JudikaturAUSL EGMR

Bsw17912/05 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
03. Mai 2007

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Bösch gegen Österreich, Urteil vom 3.5.2007, Bsw. 17912/05.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK - Mündliche Verhandlung in baurechtlichem Verfahren.

Zulässigkeit der Beschwerde, soweit eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK geltend gemacht wird (einstimmig).

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK hinsichtlich der Dauer des Verfahrens (einstimmig).

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK hinsichtlich des Fehlens einer öffentlichen mündlichen Verhandlung (einstimmig).

Unzulässigkeit der Beschwerde, soweit eine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK geltend gemacht wird (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: € 2.500,– für immateriellen Schaden, € 2.000,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Hofs in Frastranz. Am 21.4.1999 beantragte er eine Baubewilligung für die Errichtung einer Überdachung und eines Geräteraums. Der Bürgermeister von Frastranz wies diesen Antrag am 12.7.1999 ab, da das Bauvorhaben nicht mit dem Flächenwidmungsplan zu vereinbaren wäre. Dagegen erhob der Bf. am 22.7.1999 Berufung und beantragte die Erteilung einer Ausnahmebewilligung durch den Gemeindevorstand. Nachdem dieser die Sache zur neuerlichen Entscheidung an den Bürgermeister zurückverwiesen hatte, wies der Bürgermeister den Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung am 13.9.2000 erneut ab. Mit Bescheid vom 15.1.2001 wurde der Antrag auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung vom Gemeindevorstand abgewiesen. Am 16.1.2001 bzw. am 11.7.2001 wies das Gemeindeamt Frastranz die vom Bf. gegen die Versagung einer Ausnahmebewilligung und die Abweisung seines Antrags auf Erteilung einer Baubewilligung erhobenen Berufungen ab.

Den gegen diese Bescheide eingebrachten Vorstellungen des Bf. wurde von der BH Feldkirch am 28.3. bzw. 8.10.2001 keine Folge gegeben. Der VfGH lehnte am 20.6.2001 die Behandlung der gegen die Versagung der Baubewilligung bzw. den dieser zugrunde liegenden Flächenwidmungsplan gerichteten Beschwerde ab. Die Beschwerde wurde dem VwGH zur Behandlung abgetreten. Mit einer weiteren Beschwerde an den VwGH focht der Bf. die Versagung der Ausnahmebewilligung an. Mit Erkenntnis vom 21.10.2004 wies der VwGH beide Beschwerden, die zur gemeinsamen Behandlung verbunden worden waren, ab. Entgegen entsprechender Anträge des Bf. sah der VwGH nach § 39 Abs. 2 VwGG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab, da die Beschwerden seiner Ansicht nach nur Rechtsfragen ohne besonderer Komplexität betrafen.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) und Art. 1 1. Prot. EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK:

Der Bf. beschwert sich über die unverhältnismäßige Dauer der beiden Verfahren und über das Fehlen einer mündlichen Verhandlung vor dem VfGH und dem VwGH.

1. Zur Zulässigkeit:

Der GH stellt fest, dass dieser Teil der Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK ist. Da er auch nicht aus einem anderen Grund unzulässig ist, muss dieser Teil der Beschwerde für zulässig erklärt werden (einstimmig).

2. Zur Dauer des Verfahrens:

Die Beschwerde betrifft zwei Verfahren, die später verbunden wurden, nämlich einerseits das Verfahren über die Erteilung einer Baubewilligung und andererseits jenes über die Erteilung einer Ausnahmebewilligung. Der Bf. beantragte am 21.4.1999 die Baubewilligung und am 22.7.1999 die Ausnahmebewilligung. Die aus Sicht des Art. 6 Abs. 1 EMRK relevante Zeitspanne begann jedoch erst am 20.9.2000, als der Bf. eine Berufung gegen die Versagung der Ausnahmebewilligung erhob, da erst zu diesem Zeitpunkt eine Streitigkeit über das Bestehen und den Umfang eines vom Bf. geltend gemachten Rechts entstand. In diesem Zusammenhang stellt der GH fest, dass das Verfahren über den Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung als solches keine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen iSv. Art. 6 Abs. 1 EMRK betraf, da der Flächenwidmungsplan dem Bf. kein Recht einräumte, das betroffene Grundstück zu bebauen oder eine Änderung der Widmung zu erlangen. Die Verfahren endeten am 11.11.2004, als das Erkenntnis des VwGH zugestellt wurde. Sie dauerten damit vier Jahre und beinahe zwei Monate.

Die Verfahren waren weder besonders komplex, noch hat der Bf. zu ihrer Dauer beigetragen. Während die unteren Instanzen die Sache zügig behandelten, war sie beinahe drei Jahre vor dem VwGH anhängig. Angesichts des Fehlens einer Erklärung für diesen Zeitraum stellt der GH fest, dass die Sache nicht in angemessener Zeit entschieden wurde und somit eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK vorliegt (einstimmig).

3. Zum Fehlen einer mündlichen Verhandlung:

Da der österreichische Vorbehalt zu Art. 6 Abs. 1 EMRK betreffend die Öffentlichkeit von Verhandlungen für ungültig erklärt wurde, hatte der Bf. grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem in seiner Sache entscheidenden Tribunal, solange keine außergewöhnlichen Umstände vorlagen, die das Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen konnten.

Der GH hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände in Fällen anerkannt, in denen das Verfahren ausschließlich rechtliche oder hoch technische Fragen betraf.

Im vorliegenden Fall wurden die Anträge des Bf. vom Gemeindeamt und von der Bezirksverwaltungsbehörde, also reinen Verwaltungsbehörden, und dann vom VwGH geprüft. Wie der GH bereits wiederholt festgestellt hat, ist der VwGH in Verwaltungsverfahren über zivilrechtliche Angelegenheiten als das einzige Tribunal anzusehen. Daher ist zu prüfen, ob das Fehlen einer mündlichen Verhandlung vor dem VwGH den Bf. in seinen durch Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Rechten verletzte.

Der Bf. machte in seiner Beschwerde an den VwGH insbesondere geltend, dass eine Ausnahmebewilligung erteilt werden hätte sollen, da es sich um ein kleinräumiges Bauvorhaben im Sinne des Flächenwidmungsplanes handeln würde. Unter diesen Umständen war der Gegenstand der Streitigkeit nach Ansicht des GH nicht von einer solchen Natur – nämlich eine rein rechtliche oder hoch technische Angelegenheit – die den VwGH von seiner Verpflichtung zur Durchführung einer Verhandlung befreit hätte. Das Fehlen einer öffentlichen mündlichen Verhandlung begründet daher eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig). Zur behaupteten Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK:

Der Bf. bringt vor, die Verweigerung einer Baubewilligung habe ihn in seinem Recht auf Achtung des Eigentums verletzt.

Die Entscheidung der Behörden änderte nichts an der bestehenden Rechtsposition des Bf. Es gibt daher keine Anhaltspunkte für eine Verletzung der durch Art. 1 1. Prot. EMRK garantierten Rechte des Bf. Dieser Teil der Beschwerde ist daher als offensichtlich unbegründet nach Art. 35 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK zurückzuweisen (einstimmig). Entschädigung nach Art. 41 EMRK:

€ 2.500,– für immateriellen Schaden, € 2.000,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Wiesinger/A v. 30.10.1991, A/213, NL 1992/1, 14; ÖJZ 1992, 238.

Eisenstecken/A v. 3.10.2000, ÖJZ 2001, 194.

Kolb u.a./A v. 17.4.2003, ÖJZ 2003, 814.

Brugger/A v. 26.1.2006, NL 2006, 24.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 3.5.2007, Bsw. 17912/05, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2007, 119) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/07_3/Bosch.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise