Bsw61603/00 – AUSL EGMR Entscheidung
Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Storck gegen Deutschland, Urteil vom 16.6.2005, Bsw. 61603/00.
Spruch
Art. 5 EMRK, Art. 6 EMRK, Art. 8 EMRK - Freiheitsentziehung und zwangsweise medizinische Behandlung in psychiatrischer Klinik. Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK (einstimmig).
Keine gesonderte Behandlung der behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 4 und Abs. 5 EMRK hinsichtlich der Unterbringung von Juli 1977 bis April 1979 (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 5 Abs. 1, Abs. 4 oder Abs. 5 EMRK hinsichtlich des Aufenthalts in der Klinik von Jänner bis April 1981 (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig). Verletzung von Art. 8 EMRK hinsichtlich der Anhaltung in der Klinik von 1977 bis 1979 (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 8 EMRK hinsichtlich des Aufenthalts in der Klinik 1981 (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK hinsichtlich der Behandlung in der Universitätsklinik Mainz (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 8 EMRK hinsichtlich der Behandlung in der Universitätsklinik Mainz (einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK: € 75.000, für immateriellen
Schaden, € 19.000, für Kosten und Auslagen abzüglich € 685,
bereits erhaltener Verfahrenskostenhilfe des Europarates (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Auf Wunsch ihres Vaters wurde die 1958 geborene Bf. nach schweren innerfamiliären Konflikten am 29.7.1977 in der geschlossenen Station der Klinik Dr. Heines in Bremen untergebracht. Die Bf., die bereits volljährig war und nicht unter Vormundschaft stand, stimmte dieser Unterbringung nicht zu und versuchte wiederholt, aus der Klinik zu fliehen. Am 4.3.1979 wurde sie nach einem erfolgreichen Fluchtversuch von der Polizei in die Klinik zurückgebracht. Die medikamentöse Behandlung verursachte bei der im Alter von drei Jahren an Poliomyelitis erkrankten Bf. ein Post-Poliomyelitis-Syndrom. Im April 1979 wurde die Bf. aus der Klinik Dr. Heines entlassen und bis Mai 1980 in einem psychiatrischen Krankenhaus in Gießen untergebracht. Von 21.1. bis 20.4.1981 wurde sie erneut in der Klinik Dr. Heines behandelt, nachdem sie ihre Fähigkeit zu sprechen verloren hatte und Anzeichen von Autismus zeigte.
Von 3.9.1991 bis 28.7.1992 wurde die Bf. in der Universitätsklinik Mainz stationär behandelt.
Im April 1994 kam ein von der Bf. beauftragter Gutachter zu dem Ergebnis, dass zu keinem Zeitpunkt eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis bei ihr vorgelegen sei und ihr auffälliges Benehmen in erster Linie auf familiäre Konflikte zurückzuführen gewesen wäre. Im Oktober 1999 bestätigte ein zweiter Gutachter diese Ansicht. Er stellte fest, die Bf. habe sich zum Zeitpunkt ihrer Unterbringung in einer Pubertätskrise befunden. Aufgrund der unzutreffenden Diagnose sei sie jahrelang mit den falschen Medikamenten behandelt worden.
Am 12.2.1997 erhob die Bf. aufgrund des ersten Gutachtens eine Schadenersatzklage gegen die Klinik Dr. Heines. Sie machte geltend, dass ihre gesetzwidrige Unterbringung und medizinische Behandlung ihre körperliche und geistige Gesundheit zerstört hätten. Das Landgericht Bremen gab der Klage am 9.7.1998 statt und stellte die Rechtswidrigkeit der Unterbringung der Bf. von 1977 bis 1979 bzw. von Jänner bis April 1981 fest, da diese weder auf einer wirksamen Einwilligung der Bf. noch auf einer gerichtlichen Anordnung beruht hätte. Hinsichtlich der Verjährungsfrist des § 852 BGB stellte das Landgericht fest, diese habe erst nach der Beendigung ihrer medizinischen Behandlung und der Erstellung des Gutachtens im April 1994 zu laufen begonnen.
Aufgrund einer Berufung der beklagten Klinik hob das OLG Bremen dieses Urteil am 22.12.2000 auf und wies die Klage der Bf. ab. Nach Ansicht des OLG hatte die Bf. ihrer Unterbringung zugestimmt, außerdem wäre ihr Anspruch ohnehin verjährt.
Eine Schadenersatzklage der Bf. gegen die Universitätsklinik Mainz wurde vom Landgericht Mainz abgewiesen, da eine Schädigung der Bf. durch die medizinische Behandlung nicht als erwiesen anzusehen sei. Das Gericht stützte sich dabei auf ein Gutachten eines Neurologen. Das OLG Koblenz wies die dagegen erhobene Berufung am 30.10.2001 ab. Das OLG, das zwei weitere Expertisen einholte, hielt fest, die Klage sei selbst unter der Annahme eines Behandlungsfehlers abzuweisen, da die Bf. einen Zusammenhang zwischen einer falschen Behandlung und einer Schädigung ihrer Gesundheit nicht nachgewiesen habe. Die gegen die Urteile des OLG Bremen, des Landgerichts Mainz und des OLG Koblenz erhobenen Rechtsmittel an den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht blieben erfolglos.
Rechtliche Beurteilung
Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 5 EMRK (Recht auf persönliche Freiheit), Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) und Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK hinsichtlich der Unterbringung von Juli 1977 bis April 1979:
Die Bf. rügt eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK durch ihren zwangsweisen Aufenthalt in der Klinik Dr. Heines und die Abweisung ihrer Schadenersatzansprüche durch das OLG Bremen.
1. Zum Vorliegen einer Freiheitsentziehung:
Es ist unbestritten, dass die Bf. in einer geschlossenen Station der Klinik untergebracht wurde, wo sie unter ständiger Beobachtung stand. Während ihres gesamten Aufenthalts durfte sie die Klinik nie verlassen. Um sie an der Flucht zu hindern, musste sie zeitweise gefesselt werden. Nach einem gelungenen Fluchtversuch wurde sie von der Polizei zurückgebracht. Objektiv betrachtet wurde der Bf. somit ihre Freiheit entzogen.
Eine Freiheitsentziehung iSv. Art. 5 Abs. 1 EMRK umfasst jedoch nicht nur das objektive Element einer Beschränkung der Bewegungsfreiheit. Eine Person kann nur dann als ihrer Freiheit beraubt angesehen werden, wenn sie dieser Beschränkung nicht wirksam zugestimmt hat. Im vorliegenden Fall ist umstritten, ob die Bf. in ihren Aufenthalt in der Klinik eingewilligt hat.
Die Bf. war zum Zeitpunkt ihrer Einweisung bereits volljährig und stand nicht unter Vormundschaft. Sie wurde daher als fähig angesehen, ihrer Behandlung in der Klinik zuzustimmen oder zu widersprechen. Die Bf. versuchte wiederholt, aus der Klinik zu fliehen und musste gefesselt werden, um sie daran zu hindern. Unter diesen Umständen sieht der GH ihre Einwilligungsfähigkeit vorausgesetzt keine Gründe für die Annahme, die Bf. habe in ihre Unterbringung in der Klinik eingewilligt. Geht man hingegen von ihrer fehlenden Einwilligungsfähigkeit aus, so besteht von Vornherein keine Grundlage für die Annahme einer wirksamen Zustimmung. Der GH kommt daher zu dem Schluss, dass der Bf. ihre Freiheit entzogen wurde.
2. Zur Verantwortlichkeit des belangten Staates:
Der vorliegende Fall weist drei Aspekte auf, die eine Verantwortlichkeit Deutschlands für die Anhaltung der Bf. in der Privatklinik begründen könnten. Die Freiheitsentziehung könnte dem Staat erstens aufgrund einer direkten Beteiligung staatlicher Behörden an der Anhaltung der Bf. zurechenbar sein. Zweitens könnte der Staat Art. 5 Abs. 1 EMRK dadurch verletzt haben, dass seine Gerichte die zivilrechtlichen Vorschriften in dem von der Bf. angestrengten Schadenersatzprozess nicht im Geiste dieser Bestimmung ausgelegt haben. Und schließlich könnte der Staat seine positiven Verpflichtungen zum Schutz der Bf. vor Eingriffen in ihr Recht auf persönliche Freiheit durch Privatpersonen verletzt haben.
a) Beteiligung staatlicher Behörden an der Anhaltung der Bf.:
Es ist unbestritten, dass die Anhaltung der Bf. in der Privatklinik weder von einem Gericht noch von einer anderen staatlichen Stelle genehmigt war. Wie der GH jedoch feststellt, wurde die Bf. am 4.3.1979 von der Polizei in die Klinik zurückgebracht, nachdem sie aus dieser geflohen war. Dadurch beteiligten sich staatliche Behörden aktiv an der Unterbringung der Bf. in der Klinik. Der ausdrückliche Widerspruch der Bf. gegen ihre Rückkehr in die Klinik zog keine Überprüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Anhaltung durch die Polizei oder eine sonstige Behörde nach sich. Da die Anhaltung der Bf. ohne das polizeiliche Einschreiten am 4.3.1979 geendet hätte, begründet dieses eine staatliche Verantwortlichkeit für ihre Anhaltung in der Klinik.
b) Versäumnis, die innerstaatlichen Vorschriften im Geiste des Art. 5 EMRK auszulegen:
Das OLG Bremen kam durch eine restriktive Auslegung des § 852 BGB zu dem Ergebnis, der Anspruch der Bf. auf Ersatz aus unerlaubter Handlung sei bereits verjährt.
Nach Ansicht des GH wurde das Recht auf persönliche Freiheit vom OLG Bremen bei der Auslegung der Verjährungsvorschriften nicht ausreichend berücksichtigt. So hat das Gericht insbesondere die Anhaltung der Bf. und ihre auch nach ihrer Entlassung andauernden psychischen Probleme, die sie an der Geltendmachung ihrer Ansprüche hinderten, nicht ausreichend in Betracht gezogen.
Auch die Annahme des OLG Bremen, die Bf. habe ihrem Aufenthalt in der Anstalt zugestimmt und damit konkludent einen Vertrag mit der Klinik abgeschlossen, erscheint angesichts der bereits getroffenen Feststellungen über ihren klaren Widerspruch gegen die Behandlung als willkürlich.
Im Ergebnis stellt der GH fest, dass das OLG Bremen die zivilrechtlichen Regelungen über die Ersatzansprüche der Bf. nicht in einer Art. 5 Abs. 1 EMRK entsprechenden Weise interpretiert hat. Es liegt insofern ein dem belangten Staat zurechenbarer Eingriff in ihr Recht auf persönliche Freiheit vor.
c) Verletzung positiver Verpflichtungen:
Obwohl nach dem zur gegenständlichen Zeit geltenden innerstaatlichen Recht die Unterbringung einer psychisch kranken Person in einem psychiatrischen Krankenhaus von einem Richter angeordnet werden musste, wenn die Person nicht einwilligte oder gar nicht einwilligungsfähig war, wurde im Fall der Bf. eine solche Anordnung von der Klinik nicht eingeholt. Die Rechtmäßigkeit ihrer Anhaltung wurde daher während der gesamten Dauer ihres Aufenthalts nie überprüft.
Zwar stellt das deutsche Recht die unrechtmäßige Freiheitsentziehung unter Strafe und räumt dem Opfer Schadenersatzansprüche ein, doch bieten solche rückwirkenden Maßnahmen keinen ausreichenden Schutz für Personen in einer so verletzlichen Position wie die Bf. Das Fehlen effektiver staatlicher Kontrolle wird besonders deutlich anhand der Tatsache, dass die Polizei die Bf. gewaltsam in die Klinik zurückbrachte, ohne die Rechtmäßigkeit ihrer Anhaltung zu prüfen. Der belangte Staat hat somit von Juli 1977 bis April 1979 seine positive Verpflichtung verletzt, die Bf. gegen Eingriffe in ihre persönliche Freiheit durch Privatpersonen zu schützen.
3. Zur Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung:
Wie der GH bereits festgestellt hat, hat die Bf. in ihren Aufenthalt in der Klinik nicht eingewilligt. Die Freiheitsentziehung wäre daher nur rechtmäßig gewesen, wenn sie gerichtlich angeordnet worden wäre. Da eine solche Anordnung nicht vorlag, war die Anhaltung der Bf. nicht rechtmäßig iSv. Art. 5 Abs. 1 zweiter Satz EMRK. Ob die Bf. an einer psychischen Störung litt, die ihre zwangsweise Unterbringung erfordert hätte, muss daher nicht geprüft werden.
Im Ergebnis hält der GH fest, dass die Unterbringung der Bf. in der Klinik Dr. Heines von Juli 1977 bis April 1979 eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK begründet (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 4 und Abs. 5 EMRK hinsichtlich der Unterbringung von Juli 1977 bis April 1979:
Keine gesonderte Behandlung der behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 4 und Abs. 5 EMRK (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 1, Abs. 4 und Abs. 5 EMRK hinsichtlich des Aufenthalts in der Klinik von Jänner bis April 1981:
Angesichts der Tatsachenfeststellungen der innerstaatlichen Gerichte sieht es der GH als erwiesen an, dass sich die Bf. im Jänner 1981 freiwillig in die Klinik Dr. Heines begab. Anders als bei ihrem ersten Aufenthalt erlauben die Tatsachen nicht den Schluss, die Bf. sei gegen ihren Willen in der Klinik festgehalten worden. Da die Bf. nicht ihrer Freiheit beraubt wurde, liegt keine Verletzung von Art. 5 Abs. 1, Abs. 4 oder Abs. 5 EMRK vor (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK hinsichtlich der beiden Aufenthalte in der Privatklinik:
Die Bf. bringt vor, die restriktive Auslegung der Bestimmungen über ihre Ersatzansprüche durch das OLG Bremen sowie dessen Bewertung eines unrichtigen Gutachtens habe auch ihr Recht auf ein faires Verfahren verletzt.
Soweit die Beschwerde die Berücksichtigung des Gutachtens betrifft, liegen keine Anzeichen für eine mangelnde Fairness des Verfahrens vor, weshalb keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK festzustellen ist (einstimmig). Im übrigen wirft dieser Beschwerdepunkt keine gesondert zu prüfenden Aspekte auf (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK:
Die Bf. rügt eine Verletzung ihres Rechts auf Achtung des Privatlebens durch ihre Anhaltung und zwangsweise medizinische Behandlung in der Klinik Dr. Heines.
1. Die Anhaltung in der Klinik von 1977 bis 1979:
Soweit die Beschwerde Einschränkungen der Bewegungsfreiheit betrifft, wiederholt die Bf. im Wesentlichen ihr bereits unter Art. 5 Abs. 1 EMRK geprüftes Vorbringen. In dieser Hinsicht ist eine gesonderte Erörterung unter Art. 8 EMRK nicht geboten.
Die Bf. widersetzte sich nicht nur ihrer Anhaltung in der Klinik, sondern auch ihrer medizinischen Behandlung. Daher wurden ihr wiederholt zwangsweise Medikamente verabreicht. Ob diese Behandlung tatsächlich schwere gesundheitliche Schäden nach sich zog, kann offen bleiben, denn da sie gegen den Willen der Bf. erfolgte, stellt sie in jedem Fall einen Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
Was die staatliche Verantwortlichkeit für diesen Eingriff betrifft, gilt im Wesentlichen das bereits unter Art. 5 Abs. 1 EMRK festgestellte. Die Verantwortlichkeit des belangten Staates für den Eingriff wird durch das polizeiliche Einschreiten, die Art. 8 EMRK nicht gerecht werdende Auslegung des innerstaatlichen Rechts und die Verletzung der positiven Verpflichtung zum Schutz des Privatlebens begründet.
Soweit der Staat seine positiven Verpflichtungen nicht erfüllt hat, liegt schon darin eine Verletzung von Art. 8 EMRK. Eine Prüfung der Rechtfertigung des Eingriffs nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist daher nur insofern nötig, als staatliche Organe unmittelbar an dem Eingriff beteiligt waren. Es ist unbestritten, dass die zwangsweise Unterbringung der Bf. nach innerstaatlichem Recht nur auf der Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung zulässig gewesen wäre. Da eine solche nicht vorlag, war der Eingriff nicht rechtmäßig iSv. Art. 8 Abs. 2 EMRK. Er begründet daher eine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).
2. Der Aufenthalt in der Klinik 1981:
Wie der GH bereits festgestellt hat, ist nicht erwiesen, dass die Bf. ihrem Aufenthalt und ihrer medizinischen Behandlung im Jahr 1981 nicht zugestimmt hätte. Wie das OLG Bremen festgestellt hat, wurde sie auch keiner für sie schädlichen Behandlung unterzogen. Da somit kein Eingriff in das Privatleben der Bf. erfolgte, liegt keine Verletzung von Art. 8 EMRK vor (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK hinsichtlich der Behandlung in der Universitätsklinik Mainz:
Die Bf. bringt vor, die Verfahren vor dem Landgericht Mainz und dem OLG Koblenz wären unfair gewesen, weil die Gerichte ein unzutreffendes Gutachten zugelassen hätten und ihr die Beweislast für die Schädigung ihrer Gesundheit durch eine auf einer Fehldiagnose beruhende Behandlung auferlegt worden sei.
Wie der GH feststellt, wurde vom OLG Koblenz auf die Bedenken der Bf. gegen das Gutachten ausführlich eingegangen. Die Bf. hatte die Möglichkeit, Fragen an den Gutachter zu stellen, überdies zog das OLG zwei weitere Expertisen heran. Das Verfahren kann daher in dieser Hinsicht nicht als unfair angesehen werden.
Eine Beweiserleichterung zugunsten der Bf. wurde vom OLG Koblenz abgelehnt, weil kein schwerer Behandlungsfehler vorgelegen habe. Der GH ist sich der Schwierigkeiten bewusst, die der Beweis eines Kunstfehlers für einen Patienten mit sich bringt. Die Anwendung der üblichen Beweislastverteilung durch das OLG Koblenz erscheint dennoch nicht als willkürlich und brachte auch keine wesentlichen Nachteile für die Bf. mit sich. Es liegt somit keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK vor (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK hinsichtlich der Behandlung in der Universitätsklinik Mainz:
Da es keine Anzeichen für eine Behandlung der Bf. gegen ihren Willen oder gegen die Regeln der ärztlichen Kunst gibt, kann ein Eingriff in das Recht der Bf. auf Achtung ihres Privatlebens nicht festgestellt werden. Daraus folgt, dass keine Verletzung von Art. 8 EMRK vorliegt (einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK:
€ 75.000, für immateriellen Schaden, € 19.000, für Kosten und
Auslagen abzüglich € 685, bereits erhaltener Verfahrenskostenhilfe
des Europarates (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Winterwerp/NL v. 26.9.1979, A/33, EuGRZ 1979, 650.
Ashingdane/GB v. 28.5.1985, A/93, EuGRZ 1986, 8.
Nielsen/DK v. 28.11.1988, A/144, ÖJZ 1989, 666.
H. L./GB v. 5.10.2004, NL 2004, 231.
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 16.6.2005, Bsw. 61603/00, entstammt der Zeitschrift Newsletter Menschenrechte" (NL 2005, 134) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/05_3/Storck.pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.