JudikaturAUSL EGMR

Bsw40284/98 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
14. November 2002

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Krone Verlag GmbH Co KG gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 14.11.2002, Bsw. 40284/98.

Spruch

Art. 10 EMRK, § 8a MedienG, § 20 MedienG - Geldbuße wegen nicht gehöriger Veröffentlichung auch für die Dauer des Beschwerdeverfahrens.

Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Im Juli 1996 veröffentlichte die „Neue Kronen Zeitung" einige Artikel über einen Fall von Kindesmissbrauch, in denen den Eltern des Opfers, Herrn und Frau K., die Tat vorgeworfen und bisexuelle Neigungen unterstellt wurden. Daraufhin stellte Frau K. beim LG für Strafsachen Wien einen selbständigen Antrag auf Entschädigung nach dem Mediengesetz.

Am 30.7.1996 ordnete das Gericht gemäß § 8a (5) MedienG die Veröffentlichung einer kur­zen Mitteilung über das eingeleitete Verfahren an, welche am 4.9.1996 erschien. Da Frau K. der Ansicht war, dass diese Veröffentlichung nicht den gleichen Veröffentlichungswert hatte wie der ursprüngliche Beitrag, auf den sie sich bezog, beantragte sie am 5.9. und am 10.9., der Krone Verlag GmbH gemäß § 20 (1) MedienG die Zahlung von Geldbußen wegen nicht gehöriger Entsprechung der Veröffentlichungsanordnung aufzuerlegen. Das LG wies diese Anträge mit Beschluss vom 17.12.1996 ab. Dagegen erhob Frau K. Beschwerde an das OLG.

Das Entschädigungsverfahren wurde mit Beschluss des OLG Wien vom 14.7.1997 rechtskräftig abgeschlossen. Das OLG ordnete wegen Verletzung der Unschuldsvermutung die Zahlung einer Entschädigung idH. von ATS 115.000,-- sowie eine Urteilsveröffentlichung durch die Krone Verlag GmbH an. Diese erfüllte die ihr durch das Urteil auferlegten Verpflichtungen.

Das OLG Wien hob am 30.7.1997 den Beschluss des LG vom 17.12.1996 auf und trug der Krone Verlag GmbH die Zahlung einer Geldbuße idH. von ATS 24.000,-- an Frau K. auf. Nach Ansicht des OLG war die Antragstellerin in einem der umstrittenen Artikel auch in einem Untertitel verleumdet worden, die Veröffentlichung der Mitteilung habe indessen keinen Untertitel enthalten. Daher wäre ihr Veröffentlichungswert vermindert. Frau K. stellte in Folge dieses Beschlusses weitere Durchsetzungsanträge gemäß § 20 (1) MedienG für die zwischen 11.9.1996 und 4.8.1997 erschienenen Ausgaben. Am 27.10.1997 ordnete das LG die Zahlung von ATS 508.000,-- durch die Krone Verlag GmbH an Frau K. an. Dieser Betrag entspricht ATS 4.000,-- für jede zwischen 20.9.1996 und 16.1.1997, dem Datum der gegen die Entscheidung vom 17.12.1996 erhobenen Bsw., erschienene Ausgabe der „Neuen Kronen Zeitung". Aufgrund der analogen Anwendbarkeit des § 20 (4) MedienG (Anm: § 20 (4) MedienG lautet:

„Gegen Beschlüsse des Gerichts über die Auferlegung oder Nachsicht von Geldbußen steht die Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof zu. Wurde eine Geldbuße auferlegt, weil die Veröffentlichung nicht gehörig erfolgt sei, und wurde gegen den Beschluss über die Geldbuße Beschwerde erhoben, so sind für die Dauer des Beschwerdeverfahrens keine weiteren Geldbußen aufzuerlegen, wenn die Veröffentlichung, deren Gehörigkeit strittig ist, in einer Weise erfolgte, die einer gehörigen Veröffentlichung nahe kommt.") auf den Zeitraum des Rechtsmittelverfahrens wäre für die Zeitspanne von 17.1. bis 4.8.1997 keine Geldbuße aufzuerlegen. Beide Parteien fochten diese Entscheidung an.

Am 30.1.1998 hob das OLG Wien den Beschluss des LG teilweise auf und ordnete die Zah­lung einer Geldbuße idH. von ATS 1.304.000,-, das entspricht ATS 4.000,-- für jede zwischen 11.9.1996 und 4.8.1997 erschienene Ausgabe der „Neuen Kronen Zeitung", an Frau K. an. Nach Ansicht des OLG konnte die Krone Verlag GmbH nicht von der Zahlung der Geldbuße für den Zeitraum des Rechtsmittelverfahrens befreit werden, weil die am 4.9.1996 erfolgte Veröffentlichung nicht „in einer Weise erfolgte, die einer gehörigen Veröffentlichung nahekommt".

Am 30.6.1998 erhob die Generalprokuratur eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes. Sie brachte vor, die in § 20 MedienG vorgesehene Geldbuße sei primär ein Beugemittel. Es wäre nicht gerechtfertigt gewesen, für die Zeit, in der das Gericht rechtswirksam – wenn auch nicht rechtskräftig – das Vorliegen einer Veröffentlichungspflicht verneint hat, bis zur Bekanntmachung der gegenteiligen Entscheidung eine Geldbuße zu verhängen, da die Krone Verlag GmbH ab diesem Zeitpunkt im guten Glauben auf eine weitere Veröffentlichung verzichten hätte können. Der OGH wies die Nichtigkeitsbeschwerde am 15.9.1998 ab. (Anm.: Entscheidung v. 15.9.1998, 14 Os 96, 97/98 (= MR 1998, 262 = ÖRZ 1999, 20).) Die Frage des guten Glauben könne nicht nach § 20 (4) MedienG beurteilt werden, eine Geldbuße sei daher zwingend zu verhängen gewesen. Die Krone Verlag GmbH hätte vielmehr ein Nachsichtverfahren gemäß § 20

(3) MedienG anstrengen müssen, in welchem die Geldbuße nachzusehen gewesen wäre. In einem solchen Verfahren hätte ihre besondere Situation nach der Entscheidung vom 17.12.1997 berücksichtigt werden können.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die bf. Gesellschaft behauptet eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) durch die Verhängung der Geldbuße.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK:

Nach Ansicht der Reg. stellt die Verhängung der Geldbuße durch die Gerichte keinen Eingriff in die durch Art. 10 EMRK gewährleisteten Rechte der bf. Gesellschaft dar. Der einzig denkbare Eingriff wäre die vorangehende Anordnung der Veröffentlichung einer kurzen Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens. Die Verhängung von Beugemitteln stelle hingegen keinen selbständigen Eingriff dar; sie hätte nur auf die Durchsetzung der rechtskräftigen Entscheidung abgezielt, der die bf. Gesellschaft nicht nachgekommen wäre. Selbst wenn die Verhängung der Beugemittel als Eingriff anzusehen sei, wäre dieser gemäß Art. 10 (2) EMRK gerechtfertigt.

Die Reg. bringt weiter vor, dass es sich bei der Geldbuße nicht um eine Strafe handle, sondern um Schadenersatz, da die Zahlung, deren Höhe von der Anzahl der Ausgaben abhängt, in denen das Urteil nicht umgesetzt wird, nicht an den Staat, sondern an die verletzte Person zu leisten sei. Da der Schaden des Kl. nicht mit dem erstinstanzlichen Urteil ende, sondern während des Rechtsmittelverfahrens weiter bestehe, müsse auch dieser Zeitraum für die Festlegung der Geldbuße berücksichtigt werden.

Die bf. Gesellschaft macht geltend, dass die Verhängung der Geldbuße nicht gesetzlich vorgesehen und für sie unvorhersehbar gewesen wäre. Es wäre mit diesem Erfordernis unvereinbar, wenn ein Medienunternehmen gezwungen würde, nach einer erstinstanzliche Entscheidung zu ihren Gunsten eine weitere Mitteilung zu veröffentlichen, nur um für den Fall der Aufhebung der Entscheidung im Rechtsmittelweg vorzusorgen.

Der GH stellt fest, dass der vorliegende Fall komplexe Sach- und Rechtsfragen aufwirft und daher nicht als offensichtlich unbegründet iSv. Art. 35 (3) EMRK zurückzuweisen ist. Die Bsw. wird für zulässig erklärt (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 14.11.2002, Bsw. 40284/98, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2002, 245) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt. Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/02_6/Krone.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise