BundesrechtInternationale VerträgeDurchführung der Alpenkonvention von 1991 – Protokoll „Bergwald“ (P4)

Durchführung der Alpenkonvention von 1991 – Protokoll „Bergwald“ (P4)

In Kraft seit 18. Dezember 2002
Up-to-date

Kapitel I

Allgemeine Bestimmungen

Artikel 1

Art. 1 Ziel

(1) Ziel dieses Protokolls ist es, den Bergwald als naturnahen Lebensraum zu erhalten, erforderlichenfalls zu entwickeln oder zu vermehren und seine Stabilität zu verbessern. Als Voraussetzung für die Erfüllung der in der Präambel angeführten Funktionen ist eine pflegliche, naturnahe und nachhaltig betriebene Bergwaldwirtschaft erforderlich.

(2) Insbesondere verpflichten sich die Vertragsparteien, dafür Sorge zu tragen, dass vor allem

natürliche Waldverjüngungsverfahren angewendet werden,

ein gut strukturierter, stufiger Bestandesaufbau mit standortgerechten Baumarten angestrebt wird,

autochthones forstliches Vermehrungsgut eingesetzt wird und

Bodenerosionen und -verdichtungen durch schonende Nutzungs- und Bringungsverfahren vermieden werden.

Artikel 2

Art. 2 Berücksichtigung der Ziele in den anderen Politiken

Die Vertragsparteien verpflichten sich, die Ziele dieses Protokolls auch in ihren anderen Politiken zu berücksichtigen. Dies gilt vor allem für folgende Bereiche:

a) Luftschadstoffbelastungen – Luftschadstoffbelastungen werden schrittweise auf jenes Maß reduziert, welches für die Waldökosysteme nicht schädlich ist. Dies gilt auch für Belastungen durch grenzüberschreitende Luftschadstoffe.

b) Schalenwildbestand – Schalenwildbestände werden auf jenes Maß begrenzt, welches eine natürliche Verjüngung standortgerechter Bergwälder ohne besondere Schutzmaßnahmen ermöglicht. Für grenznahe Gebiete verpflichten sich die Vertragsparteien, ihre Maßnahmen zur Regulierung der Wildbestände aufeinander abzustimmen. Zur Wiederherstellung eines natürlichen Selektionsdrucks auf die Schalenwildarten sowie im Interesse des Naturschutzes befürworten die Vertragsparteien eine mit den Gesamtbedürfnissen der Region abgestimmte Wiedereinbürgerung von Beutegreifern.

c) Waldweide – Die Erhaltung eines funktionsfähigen Bergwalds hat Vorrang vor der Waldweide. Die Waldweide wird daher soweit eingeschränkt oder erforderlichenfalls gänzlich abgelöst, dass die Verjüngung standortgerechter Wälder möglich ist, Bodenschäden vermieden werden und vor allem die Schutzfunktion des Waldes erhalten bleibt.

d) Erholungsnutzung – Die Inanspruchnahme des Bergwalds für Erholungszwecke wird soweit gelenkt und notfalls eingeschränkt, dass die Erhaltung und Verjüngung von Bergwäldern nicht gefährdet werden. Dabei sind die Bedürfnisse der Waldökosysteme zu berücksichtigen.

e) Waldwirtschaftliche Nutzung – Im Hinblick auf die Bedeutung einer nachhaltig ausgeübten Holznutzung für die Volkswirtschaft und die Waldpflege fördern die Vertragsparteien den verstärkten Einsatz von Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern.

f) Waldbrandgefahr – Die Vertragsparteien tragen der Waldbrandgefahr durch angemessene Vorsorgemaßnahmen und wirksame Brandbekämpfung Rechnung.

g) Fachpersonal – Da ein naturnaher und auf die Erfüllung aller Waldfunktionen ausgerichteter Waldbau ohne entsprechendes qualifiziertes Personal nicht möglich ist, verpflichten sich die Vertragsparteien, für ausreichendes und fachkundiges Personal Sorge zu tragen.

Artikel 3

Art. 3 Beteiligung der Gebietskörperschaften

(1) Jede Vertragspartei bestimmt im Rahmen der geltenden staatlichen Ordnung die für die Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen den unmittelbar betroffenen Institutionen und Gebietskörperschaften am besten geeignete Ebene, um eine gemeinsame Verantwortung zu fördern, namentlich um sich gegenseitig verstärkende Kräfte beim Vollzug der Forstpolitiken sowie der sich daraus ergebenden Maßnahmen zu nutzen und zu entwickeln.

(2) Die unmittelbar betroffenen Gebietskörperschaften werden in den verschiedenen Stadien der Vorbereitung und Umsetzung dieser Politiken und Maßnahmen unter Wahrung ihrer Zuständigkeit im Rahmen der geltenden staatlichen Ordnung beteiligt.

Artikel 4

Art. 4 Internationale Zusammenarbeit

Die Vertragsparteien vereinbaren,

a) gemeinsame Bewertungen der forstpolitischen Entwicklung vorzunehmen sowie die gegenseitige Konsultation vor wichtigen Entscheidungen zur Durchführung dieses Protokolls zu gewährleisten,

b) durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit aller zuständigen Behörden, insbesondere der regionalen Verwaltungen und lokalen Gebietskörperschaften, die Verwirklichung der in diesem Protokoll bestimmten Ziele und Maßnahmen sicherzustellen,

c) durch die internationale Zusammenarbeit unter Forschungs- und Bildungsstätten, unter Forstwirtschafts- und Umweltorganisationen sowie zwischen den Medien sowohl den Kenntnis- und Erfahrungsaustausch als auch gemeinsame Initiativen zu fördern.

Kapitel II

Spezifische Maßnahmen

Artikel 5

Art. 5 Planungsgrundlagen

Zur Umsetzung der in diesem Protokoll genannten Ziele sorgen die Vertragsparteien für die Erstellung der notwendigen Planungsgrundlagen. Diese umfassen auch Erhebungen der Waldfunktionen unter besonderer Berücksichtigung der Schutzfunktionen sowie eine ausreichende Standortserkundung.

Artikel 6

Art. 6 Schutzfunktionen des Bergwalds

(1) Für Bergwälder, die in hohem Maß den eigenen Standort oder vor allem Siedlungen, Verkehrsinfrastrukturen, landwirtschaftliche Kulturflächen und ähnliches schützen, verpflichten sich die Vertragsparteien, dieser Schutzwirkung eine Vorrangstellung einzuräumen und deren forstliche Behandlung am Schutzziel zu orientieren. Diese Bergwälder sind an Ort und Stelle zu erhalten.

(2) Die notwendigen Maßnahmen sind im Rahmen von Schutzwaldpflegeprojekten beziehungsweise Schutzwaldverbesserungsprojekten fachkundig zu planen und durchzuführen. Die Zielsetzung des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind zu berücksichtigen.

Artikel 7

Art. 7 Nutzfunktion des Bergwalds

(1) In jenen Bergwäldern, in denen die Nutzfunktion überwiegt und die regionalwirtschaftlichen Verhältnisse es erfordern, wirken die Vertragsparteien darauf hin, dass sich die Bergwaldwirtschaft in ihrer Bedeutung als Arbeits- und Einkommensquelle der örtlichen Bevölkerung entfalten kann.

(2) Sie sorgen dafür, dass die Waldverjüngung mit standortgerechten Baumarten sowie die forstliche Nutzung pfleglich, boden- und bestandesschonend durchgeführt wird.

Artikel 8

Art. 8 Soziale und ökologische Funktionen des Bergwalds

Da der Bergwald wichtige soziale und ökologische Funktionen zu erfüllen hat, verpflichten sich die Vertragsparteien zu Maßnahmen, welche

seine Wirkungen auf Wasserressourcen, Klimaausgleich, Reinigung der Luft und Lärmschutz,

seine biologische Vielfalt sowie

Naturerlebnis und Erholung

sicherstellen.

Artikel 9

Art. 9 Walderschließung

Die Vertragsparteien stimmen überein, dass zum Schutz des Waldes vor Schäden sowie zur naturnahen Bewirtschaftung und Pflege Erschließungsmaßnahmen notwendig sind, die sorgfältig zu planen und auszuführen sind, wobei den Erfordernissen des Natur- und Landschaftsschutzes Rechnung zu tragen ist.

Artikel 10

Art. 10 Naturwaldreservate

(1) Die Vertragsparteien verpflichten sich, Naturwaldreservate in ausreichender Größe und Anzahl auszuweisen und diese zur Sicherung der natürlichen Dynamik und der Forschung entsprechend zu behandeln, mit der Absicht, jede Nutzung grundsätzlich einzustellen oder dem Ziel des Reservats gemäß anzupassen. Bei der Auswahl dieser Flächen ist darauf Bedacht zu nehmen, dass möglichst alle Bergwaldökosysteme repräsentiert sind. Die notwendige Schutzfunktion dieser Waldbestände ist jedenfalls sicherzustellen.

(2) Die Ausweisung von Naturwaldreservaten soll grundsätzlich im Sinne eines langfristig wirksamen Vertragsnaturschutzes erfolgen.

(3) Die Vertragsparteien sichern die notwendige Zusammenarbeit bei der Planung und Ausweisung grenzüberschreitender Naturwaldreservate.

Artikel 11

Art. 11 Förderung und Abgeltung

(1) Unter Berücksichtigung der erschwerten Wirtschaftsbedingungen im Alpenraum und unter Bedachtnahme auf die von der Bergwaldwirtschaft erbrachten Leistungen verpflichten sich die Vertragsparteien unter den gegebenen finanzpolitischen Rahmenbedingungen und solange dies zur Sicherung dieser Leistungen notwendig ist, zu einer ausreichenden forstlichen Förderung – insbesondere der in den Artikeln 6 bis 10 angeführten Maßnahmen.

(2) Werden von der Bergwaldwirtschaft Leistungen beansprucht, die über bestehende gesetzliche Verpflichtungen hinausgehen, und wird deren Notwendigkeit in Projekten begründet, dann hat der Waldeigentümer Anspruch auf eine angemessene und leistungsbezogene Abgeltung.

(3) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die notwendigen Instrumentarien zur Finanzierung von Förderungs- und Abgeltungsmaßnahmen zu schaffen. Bei der Finanzierung ist neben dem volkswirtschaftlichen Vorteil für die gesamte Bevölkerung auch der Vorteil einzelner zu berücksichtigen.

Artikel 12

Art. 12 Weitergehende Maßnahmen

Die Vertragsparteien können Maßnahmen zur Bergwaldwirtschaft treffen, welche über die in diesem Protokoll vorgesehenen Maßnahmen hinausgehen.

Kapitel III

Forschung, Bildung und Information

Artikel 13

Art. 13 Forschung und Beobachtung

(1) Die Vertragsparteien fördern und harmonisieren in enger Zusammenarbeit Forschungen und systematische Beobachtungen, die zur Erreichung der Ziele dieses Protokolls dienlich sind.

(2) Insbesondere fördern sie Forschungsvorhaben, die in Zusammenhang mit der Begründung, der Pflege und dem Schutz sowie den Leistungen des Ökosystems Bergwald stehen, sowie wissenschaftliche Projekte, die eine internationale Vergleichbarkeit einzelstaatlicher Inventuren und Erhebungen ermöglichen.

(3) Die Vertragsparteien sorgen dafür, dass die jeweiligen Ergebnisse nationaler Forschung und systematischer Beobachtung in ein gemeinsames System zur dauernden Beobachtung und Information einfließen und im Rahmen der geltenden staatlichen Ordnung öffentlich zugänglich gemacht werden.

(4) Insbesondere erstellen sie für die in diesem Protokoll bestimmten Ziele und Maßnahmen eine vergleichbare Bestandsaufnahme, die periodisch fortzuschreiben ist.

Artikel 14

Art. 14 Bildung und Information

(1) Die Vertragsparteien fördern die Aus- und Weiterbildung sowie die Information der Öffentlichkeit im Hinblick auf Ziele, Maßnahmen und Durchführung dieses Protokolls.

(2) Sie sorgen insbesondere für eine dem Protokollinhalt gerecht werdende Beratung und Weiterbildung der Waldeigentümer.

Kapitel IV

Durchführung, Kontrolle und Bewertung

Artikel 15

Art. 15 Durchführung

Die Vertragsparteien verpflichten sich, die Durchführung dieses Protokolls durch geeignete Maßnahmen im Rahmen der geltenden staatlichen Ordnung sicherzustellen.

Artikel 16

Art. 16 Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen

(1) Die Vertragsparteien erstatten dem Ständigen Ausschuss regelmäßig Bericht über die auf Grund dieses Protokolls getroffenen Maßnahmen. In den Berichten ist auch die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen darzulegen. Die Alpenkonferenz bestimmt die zeitliche Abfolge der Berichterstattung.

(2) Der Ständige Ausschuss prüft die Berichte daraufhin, ob die Vertragsparteien ihren Verpflichtungen aus diesem Protokoll nachgekommen sind. Er kann dabei auch zusätzliche Informationen von den Vertragsparteien anfordern oder Informationen aus anderen Quellen beiziehen.

(3) Der Ständige Ausschuss erstellt für die Alpenkonferenz einen Bericht über die Einhaltung der Verpflichtungen aus diesem Protokoll durch die Vertragsparteien.

(4) Die Alpenkonferenz nimmt diesen Bericht zur Kenntnis. Falls sie eine Verletzung der Verpflichtungen feststellt, kann sie Empfehlungen verabschieden.

Artikel 17

Art. 17 Bewertung der Wirksamkeit der Bestimmungen

(1) Die Vertragsparteien überprüfen und beurteilen regelmäßig die in diesem Protokoll enthaltenen Bestimmungen auf ihre Wirksamkeit. Soweit zur Erreichung der Ziele dieses Protokolls erforderlich, werden sie geeignete Änderungen des Protokolls in die Wege leiten.

(2) Im Rahmen der geltenden staatlichen Ordnung werden die Gebietskörperschaften an dieser Bewertung beteiligt. Die einschlägig tätigen nichtstaatlichen Organisationen können angehört werden.

Kapitel V

Schlussbestimmungen

Artikel 18

Art. 18 Verhältnis zwischen der Alpenkonvention und dem Protokoll

(1) Dieses Protokoll ist ein Protokoll der Alpenkonvention im Sinne des Artikels 2 und der anderen einschlägigen Artikel der Alpenkonvention.

(2) Nur Vertragsparteien der Alpenkonvention können Vertragspartei dieses Protokolls werden. Eine Kündigung der Alpenkonvention gilt zugleich als Kündigung dieses Protokolls.

(3) Entscheidet die Alpenkonferenz über Fragen in Bezug auf dieses Protokoll, so sind lediglich die Vertragsparteien dieses Protokolls abstimmungsberechtigt.

Artikel 19

Art. 19 Unterzeichnung und Ratifikation

(1) Dieses Protokoll liegt für die Unterzeichnerstaaten der Alpenkonvention und die Europäische Gemeinschaft am 27. Februar 1996 sowie ab dem 29. Februar 1996 bei der Republik Österreich als Verwahrer zur Unterzeichnung auf.

(2) Dieses Protokoll tritt für die Vertragsparteien, die ihre Zustimmung ausgedrückt haben, durch das Protokoll gebunden zu sein, drei Monate nach dem Tag in Kraft, an dem drei Staaten ihre Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde hinterlegt haben.

(3) Für die Vertragsparteien, die später ihre Zustimmung ausdrücken, durch dieses Protokoll gebunden zu sein, tritt das Protokoll drei Monate nach dem Tag der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde in Kraft. Nach dem Inkrafttreten einer Änderung des Protokolls wird jede neue Vertragspartei dieses Protokolls Vertragspartei des Protokolls in der geänderten Fassung.

Artikel 20

Art. 20 Notifikationen

Der Verwahrer notifiziert jedem in der Präambel genannten Staat und der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf dieses Protokoll

a) jede Unterzeichnung,

b) jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde,

c) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens,

d) jede von einer Vertrags- oder Unterzeichnerpartei abgegebene Erklärung,

e) jede von einer Vertragspartei notifizierte Kündigung, einschließlich des Zeitpunkts ihres Wirksamwerdens.

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.

Geschehen zu Brdo am 27. Februar 1996 in deutscher, französischer, italienischer und slowenischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Staatsarchiv der Republik Österreich hinterlegt wird. Der Verwahrer übermittelt den Unterzeichnerparteien beglaubigte Abschriften.