Bsw13113/03 – AUSL EGMR Entscheidung
Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Ely Ould Dah gegen Frankreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 17.3.2009, Bsw. 13113/03.
Spruch
Art. 7 EMRK - Verurteilung wegen Folter trotz Amnestie im Heimatstaat.
Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Der Bf. ist Staatsangehöriger Mauretaniens. Zwischen November 1990 und März 1991 kam es zwischen Mauretaniern arabischer und schwarzafrikanischer Abstammung zu bewaffneten Konflikten, in deren Verlauf auf beiden Seiten feindliche Soldaten gefoltert und misshandelt wurden. Auch der Bf., der den Rang eines Leutnants bekleidete, nahm daran teil. Am 14.6.1993 wurde ein Amnestiegesetz für Mitglieder der Streitkräfte verabschiedet, die in diese Vorfälle verwickelt waren. Der Bf. wurde folglich wegen der Folterungen und Misshandlungen nicht zur Verantwortung gezogen.
Im August 1998 begab sich der Bf. zu Ausbildungszwecken nach Frankreich.
Am 8.6.1999 erstattete die Internationale Liga für Menschenrechte unter Berufung auf die UN-Folterkonvention Strafanzeige gegen den Bf. wegen in den Jahren 1990 und 1991 in Mauretanien begangener Folterungen. In der Folge leitete die Staatsanwaltschaft eine strafrechtliche Untersuchung gegen ihn ein.
Am 25.5.2001 wurde gegen den Bf. vor dem Strafgericht Montpellier Anklage erhoben. Die Entscheidung wurde vom Cour de cassation im Instanzenweg aufgehoben und der Fall an das Gericht zweiter Instanz in Nîmes verwiesen. Mit Beschluss vom 8.7.2002 erklärte die dortige Anklagekammer die Anklage für rechtens und ordnete die Durchführung des Strafverfahrens vor dem Geschworenengericht Gard an. Begründend führte sie aus, im vorliegenden Fall seien die Voraussetzungen von Art. 1 UN-Folterkonvention gegeben, weil die Vorfälle im Rahmen einer „ethnischen Säuberung" erfolgt seien und der Bf. in seiner Eigenschaft als Vernehmungsoffizier erwiesenermaßen in amtlicher Eigenschaft im Sinne dieser Bestimmung gehandelt habe. Ferner wären die französischen Gerichte gemäß Art. 689 französische StPO (Anm.: Laut den Absätzen 1 und 2 dieser Bestimmung kann gegen jede Person, die sich der Folter iSv. Art. 1 UN-Folterkonvention schuldig gemacht hat, ein Strafverfahren veranlasst werden, sofern sie sich in Frankreich befindet.) iVm. Art. 7 Abs. 2 UN-Folterkonvention (Anm.: Danach treffen die Behörden des Staates, in dem der Verdächtige aufgefunden wird, ihre Entscheidung in der gleichen Weise, als wenn sie über eine Straftat schwerer Art nach nationalem Recht zu urteilen hätten.) zur Behandlung des Falls nach französischem Recht befugt. Mochten die dem Bf. zur Last gelegten Foltervorwürfe seit dem am 1.3.1994 in Kraft getretenen neuen Code pénal nun unter dessen Art. 222-1 zu subsumieren sein, der Folter als eigenständiges Delikt behandle, hätten sie dennoch zum Zeitpunkt ihrer Begehung ein qualifiziertes Delikt im Sinne der von den Art. 303 bzw. Art. 309 des alten Code pénal erfassten Tatbestände (Anm.: Gemäß Art. 303 leg. cit. war des Mordes schuldig, wer für die Ausführung von Verbrechen Folter oder barbarische Handlungen anwandte. Art. 309 leg. cit. bezog sich auf die Ausübung von Gewaltakten mit Verletzungsfolgen.) dargestellt, das die Verhängung einer Freiheitsstrafe zwischen fünf und zehn Jahren nach sich ziehen würde. (Anm.: Art. 222-1 des neuen Code pénal sieht nunmehr für die Ausübung von Folter und anderen barbarischen Akten die Verhängung einer Haftstrafe in Höhe von 15 Jahren vor.)
Mit Urteil vom 1.7.2005 sprach das Gericht den Bf. unter Berufung auf die Art. 303 bzw. Art. 309 des alten Code pénal bzw. Art. 222-1 des neuen Code pénal sowie die UN-Folterkonvention schuldig, Gefangene der Folter und barbarischen Handlungen ausgesetzt bzw. derartige Akte in Missbrauch seiner Amtsgewalt geduldet zu haben. Es verhängte eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sprach den Privatbeteiligten Schadenersatz zu.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. rügt eine Verletzung von Art. 7 EMRK (Nulla poena sine lege), da er in Frankreich wegen in den Jahren 1990 und 1991 begangener Handlungen strafrechtlich verfolgt bzw. abgeurteilt worden sei, obwohl Folter zum Zeitpunkt der Tatbegehung im französischen Recht nicht als eigenständiges Delikt gegolten habe. Ferner sei Art. 222-1 des neuen Code pénal rückwirkend auf ihn angewendet worden.
Zur behaupteten Verletzung von Art. 7 EMRK:
1. Zum Vorbringen der Parteien:
Die Regierung bringt vor, die vorliegende Beschwerde stelle einen Missbrauch des Beschwerderechts iSv. Art. 17 EMRK dar, da der Bf. in seiner Heimat dem Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Handlungen begangen habe, die auf die Abschaffung der in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten abgezielt hätten. In seiner Eigenschaft als Vernehmungsoffizier hätte ihm bewusst sein müssen, dass er sich nicht auf das Amnestiegesetz berufen könne, würden derartige Vorfälle doch weltweit geahndet. Zum Zeitpunkt der Tatbegehung, also vor dem Inkrafttreten des neuen Code pénal, seien Folterakte vom französischen Strafrecht erfasst gewesen. Der Bf. sei auf der Basis von Art. 303 des alten Code pénal, der Folter als erschwerenden Umstand gewertet habe, zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die zum Zeitpunkt der Tatbegehung die Höchststrafe für Folter dargestellt habe.
Der Bf. legt dar, mit seiner Beschwerde wolle er kein Recht auf Anwendung von Folter beanspruchen. Er bringt vor, das vom neuen Regime in Mauretanien verabschiedete Amnestiegesetz habe nicht die Verharmlosung von Folterakten, sondern die nationale Aussöhnung zum Ziel gehabt.
2. Würdigung durch den Gerichtshof:
Art. 17 EMRK soll es Individuen unmöglich machen, aus der Konvention Ansprüche abzuleiten, die auf die Beseitigung der in ihr verankerten Rechte und Freiheiten gerichtet sind. Diese Bestimmung, die einen negativen Gehalt hat, kann somit nicht derart interpretiert werden, dass eine natürliche Person ihrer individuellen Rechte gemäß den Art. 5 und Art. 6 EMRK verlustig gehen kann. Dies hat auch für die Rechte nach Art. 7 EMRK zu gelten.
Im vorliegenden Fall beruft sich der Bf. nicht auf die Konvention, um Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Akte zu begehen bzw. sie zu rechtfertigen. Er behauptet lediglich, der Garantien des Art. 7 EMRK beraubt worden zu sein. Ferner ist anzumerken, dass der Bf. nicht die Kompetenz der französischen Gerichte zur Strafverfolgung, sondern die Art und Weise in Zweifel zieht, wie diese nationales – und nicht mauretanisches Recht – auf seinen Fall angewendet haben.
Im vorliegenden Fall genossen die französischen Gerichte gemäß Art. 689-1 französische StPO eine Universalkompetenz für die Ahndung von Folter. Sie konnten den Urheber von Folter unbeschadet seiner Nationalität bzw. jener des Opfers sowie des Orts der Tatbegehung unter der zweifachen Voraussetzung aburteilen, dass sich dieser auf französischem Territorium befand und das Verfahren in Beachtung der Vorgaben der UN-Folterkonvention ablief.
Der GH hält fest, dass beide Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt waren. Zum einen befand sich der Bf. ab 1999 in Frankreich und wurde am 1.7.2005 wegen in Mauretanien in den Jahren 1990 und 1991 begangener Akte von Folter und barbarischen Handlungen strafrechtlich verurteilt. Zum anderen war die UN-Folterkonvention zum damaligen Zeitpunkt in Frankreich bereits im Wege der Einführung von Art. 689-2 französische StPO in innerstaatliches Recht umgesetzt worden.
Der GH stimmt mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien überein, dass es sich beim Folterverbot um ius cogens handelt. Die in der UN-Folterkonvention verankerte Universalkompetenz von Vertragsstaaten zur strafrechtlichen Verfolgung von Akten der Folter wäre ihres Inhalts beraubt, wenn diese nicht die Möglichkeit hätten, ihr einschlägiges Recht auf derartige Vorfälle anzuwenden. Eine andere Vorgangsweise, nämlich auf die Anwendung der eigenen Gesetze zugunsten von Entscheidungen oder Gesetzen des Staates der Tatbegehung zu verzichten (der mitunter bezweckt, die eigenen Bürger zu schützen oder die Urheber der Straftaten zu entlasten), würde zur Lahmlegung der Ausübung der Universalkompetenz führen und die Ziele der UN-Folterkonvention zunichte machen. Der GH schließt sich insofern dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien an, wonach eine Amnestie in der Regel mit der Aufgabe der Staaten unvereinbar ist, derartige Vorfälle zu untersuchen.
Im vorliegenden Fall erging das mauretanische Amnestiegesetz nicht nach einem Strafurteil und einer anschließenden Verurteilung des Bf., sondern bezweckte von vornherein, jegliche Strafverfolgung gegen ihn zu verhindern. Angesichts des herausragenden Platzes, den das Folterverbot in allen internationalen Menschenrechtsinstrumenten einnimmt, kann die Verpflichtung, derartige Vorfälle strafrechtlich zu verfolgen, nicht in Frage gestellt werden, indem dem Urheber der Tat durch ein Amnestiegesetz Straffreiheit gewährt wird, das nach Völkerrecht als missbräuchlich eingestuft werden könnte. Letzteres schließt im Übrigen eine Aburteilung einer begnadigten Person durch einen anderen Staat nicht aus, was etwa aus Art. 17 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs hervorgeht, der eine solche Situation nicht zu den Fällen zählt, in denen eine bei ihm anhängig gemachte Sache nicht zulässig ist.
Schließlich wird auch aus der gemeinsamen Lektüre von Art. 4 und Art. 7 UN-Folterkonvention deutlich, dass im vorliegenden Fall nicht nur die Zuständigkeit der französischen Gerichte, sondern auch die Anwendung französischen Rechts gegeben war.
Der GH kommt somit zu dem Ergebnis, dass das mauretanische Amnestiegesetz als solches die Anwendung französischen Rechts durch die mit der Sache befassten französischen Gerichte nicht zu verhindern vermochte und die von diesen erzielte Lösung fundiert war.
Zu prüfen bleibt, ob das auf den Bf. angewendete französische Recht ihm zugänglich bzw. für ihn vorhersehbar war.
In dieser Hinsicht weist der GH darauf hin, dass zum Zeitpunkt der beschwerdegegenständlichen Vorfälle, nämlich vor dem am 1.3.1994 in Kraft getretenen neuen Code pénal, Folter sowie barbarische Akte von Art. 303 des alten Code pénal ausdrücklich erfasst waren. Derartige Handlungen wurden als erschwerender Umstand gewertet, der mit Strafe wie bei einer des Mordes für schuldig befundenen Person geahndet wurde. Art. 309 des alten Code pénal sah die strafrechtliche Ahndung von Gewaltakten vor, wenn diese Arbeitsunfähigkeit von mehr als acht Tagen nach sich zogen.
Der GH stellt fest, dass sich das Geschworenengericht in seiner Entscheidung ausdrücklich auf diese Delikte bezogen hat. Andererseits hat es sich auch explizit auf Art. 222-1 des neuen Code pénal berufen. Ungeachtet dessen waren Folter und barbarische Handlungen vom damals geltenden französischen Strafrecht ausdrücklich erfasst. Es kann im vorliegenden Fall nicht entscheidend sein, dass sie keine unterschiedlichen Straftatbestände, sondern verschärfende Umstände bildeten, konnten sie doch aus rechtlicher Sicht jedem Urheber einer Straftat entgegengehalten werden und stellten – auf der Grundlage eines Spezialtatbestands – zusätzliche und unterschiedliche Bestandteile des Grunddelikts dar, die eine höhere Strafe als die sonst übliche mit sich brachten.
Der GH nimmt ferner auf ein Rundschreiben vom 14.5.1993 Bezug, wonach der Ausdruck „Folter und barbarische Handlungen" in Art. 222-1 des neuen Code pénal laut einem Urteil des Cour de cassation vom 11.5.2005 die vom alten Code pénal erfassten erschwerenden Elemente weiterführe. Abgesehen davon lässt sich der Unterschied zwischen dem neuen Straftatbestand und den früheren strafgesetzlichen Bestimmungen laut besagtem Rundschreiben auf die Tatsache zurückführen, dass der neue Tatbestand einen weiteren Anwendungsbereich als die UN-Konvention hat, die sich nur auf Akte von Amtsträgern bezieht.
Im Übrigen überstieg die über den Bf. verhängte Strafe nicht das im Art. 303 des alten Code pénal vorgesehene Höchstmaß. Was die Bestimmungen des Art. 222-1 des neuen Code pénal anlangt, stellten diese nach Ansicht des GH eine Fortentwicklung des Strafrechts dar, das keineswegs das Auftreten eines neuen Straftatbestands, sondern eine gesetzliche Änderung betreffend ein als strafwürdig erachtetes Verhalten angeht, das bereits vom alten Code pénal erfasst und geahndet wurde. Der GH betont, dass die im Art. 222-1 des neuen Code pénal enthaltene Höchststrafe auf den Bf. nicht angewendet wurde. Von einem Problem einer rückwirkenden Anwendung eines Strafgesetzes kann daher keine Rede sein.
Der GH kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Handlungen des Bf. zum Zeitpunkt ihrer Begehung Straftatbestände bildeten, die im Völkerrecht bzw. im französischen Recht ausreichend zugänglich und vorhersehbar waren. Der Bf. hätte daher das Risiko vorhersehen müssen, für die zwischen den Jahren 1990 und 1991 begangenen Folterakte strafrechtlich verfolgt und verurteilt zu werden.
Die Verurteilung des Bf. durch die französischen Gerichte erging daher nicht in Zuwiderhandlung gegen Art. 7 Abs. 1 EMRK. Angesichts dieser Feststellungen hält der GH eine Prüfung der Frage nicht für notwendig, ob die Verurteilung auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt war.
Die Beschwerde ist daher als offensichtlich unbegründet gemäß Art. 35 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK zurückzuweisen und insgesamt für unzulässig zu erklären (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Cantoni/F v. 15.11.1996, EuGRZ 1999, 193; ÖJZ 1997, 579.
Coeme u.a./B v. 22.6.2000.
Achour/F v. 29.3.2006 (GK), NL 2006, 81.
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 17.3.2009, Bsw. 13113/03, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2009, 67) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Die Zulässigkeitsentscheidung im französischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/09_2/Dah.pdf
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.