(1) Befindet sich eine Person im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und soll diese Person als Zeuge oder Sachverständiger von den Justizbehörden eines anderen Mitgliedstaats vernommen werden, so kann letzterer, sofern ein persönliches Erscheinen der zu vernehmenden Person in seinem Hoheitsgebiet nicht zweckmäßig oder möglich ist, darum ersuchen, daß die Vernehmung per Videokonferenz nach Maßgabe der Absätze 2 bis 8 erfolgt.
(2) Der ersuchte Mitgliedstaat bewilligt die Vernehmung per Videokonferenz, wenn der Rückgriff auf Videokonferenzen den Grundprinzipien seiner Rechtsordnung nicht zuwiderläuft und er über die technischen Vorrichtungen für eine derartige Vernehmung verfügt. Verfügt der ersuchte Mitgliedstaat nicht über die technischen Vorrichtungen für eine Videokonferenz, so können ihm diese von dem ersuchenden Mitgliedstaat in gegenseitigem Einvernehmen zur Verfügung gestellt werden.
(3) Ersuchen um Vernehmung per Videokonferenz enthalten außer den in Artikel 14 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens und Artikel 37 des Benelux-Übereinkommens genannten Angaben die Begründung dafür, daß ein persönliches Erscheinen des Zeugen oder Sachverständigen nicht zweckmäßig oder möglich ist, sowie ferner die Bezeichnung der Justizbehörde und die Namen der Personen, die die Vernehmung durchführen werden.
(4) Die Justizbehörde des ersuchten Mitgliedstaats lädt die betreffende Person in der in ihrem innerstaatlichen Recht vorgeschriebenen Form vor.
(5) Für die Vernehmung per Videokonferenz gelten folgende Regeln:
a) Bei der Vernehmung ist ein Vertreter der Justizbehörde des ersuchten Mitgliedstaats, bei Bedarf unterstützt von einem Dolmetscher, anwesend, der auch die Identität der zu vernehmenden Person feststellt und auf die Einhaltung der Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Mitgliedstaats achtet. Werden nach Ansicht des Vertreters der Justizbehörde des ersuchten Mitgliedstaats bei der Vernehmung die Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Mitgliedstaats verletzt, so trifft er sofort die Maßnahmen, die erforderlich sind, damit bei der weiteren Vernehmung diese Prinzipien beachtet werden.
b) Zwischen den zuständigen Behörden des ersuchenden und des ersuchten Mitgliedstaats werden gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz der zu vernehmenden Person vereinbart.
c) Die Vernehmung wird unmittelbar von oder unter Leitung der Justizbehörde des ersuchenden Mitgliedstaats nach dessen innerstaatlichen Rechtsvorschriften durchgeführt.
d) Auf Wunsch des ersuchenden Mitgliedstaats oder der zu vernehmenden Person trägt der ersuchte Mitgliedstaat dafür Sorge, daß die zu vernehmende Person bei Bedarf von einem Dolmetscher unterstützt wird.
e) Die zu vernehmende Person kann sich auf das Aussageverweigerungsrecht berufen, das ihr nach dem Recht des ersuchten oder des ersuchenden Mitgliedstaats zusteht.
(6) Unbeschadet etwaiger zum Schutz von Personen vereinbarter Maßnahmen erstellt die Justizbehörde des ersuchten Mitgliedstaats nach der Vernehmung ein Protokoll, das Angaben zum Termin und zum Ort der Vernehmung, zur Identität der vernommenen Person, zur Identität und zur Funktion aller anderen im ersuchten Mitgliedstaat an der Vernehmung teilnehmenden Personen, zu einer etwaigen Vereidigung und zu den technischen Bedingungen, unter denen die Vernehmung stattfand, enthält. Dieses Dokument wird der zuständigen Behörde des ersuchenden Mitgliedstaats von der zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats übermittelt.
(7) Die Kosten für die Herstellung der Videoverbindung, die Kosten für den Betrieb der Videoverbindung im ersuchten Mitgliedstaat, die Vergütung der von diesem bereitgestellten Dolmetscher und die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen sowie deren Aufwendungen für die Reise in dem ersuchten Mitgliedstaat werden dem ersuchten Mitgliedstaat vom ersuchenden Mitgliedstaat erstattet, sofern ersterer nicht auf die Erstattung aller oder eines Teils dieser Kosten verzichtet.
(8) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß in Fällen, in denen Zeugen oder Sachverständige gemäß diesem Artikel in seinem Hoheitsgebiet vernommen werden und trotz Aussagepflicht die Aussage verweigern oder falsch aussagen, sein innerstaatlichen Recht genauso gilt, als ob die Vernehmung in einem innerstaatlichen Verfahren erfolgen würde.
(9) Die Mitgliedstaaten können nach freiem Ermessen in Fällen, in denen dies zweckdienlich erscheint, und mit Zustimmung ihrer zuständigen Justizbehörden die Bestimmungen dieses Artikels auch auf die Vernehmung eines Beschuldigten per Videokonferenz anwenden. In diesem Fall ist die Entscheidung, ob und in welcher Form eine Vernehmung per Videokonferenz stattfinden soll, Gegenstand einer Vereinbarung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, die diese Entscheidung im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht und den einschlägigen internationalen Übereinkünften, einschließlich der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950, treffen.
Jeder Mitgliedstaat kann bei der Notifizierung nach Artikel 27 Absatz 2 erklären, daß er Unterabsatz I nicht anwendet. Eine derartige Erklärung kann jederzeit zurückgenommen werden.
Die Vernehmung darf nur mit Zustimmung des Beschuldigten durchgeführt werden. Die gegebenenfalls erforderlichen Regeln zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten werden vom Rat in Form eines rechtsverbindlichen Instruments erlassen.
Keine Verweise gefunden
Rückverweise