Bsw34308/96 – AUSL EGMR Entscheidung
Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Ibrahim Yildirim gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 19.10.1999, Bsw. 34308/96.
Spruch
Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 8 EMRK - Kein Anspruch auf Einbringung einer Ehebestreitungsklage durch den Staatsanwalt.
Unzulässigkeit der Beschwerde (mehrheitlich).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Im Juli 1989 ehelichte der Bf., ein türk. Staatsangehöriger, eine österr. Staatsangehörige vor den zuständigen Behörden in der Türkei. Zu diesem Zeitpunkt war die Frau bereits schwanger, nicht jedoch vom Bf., was dieser auch wußte. Das Paar zog in der Folge nach Österreich, trennte sich im September 1989, ließ sich jedoch nicht scheiden.
Am 25.1.1990 gebar die Frau eine Tochter. Gemäß § 138 ABGB wurde daher die Ehelichkeit des Kindes vermutet. Am 4.11.1991 ersuchte der Bf. die Staatsanwaltschaft (StA) Wels, gemäß § 158 ABGB die Ehelichkeit seiner Tochter zu bestreiten. Dem Bf. wurde mitgeteilt, dass sich die StA nicht veranlasst sehe, eine Ehebestreitungsklage einzubringen.
In der Folge wandte sich der Bf. an die Oberstaatsanwaltschaft (OStA). Diese teilte ihm mit, dass kein Anlass bestehe, der StA eine Weisung in dem erwünschten Sinn zu erteilen, da die Voraussetzungen des § 158 ABGB nicht vorlägen.
In der Folge wandte sich der Bf. an das BMfJ mit dem Ersuchen, die Vorgangsweise der StA Wels bzw. der OStA Linz zu überprüfen. Dem Bf. wurde mitgeteilt, dass die Erteilung einer Weisung nicht in Aussicht genommen werde. Die Klage sei weder im öffentlichen Interesse, noch im Interesse des Kindes geboten. Auch stehe dem Bf. kein Anspruch auf Tätigwerden des Staatsanwalts auf Grundlage des § 158 ABGB zu. Eine Bsw. an den VfGH wurde an den VwGH abgetreten. Dieser wies die Bsw. zurück.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (hier: Recht auf Zugang zu einem Gericht) und von Art. 8 EMRK (Recht auf Privat- und Familienleben).
Zur Anwendbarkeit von Art. 6 (1) EMRK:
Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 6 (1) EMRK ist, dass ein aus der innerstaatlichen Rechtsordnung abzuleitender Anspruch bzw. abzuleitendes Recht in Frage steht.
Hat der Mann die Ehelichkeit eines Kindes nicht innerhalb eines Jahres seit der Geburt bestritten, so kann gemäß § 158 ABGB der Staatsanwalt die Ehelichkeit des Kindes bestreiten, wenn er dies im öffentlichen Interesse oder im Interesse des Kindes oder seiner Nachkommenschaft für geboten erachtet. Diese Bestimmung enthält eine klare zeitliche Begrenzung für die Klage des Mannes und gibt ihm auch keinen Rechtsanspruch auf Tätigwerden des Staatsanwalts. Der Bf. behauptet daher ein Recht, das aus der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht abzuleiten ist. Art. 6 (1) EMRK ist daher nicht anwendbar.
Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK:
Der Bf. behauptet, eine gesetzliche Vermutung seiner Vaterschaft könne nicht im öffentlichen Interesse liegen, nachdem seine geschiedene Frau angegeben hatte, dass er nicht der Vater sei. Für die Anwendbarkeit dieser gesetzlichen Vermutung gibt es jedoch für die Staaten legitime Gründe, wie die der Rechtssicherheit und der Sicherheit familiärer Beziehungen. Im vorliegenden Fall wurde von den innerstaatlichen Behörden und Gerichten eine faire Abwägung zwischen den einzelnen Interessen vorgenommen. Nachdem die einjährige Frist für die Einbringung einer Ehebestreitungsklage abgelaufen war, wurden die Interessen des Kindes höher bewertet, als das Interesse des Bf. am Nachweis, dass er nicht der Vater des Kindes sei. Die Achtung des Privatlebens des Bf. wurde demnach ausreichend berücksichtigt. Die Bsw. wird gemäß §§ 35 (3) und (4) EMRK zurückgewiesen (mehrheitlich).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung der EGMR vom 19.10.1999, Bsw. 34308/96, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1999, 184) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt. Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/99_6/Yildirim.pdf
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.