JudikaturAUSL EGMR

Bsw18748/91 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
26. September 1996

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer, Beschwerdesache Manoussakis gegen Griechenland, Urteil vom 26.9.1996, Bsw. 18748/91.

Spruch

Art. 9 EMRK - Verurteilung einer Religionsgemeinschaft und Recht auf Religionsfreiheit.

Verletzung von Art. 9 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die Bf. sind Angehörige der "Zeugen Jehovas". 1983 suchte der ErstBf. beim zuständigen Minister um eine Genehmigung für die Benutzung einer gemieteten Halle als Gebets- und Versammlungsraum an. Das Ministerium teilte ihm daraufhin mit, daß sein Antrag geprüft werde. 1986 leitete die Staatsanwaltschaft gegen die Bf. ein Strafverfahren ein. Es wurde ihnen vorgeworfen, einen Raum für ihre religiösen Andachten zu benutzen, ohne dafür die gesetzlich vorgeschriebene Genehmigung des Bischofs und des zuständigen Ministers eingeholt zu haben. 1987 wurden die Bf. freigesprochen. Dagegen legte der Staatsanwalt ein Rechtsmittel ein. Das Verfahren endete mit der Verurteilung der Bf. Ein dagegen erhobenes Rechtsmittel blieb erfolglos.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten in ihrem Recht auf Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK) verletzt worden zu sein.

Die Reg. wendet ein, die Bf. hätten den innerstaatlichen Instanzenzug nicht erschöpft: Sie hätten es zweimal unterlassen, eine Bsw. wegen Amtsmissbrauchs gegen die stillschweigende Ablehnung ihres Antrags durch den zuständigen Minister beim Höchstgericht einzubringen.

Der GH stellt fest, die Bf. haben den Instanzenzug in Bezug auf ihre strafrechtliche Verurteilung ausgeschöpft. Der Minister hat den Bf. mehrere Male schriftlich die Prüfung ihres Antrags zugesichert. Das Verhalten des Ministers kann daher nicht als stillschweigende Ablehnung ihres Antrags gewertet werden. Der Einwand der Reg. ist zurückzuweisen (einstimmig).

Unbestritten ist, dass die Verurteilung der Bf. einen Eingriff in ihr Recht auf Freiheit der Religionsausübung darstellt. Dieser verfolgte ein legitimes Ziel, nämlich den Schutz der öffentlichen Ruhe und Ordnung. Zu prüfen ist, ob der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war: Die griech. Rechtsordnung erlaubt weitreichende Eingriffe in die Religionsausübung durch staatliche und kirchliche Behörden. Für den Minister bestand somit die Möglichkeit, seine Entscheidung über den Antrag auf unbestimmte Zeit zu verschieben oder ihn sogar abzulehnen, ohne dafür eine Erklärung oder eine Begründung abgeben zu müssen. Insb. ist die Tendenz erkennbar, dass Kirchen- und Verwaltungsbehörden im Rahmen ihrer gesetzlich eingeräumten Möglichkeiten Aktivitäten von Religionsgemeinschaften, die nicht der orthodoxen Kirche angehören, einschränken. Im Strafverfahren beriefen sich sowohl der Staatsanwalt als auch das verurteilende Gericht auf das Fehlen der Genehmigung des Bischofs und des zuständigen Ministers. Über den Antrag der Bf. ist noch immer nicht entschieden worden. Die Reg. kann die Verurteilung der Bf. nicht damit rechtfertigen, dass diese es unterlassen hätten, die erforderliche Genehmigung einzuholen. Die Verurteilung der Bf. war daher weder angemessen noch in einer demokratischen Gesellschaft notwendig. Verletzung von Art. 9 EMRK (einstimmig).

Anm: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 25.5.1995 eine Verletzung von Art. 9 EMRK festgestellt (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 26.9.1996, Bsw. 18748/91, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1996,138) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/96_5/Manoussakis.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rückverweise