JudikaturAUSL EGMR

Bsw40825/98 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
05. Juli 2005

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas u.a. gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 5.7.2005, Bsw. 40825/98.

Spruch

Art 6 EMRK, Art. 9 EMRK, Art. 11 EMRK, Art. 13 EMRK, Art. 14 EMRK - Anerkennung als Religionsgemeinschaft.

Zulässigkeit der Beschwerde unter Art. 9 EMRK iVm. Art. 11 und Art. 14 EMRK (mehrheitlich).

Zulässigkeit der Beschwerde unter Art. 6 Abs. 1 EMRK (mehrheitlich).

Zulässigkeit der Beschwerde unter Art. 13 EMRK (mehrheitlich). Unzulässigkeit der Beschwerde unter Art. 9 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Bei der ErstBf. handelt es sich um die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Österreich, die vier weiteren Bf. sind führende Funktionäre derselben.

Am 25.9.1978 stellten die Bf. beim Bundesminister für Unterricht und Kunst (im Folgenden: BM) einen Antrag auf Anerkennung der ErstBf. als Religionsgemeinschaft gemäß dem Anerkennungsgesetz 1874 (AnerkennungsG), auf den der Minister jedoch nicht reagierte. Auch einem weiteren Anerkennungsantrag vom 22.6.1987 wurde vom BM nicht stattgegeben. Der Minister wies darauf hin, dass den Bf. nach dem AnerkennungsG kein Recht auf Erlassung eines Bescheids zustünde. Nach mehreren erfolglosen Beschwerden der Bf. an die Höchstgerichte sprach der VfGH am 4.10.1995 aus, dass eine Religionsgesellschaft gemäß dem AnerkennungsG bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein subjektives Recht auf Anerkennung als Religionsgesellschaft habe. Das Rechtsstaatsprinzip verlange, dass ein solches Recht auch durchsetzbar sein. Daher müsse eine negative Entscheidung jedenfalls in Bescheidform ergehen.

Am 21.7.1997 erließ der BM einen den Anerkennungsantrag der Bf. abweisenden Bescheid. Die ErstBf. könne insbesondere wegen ihrer unklaren internen Organisation und ihrer negativen Einstellung gegenüber dem Staat und dessen Institutionen nicht als Religionsgesellschaft nach dem AnerkennungsG anerkannt werden. Der VfGH hob diesen Bescheid am 11.3.1998 auf und verwies die Sache dem BM zur neuerlichen Entscheidung zurück.

In der Zwischenzeit trat am 10.1.1998 das Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (BekGG) in Kraft. Am 20.7.1998 stellte der BM fest, dass die ErstBf. als religiöse Bekenntnisgemeinschaft gemäß § 2 Abs. 1 BekGG Rechtspersönlichkeit erworben habe.

Am 22.7.1998 stellten die Bf. neuerlich einen Antrag auf Anerkennung als gesetzliche Religionsgesellschaft im Sinne des AnerkennungsG, der wiederum abgewiesen wurde. Der BM begründete diese Entscheidung vom 1.12.1998 damit, dass eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft nach § 11 Abs. 1 BekGG nur dann gesetzlich anerkannt werden könne, wenn sie mindestens zehn Jahre als religiöse Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit bestanden habe. Diese Voraussetzung sei von der Bf. zum Zeitpunkt der Antragstellung am 22.7.1998 nicht erfüllt gewesen. Der VfGH wies die dagegen erhobene Beschwerde am 14.3.2001 ab.

Auf Verlangen der ErstBf. wurde der Fall im April 2001 an den VwGH abgetreten, der die Beschwerde am 24.9.2004 abwies.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten eine Verletzung von Art. 9 EMRK (Religionsfreiheit) und Art. 11 EMRK (hier: Vereinigungsfreiheit) jeweils alleine und in Verbindung mit Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot), sowie von Art. 6 EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer) und Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 9 und Art. 11 iVm. Art. 14 EMRK:

Die Bf. bringen vor, die Weigerung seitens der österreichischen Behörden, der ErstBf. den Status einer gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft nach dem AnerkennungsG und somit Rechtspersönlichkeit zuzuerkennen, begründe eine Verletzung ihres Rechts auf Religionsfreiheit.

Weiters rügen die Bf. eine Diskriminierung aufgrund ihrer Religion. Die der ErstBf. gemäß dem BekGG zuerkannte Rechtspersönlichkeit sei eine schwächere als jene, welche die nach dem AnerkennungsG anerkannten Religionsgesellschaften genießen würden. Zudem seien die in § 11 Abs. 1 BekGG festgelegten Kriterien für die Gewährung der Rechtspersönlichkeit diskriminierend und nicht objektiv. Die Regierung bestreitet einen Eingriff in die Religionsfreiheit. Die Verweigerung der Anerkennung als Religionsgesellschaft hindere nicht die Ausübung des Rechtes auf Religionsfreiheit im Sinne des Art. 9

EMRK.

Die Voraussetzungen des § 11 BekGG stellten keine Ungleichbehandlung dar. Vielmehr entsprächen diese der Praxis der Behörden vor In-Kraft-Treten des BekGG bei der Gewährung der Anerkennung nach dem AnerkennungsG.

Der GH gelangt angesichts der Vorbringen zu der Ansicht, dass die Beschwerde komplexe Sach- und Rechtsfragen aufwirft, die eine meritorische Entscheidung erfordern. Der GH erklärt daher die Beschwerde unter Art. 9 EMRK in Verbindung mit Art. 11 und Art. 14 EMRK für zulässig (mehrheitlich).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 EMRK:

Die Bf. rügen die Länge der Verfahrensdauer bezüglich ihres Antrags auf Anerkennung als Religionsgesellschaft. Im vorliegenden Fall seien zwar auch öffentlich-rechtliche Aspekte involviert, es bestünden jedoch maßgebliche Auswirkungen auf die zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen der Bf.

Die Regierung bestreitet die Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK. Verfahrensgegenstand sei der Antrag der Bf. auf Erlangung der Rechtspersönlichkeit und des Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Es sei nicht erkennbar, inwieweit eine Entscheidung in einem Anerkennungsverfahren zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen betreffe. Die Frage der Anerkennung oder Nicht-Anerkennung nach dem AnerkennungsG habe auch keine Auswirkung auf vermögenswerte Rechte der Bf. Selbst unter der Annahme der Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK sei die Verfahrensdauer angesichts der Komplexität des Falles angemessen.

Der GH ist der Ansicht, dass die Frage der Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK auf das gegenständliche Verfahren eng mit dem Beschwerdevorbringen nach Art. 9 EMRK verknüpft ist und daher im Rahmen der meritorischen Erledigung der Beschwerde im Lichte der Rechtsprechung des GH über das Erfordernis der Angemessenheit der Verfahrensdauer geprüft werden muss. Die Beschwerde unter diesem Gesichtspunkt wird somit für zulässig erklärt (mehrheitlich).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK:

Die Bf. rügen das mangelnde Bestehen eines effektiven Rechtsbehelfs zur Erwirkung einer Entscheidung über den Anerkennungsantrag. Insgesamt hätten die Bf. über 130 Jahre nach In-Kraft-Treten des Anerkennungsgesetzes keinen durchsetzbaren Anspruch auf Anerkennung gehabt.

Die Regierung bestreitet die Anwendbarkeit des Art. 13 EMRK und bringt vor, dass den Bf. ausreichende Rechtsbehelfe zur Verfügung gestanden seien und diese davon auch Gebrauch gemacht hätten. Der GH gelangt angesichts der Vorbringen zu der Ansicht, dass die Beschwerde komplexe Sach- und Rechtsfragen aufwirft, die eine meritorische Entscheidung erfordern. Der GH erklärt daher die Beschwerde unter Art. 13 EMRK für zulässig (mehrheitlich).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 9 EMRK:

Schließlich beschweren sich die Bf., dass der BM für Umwelt, Jugend und Familie 1991 eine Broschüre über Sekten herausgegeben habe, in welcher die Zeugen Jehovas implizit als gefährliche Sekte bezeichnet worden seien und die Öffentlichkeit vor jeglichem Kontakt gewarnt worden sei.

Der GH ist der Ansicht, dass es die Bf. verabsäumten, ihre Vorwürfe zu konkretisieren, da sie weder eine Kopie der Broschüre vorgelegt noch nachteilige Auswirkungen auf die ErstBf. aufgezeigt haben. Dieser Teil der Beschwerde ist somit offensichtlich unbegründet und daher gemäß Art. 35 Abs. 3 iVm. Abs. 4 EMRK als unzulässig zurückzuweisen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Canea Catholic Church/GR v. 16.12.1997, NL 1998, 19; ÖJZ 1998, 750.

Mitropolia Basarabiei Si Exarhatul Plaiurilor u.a./MD v. 13.12.2001,

NL 2001, 250.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 5.7.2005, Bsw. 40825/98, entstammt der Zeitschrift „Newsletter Menschenrechte" (NL 2005, 271) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/05_6/Zeugen.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise