JudikaturAUSL EGMR

Bsw19010/07 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
19. Februar 2013

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Große Kammer, Beschwerdesache X. u.a. gg. Österreich, Urteil vom 19.2.2013, Bsw. 19010/07.

Spruch

Art. 8 EMRK, Art. 14 EMRK - Stiefkindadoption bei gleichgeschlechtlichem Paar.

Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 8 EMRK bei Vergleich der Situation der Bf. mit jener eines verheirateten Paares, wo einer der Partner das Kind des anderen annehmen möchte (einstimmig).

Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 8 EMRK bei Vergleich der Situation der Bf. mit jener eines unverheirateten verschiedengeschlechtlichen Paares, wo einer der Partner das Kind des anderen annehmen möchte (10:7 Stimmen).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: € 10.000,- für immateriellen Schaden, € 28.420,88 für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Bei der Erst- und der DrittBf. handelt es sich um zwei Frauen, die in einer festen Beziehung leben. Der ZweitBf. ist der 1995 außerehelich geborene Sohn der DrittBf. Sein Vater hat die Vaterschaft zwar anerkannt, seiner Mutter kommt allerdings das alleinige Sorgerecht für ihn zu. Die Bf. leben in einem gemeinsamen Haushalt, seit der ZweitBf. fünf Jahre alt war. Die Erst- und die DrittBf. sorgen gemeinsam für ihn.

Am 17.2.2005 vereinbarten die Erst- und der ZweitBf., vertreten durch seine Mutter, dass der ZweitBf. von der ErstBf. adoptiert werden sollte. Ziel der Bf. war es, zwischen der Erst- und dem ZweitBf. eine rechtliche Beziehung zu schaffen, die der Bindung zwischen ihnen entsprach, ohne die entsprechende Beziehung zur DrittBf. als Kindesmutter zu durchtrennen.

Da die Bf. sich der Tatsache bewusst waren, dass der Wortlaut des § 182 Abs. 2 ABGB aF (Anm: Dieser lautete: »Wird das Wahlkind durch Ehegatten als Wahleltern angenommen, so erlöschen ... die nicht bloß in der Verwandtschaft an sich ... bestehenden familienrechtlichen Beziehungen zwischen den leiblichen Eltern und deren Verwandten einerseits und dem Wahlkind und dessen im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Annahme minderjährigen Nachkommen andererseits mit diesem Zeitpunkt. Wird das Wahlkind nur durch einen Wahlvater (eine Wahlmutter) angenommen, so erlöschen diese Beziehungen lediglich hinsichtlich des leiblichen Vaters (der leiblichen Mutter) und dessen (deren) Verwandten ...«.) dahingehend interpretiert werden konnte, dass die Adoption des Kindes des einen Partners eines gleichgeschlechtlichen Paares durch den anderen Partner (so genannte Stiefkind adoption), ohne dass die rechtliche Beziehung zum leiblichen Elternteil durchtrennt wurde, ausgeschlossen war, ersuchten sie den VfGH, die Bestimmung wegen Diskriminierung ihrer sexuellen Orientierung für verfassungswidrig zu erklären. Bei heterosexuellen Paaren erlaubte § 182 Abs. 2 ABGB aF die Adoption des Kindes des einen Partners durch den anderen, ohne dass die rechtliche Beziehung des Erstgenannten beeinträchtigt wurde. Am 14.6.2005 wies der VfGH diesen Antrag als unzulässig zurück, da zunächst das zuständige BG über die Adoption zu entscheiden habe.

Am 26.9.2005 ersuchten die Bf. das zuständige BG, die Adoption zu genehmigen. Die ErstBf. sollte an die Stelle des Vaters des ZweitBf. treten. Der Vater hätte zwar seine Zustimmung zu der Adoption verweigert, doch sollte das Gericht seine fehlende Zustimmung ersetzen, da die Adoption dem Kindeswohl entsprechen würde. Dies untermauerten sie auch mit einem Bericht des Jugendamts.

Das BG verweigerte die Genehmigung der Adoption am 10.10.2005, weil § 182 Abs. 2 ABGB aF keine Form der Adoption vorsehe, welche die von den Bf. gewünschten Wirkungen hervorrufen würde. Nach dieser Bestimmung würden bei einer Adoption durch nur eine Person die Beziehungen zu jenem Elternteil erlöschen, der dasselbe Geschlecht wie der Adoptivelternteil hat. Die Adoption des Kindes durch die ErstBf. würde daher die Beziehung zu seiner leiblichen Mutter aufheben, nicht aber jene zu seinem leiblichen Vater. Die von den Bf. verlangte Regelung erfordere eine Gesetzesänderung.

Der Rekurs der Bf., in der sie eine Diskriminierung durch § 182 Abs. 2 ABGB aF im Sinne von Art. 8 und Art. 14 EMRK vorbrachten, wurde vom zuständigen LG am 21.2.2006 abgewiesen. Das österreichische Familienrecht sehe vor, dass ein Elternpaar in der Regel aus zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts besteht. Solange die leiblichen Eltern vorhanden sind, sei es nicht notwendig, zusätzlich die rechtliche Elternschaft einer anderen Person zu begründen, auch wenn diese faktisch eine enge Verbindung zum Kind hat. Der Vater des ZweitBf. hätte zudem regelmäßigen Kontakt zu diesem. Die fragliche gesetzliche Bestimmung diene dem Schutz des traditionellen Familienbilds. Es gebe keine Rechtfertigung dafür, das Kind seiner Verbindung zu seinem Vater zu berauben.

Am 27.9.2006 gab der OGH dem Revisionsrekurs der Bf. keine Folge. Die Adoption des Kindes durch die weibliche Partnerin der leiblichen Mutter sei rechtlich nicht möglich. Die Bf. hätten auch nicht aufgezeigt, dass die Regelung des § 182 Abs. 2 ABGB aF den Ermessensspielraum des Gesetzgebers überschreite oder das Verhältnismäßigkeitsprinzip verletze. Der OGH hegte daher keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. rügen eine Verletzung von Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) iVm. Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Familienlebens), da sie aufgrund der sexuellen Orientierung der Erst- und DrittBf. hinsichtlich ihres Familienlebens diskriminiert würden. Es gebe keine objektive Rechtfertigung dafür, die Adoption des Kindes eines Partners durch den anderen bei – verheirateten oder unverheirateten – heterosexuellen Paaren zu erlauben, nicht aber auch bei gleichgeschlechtlichen Partnern.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 8 EMRK

Die Beschwerde ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig und muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Die Erst- und die DrittBf. sind ein festes gleichgeschlechtliches Paar und leben viele Jahre zusammen. Der ZweitBf. teilt ihre Wohnung mit ihnen. Seine Mutter und ihre Partnerin sorgen gemeinsam für ihn. Die Beziehung zwischen den drei Bf. stellt daher »Familienleben« nach Art. 8 EMRK dar. Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK findet somit auf den vorliegenden Fall Anwendung.

Vergleich mit einem verheirateten Paar, bei dem ein Ehepartner das Kind des anderen adoptieren möchte

Die erste Frage, die beantwortet werden muss, ist, ob sich die Bf. in einer vergleichbaren Situation befinden wie ein verheiratetes verschiedengeschlechtliches Paar, dessen einer Ehepartner das leibliche Kind des anderen adoptieren möchte.

Der GH hat diese Frage kürzlich im Fall Gas und Dubois/F verneint und möchte dies hier bestätigen. Die Staaten sind weder aus Art. 12 EMRK noch aus Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK verpflichtet, gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit zu geben, zu heiraten. Wählt ein Staat für diese eine andere Form der rechtlichen Anerkennung, so kommt ihm bei der konkreten Ausgestaltung ein gewisses Ermessen zu. Außerdem verleiht die Ehe jenen, die sie eingehen, einen besonderen Status, der mit sozialen, persönlichen und rechtlichen Konsequenzen einhergeht.

Das österreichische Recht schafft hinsichtlich Adoption in der Tat ein spezielles Regime für verheiratete Paare. Nach § 179 Abs. 2 ABGB aF steht eine gemeinsame Adoption nur verheirateten Paaren offen und grundsätzlich dürfen verheiratete Paare auch nur gemeinsam adoptieren. Die Adoption des Kindes des anderen Ehepartners wird lediglich als Ausnahme zu dieser Regel vorgesehen.

Der GH sieht keinen Grund dafür, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Die Bf. befinden sich daher im vorliegenden Fall nicht in einer einem Ehepaar vergleichbaren Situation. Folglich lag im Vergleich der Situation der Bf. mit derjenigen von verheirateten Paaren, bei denen ein Ehepartner das leibliche Kind des oder der anderen adoptieren möchte, keine Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK vor (einstimmig; im Ergebnis übereinstimmendes Sondervotum von Richter Spielmann).

Vergleich mit einem unverheirateten verschieden geschlechtlichen Paar, bei dem ein Partner das Kind des anderen adoptieren möchte

Die Bf. wiesen darauf hin, dass nach österreichischem Recht die Stiefkindadoption nicht nur verheirateten Paaren offenstand, sondern auch unverheirateten heterosexuellen Paaren. Gleichgeschlechtlichen Paaren hingegen war dies rechtlich unmöglich.

Der GH akzeptiert, dass sich die Bf. in einer einem unverheirateten heterosexuellen Paar vergleichbaren Situation befinden, bei dem ein Partner das Kind des anderen adoptieren möchte.

Der GH wendet sich nun der Frage zu, ob eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der sexuellen Orientierung der Erst- und der DrittBf. erfolgte.

Das österreichische Recht erlaubt die Stiefkindadoption bei unverheirateten heterosexuellen Paaren. Auch Einzelpersonen können nach dem ABGB ein Kind adoptieren und bei unverheirateten heterosexuellen Paaren ist es einem Partner nicht verwehrt, das Kind des anderen Partners zu adoptieren, ohne dabei die rechtliche Beziehung zwischen diesem Partner und dem Kind aufzuheben. Im Gegensatz dazu ist dies bei einem gleichgeschlechtlichen Paar rechtlich unmöglich. Das folgt aus § 182 Abs. 2 ABGB aF, wonach der Adoptivelternteil den leiblichen Elternteil des gleichen Geschlechts ersetzt. Da die ErstBf. eine Frau ist, könnte die Adoption des ZweitBf. durch sie nur die rechtliche Beziehung der leiblichen Mutter zum Kind aufheben. Die Adoption könnte also nicht dazu dienen, eine Eltern-Kind-Beziehung zwischen der Erst- und dem ZweitBf. zusätzlich zu dessen rechtlicher Beziehung zur DrittBf. herzustellen. § 182 Abs. 2 ABGB aF schließt daher die Adoption des Kindes des Partners bzw. der Partnerin bei einem gleichgeschlechtlichen Paar aus.

Im vorliegenden Fall war und ist die Adoption des Kindes der Partnerin daher unmöglich. Das wäre sogar so, wenn der leibliche Vater des ZweitBf. tot oder unbekannt wäre oder Gründe vorlägen, um seine fehlende Zustimmung zur Adoption zu ersetzen, oder der Vater der Adoption zustimmen würde.

Die Regierung brachte vor, dass der Antrag der Bf. auf Adoption aus Gründen zurückgewiesen wurde, die nichts mit der sexuellen Orientierung der Erst- und der DrittBf. zu tun hatten, nämlich zum einen wegen des Kindeswohls und zum anderen wegen der fehlenden Zustimmung des Vaters des ZweitBf. und die Gerichte daher genau gleich entscheiden hätten müssen, wenn die ErstBf. ein männlicher Partner der DrittBf. gewesen wäre. Da der Unterschied im Recht sich daher im Fall der Bf. nicht auswirkte, würden die Bf. vom GH eine abstrakte rechtliche Prüfung verlangen.

Mit Blick auf die Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte ist der GH von diesem Vorbringen der Regierung nicht überzeugt. Zum einen machten die Gerichte klar, dass eine Adoption mit der von den Bf. gewünschten Wirkung nach § 182 Abs. 2 ABGB aF unmöglich war. Das BG und das LG führten daher keine Untersuchung des Falls durch und gingen insbesondere nicht darauf ein, ob der Vater des ZweitBf. der Adoption zustimmte oder seine fehlende Zustimmung ersetzt werden konnte. Dagegen unterstrich das LG, dass der Begriff »Eltern« im österreichischen Familienrecht grundsätzlich zwei Personen verschiedenen Geschlechts bezeichnete und betonte, dass es im Kindeswohl liege, den Kontakt mit zwei Elternteilen unterschiedlichen Geschlechts aufrechtzuerhalten. Außerdem erklärte das LG den Revisionsrekurs an den OGH für zulässig, da keine Rechtsprechung hinsichtlich »der zu entscheidenden Frage vorliege, nämlich ob die Adoption eines Kindes durch den gleichgeschlechtlichen Partner eines seiner Eltern rechtmäßig sei«. Dies widerspricht der Behauptung der Regierung klar, dass die rechtliche Unmöglichkeit der fraglichen Adoption bei der Entscheidung des Falls keine Rolle spielte. Der OGH stellte neben der rechtlichen Unmöglichkeit der Adoption auch fest, dass § 182 Abs. 2 ABGB aF mit Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK vereinbar wäre.

Im Ergebnis verwirft der GH das Argument der Regierung, dass die Bf. von dem Unterschied im Recht nach § 182 Abs. 2 ABGB aF nicht betroffen waren. Die rechtliche Unmöglichkeit der gewünschten Adoption stand vielmehr im Zentrum der Überlegungen der innerstaatlichen Gerichte. Dies hinderte die Gerichte daran, auf sinnvolle Weise zu prüfen, ob die Adoption im Kindeswohl des ZweitBf. lag und führte dazu, dass sie die Umstände des Falls nicht im Einzelnen untersuchten. Sie prüften auch nicht, ob Gründe vorlagen, die es rechtfertigen würden, die fehlende Zustimmung des Vaters des ZweitBf. zu ersetzen.

Hätte es sich bei der Erst- und der DrittBf. um ein unverheiratetes heterosexuelles Paar gehandelt, hätten die Gerichte den Antrag auf Adoption nicht einfach grundsätzlich verweigern können und wären dazu verpflichtet gewesen, zu untersuchen, ob eine Adoption dem Kindeswohl diente. Hätte der Vater des Kindes der Adoption nicht zugestimmt, hätten die Gerichte prüfen müssen, ob außergewöhnliche Umstände gegeben waren, die ein Ersetzen seiner Zustimmung rechtfertigten.

Folglich handelt es sich bei der vorliegenden Beschwerde um keine Popularklage. Die Bf. waren rechtlich direkt betroffen. Das absolute Verbot einer Stiefkindadoption bei einem gleichgeschlechtlichen Paar entzieht seiner Natur nach die tatsächlichen Umstände des Falls einer Untersuchung durch die nationalen Gerichte oder den GH.

Da die Beziehung zwischen den Bf. als »Familienleben« im Sinne von Art. 8 EMRK angesehen werden kann und die Adoption darauf abzielte, die rechtliche Anerkennung desselben zu erreichen, können alle drei Bf. behaupten, Opfer der behaupteten Konventionsverletzung zu sein.

Insgesamt erfolgte eine Ungleichbehandlung der Bf. im Vergleich zu einem unverheirateten heterosexuellen Paar, bei dem ein Partner die Adoption des Kindes des anderen anstrebt. Diese Unterscheidung war untrennbar mit dem Umstand verbunden, dass die Erst- und die DrittBf. ein gleichgeschlechtliches Paar bildeten und beruhte daher auf ihrer sexuellen Orientierung. Der Fall unterscheidet sich somit von Gas und Dubois/F, wo der GH feststellte, dass keine Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung zwischen einem unverheirateten verschiedengeschlechtlichen und einem gleichgeschlechtlichen Paar vorlag, da nach französischem Recht beiden kein Recht auf Stiefkindadoption zukam.

Der GH betont, dass der vorliegende Fall nicht die Frage betrifft, ob der Antrag der Bf. auf Adoption unter den konkreten Umständen genehmigt werden hätte sollen. Er befasst sich daher nicht mit der Rolle des Vaters des ZweitBf. oder etwaigen Gründen zur Ersetzung seiner Zustimmung. Diese Fragen müssten von den nationalen Gerichten entschieden werden, wenn sie in der Lage wären, den Inhalt des Adoptionsantrags zu untersuchen. Es geht vor dem GH gerade darum, dass sie im Fall der Bf. nicht in der Lage dazu waren, weil die entsprechende Adoption jedenfalls nach § 182 Abs. 2 ABGB aF rechtlich unmöglich war, während sie eine inhaltliche Untersuchung durchführen hätten müssen, wäre es um eine solche Adoption bei einem unverheirateten heterosexuellen Paar gegangen. Der GH hat im Übrigen nicht über die Stiefkindadoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren schlechthin zu entscheiden, sondern lediglich über den eng umgrenzten Gegenstand einer behaupteten Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren im Vergleich zu unverheirateten verschiedengeschlechtlichen Paaren in Bezug auf solche Adoptionen.

Es besteht keine Verpflichtung unter Art. 8 EMRK, das Recht, das Kind des Partners zu adoptieren, auch auf unverheiratete Paare zu erstrecken. Das österreichische Recht erlaubt eine solche Adoption dennoch bei unverheirateten verschiedengeschlechtlichen Paaren. Es ist daher zu untersuchen, ob die Verweigerung dieses Rechts für gleichgeschlechtliche Paare einem legitimen Ziel dient und zu diesem verhältnismäßig ist.

Die österreichischen Gerichte und die Regierung brachten vor, das österreichische Adoptionsrecht ziele darauf ab, die Verhältnisse einer biologischen Familie nachzubilden. Sie beriefen sich auf den Schutz der traditionellen Familie und legten die stillschweigende Annahme zugrunde, dass nur eine Familie mit Eltern verschiedenen Geschlechts angemessen für die Bedürfnisse des Kindes sei.

Der GH hat in seiner Rechtsprechung anerkannt, dass der Schutz der Familie im traditionellen Sinne – ebenso wie der Schutz des Kindeswohls – grundsätzlich ein gewichtiger und legitimer Grund ist, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann. Es geht daher darum, ob im vorliegenden Fall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wurde.

Nach der Rechtsprechung des GH musste in Fällen, wo es um eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung ging und daher ein nur enger Ermessensspielraum gegeben war, gezeigt werden, dass es notwendig war, bestimmte Kategorien von Leuten wie solche in homosexuellen Beziehungen vom Anwendungsbereich der betreffenden Bestimmungen auszuschließen, um das verfolgte Ziel zu erreichen.

Die Beweislast liegt daher bei der Regierung, die zu zeigen hat, dass der Schutz der traditionellen Familie und des Kindeswohls den Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare von der Möglichkeit der Stiefkindadoption erfordert.

Die Regierung hat keine besonderen Beweise oder wissenschaftlichen Studien beigebracht, die zeigen würden, dass eine Familie mit zwei Elternteilen des gleichen Geschlechts unter keinen Umständen angemessen für die Bedürfnisse des Kindes sorgen könnte. Sie räumte im Gegenteil sogar ein, dass gleichgeschlechtliche Paare so geeignet oder ungeeignet wie verschiedengeschlechtliche Paare sein könnten, wenn es um die Adoption von Kindern geht. Die Regierung betonte lediglich, dass die Gesetzgebung eine Situation vermeiden wollte, in der ein Kind in rechtlicher Hinsicht zwei Mütter oder Väter hatte.

Der österreichischen Rechtslage scheint es zudem an Kohärenz zu mangeln. Die Adoption durch eine Einzelperson – auch eine homosexuelle – ist möglich. Wenn diese Person einen eingetragenen Partner bzw. eine eingetragene Partnerin hat, muss dieser bzw. diese der Adoption zustimmen. Der Gesetzgeber hat folglich akzeptiert, dass ein Kind in einer durch ein gleichgeschlechtliches Paar gebildeten Familie aufwächst und dies nicht schädlich für das Kind ist.

Der GH findet das Argument der Bf. überzeugend, dass zwar de facto-Familien existieren, die auf einem gleichgeschlechtlichen Paar gründen, diesen aber die Möglichkeit verwehrt werde, rechtliche Anerkennung und rechtlichen Schutz zu erlangen.

Die obigen Überlegungen ziehen die Verhältnismäßigkeit des absoluten Verbots der Stiefkindadoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren nach § 182 Abs. 2 ABGB aF erheblich in Zweifel.

Die Regierung brachte jedoch noch ein weiteres Argument vor, um die gerügte Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Unter Bezugnahme auf Art. 8 EMRK behauptete sie, dass der Ermessensspielraum im Bereich des Adoptionsrechts weit wäre, da dieses einen sorgfältigen Ausgleich zwischen den Interessen aller beteiligten Personen zu schaffen hätte. Im gegebenen Zusammenhang wäre er sogar noch weiter, da kein europäischer Konsens zur Frage der Stiefkindadoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren existierte.

Der GH bestätigt zunächst, dass der Ermessensspielraum des Staates gering ist, wenn es um Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung im Rahmen von Art. 14 EMRK geht. Es muss zudem berücksichtigt werden, dass der GH nicht allgemein die Frage des Zugangs zur Stiefkindadoption für gleichgeschlechtliche Paare zu beurteilen hat, sondern die Ungleichbehandlung zwischen unverheirateten heterosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren im Hinblick auf diese Form der Adoption. Folglich können nur die zehn Mitgliedstaaten des Europarats zum Vergleich herangezogen werden, welche diese Form der Adoption bei unverheirateten Paaren erlauben. Unter diesen Staaten behandeln sechs heterosexuelle und gleichgeschlechtliche Paare gleich, während vier dieselbe Position wie Österreich einnehmen. Diese Auswahl ist so eng, dass daraus keine Rückschlüsse hinsichtlich eines möglichen Konsens unter den Mitgliedstaaten des Europarats gezogen werden können.

Der GH ist sich der Tatsache bewusst, dass das Schaffen eines Ausgleichs zwischen dem Schutz der Familie im traditionellen Sinn und den Konventionsrechten sexueller Minderheiten von Natur aus schwierig ist und vom Staat verlangen kann, konfligierende Ansichten und Interessen miteinander in Einklang zu bringen, die von den betroffenen Parteien als in einem grundsätzlichen Gegensatz stehend wahrgenommen werden. Angesichts der obigen Überlegungen stellt der GH jedoch fest, dass die Regierung keine besonders gewichtigen und überzeugenden Gründe angeführt hat, um zu zeigen, dass der Ausschluss der Stiefkindadoption – die für ein unverheiratetes verschiedengeschlechtliches Paar erlaubt war – bei einem gleichgeschlechtlichen Paar für den Schutz der Familie im traditionellen Sinn oder des Kindeswohls notwendig war. Diese Unterscheidung ist daher nicht mit der Konvention vereinbar.

Im Ergebnis stellt der GH, wenn er die Situation der Bf. mit jener eines unverheirateten verschiedengeschlechtlichen Paares vergleicht, bei dem ein Partner das Kind des anderen Partners adoptieren möchte, fest, dass eine Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK vorliegt (10:7 Stimmen; abweichendes Sondervotum der Richterinnen Ziemele und Jociene sowie der Richter Casadevall, Kovler, Šikuta, De Gaetano und Sicilianos).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK

€ 10.000,– für immateriellen Schaden; € 28.420,88 für Kosten und Auslagen (11:6 Stimmen).

Vom GH zitierte Judikatur:

Fretté/F v. 26.2.2002

Karner/A v. 24.7.2003 = NL 2003, 214 = ÖJZ 2004, 36

Eski/A v. 25.1.2007 = NL 2007, 21 = ÖJZ 2007, 750

E. B./F v. 22.1.2008 (GK) = NL 2008, 10 = ÖJZ 2008, 499

Kozak/PL v. 2.3.2010 = NL 2010, 90

Schalk und Kopf/A v. 24.6.2010 = NL 2010, 185 = EuGRZ 2010, 445 = ÖJZ 2010, 1089

Gas und Dubois/F v. 15.3.2012 = NL 2012, 78

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 19.2.2013, Bsw. 19010/07 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2013, 46) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/13_1/X.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise