JudikaturAUSL EGMR

Bsw156/04 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
17. Juli 2012

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Wallishauser gg. Österreich, Urteil vom 17.7.2012, Bsw. 156/04.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, § 116 ZPO, § 20 ZustellG - Immunität der US-Botschaft in arbeitsrechtlichem Streit.

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich des fehlenden Zugangs zu Gericht (einstimmig).

Unzulässigkeit der Beschwerde im Übrigen (einstimmig).

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: € 12.000,- für immateriellen Schaden, € 15.000,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die Bf. arbeitete ab 1978 als Fotografin für die Botschaft der USA in Wien, seit 1981 aufgrund eines unbefristeten Dienstvertrags. Seit einem 1983 erlittenen Unfall unterlag sie dem Schutz des Invalideneinstellungsgesetzes. Nach einem Arbeitsunfall kündigte die Botschaft im September 1987 ihren Dienstvertrag.

Diese Kündigung wurde vom Arbeits- und Sozialgericht (ASG) Wien mangels Zustimmung des Invalidenausschusses für unwirksam erklärt. Die von den USA erhobene Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit wurde verworfen. Die Immunität ausländischer Staaten beziehe sich nur auf die Ausübung ihrer hoheitlichen Funktionen, nicht aber auf ihre Eigenschaft als Privatrechtsträger. Der Abschluss eines Arbeitsvertrags falle in die letztere Kategorie. Der OGH bestätigte dieses Urteil am 21.11.1990, wobei er feststellte, dass die USA ihre Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit nicht aufrecht erhalten hätten.

Obwohl die Kündigung somit für unwirksam erklärt war, weigerte sich die Botschaft, die Bf. weiter zu beschäftigen. Ein Verfahren über die Erteilung der Zustimmung des Invalidenausschusses zur Kündigung der Bf. endete im September 1994 mit einer Entscheidung des VwGH, mit dem die erteilte Zustimmung aufgehoben und die Sache an den Invalidenausschuss zurückverwiesen wurde. Die USA zogen daraufhin im Jänner 1996 ihren Antrag zurück.

In der Zwischenzeit erhob die Bf. Klage auf Zahlung ihres Gehalts für die Zeit bis Juni 1995. Nachdem sich die USA erfolglos auf ihre Immunität berufen hatten, zahlten sie der Bf. den Betrag von ATS 3.700.000,– (ca. € 269.000,–). Ein weiteres Verfahren betreffend das Gehalt für Juli 1995 bis August 1996 endete mit einem Versäumnisurteil. Die USA zahlten jedoch den der Bf. zugesprochenen Betrag nicht.

Am 29.12.1998 brachte die Bf. eine Klage gegen die USA ein, mit der sie die Zahlung ihres Gehalts für die Zeit ab September 1996 begehrte. Ein erster Versuch, die Klage und die Ladung zur ersten Streitverhandlung mit Vermittlung des Außenministeriums zuzustellen, scheiterte. Das US-Außenministerium teilte mit, dass die USA »in jeder von der Bf. eingebrachten Rechtssache« ihre diplomatische Immunität geltend machen würden. Der Antrag der Bf., ein Versäumnisurteil zu fällen, wurde vom ASG Wien mit Beschluss vom 18.2.2000 abgewiesen, da die Ladung nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Der dagegen erhobene Rekurs wurde vom OLG Wien abgewiesen. Der außerordentliche Revisionsrekurs wurde am 5.9.2001 vom OGH zurückgewiesen.

Die Bf. beantragte daraufhin die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (§ 121 Abs. 2 ZPO) oder die Bestellung eines Kurators (§ 116 ZPO). Das ASG bestellte daraufhin einen Anwalt als Vertreter der USA, da sich diese zu Unrecht auf ihre Immunität berufen hätten. Das OLG Wien behob diese Entscheidung am 18.11.2002 mit der Begründung, es handle sich bei der Verweigerung der Weiterleitung der Ladung durch das US-Außenministerium an das (für die privatrechtliche Vertretung der Vereinigten Staaten zuständige) Justizministerium nicht um eine Verweigerung der Annahme iSv. § 20 ZustellG, sondern um die Weigerung, einem Rechtshilfeersuchen nachzukommen. Eine solche Weigerung sei Ausdruck der staatlichen Souveränität, eine Lösung könne nur auf diplomatischem Weg gesucht werden. Die Bestellung eines Kurators nach § 116 ZPO sei nicht gerechtfertigt. Dem dagegen erhobenen Revisionsrekurs wurde vom OGH am 7.5.2003 nicht Folge gegeben.

Am 17.7.2006 bestätigte das OLG Wien die Entscheidung des ASG, mit der dieses den Erlass eines Versäumnisurteils abgelehnt hatte.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (hier: Recht auf Zugang zu einem Gericht), Art. 1 1. Prot. EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums) und von Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK

Die Bf. beschwert sich darüber, hinsichtlich ihrer Entgeltansprüche aus dem Arbeitsvertrag mit der US-Botschaft keinen Zugang zu den österreichischen Gerichten gehabt zu haben.

Zulässigkeit

Die Regierung wendet ein, das Verfahren sei mit dem Beschluss des OGH vom 5.9.2001 abgeschlossen gewesen, die vorliegende Beschwerde daher erst nach Ablauf der Frist eingebracht worden. Die Bf. entgegnet, das Verfahren habe erst mit der Entscheidung des OGH vom 7.5.2003 geendet.

In seinem Beschluss vom 5.9.2001 stellte der OGH fest, dass kein Versäumnisurteil gefällt werden konnte und am 7.5.2003 verneinte er die Zulässigkeit der Bestellung eines Kurators. Beide Entscheidungen betreffen somit die Frage des Zugangs der Bf. zu einem Gericht. Nach Ansicht des GH müssen die Verfahren in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Da die Frist somit eingehalten wurde, ist die Einrede zurückzuweisen.

Zur Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK erinnert der GH daran, dass er die in seiner Rechtsprechung für die Feststellung, ob ein Streit zwischen einem Staat und einem Staatsbeamten in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK fällt, entwickelten Grundsätze in Cudak/LT und Sabeh El Leil/F auf eine Streitigkeit zwischen einem Botschaftsangestellten und einem ausländischen Staat angewendet hat. Diesen Grundsätzen zufolge müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit sich der Staat vor dem GH auf den Status des Bf. als Beamter berufen kann, um ihn vom Schutz des Art. 6 EMRK auszuschließen. Erstens muss der Staat in seinem nationalen Recht den Zugang zu einem Gericht für den fraglichen Dienstposten oder die Kategorie von Personal ausdrücklich ausgeschlossen haben. Zweitens muss der Ausschluss aus objektiven, im staatlichen Interesse liegenden Gründen gerechtfertigt sein.

Wie sich aus dem Verfahren über die Ansprüche auf Gehaltszahlungen bis Juni 1995 ergibt, waren die österreichischen Gerichte für solche Klagen zuständig. Die Bf. hatte daher grundsätzlich ein Recht auf Zugang zu einem Gericht und es ist nicht erforderlich zu prüfen, ob die zweite Voraussetzung erfüllt war. In jedem Fall wurde nicht behauptet, dass die Anstellung der Bf. als Fotografin ihrer Natur nach den Ausschluss des Zugangs zu einem Gericht gerechtfertigt hätte. Auch wurde nicht bestritten, dass die Streitigkeit die »zivilrechtlichen Ansprüche« der Bf. iSv. Art. 6 Abs. 1 EMRK betrifft. Art. 6 Abs. 1 EMRK ist daher auf das fragliche Verfahren anwendbar.

Da die Beschwerde somit weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig ist, muss sie für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Entscheidung in der Sache

Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass sich die USA im fraglichen Verfahren nicht auf die diplomatische Immunität berufen konnten. Im Verfahren über die Wirksamkeit ihrer Kündigung hatten die USA eine Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit erhoben, aber nicht aufrecht erhalten. In einem ersten Verfahren über die Entgeltansprüche der Bf. verwarfen die Gerichte eine derartige Einrede. In dem daraufhin von der Bf. angestrengten Verfahren wurden die Klage und eine Ladung dem US-Außenministerium übermittelt, von diesem aber mit dem Vermerk retourniert, die USA würden sich auf ihre diplomatische Immunität berufen.

Die Frage ist, ob das Recht der Bf. auf Zugang zu einem Gericht dadurch verletzt wurde, dass die österreichischen Gerichte die Weigerung der USA akzeptierten, die Klage und Ladung entgegenzunehmen und dem Justizministerium zuzustellen, das zuständig ist für die Vertretung des Staates in zivilrechtlichen Verfahren. Die Entscheidungen der Gerichte beruhten auf der Rechtsansicht, dass die Zustellung einer Ladung in einem Zivilprozess gegen einen ausländischen Staat selbst ein Hoheitsakt ist. Die Weigerung sei daher zu akzeptieren, ungeachtet der Natur des der Klage zugrunde liegenden Anspruchs. Aus diesem Grund konnte die Bf. keine Prüfung ihres Anspruchs in der Sache durch die österreichischen Gerichte erlangen.

Der GH muss daher prüfen, ob die Einschränkung des Rechts der Bf. auf Zugang zu einem Gericht einem legitimen Ziel diente und verhältnismäßig war. Wie der GH in Cudak/LT und Sabeh El Leil/F feststellte, dient die Gewährung von Immunität für einen Staat in einem Zivilprozess dem legitimen Ziel der Befolgung des Völkerrechts, um das Einvernehmen und die guten Beziehungen zwischen den Staaten durch die Respektierung ihrer jeweiligen Souveränität zu fördern. Trotz der Unterschiede zwischen diesen Fällen und dem vorliegenden ist der GH der Ansicht, dass auch die Akzeptanz der Weigerung der USA, die Ladungen zuzustellen, diesem legitimen Ziel diente.

Zu prüfen ist somit die Verhältnismäßigkeit der angefochtenen Einschränkung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht.

Die Draft Articles on Jurisdictional Immunities of States and Their Property der International Law Commission von 1991 enthielten mit Art. 20 eine Bestimmung über die Zustellung prozesseinleitender Schriftsätze. Demnach hatte die Zustellung einer Klagsschrift oder eines anderen Schriftstücks, mit dem ein Verfahren gegen einen Staat eröffnet wird – sofern kein internationales Übereinkommen anwendbar war – durch Übermittlung auf diplomatischem Wege an das Außenministerium des betroffenen Staates zu erfolgen. Die Zustellung wurde als erfolgt angesehen, sobald das Außenministerium die Dokumente empfangen hatte. Bestimmungen desselben Inhalts sind in Art. 22 des UN-Übereinkommens über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens vor den Gerichten 2004 enthalten.

Es stellt sich daher die Frage, ob die in Art. 20 der Draft Articles von 1991 enthaltenen Regeln für Österreich als Völkergewohnheitsrecht anwendbar waren. Nach Ansicht des GH ist diese Frage zu bejahen. Österreich erhob keinen Einwand gegen diese Bestimmung der Draft Articles und stimmte nicht gegen die Annahme des Übereinkommens von 2004, das es in weiterer Folge unterzeichnete und ratifizierte. Auch die USA erhoben keinen Einwand gegen Art. 20 der Draft Articles von 1991. Während sie das Übereinkommen von 2004 nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben, stimmten sie auch nicht gegen dessen Annahme.

Den österreichischen Gerichten war bekannt, dass die Zustellung an das ausländische Außenministerium aufgrund der Entwicklungen im Völkerrecht genügen könnte. Sie beschränkten sich allerdings auf die Feststellung, dass kein Abkommen über diese Frage geschlossen worden sei, ohne zu prüfen, ob die relevanten Regeln als Völkergewohnheitsrecht anwendbar sein könnten. Zudem stellten sie fest, dass die Ansicht, wonach die Zustellung an das ausländische Außenministerium genügen könnte, zwar völkerrechtlich vertretbar sei, eine solche aber im österreichischen Recht nicht vorgesehen sei. Sie akzeptierten daher die Weigerung des US-Außenministeriums, dem Justizministerium die Ladung zuzustellen, als Hoheitsakt. Die innerstaatlichen Gerichte zogen den Schluss, dass es nicht möglich sei, die Beklagte zu laden, und lehnten es ab, ein Versäumnisurteil zu fällen. Auch die Voraussetzungen für die Bestellung eines Kurators wurden als nicht erfüllt angesehen. Der Bf. war es daher nicht möglich, ihren Fall weiter zu verfolgen.

Zudem wiederholt der GH, dass in Hinblick auf den Anspruch der Bf. diplomatische Immunität nicht geltend gemacht werden konnte. Entsprechend Art. 11 des Übereinkommens von 2004 ist diplomatische Immunität auf die arbeitsrechtlichen Verträge eines Staates mit dem Personal seiner diplomatischen Missionen im Ausland nicht anwendbar, es sei denn, eine der in Abs. 2 abschließend genannten Ausnahmen liegt vor, die aber hier nicht relevant sind.

Die Anerkennung der Weigerung der USA, die Ladungen im Fall der Bf. zuzustellen, als Hoheitsakt und die daraus resultierende Weigerung, das Verfahren fortzuführen, war somit unverhältnismäßig. Die Gerichte verletzten damit den Wesenskern des Rechts der Bf. auf Zugang zu einem Gericht. Es hat daher eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK stattgefunden (einstimmig).

Zu den weiteren behaupteten Verletzungen

Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK, da es ihr nicht möglich gewesen sei, ihre Ansprüche durchzusetzen. Außerdem sei sie als behinderte Person diskriminiert worden, worin eine Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 1 1. Prot. EMRK und Art. 6 Abs. 1 EMRK liege.

Art. 1 1. Prot. EMRK schützt nur bestehendes Eigentum, einschließlich Ansprüche, in Bezug auf die zumindest eine legitime Erwartung behauptet werden kann, ein Eigentumsrecht effektiv zu erlangen. Entgeltansprüche gegen einen Arbeitgeber, die von den Gerichten zugesprochen werden müssen, sind kein »Eigentum« iSv. Art. 1 1. Prot. EMRK. Da diese Bestimmung somit nicht anwendbar ist, muss dieser Teil der Beschwerde als unvereinbar mit der Konvention ratione materiae zurückgewiesen werden (einstimmig).

Der GH sieht keinen Hinweis auf eine unterschiedliche Behandlung der Bf. aufgrund ihrer Behinderung. Dieser Teil der Beschwerde muss daher als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen werden (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK

€ 12.000,– für immateriellen Schaden, € 15.000,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Vilho Eskelinen u.a./FIN v. 19.4.2007 (GK) = NL 2007, 94 = ÖJZ 2008, 35

Cudak/LT v. 23.3.2010 (GK) = NL 2010, 101

Sabeh El Leil/F v. 29.6.2011 (GK) = NL 2011, 172

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 17.7.2012, Bsw. 156/04 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2012, 246) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/12_4/Wallishauser.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise