JudikaturAUSL EGMR

Bsw69917/01 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
05. Juli 2007

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Stephen Anthony Saccoccia gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 5.7.2007, Bsw. 69917/01.

Spruch

Art. 6 EMRK, Art. 7 EMRK, Art. 13 EMRK, Art. 1 1. Prot. EMRK - Vollstreckung der Verfallsanordnung eines US-Gerichts. Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich des Fehlens einer mündlichen Verhandlung (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (einstimmig).

Unzulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der sonstigen behaupteten Verletzungen von Art. 6 EMRK, Art. 7 EMRK und Art. 13 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. ist Staatsbürger der USA. 1993 verurteilte ihn das Distriktsgericht Rhode Island wegen Geldwäsche zu einer Freiheitsstrafe und ordnete mit einer vorläufigen Beschlagnahmeverfügung den Verfall von Vermögenswerten des Bf. an. Nachdem die Rechtsmittel gegen die Verurteilung und die Beschlagnahmeverfügung abgewiesen worden waren, erließ das Distriktsgericht Rhode Island am 7.11.1997 eine endgültige Verfallsanordnung, die eine Summe von USD 136.000.000,– betraf. Diese Summe umfasste unter anderem Bargeldbeträge und Inhaberobligationen in österreichischer Währung, die 1992 in Wien aufgrund eines Rechtshilfeersuchens des US-Gerichts beschlagnahmt worden waren. Am 9.12.1997 stellte das Distriktsgericht Rhode Island ein Rechtshilfeersuchen, mit dem die österreichischen Behörden um Vollstreckung der Verfallsanordnung gebeten wurden, soweit sich diese auf Bargeldbeträge und Wertpapiere in Österreich bezog. Das LG für Strafsachen Wien ordnete am 12.3.1998 mittels einstweiliger Verfügung die Beschlagnahme von Vermögen des Bf. im Wert von etwa ATS 80.000.000,– (ca. € 5.800.000,–) zur Sicherung der Vollstreckung der rechtskräftigen Verfallsanordnung vom 7.11.1997 an. Das LG verwies auf das Ersuchen der US-Behörden und die Anhängigkeit eines Verfahrens nach dem Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG). Der Bf. erhob eine Beschwerde gegen diese einstweilige Verfügung.

Am 1.8.1998 trat der Vertrag zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen in Kraft.

Am 12.10.1998 wies das OLG Wien die Beschwerde des Bf. als unbegründet ab. Das OLG stellte fest, dass gute Gründe für die Annahme bestünden, dass die Vermögenswerte für die Begehung einer Straftat erhalten wurden bzw. aus einer strafbaren Handlung stammten und daher der Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 StGB bzw. dem Verfall nach § 20b StGB unterliegen würden.

Nachdem die US-Behörden ein weiteres, auf den Vertrag über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 1.8.1998 gestütztes Ersuchen gestellt hatten, fasste das LG für Strafsachen Wien am 14.6.2000 den Beschluss, die Vollstreckung der Verfallsanordnung vom 7.11.1997 zu übernehmen und erklärte die beschlagnahmten Vermögenswerte des Bf. zugunsten der USA für verfallen. Dieser Beschluss wurde sowohl vom Bf. als auch von der Staatsanwaltschaft angefochten. Am 7.10.2000 wies das OLG Wien die Beschwerde des Bf. ab, änderte jedoch die Entscheidung des LG aufgrund der Beschwerde der Staatsanwaltschaft dahingehend ab, dass der Verfall zugunsten der Republik Österreich ausgesprochen wurde.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), Art. 7 EMRK (Nulla poena sine lege), Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz) und Art. 1 1. Prot. EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums). Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK durch das Verfahren in Österreich:

Der Bf. bringt vor, das Verfahren zur Vollstreckung der Verfallsanordnung des Distriktsgerichts Rhode Island wäre nicht fair gewesen.

1. Zur Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK:

Die Regierung wendet ein, Art. 6 EMRK sei auf das Verfahren zur Vollstreckung der Verfallsanordnung nicht anwendbar.

a) Zum strafrechtlichen Anwendungsbereich:

Der GH erinnert daran, dass Art. 6 EMRK nicht auf Verfahren über Beschlagnahmungen anwendbar ist, die in keinem Zusammenhang zu einem Strafverfahren gegen den Bf. stehen. Hingegen ist Art. 6 EMRK anwendbar, wenn das Verfallsverfahren auf die Verurteilung des Bf. folgt, da Art. 6 EMRK sich auf das gesamte Verfahren über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage bezieht. Im vorliegenden Fall wurde die Verfallsanordnung von einem US-Gericht in einem Strafverfahren erlassen, das auf die Verurteilung des Bf. wegen Geldwäsche folgte. Es bleibt jedoch zweifelhaft, ob das Verfahren vor den österreichischen Gerichten zur Vollstreckung der Anordnung noch in den Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK fällt. Dieses Verfahren betraf nicht die Entscheidung über die Stichhaltigkeit einer neuen strafrechtlichen Anklage gegen den Bf. Das Verfahren nach dem ARHG umfasste lediglich eine abstrakte Beurteilung, ob die von ihm begangenen Taten auch nach österreichischem Recht strafbar gewesen wären.

Das Verfahren entsprach auch nicht einem Verfahren zur Festsetzung der Strafe, da die österreichischen Gerichte nicht über die Höhe der zu konfiszierenden Vermögenswerte zu entscheiden hatten. Schließlich erinnert der GH daran, dass Angelegenheiten der Vollstreckung einer Strafe nicht in den strafrechtlichen Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK fallen. Er sieht keinen Grund, in Bezug auf die Vollstreckung der Entscheidung eines ausländischen Gerichts zu einem anderen Ergebnis zu gelangen.

Der GH kommt somit zu dem Schluss, dass das Verfahren zur Vollstreckung der Verfallsanordnung nicht in den strafrechtlichen Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK fällt.

b) Zum zivilrechtlichen Anwendungsbereich:

Der GH erinnert daran, dass Art. 6 EMRK unter seinem zivilrechtlichen Anwendungsbereich als anwendbar auf Verfahren über Beschlagnahmungen erklärt wurde. Die rechtskräftige Verfallsanordnung des US-Gerichts betraf somit eine Entscheidung über die zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen des Bf. Es stellt sich jedoch die Frage, ob auch das Verfahren vor den österreichischen Gerichten, das die Vollstreckung der Verfallsanordnung betrifft, in den zivilrechtlichen Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK fällt.

Der vorliegende Fall betrifft eine Streitigkeit zwischen dem Bf. und den österreichischen Gerichten darüber, ob die Voraussetzungen für eine Vollstreckung der Verfallsanordnung des US-Gerichts erfüllt waren oder nicht. Das Ergebnis dieser Streitigkeit war entscheidend dafür, ob der Bf. seine Rechte an den betroffenen Vermögenswerten geltend machen konnte. Erst durch die Entscheidungen der österreichischen Gerichte wurde die Verfallsanordnung wirksam und der Bf. seiner Vermögenswerte dauerhaft beraubt. Aus diesen Gründen erachtet der GH Art. 6 Abs. 1 EMRK als anwendbar.

2. Zur Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 EMRK:

Soweit sich der Bf. über die Dauer des Verfahrens beschwert, stellt der GH fest, dass er keinen Fristsetzungsantrag nach § 91 Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) gestellt hat. Dieser Teil der Beschwerde ist daher gemäß Art. 35 Abs. 1 iVm. Abs. 4 wegen Nichterschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe zurückzuweisen (einstimmig).

Was das Vorbringen des Bf. betrifft, der Vertrag zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen sei während der Anhängigkeit des Verfahrens in Kraft getreten, stellt der GH fest, dass kein Fall eines Eingriffs in ein laufendes Verfahren durch die rückwirkende Anwendung eines Gesetzes vorliegt. Außerdem ergänzte der Vertrag lediglich die mit dem ARHG gegebene rechtliche Grundlage für die Vollstreckung der Verfallsanordnung. Soweit sich der Bf. über die Weigerung der Gerichte beschwert, von ihm vorgelegte Gutachten zu berücksichtigen, stellt der GH fest, dass die Gerichte ihre Entscheidung ausreichend begründeten. Diese Teile der Beschwerde sind daher gemäß Art. 35 Abs. 3 iVm. Abs. 4 als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen (einstimmig).

Der Bf. beschwert sich schließlich über das Fehlen einer öffentlichen mündlichen Verhandlung. Dieser Teil der Beschwerde wirft nach Ansicht des GH komplexe Sach- und Rechtsfragen auf, die eine meritorische Erledigung erfordern. Da dieser Beschwerdepunkt weder offensichtlich unbegründet ist noch ein sonstiger Unzulässigkeitsgrund vorliegt, ist er für zulässig zu erklären (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 EMRK wegen der Unfairness des Verfahrens vor den US-Gerichten:

Der Bf. bringt vor, die österreichischen Gerichte hätten nicht ausreichend berücksichtigt, dass die ihn betreffenden Verfahren vor den US-Gerichten nicht fair gewesen seien.

Es ist nicht Aufgabe des GH zu prüfen, ob die Verfahren vor den US-Gerichten den Anforderungen des Art. 6 EMRK entsprachen. Er muss vielmehr untersuchen, ob sich die österreichischen Gerichte, bevor sie die Vollstreckung der Verfallsanordnung gestatteten, ausreichend davon überzeugt haben, dass die entsprechende Entscheidung nicht das Ergebnis einer offenkundigen Rechtsverweigerung war. Eine solche Prüfung ist erforderlich, wenn die Entscheidung, deren Vollstreckung beantragt wird, von den Gerichten eines Landes stammt, das die EMRK nicht anwendet. In manchen Fällen kann es sogar notwendig sein, dass sich die Gerichte vor Anordnung der Vollstreckung einer solchen Entscheidung davon überzeugen, dass das betroffene Verfahren allen Anforderungen des Art. 6 EMRK entsprach.

Im vorliegenden Fall ist es nicht erforderlich zu entscheiden, welcher Grad der Überprüfung verlangt war, da das innerstaatliche Recht – nämlich § 64 Abs. 1 ARHG – die österreichischen Gerichte in jedem Fall dazu verpflichtete, sich davon zu überzeugen, dass die zu vollstreckende Entscheidung in einem den Grundsätzen des Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen ist.

Das OLG Wien ging in seiner Entscheidung vom 12.10.1998 im Detail auf die Behauptung des Bf. ein, weder das Strafverfahren noch das Verfahren über den Verfall seiner Vermögenswerte habe den Anforderungen an ein faires Verfahren entsprochen. Das OLG fand keine Hinweise dafür, dass die Verfahren den Anforderungen des Art. 6 EMRK nicht entsprochen hätten. Die österreichischen Gerichte haben sich somit vor Zulassung der Vollstreckung der Verfallsanordnung ausreichend vergewissert, dass der Bf. nach US-amerikanischem Recht ein faires Verfahren hatte. Dieser Teil der Beschwerde ist daher gemäß Art. 35 Abs. 3 iVm. Abs. 4 EMRK als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 7 EMRK:

Der Bf. bringt vor, der Verfall seiner Vermögenswerte in Österreich verletze Art. 7 EMRK, weil er eine Bestrafung für ein Delikt (nämlich Geldwäsche) darstelle, das damals in Österreich nicht strafbar gewesen sei.

Es ist unbestritten, dass der Verfall der Vermögenswerte des Bf. in den einschlägigen Gesetzen der USA vorgesehen war. Die Frage der Vorhersehbarkeit der Vollstreckung der Verfallsanordnung in Österreich betrifft nicht die Strafe selbst, sondern nur deren Vollstreckung. Wie der GH bereits in anderen Entscheidungen festgestellt hat, ist Art. 7 EMRK auf die Strafvollstreckung nicht anwendbar. Dieser Teil der Beschwerde ist daher iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK ratione materiae unvereinbar mit der Konvention und daher gemäß Art. 35 Abs. 4 EMRK als unzulässig zurückzuweisen (einstimmig). Zur behaupteten Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK:

Der Bf. bringt vor, die Entscheidung der österreichischen Gerichte stelle einen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Eigentums dar, da erst durch diese die Verfallsanordnung vollstreckbar geworden sei. Nach Ansicht des GH wirft dieser Teil der Beschwerde komplexe Sach- und Rechtsfragen auf, die eine meritorische Erledigung erfordern. Da dieser Beschwerdepunkt somit weder offensichtlich unbegründet ist, noch ein sonstiger Unzulässigkeitsgrund vorliegt, ist er für zulässig zu erklären (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK:

Der Bf. bringt vor, er habe keine Möglichkeit gehabt, die EMRK-Konformität der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen vom VfGH überprüfen zu lassen.

Der GH erinnert daran, dass Art. 13 EMRK kein Rechtsmittel garantiert, das die Anfechtung von Gesetzen vor einer innerstaatlichen Instanz wegen einer behaupteten Konventionswidrigkeit erlaubt.

Dieser Teil der Beschwerde ist daher iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK ratione materiae unvereinbar mit der Konvention und daher gemäß Art. 35 Abs. 4 EMRK zurückzuweisen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

AGOSI/GB v. 24.10.1986, A/108, EuGRZ 1988, 513.

Drozd und Janousek/F und E v. 26.6.1992, A/240, NL 1992/4, 14. Welch/GB v. 9.2.1995, A/307-A, NL 1995, 82; ÖJZ 1995, 511. Air Canada/GB v. 5.5.1995, A/316-A, NL 1995, 128; ÖJZ 1995, 755. Pellegrini/I v. 20.7.2001.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 5.7.2007, Bsw. 69917/01, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2007, 178) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut

(pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/07_4/Saccoccia.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise