Bsw13281/02 – AUSL EGMR Entscheidung
Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Grüne Alternative Wien gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 2.2.2006, Bsw. 13281/02.
Spruch
Art. 10 EMRK, § 6 MedienG, § 111 StGB - Satirische Darstellung eines FPÖ-Politikers in SA-Uniform.
Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Bei der Bf. handelt es sich um die Wiener Landesorganisation der politischen Partei „Die Grünen – Die Grüne Alternative". Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift „wien.direkt", die an Mitglieder und Sympathisanten der Partei verschickt wird.
Im Juli 2000 strengte Hilmar Kabas, der Obmann der Wiener Landesorganisation der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) wegen einer in „wien.direkt" veröffentlichten Fotomontage ein medienrechtliches Entschädigungsverfahren gegen die Bf. an. Er brachte vor, die einem Wahlplakat der FPÖ nachempfundene Illustration zeige ihn in einer Naziuniform. Der in gotischen Buchstaben gehaltene Bildtext lautete: „Unser Angebot: Ehre und Treue". Herr Kabas behauptete, dieses Bild unterstelle, dass er nationalsozialistisches Gedankengut vertrete oder zumindest gutheiße, da sich der Bildtext auf den SS-Leitspruch „Meine Ehre heißt Treue" beziehe. Die Veröffentlichung erfülle daher den objektiven Tatbestand der üblen Nachrede.
Die Bf. entgegnete, das Bild unterstelle Hilmar Kabas keine nationalsozialistische Einstellung, sondern weise in Form einer Karrikatur auf das fragwürdige Verhältnis eines leitenden Funktionärs der FPÖ zum Nationalsozialismus hin. Sie beziehe sich auf eine kürzlich gehaltene Rede des Obmanns der FPÖ Niederösterreich, Ernest Windholz, in der dieser die Formulierung „Unsere Ehre heißt Treue" gebraucht habe. Herr Kabas habe seinen Parteikollegen und dessen Äußerung öffentlich in Schutz genommen, was die Bf. mit der Karikatur kritisieren wollte.
Am 23.10.2000 ordnete das LG Wien die Veröffentlichung einer kurzen Mitteilung über das eingeleitete Verfahren durch die Bf. an. Das LG Wien verurteilte die Bf. am 30.1.2001 zur Zahlung einer Entschädigung in der Höhe von ATS 10.000,– (€ 726,73) an Herrn Kabas und zur Veröffentlichung des Urteils. Nach Ansicht des Gerichts zeigte das Bild Herrn Kabas in einer Uniform, die eindeutig einer SA-Uniform ähnlich sei. Dies sei für den durchschnittlichen Leser der Zeitschrift klar erkennbar. An Stelle des Hakenkreuzes zeige die Krawatte ein „F" als Kürzel für „FPÖ". Es sei allgemein bekannt, dass die SA eine nationalsozialistische Kampfeinheit gewesen sei. Das Bild unterstelle daher Herrn Kabas eine nationalsozialistische Haltung. Da das Verbotsgesetz durch nationalsozialistisches Gedankengut motivierte Handlungen unter Strafe stelle, könne das Bild Herrn Kabas in seiner Ehre verletzen und daher den objektiven Tatbestand der üblen Nachrede iSv. § 111 StGB erfüllen. Das Vorbringen der Bf. über die politische Natur der FPÖ und die Haltung ihrer Funktionäre sei kein ausreichender Beweis für die Herrn Kabas unterstellten nationalsozialistischen Aktivitäten.
Die von der Bf. erhobene Berufung wurde am 26.9.2001 vom OLG Wien abgewiesen. Das OLG vertrat die Ansicht, das Bild sei in erster Linie als Tatsachenbehauptung zu werten, die bewiesen hätte werden können.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) durch die Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung und zur Urteilsveröffentlichung.
Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK:
Die Regierung anerkennt das Vorliegen eines Eingriffs in die Freiheit der Meinungsäußerung, behauptet jedoch, dieser wäre nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, da er in § 6 MedienG und § 111 StGB gesetzlich vorgesehen gewesen sei und das legitime Ziel des Schutzes des guten Rufs und der Rechte anderer verfolgt habe. Im Interesse dieses Ziels wäre der Eingriff auch notwendig in einer demokratischen Gesellschaft gewesen.
Die Darstellung von Herrn Kabas in einer Uniform, die sich von jener der SA nur insofern unterscheide, als anstelle des Hakenkreuzes ein „F" die Krawatte ziere, zusammen mit dem in einer in der NS-Zeit besonders gebräuchlichen Schrift gehaltenen Bildtext „Unser Angebot:
Ehre und Treue" verwirkliche den Tatbestand der üblen Nachrede, weil sie Herrn Kabas mit dem Nationalsozialismus in Verbindung bringe und ihm unterstelle, nationalsozialistischen Aktivitäten nachzugehen oder zumindest eine solche Haltung einzunehmen. Sie stelle daher eine Tatsachenbehauptung dar, die bewiesen hätte werden müssen. Da sich die Illustration nicht auf eine allgemeine Kritik am Verhalten anderer Politiker der FPÖ beschränke, sondern sich ausdrücklich auf Herrn Kabas beziehe, würde der von der Bf. erbrachte Wahrheitsbeweis, wonach andere Funktionäre der FPÖ wiederholt dem NS-Jargon entlehnte Formulierungen gebraucht hätten, nicht ausreichen.
Auch angesichts der in Bezug auf Politiker weiteren Grenzen zulässiger Kritik müsse das spezielle Stigma berücksichtigt werden, das in Österreich jeder Art von nationalsozialistischer Aktivität anhafte. Solche Aktivitäten würden durch das Verbotsgesetz unter strenge Strafe gestellt. Daher bedürfe die Andeutung, eine Person betätige sich in einem nationalsozialistischen Sinn oder vertrete zumindest eine solche Haltung, einer besonderen Rechtfertigung. Die Regierung bringt außerdem vor, mit ATS 10.000,– sei die Entschädigung sehr niedrig angesetzt worden.
Die Bf. bestreitet dies. Unter Berufung auf das Urteil Scharsach und News Verlagsgesellschaft GmbH/A behauptet sie, die Verwendung des Begriffs „Nazi" könne im Zusammenhang mit der Kritik an Personen für ihr Versäumnis, sich eindeutig von der extremen Rechten zu distanzieren, ein zulässiges Werturteil darstellen. Im vorliegenden Fall sei zu bedenken, dass Herr Windholz, ein hochrangiger Funktionär der FPÖ, bei einer Ehrung langjähriger Mitglieder der Partei die Formulierung „Unsere Ehre heißt Treue" verwendet habe und danach von Herrn Kabas verteidigt worden sei. Die Verwendung dieser Formulierung in Hinblick auf Herrn Kabas habe daher mit den Mitteln der Satire und Persiflage auf eine Kritik an der FPÖ und ihrer Funktionäre abgezielt. Unter Berücksichtigung des politischen Zusammenhangs stelle die umstrittene Veröffentlichung daher einen fairen Kommentar dar, der unter den Schutz des Art. 10 EMRK falle. Die österreichischen Gerichte hätten es verabsäumt, diesen politischen Kontext zu berücksichtigen.
Zum Argument der Regierung, Herrn Kabas sei nur eine moderate Entschädigung zugesprochen worden, bringt die Bf. vor, sie wäre auch zur Urteilsveröffentlichung verpflichtet worden. Sie sei dadurch gezwungen gewesen einzugestehen, ihrem politischen Gegner Unrecht getan zu haben, was für sie viel schwerer wiegen würde als die Entschädigung. Abgesehen davon habe Herr Kabas auch eine zivilrechtliche Klage auf Unterlassung und Schadenersatz eingebracht. Angesichts des medienrechtlichen Urteils habe die Bf. in diesem Verfahren auf eine Verteidigung verzichtet und ein Versäumnisurteil akzeptiert. Es sei daher unrichtig, dass sich die nachteiligen Wirkungen des Urteils auf die Zahlung von ATS 10.000,– an Herrn Kabas beschränke.
Der GH gelangt angesichts der Vorbringen zu der Ansicht, dass die Beschwerde schwierige Sach- und Rechtsfragen aufwirft, die eine meritorische Erledigung erfordern. Die Beschwerde ist daher nicht offensichtlich unbegründet iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK. Da auch keine anderen Unzulässigkeitsgründe vorliegen, erklärt der GH die Beschwerde für zulässig (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Wabl/A v. 21.3.2000, NL 2000, 57; ÖJZ 2001, 108.
Jerusalem/A v. 27.2.2001, NL 2001, 52; ÖJZ 2001, 693.
Scharsach und News Verlagsgesellschaft/A v. 13.11.2003, NL 2003, 307;
ÖJZ 2004, 512.
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 2.2.2006, Bsw. 13281/02, entstammt der Zeitschrift „Newsletter Menschenrechte" (NL 2006, 62) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/06_2/Gruene_Alternative.pdf
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.