Bsw33001/03 – AUSL EGMR Entscheidung
Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Matthias Stefan Koppi gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 5.1.2006, Bsw. 33001/03.
Spruch
Art. 4 EMRK, Art. 9 EMRK, Art. 13 EMRK, Art. 14 EMRK - Zivildienstpflicht eines Predigers des Bundes Evangelikaler Gemeinden.
Zulässigkeit der Beschwerde unter Art. 14 EMRK iVm. Art. 4 Abs. 3 EMRK (einstimmig).
Zulässigkeit der Beschwerde unter Art. 9 iVm. Art. 14 EMRK (einstimmig).
Zurückweisung der Beschwerde unter Art. 13 EMRK (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Der Bf. ist Mitglied des Bundes Evangelikaler Gemeinden in Österreich , einer seit 1998 eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft. Nach dem Besuch einer einjährigen Bibelschule in der Schweiz in den Jahren 2000/2001 war er als Religionslehrer und Prediger tätig.
Am 27.9.2000 gab er eine Zivildiensterklärung ab, woraufhin er vom Bundesminister für Inneres (im Folgenden: BMI) als Zivildiener anerkannt wurde. Dadurch wurde er vom Militärdienst befreit, jedoch der Zivildienstpflicht unterworfen.
Am 20.12.2000 beantragte der Bf. beim BMI seine Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Zivildienstes aufgrund einer verfassungskonformen Interpretation von § 13a Abs. 1 Zivildienstgesetz (ZDG). Nach dieser Bestimmung seien jene Mitglieder gesetzlich anerkannter Religionsgesellschaften von der Verpflichtung zur Leistung des Zivildienstes befreit, die bestimmte Funktionen in der Seelsorge oder in einem geistlichen Lehramt ausüben. Da er als Student der Bibelschule St. Chrischona eine vergleichbare Funktion in der eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft des Bundes Evangelikaler Gemeinden in Österreich ausübe, müsse er ebenfalls von der Verpflichtung zur Leistung des Zivildienstes befreit werden.
Der BMI wies den Antrag am 18.1.2002 mit der Begründung ab, dass § 13a ZDG ausschließlich auf Mitglieder gesetzlich anerkannter Kirchen oder Religionsgesellschaften anwendbar sei und nicht auf Mitglieder eingetragener Bekenntnisgemeinschaften erstreckt werden könne.
Der VfGH lehnte die Behandlung der dagegen vom Bf. erhobenen Beschwerde am 7.10.2002 ab und trat sie dem VwGH ab, der die Beschwerde am 18.3.2003 als unbegründet abwies (VwGH 2002/11/0256).
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EMRK (Verbot der Zwangsarbeit) und Art. 9 EMRK (Religionsfreiheit) sowie von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 4 Abs. 3 EMRK:
Der Bf. behauptet eine Diskriminierung aufgrund der Religion, da er trotz der Ausübung einer Funktion, die den in § 13a ZDG genannten vergleichbar sei, nicht von der Zivildienstpflicht befreit wurde, weil er kein Mitglied einer anerkannten Religionsgesellschaft sei.
Die Regierung entgegnet, der Bf. würde keine religiöse Funktion ausüben, die den in § 13a ZDG genannten entspreche. Daher sei es nicht notwendig zu prüfen, ob er aufgrund seiner Religion diskriminiert worden sei oder nicht. Auch Mitglieder gesetzlich anerkannter Religionsgesellschaften, welche diese Voraussetzungen nicht erfüllten, wären nicht von der Zivildienstpflicht befreit. Der Bf. habe im innerstaatlichen Verfahren nicht vorgebracht, an einer Universität oder einer vergleichbaren Einrichtung Theologie zu studieren. Die Behauptung, er würde Gottesdienste abhalten und als Prediger tätig sein, wäre nicht ausreichend begründet und zudem irrelevant, da er diese Tätigkeit erst lange nach der angefochtenen Entscheidung aufgenommen habe.
Der Bf. entgegnet, die österreichischen Behörden und Gerichte würden die Befreiung von der Zivildienstpflicht lediglich von der Mitgliedschaft in einer anerkannten Religionsgesellschaft abhängig machen und nicht prüfen, ob der Betroffene eine Funktion ausübe, die mit den in § 13a ZDG genannten vergleichbar sei.
Der GH gelangt angesichts der Vorbringen der Parteien zu der Ansicht, dass die Beschwerde komplexe Sach- und Rechtsfragen aufwirft, die eine meritorische Erledigung erfordern. Da die Beschwerde unter Art. 14 iVm. Art. 4 EMRK somit nicht offensichtlich unbegründet iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK ist und auch kein anderer Unzulässigkeitsgrund vorliegt, erklärt sie der GH für zulässig (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 9 iVm. Art. 14 EMRK:
Der Bf. bringt vor, er würde durch die Verpflichtung zur Leistung von Militär- oder Zivildienst an der Ausübung seiner Religion gehindert.
Die Regierung wendet ein, der Bf. wäre noch nicht durch einen Zuweisungsbescheid zur Leistung des Zivildienstes verpflichtet gewesen. Außerdem würde Zivildienst grundsätzlich an fünf Tagen pro Woche geleistet, was dem Bf. genügend Zeit zur Ausübung seiner Religion an den Wochenenden und in der Freizeit lasse.
Nach Ansicht des GH wirft die Beschwerde komplexe Sach- und Rechtsfragen auf, die eine meritorische Erledigung erfordern. Die Beschwerde ist daher nicht offensichtlich unbegründet iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK. Da auch kein anderer Unzulässigkeitsgrund vorliegt, erklärt der GH die Beschwerde unter Art. 9 iVm. Art. 14 EMRK für zulässig (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK:
Der Bf. rügt eine Verletzung von Art. 13 EMRK durch die Verweigerung einer Sachentscheidung durch den VfGH.
Der anwaltlich vertretene Bf. hatte ausreichend Gelegenheit, die Verpflichtung zur Leistung des Zivildienstes beim BMI und vor den beiden Gerichtshöfen öffentlichen Rechts anzufechten. Die Ablehnung der Behandlung der Beschwerde des Bf. durch den VfGH wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg rechtfertigt nicht die Schlussfolgerung, eine Beschwerde an den VfGH wäre an sich keine wirksame Beschwerde im Sinne des Art. 13 EMRK.
Dieser Teil der Beschwerde ist somit offensichtlich unbegründet iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK und daher gemäß Art. 35 Abs. 4 EMRK zurückzuweisen (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Philemon Löffelmann/A v. 1.2.2005 (ZE), NL 2005, 111.
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 5.1.2006, Bsw. 33001/03, entstammt der Zeitschrift Newsletter Menschenrechte" (NL 2006, 7) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format): www.menschenrechte.ac.at/orig/06_1/Koppi.pdf
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.