Bsw40016/98 – AUSL EGMR Entscheidung
Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Siegmund Karner gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 11.9.2001, Bsw. 40016/98.
Spruch
§ 14 Abs. 3 MRG, Art. 8 EMRK, Art. 14 EMRK - Zur Frage des Eintrittsrechts nach § 14 Abs. 3 MRG für homosexuelle Lebenspartner. Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Herr W. war seit 1988 Mieter einer Wohnung in Wien. Im Jahr 1989 zog der Bf. zu ihm in diese Wohnung und führte mit ihm eine homosexuelle Lebensgemeinschaft. Der Bf. und Herr W. teilten die Kosten der Lebens- und Haushaltsführung je etwa zu Hälfte, auch die Hausarbeit wurde aufgeteilt. Im Jahr 1994 verstarb Herr W.
Im Jahr 1995 machte der Vermieter in seiner gegen den Bf. gerichteten Aufkündigung das Fehlen eines Eintrittsrechtes geltend. Voraussetzung des gesetzlichen Eintrittsrechts eines Lebensgefährten sei der Bestand einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen Personen verschiedenen Geschlechts. Am 9.1.1996 hob das BG Favoriten die Kündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab: Der Begriff „Lebensgefährte" in § 14 (3) MRG sei ausdehnend zu interpretieren. Es hätten sich sowohl die Gegebenheiten als auch die Absichten des Gesetzgebers in Richtung auf die Schaffung einer liberalen und toleranten Gesellschaft geändert, so dass eine objektiv-teleologische Interpretation angebracht sei.
Das LG für Zivilrechtssachen gab am 30.4.1996 der Berufung des Vermieters nicht Folge: Sinn und Zweck des § 14 (3) MRG sei es, gerade Personen, die eine Legalisierung ihrer persönlichen Beziehung durch eine Ehe nicht angestrebt haben oder wegen des Mangels an den gesetzlichen Voraussetzungen nicht anstreben konnten, vor einer plötzlichen Obdachlosigkeit infolge des Todes ihres Lebenspartners zu schützen. Es erscheine nicht gerechtfertigt, durch extensive Auslegung des Gesetzestextes eine Schlechterstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern gegenüber verschiedengeschlechtlichen zu schaffen. Am 5.12.1996 wurde der Revision des Vermieters durch den OGH Folge gegeben und die gerichtliche Aufkündigung für rechtswirksam erklärt: Der historische Gesetzgeber habe bei der Schaffung des § 14 (3) MRG unzweifelhaft nur heterosexuelle Lebensgemeinschaften im Auge gehabt.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) iVm. Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot).
Die Reg. räumt eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Geschlechts ein, da der Bf. eintrittsberechtigt gewesen wäre, wenn er oder sein Partner weiblich gewesen wäre. Die unterschiedliche Behandlung ist jedoch durch den Schutz der Familie in ihrem traditionellen Sinne objektiv und sachlich rechtfertigbar. Der Bf. bestreitet diese Sichtweise: Ziel des § 14 (3) MRG sei der soziale und finanzielle Schutz vor Obdachlosigkeit des überlebenden Partners, keinesfalls werden damit familien- oder gesellschaftspolitische Ziele verfolgt. Eine Ungleichbehandlung könne daher nicht gerechtfertigt werden.
Der GH stellt fest, dass dieser Beschwerdepunkt komplexe Sach- und Rechtsfragen im Hinblick auf Art. 14 EMRK iVm. Art. 8 EMRK aufwirft und daher nicht als offensichtlich unbegründet iSv. Art. 35 (3) EMRK angesehen werden kann. Die Bsw. wird für zulässig erklärt (einstimmig).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 11.9.2001, Bsw. 40016/98, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2001, 188) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt. Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/01_5/Karner.pdf
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.