JudikaturAUSL EGMR

Bsw45701/99 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
13. Dezember 2001

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Mitropolia Basarabiei Si Exarhatul Plaiurilor u.a. gegen Moldawien, Urteil vom 13.12.2001, Bsw. 45701/99.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 9 EMRK, Art. 11 EMRK, Art. 13 EMRK, Art. 14 EMRK - Verweigerte Anerkennung einer Religionsgemeinschaft. Verletzung von Art. 9 EMRK (einstimmig).

Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 9 EMRK, Art. 6 EMRK und Art. 11 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: EUR 20.000,- für immateriellen Schaden; EUR 7.025,- für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die ErstBf. ist eine christlich-orthodoxe Kirche. Die anderen Bf. sind kirchliche Würdenträger. Die bf. natürlichen Personen gründeten am 14.9.1992 die ErstBf. Im Dezember 1992 wurde diese vom Patriarchat Bukarest als in seinem Zuständigkeitsbereich befindliche Kirche anerkannt. Die Bf. folgte nach kanonischem Recht damit der Metropolitanischen Kirche Bessarabiens, die bis 1940 existiert hatte. Bis zum heutigen Tag zählt die ErstBf. 117 Gemeinden in Moldawien, sowie drei in der Ukraine, zwei in Russland sowie je eine in Estland, Lettland und Litauen. Die Gemeinden in den letzten beiden Staaten sind dort behördlich anerkannt und als juristische Personen tätig. Ungefähr eine Million Einwohner Moldawiens bekennen sich zur ErstBf., die seit 1995 den Rang eines Exarchats innehat, und von allen orthodoxen Patriarchaten mit Ausnahme Moskaus anerkannt wird. Gemäß dem Gesetz Nr. 14 über die Religionsausübung vom 24.3.1992 beantragte die ErstBf. am 8.10.1992, als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Dieser Antrag blieb unbeantwortet. Neuerliche Anträge vom 25.1. bzw. 8.2.1995 wurden vom staatlichen Büro für Kultusfragen zurückgewiesen. Daraufhin beantragte der ZweitBf. am 8.8.1995 bei Gericht die Aufhebung dieser Entscheidung. Nach mehreren Verfahren entschied schließlich am 9.12.1997 der Oberste Gerichtshof, dass die Frage der Anerkennung der ErstBf. nur von der Metropolitanischen Kirche Moldawiens zu lösen sei, da diese staatlich anerkannt sei und von der sich die ErstBf. abgespalten habe. Eine Einmischung des Staates in einen innerkirchlichen Konflikt würde die Sache nur verschlimmern.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 9 EMRK (hier: Recht auf Religionsfreiheit), Art. 6 (1) EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), Art. 11 EMRK (hier: Recht auf Vereinigungsfreiheit), Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz) und Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 9 EMRK:

Der GH erinnert daran, dass eine Kirche oder ein kirchliches Organ die durch Art. 9 EMRK garantierten Rechte für ihre Angehörigen wahrnehmen kann. Die verweigerte Anerkennung ist ein Eingriff in diese Rechte, der gesetzlich vorgesehen war und ein legitimes Ziel verfolgte, nämlich den Schutz der Ordnung und der öffentlichen Sicherheit.

Zieht man in Betracht, dass die Bf. keine neue Bewegung war und dass ihre Anerkennung vom Willen einer bereits anerkannten kirchlichen Autorität, der Metropolitanischen Kirche Moldawiens, abhängig gemacht wurde, so muss festgehalten werden, dass die Reg. ihrer Verpflichtung zur Neutralität und Unparteilichkeit nicht nachgekommen ist. Auch unter Berücksichtigung der von der Reg. behaupteten Toleranz gegenüber der bf. Kirche und ihren Mitgliedern kann der GH dies nicht als einen Ersatz für eine Anerkennung akzeptieren, da nur letztere den Bf. tatsächliche Rechte einräumt.

Darüber hinaus wird festgestellt, dass bei einigen Gelegenheiten die Bf. nicht in der Lage waren, sich gegen Einschüchterungen zu wehren, da die Behörden meinten, dass nur rechtmäßige Aktivitäten den Schutz des Gesetzes genießen. Schließlich wird festgehalten, dass die innerstaatlichen Behörden bei der Anerkennung anderer religiöser Gemeinschaften nicht die selben Kriterien angewandt hatten, die für die verweigerte Anerkennung der ErstBf. ins Treffen geführt wurden. Die Reg. konnte keine Rechtfertigung für diese unterschiedliche Behandlung anführen. Die Verweigerung der Anerkennung der bf. Kirche hatte daher Auswirkungen auf das Recht auf Religionsfreiheit der Bf., die nicht mehr als verhältnismäßig zum verfolgten legitimen Ziel angesehen werden können. Sie war daher in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Verletzung von Art. 9 EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK:

In seinem Urteil vom 9.12.1997 stellte der Oberste Gerichtshof fest, dass die verweigerte Anerkennung der ErstBf. weder unrechtmäßig sei noch eine Verletzung von Art. 9 EMRK darstelle. Mit diesem Urteil wurde jedoch nicht auf die eigentlichen Beschwerdepunkte der Bf. eingegangen, nämlich dem Wunsch nach gemeinsamer Religionsausübung in einer anderen Glaubensgemeinschaft als der Metropolitanischen Kirche Moldawiens und dem Recht auf Zugang zu einem Gericht zur Verteidigung ihrer Rechte und zum Schutz ihres Vermögens, da nur anerkannte Religionsgemeinschaften rechtlichen Schutz genießen. Da die ErstBf. nicht anerkannt war, konnte sie auch vor dem Obersten Gerichtshof keine Rechte geltend machen. Seine Anrufung stellte daher keinen wirksamen Rechtsbehelf dar. Die innerstaatliche Rechtslage bestimmt zwar, dass die Religionsgemeinschaften anerkannt zu sein haben, sieht jedoch keine Regelungen über das Verfahren und Rechtsmittel vor. Den Bf. stand daher keine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz zur Verfügung. Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig). Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 9 EMRK, Art. 6 EMRK und Art. 11 EMRK (einstimmig).

Anm.: Vgl. die vom GH zitierte Judikatur:

Katholische Kirche Chania/GR v. 16.12.1997 (= NL 1998, 19 = ÖJZ 1998, 750).

Sidiropoulos ua./GR v. 10.7.1998 (= NL 1998, 133 = ÖJZ 1999, 477).

Cha'are Shalom Ve Tsedek/F v. 27.6.2000 (= NL 2000, 136 = ÖJZ 2001,

774).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 13.12.2001, Bsw. 45701/99, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2001, 250) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/01_6/Mitropolia.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise