der Bf. mangels Erfolgsaussichten abwies, ohne ausdrücklich auf den Antrag auf Vorabentscheidung einzugehen, keine Willkür dar. Daraus folgt, dass dieser Beschwerdepunkt wegen offensichtlicher Unbegründetheit als unzulässig zurückzuweisen ist (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Stec u.a./GB v. 12.4.2006 (GK) = NL 2006, 90

Sabeh El Leil/F v. 29.6.2011 (GK) = NL 2011, 172

Wallishauser/A v. 17.7.2012 = NL 2012, 246 = ÖJZ 2013, 86

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 20.6.2013, Bsw. 14497/06 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2013, 201) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/13_3/Wallishauser2.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise