JudikaturAUSL EGMR

Bsw57028/00 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
04. Mai 2006

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Anton und Claudia Klein gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 4.5.2006, Bsw. 57028/00.

Spruch

Art. 14 EMRK, Art. 1 1. ZP EMRK, Art. 4 7. ZP EMRK - Verweigerung der Altersversorgung eines Rechtsanwalts.

Unzulässigkeit der Beschwerde der ZweitBf. (einstimmig). Zulässigkeit der Beschwerde des ErstBf. hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 1 1. ZP EMRK iVm. Art. 14 EMRK (einstimmig). Unzulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 4 7. ZP EMRK (einstimmig).

Unzulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Bei den Bf. handelt es sich um einen ehemaligen Rechtsanwalt und dessen Gattin. Der Bf. war seit 24.3.1964 Mitglied der Rechtsanwaltskammer. Infolge der Eröffnung eines Konkursverfahrens gegen ihn am 18.12.1995 wurde dem ErstBf. am 23.1.1996 aufgrund von § 34 Abs. 1 lit. a RAO von der Kammer die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft entzogen. Im Zusammenhang mit dem Konkursverfahren wurde er später auch der Veruntreuung für schuldig gesprochen. Am 31.3.1996 beantragte der ErstBf. unter Angabe von gesundheitlichen Gründen die Streichung aus der Rechtsanwaltsliste. Die Rechtsanwaltskammer nahm diesen Antrag mit 30.4.1996 zwar offiziell zur Kenntnis, laut ErstBf. erging jedoch keine formelle schriftliche Entscheidung der Kammer. Dem Vorbringen der Regierung zufolge wurde der ErstBf. jedoch am 16.4.1996 von der Liste gestrichen. Anscheinend wurden dem ErstBf. bis August 1997 allerdings weiterhin Mitgliedschaftsbeiträge, einschließlich der Beiträge zum Pensionsfonds der Kammer, in Rechnung gestellt. Im selben Monat beantragte der ErstBf. bei der Wiener Rechtsanwaltskammer die Gewährung einer Pension, wobei er sich auf seine anwaltliche Tätigkeit von 1964 bis 1995 stützte. Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer verweigerte ihm diese unter Hinweis auf die Statuten des Pensionsfonds, welche die Gewährung einer Alterspension auf Personen beschränkt, die im Zeitpunkt der Erreichung des Pensionsalters von 65 Jahren zur Berufsausübung zugelassen sind. Daraufhin erhob der ErstBf. Vorstellung mit der Begründung, dass besagte Statuten verfassungswidrig seien, da es gegen den Gleichheitssatz verstoße, ihm eine Pension zu verweigern, nachdem er über 32 Jahre lang in den Rentenfonds eingezahlt habe. Am 23.3.1999 wies die Kammer die Vorstellung ab, da der ErstBf. im Zeitpunkt der Erreichung des 65. Lebensjahres nicht mehr ausübungsberechtigt und daher auch nicht mehr Mitglied der Kammer gewesen sei. Gegen diese Entscheidung ging der ErstBf. sowohl beim VwGH als auch beim VfGH vor. Der VwGH wies die Beschwerde am 6.6.1999 mit der Begründung ab, dass der ErstBf. mit der Eröffnung des Konkursverfahrens ex lege die Berufsberechtigung und damit auch die Kammermitgliedschaft verloren habe, deren Bestehen jedoch Voraussetzung für die Geltendmachung der Pensionsansprüche sei. Der VfGH hingegen lehnte die Befassung mit der Beschwerde unter Hinweis auf die mangelnden Erfolgsaussichten des Falles überhaupt ab.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. machen eine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums) alleine und in Verbindung mit Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) sowie eine Verletzung des Art. 4 7. Prot. EMRK (Doppelbestrafungsverbot) und des Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) geltend.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK alleine und iVm.

Art. 14 EMRK:

Die Bf. bringen vor, die Verweigerung der Pension des ErstBf., der seine gesamte Anwaltslaufbahn hindurch Beiträge an den Rentenfonds geleistet habe, widerspreche dem Grundrecht auf Eigentum und sei ein Akt der Willkür.

Betreffend die ZweitBf., die Gattin des ErstBf., stellt der GH fest, dass die in Frage stehenden Rechte nicht ihr, sondern nur ihrem Gatten zustehen, ihr nicht Parteistellung in den innerstaatlichen Verfahren zukam und sie daher nicht Opfer eventueller Konventionsverletzungen sein kann. Die Beschwerde ist daher soweit sie die ZweitBf. betrifft iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK ratione personae unvereinbar mit den Bestimmungen der Konvention und muss gemäß Art. 35 Abs. 4 EMRK als unzulässig zurückgewiesen werden (einstimmig). Die Regierung bringt vor, Art. 1 1. Prot. EMRK sei auf den vorliegenden Fall gar nicht anwendbar. Zwar habe der GH in ähnlichen Fällen immer wieder betont, dass jahrelange Beitragszahlungen an eine Pensionskasse ein Bezugsrecht entstehen lassen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Im vorliegenden Fall wäre der ErstBf. den anwendbaren Regeln gemäß jedoch eindeutig vom Pensionssystem der Kammer ausgeschlossen gewesen. Weiters sei das Pensionsmodell der Anwaltskammer ein System sui generis und ein Vergleich mit dem in Österreich allgemein bestehenden Sozialversicherungssystem daher unzulässig. Im Gegensatz zu Letzterem weise dieses nämlich gewisse Merkmale einer vertraglichen Versicherung, insbesondere einer Versicherung für den Schadensfall, auf. Das Erfordernis, im Zeitpunkt des Pensionsantritts in einer Liste eingetragen zu sein, könne nämlich mit der Bedingung eines aufrechten Vertragsverhältnisses im Zeitpunkt des Schadenseintritts verglichen werden.

Diesem Vergleich hält der ErstBf. entgegen, dass das Pensionssystem der Rechtsanwälte – gleich jenem der allgemeinen Sozialversicherung – auf dem Prinzip der Solidarität basiere und das Erreichen des Pensionsalters nicht mit dem Eintritt eines Schadensfalls gleichgesetzt werden könne.

Weiters argumentiert die Regierung, dass die Anwaltskammer ein Selbstverwaltungskörper mit demokratischer Organisation sei und als solche ihren Mitgliedern die Möglichkeit der Einflussnahme auch auf die Statuten der Pensionsversicherung biete. Der ErstBf. geht davon aus, dass auch ein Selbstverwaltungskörper wie die Anwaltskammer nicht von der Bindung an Gesetze befreit wäre und es eine ungerechtfertigte Bereicherung des Pensionsfonds darstelle, einem jahrelangen Beitragszahler aufgrund des Fehlens einer bloß formalen Voraussetzung die Auszahlung zu verweigern.

Für den Fall, dass der GH Art. 1 1. Prot. EMRK als anwendbar ansieht, bringt die Regierung vor, dass der Eingriff gerechtfertigt sei. Da der ErstBf. bereits im Zeitpunkt seines Berufsantritts über die Eigenheiten des speziellen Rechtsanwalts-Pensionssystems Bescheid wusste, wäre es ihm freigestanden, anderweitige Vorkehrungen für seine Altersrente zu treffen. Weiters argumentiert die Regierung, dass der ErstBf. von den Besonderheiten des Systems, etwa dem Umlagesystem, ja ebenso profitiert habe und sich nun die Nachteile entgegenhalten lassen müsse.

Die Regierung stützt sich auf die Entscheidung des VwGH vom 6.6.1999, laut der der ErstBf. mit der Eröffnung des Konkursverfahrens gegen ihn ex lege das Berufsausübungsrecht verloren habe. Dem hält der ErstBf. entgegen, er habe zwar das Berufsausübungsrecht verloren, jedoch sei er aufgrund des Fehlens einer formellen Entscheidung der Kammer noch immer als in der Rechtsanwaltsliste eingetragen anzusehen. Schließlich weist der ErstBf. noch auf eine kürzlich eingetretene Änderung der Rechtslage hin, aufgrund derer es jetzt nicht mehr notwendig ist, im Zeitpunkt des Erreichens des Pensionsalters in die Rechtsanwaltsliste eingetragen zu sein. Der GH gelangt angesichts dieser Vorbringen zu der Ansicht, dass die Beschwerde komplexe Sach- und Rechtsfragen aufwirft, die eine meritorische Erledigung erfordern. Die Beschwerde ist daher nicht offensichtlich unbegründet iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK. Da auch sonst keine Unzulässigkeitsgründe vorliegen, wird die Beschwerde für zulässig erklärt (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 4 7. Prot. EMRK:

Die Bf. behaupten, die Verweigerung der Altersversorgung nach bereits abgeschlossenem Strafverfahren stelle eine Bestrafung wegen derselben Sache iSd. Art. 4 7. Prot. EMRK dar.

Der GH sieht im Entzug des Berufsaus­übungsrechts wegen der Eröffnung eines Konkursverfahrens jedoch keine Bestrafung im Sinne des vorliegenden Artikels. Die Beschwerde ist daher iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK ratione materiae unvereinbar mit den Bestimmungen der Konvention und muss gemäß Art. 35 Abs. 4 EMRK als unzulässig zurückgewiesen werden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 EMRK:

Die Bf. bringen in ihrer Stellungnahme vom 21.7.2003 vor, die Anwaltskammer habe keine förmliche Entscheidung betreffend die Streichung des ErstBf. von der Liste der zugelassenen Anwälte getroffen, die dann im Rechtsweg hätte bekämpft werden können. Diese Vorgehensweise stelle eine Verletzung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht dar. Der GH stellt hiezu fest, dass für diesen Beschwerdepunkt die Frist bereits abgelaufen ist und er daher gemäß Art. 35 Abs. 1 iVm. Abs. 4 EMRK zurückzuweisen ist (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 4.5.2006, Bsw. 57028/00, entstammt der Zeitschrift „Newsletter Menschenrechte" (NL 2006, 117) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut

(pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/06_3/Klein.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise