JudikaturAUSL EGMR

Bsw49686/99 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
01. Februar 2005

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesachen Markus Gütl gegen Österreich und Philemon Löffelmann gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidungen vom 1.2.2005, Bsw. 49686/99 und Bsw. 42967/98.

Spruch

Art. 4 EMRK, Art. 9 EMRK, Art. 13 EMRK, Art. 14 EMRK, § 13a Abs. 1 ZDG, § 24 Abs. 3 Wehrgesetz 1978 - Wehr- bzw. Zivildienstpflicht der Zeugen Jehovas.

Zulässigkeit der Beschwerde unter Art. 14 EMRK iVm. Art. 4 EMRK (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerde unter Art. 9 EMRK und iVm. Art. 14 EMKR (einstimmig).

Unzulässigkeit der Beschwerde unter Art. 13 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

1. Zum Bf. Markus Gütl:

Der Bf. ist seit 1991 aktives Mitglied der Zeugen Jehovas und bekleidet seit 1995 das Amt eines „Sondervollzeitdieners". Im April 1997 wurde er vom Bundesministerium für Inneres (BMI) aus Gewissensgründen von der Wehrpflicht befreit und seine Zivildienstpflicht festgestellt. Am 1.4.1998 erließ das BMI einen Zuweisungsbescheid, wonach der Bf. am 2.6.1998 seinen Zivildienst anzutreten habe. Diesen Bescheid focht der Bf. mit Beschwerde vom 30.4.1998 beim VfGH an. Er brachte vor, er lebe seit Juli 1997 in einer Gemeinschaft von Predigern und widme seine gesamte Zeit religiösen Aktivitäten. Er sei im April 1998 Diakon der Zeugen Jehovas geworden und strebe das Amt eines Geistlichen an. § 13a Abs. 1 Zivildienstgesetz (ZDG) sei gleichheitswidrig, weil er nur Angehörige gesetzlich anerkannter Kirchen oder Religionsgesellschaften von der Zivildienstpflicht ausnehme. (Anm.:

Gemäß § 13a Abs. 1 ZDG bzw. § 24 Abs. 3 Wehrgesetz 1978 sind von der Verpflichtung zur Leistung des Zivil- bzw. Wehrdienstes folgende Personen befreit, wenn sie einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft angehören: ausgeweihte Priester; Personen, die auf Grund absolvierter theologischer Studien im Seelsorgedienst oder in einem geistlichen Lehramt tätig sind; Ordenspersonen, die die ewigen Gelübde abgelegt haben und Studierende der Theologie, die sich auf ein geistliches Amt vorbereiten.)

Der VfGH lehnte die Behandlung der Beschwerde am 8.6.1998 mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg ab und trat sie dem VwGH zur Entscheidung ab. Dieser wies die Beschwerde am 10.11.1998 ab.

2. Zum Bf. Philemon Löffelmann:

Der Bf. wurde 1994 Mitglied der Zeugen Jehovas und übte das Amt eines Predigers bzw. ab November 1997 das eines Diakons aus. Am 3.7.1995 trat der Bf. seinen Wehrdienst an, brach diesen aber schon am 1.8.1995 ab, nachdem ein Militärarzt seine Untauglichkeit bescheinigt hatte. Am 28.9.1995 erließ das Militärkommando Niederösterreich einen Stellungsbescheid, mit dem es eine neuerliche Bewertung der Tauglichkeit des Bf. anordnete.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Bf. geltend, er müsse von der Wehrpflicht befreit werden, da er eine religiöse Funktion ausübe, die den in § 24 Abs. 3 Wehrgesetz 1978 genannten entspreche. Eine Beschränkung der von dieser Bestimmung vorgesehenen Befreiung von der Wehrpflicht auf Angehörige anerkannter Religionsgesellschaften wäre gleichheitswidrig und verstoße daher gegen die Verfassung. Der Verteidigungsminister wies diese Berufung am 16.11.1995 ab, woraufhin der Bf. eine Beschwerde an den VfGH erhob, mit der er eine Aufhebung der Wortfolge „gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaft" in § 24 Abs. 3 Wehrgesetz 1978 begehrte. Der VfGH lehnte die Behandlung der Beschwerde mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg ab. Der VwGH wies die Beschwerde des Bf. gegen den Stellungsbescheid ab.

Am 14.5.1998 erließ das Militärkommando Niederösterreich einen neuerlichen Stellungsbescheid, gegen den der Bf. wiederum Beschwerde an den VfGH erhob. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde erneut wegen mangelnder Erfolgsaussicht ab.

Der Bf. gab daraufhin eine Zivildiensterklärung ab und absolvierte von 1.2.1999 bis 31.1.2000 seinen Zivildienst in einer Sozialeinrichtung.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten eine Verletzung von Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) iVm. Art. 4 Abs. 3 EMRK (Verbot der Zwangsarbeit) sowie von Art. 9 EMRK (Religionsfreiheit) und Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 4 EMRK:

Die Bf. rügen eine Diskriminierung aus Gründen ihrer Religion, da sie nicht von der Zivildienst- bzw. Wehrpflicht befreit wurden, obwohl sie als Zeugen Jehovas religiöse Ämter ausübten, die mit den in § 13a Abs. 1 ZDG bzw. § 24 Abs. 3 Wehrgesetz 1978 genannten vergleichbar seien. Sie seien im Umfang einer Vollzeitbeschäftigung in diesen Ämtern tätig. Die österreichischen Behörden und Gerichte würden die Befreiung von der Zivildienst- bzw. Stellungspflicht ausschließlich von der Zugehörigkeit zu einer anerkannten Religionsgemeinschaft abhängig machen und nicht prüfen, ob die betroffene Person eine Funktion ausübe, die den in den angefochtenen Bestimmungen genannten entspreche.

Die Regierung entgegnet, die Bf. hätten es verabsäumt nachzuweisen, dass sie eine Funktion ausübten, die einer der in § 13a Abs.1 ZDG bzw. § 24 Abs. 3 Wehrgesetz 1978 genannten entspreche. Schon aus diesem Grund könne eine Diskriminierung nicht vorliegen. Nach Ansicht des GH wirft die Beschwerde komplexe Sach- und Rechtsfragen auf, die eine meritorische Erledigung erfordern. Der GH erklärt daher die Beschwerde unter Art. 4 Abs. 2 und Abs. 3 lit. b EMRK alleine und in Verbindung mit Art. 14 EMRK für zulässig (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 9 EMRK:

Die Bf. bringen weiters vor, ihre Verpflichtung zur Ableistung des Wehr- bzw. Zivildienstes würde sie an der Ausübung ihrer Religion hindern. Während der Ableistung des Zivildienstes hätten sie 40 Stunden pro Woche arbeiten müssen und daher ihre religiösen Funktionen nicht ausüben können.

Die Regierung bestreitet, dass die Verpflichtung zur Ableistung des Wehr- bzw. Zivildienstes einen konkreten Eingriff in die Religionsfreiheit mit sich gebracht hätte.

Der GH gelangt angesichts der Vorbringen zu der Ansicht, dass die Beschwerde komplexe Sach- und Rechtsfragen aufwirft, die eine meritorische Erledigung erfordern. Der GH erklärt daher die Beschwerde unter Art. 9 EMRK alleine und in Verbindung mit Art. 14 EMRK für zulässig (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK:

Die Bf. bringen vor, die Verweigerung einer Sachentscheidung durch den VfGH begründe eine Verletzung ihres Rechts auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz.

Die anwaltlich vertretenen Bf. hatten die Möglichkeit, ihre Verpflichtung zur Ableistung des Wehr- bzw. Zivildienstes vor drei Instanzen anzufechten. Die Tatsache, dass der VfGH die Behandlung ihrer Beschwerden mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg ablehnte, rechtfertigt nicht den Schluss, eine Beschwerde an den VfGH wäre an sich keine wirksame Beschwerde im Sinne des Art. 13 EMRK. Dieser Teil der Beschwerde ist somit offensichtlich unbegründet und daher gemäß Art. 35 Abs. 3 iVm. Abs. 4 EMRK als unzulässig zurückzuweisen (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidungen des EGMR vom 1.2.2005, Bsw. 49686/99 und Bsw. 42967/98, entstammt der Zeitschrift „Newsletter Menschenrechte" (NL 2005, 111) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidungen im englischen Originalwortlaut (pdf-Format): www.menschenrechte.ac.at/orig/05_3/Gutl.pdf www.menschenrechte.ac.at/orig/05_3/Loffelmann.pdf

Die Originale der Zulässigkeitsentscheidungen sind auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise