Vorwort
Artikel 1
Art. 1
Die Hohen Vertragschließenden Parteien verpflichten sich, unter den in diesem Vertrag angegebenen Umständen und Bedingungen einander jene Personen auszuliefern, die einer der im Artikel 3 bezeichneten und im Gebiet der einen Partei oder auf Hoher See an Bord eines im Gebiet dieser Partei eingetragenen Schiffes begangenen strafbaren Handlung beschuldigt werden oder schuldig befunden worden sind und im Gebiet der anderen Partei betroffen werden.
Artikel 2
Art. 2
(1) Die Gebiete, auf welche dieser Vertrag anzuwenden ist, sind einerseits
a) das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland (hier in der Folge als „das Vereinigte Königreich“ bezeichnet), die Kanalinseln und die Insel Man;
b) jedes andere Gebiet, für dessen zwischenstaatliche Beziehungen die Regierung Ihrer Britannischen Majestät im Vereinigten Königreich verantwortlich ist und auf welches die Anwendung dieses Vertrages im Einvernehmen der Hohen Vertragschließenden Parteien durch Notenwechel ausgedehnt wird;
und andererseits
die Republik Österreich.
(2) Abänderungen des gebietsmäßigen Anwendungsbereiches dieses Vertrages können im gegenseitigen Einvernehmen der Hohen Vertragschließenden Parteien durch Notenwechsel erfolgen.
Artikel 3
Art. 3
(1) Auslieferung wird wegen der folgenden strafbaren Handlungen gewährt, sofern die strafbare Handlung nach dem Recht beider Parteien eine auslieferungsfähige strafbare Handlung darstellt:
1. Mord; Mordversuch; Verabredung und Verbindung zum Mord.
2. Totschlag.
3. Anwendung von Drogen oder Werkzeugen zur Bewirkung einer Abtreibung.
4. Vorsätzliche schwere Körperverletzung.
5. Feindselige Handlungen mit dem Erfolg einer Körperverletzung.
6. Notzucht.
7. Vollendeter oder versuchter widerrechtlicher Beischlaf mit einem Mädchen unter sechzehn Jahren.
8. Unzucht mit Personen des gleichen oder des anderen Geschlechtes unter Androhung oder Anwendung von Gewalt; Schändung.
9. Kuppelei.
10. Zweifache Ehe.
11. Menschenraub; Entführung; unbefugte Einschränkung der persönlichen Freiheit.
12. Entführung, Weglegung, Aussetzung oder widerrechtliche Zurückhaltung eines Kindes.
13. Bestechung.
14. Meineid; Verleitung zum Meineid.
15. Brandlegung.
16. a) Nachmachung oder Verfälschung von Geld; Inverkehrbringen von nachgemachtem oder verfälschtem Geld;
b) wissentliche Herstellung oder wissentlicher Besitz von Werkzeugen, Geräten oder Maschinen, die zur Nachmachung von Geld hergerichtet und bestimmt sind, ohne rechtliche Befugnis;
c) Versuch einer der in a) oder b) angeführten strafbaren Handlungen.
17. Urkundenfälschung; Weitergabe von nachgemachten oder verfälschten Urkunden.
18. Betrug durch Vorspiegelung falscher Tatsachen.
19. Untreue.
20. Einbruchsdiebstahl, Diebstahl; Veruntreuung; Raub.
21. Hehlerei.
22. Erpressung.
23. Betrügerische Krida.
24. Boshafte Beschädigung fremden Eigentums.
25. Vorsätzliche Gefährdung von Personen im Eisenbahnverkehr.
26. Strafbare Handlungen im Zusammenhang mit dem Suchtgifthandel; Versuch.
27. Piraterie.
28. Vorsätzliche Versenkung oder Zerstörung eines Schiffes auf See; Versuch; Verabredung hiezu.
29. Angriff an Bord eines Schiffes auf Hoher See in der Absicht der Tötung oder schweren Körperverletzung.
30. Auflehnung von zwei oder mehr Personen an Bord eines Schiffes auf Hoher See gegen die Befehlsgewalt des Schiffsführers; Verabredung hiezu.
31. Sklavenhandel.
(2) Auslieferung wird auch wegen Beteiligung an einer der vorerwähnten strafbaren Handlungen gewährt, sofern sie nach dem Recht beider Parteien strafbar ist.
(3) Auslieferung wird auch wegen anderer strafbarer Handlungen gewährt, derentwegen sie nach dem Recht beider Parteien gewährt werden kann. Dies gilt nicht für rein miltärische strafbare Handlungen.
(4) Eine einer strafbaren Handlung schuldig befundene Person darf derentwegen nur ausgeliefert werden, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe oder anderen Form der Freiheitsentziehung oder, vorbehaltlich der Bestimmungen des Absatzes 6, zur Todesstrafe verurteilt worden ist.
(5) Ein in Abwesenheit ergangener Schuldspruch gilt nicht als Schuldspruch, aber eine in dieser Weise verurteilte Person kann als beschuldigte Person behandelt werden.
(6) Wenn die auszuliefernde Person nach dem Recht der ersuchenden Partei wegen der strafbaren Handlung, auf die sich das Auslieferungsersuchen gründet, der Todesstrafe unterworfen ist, aber das Recht der ersuchten Partei in einem gleichartigen Fall die Todesstrafe nicht vorsieht, kann die Auslieferung abgelehnt werden.
Artikel 4
Art. 4
Die österreichische Bundesregierung ist nicht verpflichtet, einen Staatsbürger der Republik Österreich auszuliefern. Die Regierung Ihrer Britannischen Majestät im Vereinigten Königreich ist nicht verpflichtet, einen britischen Untertan, eine Person unter britischem Schutz oder einen Bürger der Irischen Republik auszuliefern.
Artikel 5
Art. 5
Auslieferung wird nicht gewährt, wenn wegen der strafbaren Handlung, derentwegen darum ersucht wird, im Gebiet der ersuchten Partei gegen die auszuliefernde Person ein Verfahren anhängig ist oder diese Person bereits freigesprochen, auf andere Weise außer Verfolgung gesetzt worden oder schuldig befunden worden ist.
Artikel 6
Art. 6
Auslieferung wird nicht gewährt, wenn nach dem Recht der ersuchenden oder der ersuchten Partei wegen der strafbaren Handlung, derentwegen um Auslieferung ersucht wird, die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung verjährt ist.
Artikel 7
Art. 7
Nicht ausgeliefert wird, wenn
a) die strafbare Handlung, derentwegen um Auslieferung einer Person ersucht wird, von der ersuchten Partei als eine strafbare Handlung politischen Charakters angesehen wird, oder
b) die auszuliefernde Person der ersuchten Partei glaubhaft macht, daß das Auslieferungsersuchen in Wirklichkeit mit der Absicht gestellt worden ist, sie wegen einer strafbaren Handlung politischen Charakters zu verfolgen oder zu bestrafen.
Artikel 8
Art. 8
(1) Eine ausgelieferte Person darf vor ihrer Rückkehr in das Gebiet der ersuchten Partei oder vor Ablauf von dreißig Tagen, nachdem sie Gelegenheit hatte, dorthin zurückzukehren, wegen einer anderen als der durch den Sachverhalt, dessentwegen ihre Auslieferung bewilligt worden ist, verwirklichten auslieferungsfähigen strafbaren Handlungen oder auf Grund anderer Umstände im Gebiet der ersuchenden Partei keinesfalls in Gewahrsam genommen oder gehalten werden oder verfolgt werden, noch darf sie von dieser Partei an einen dritten Staat ausgeliefert werden.
(2) Dies gilt nicht für strafbare Handlungen, die nach der Auslieferung begangen werden, oder für Umstände, die sich danach ergeben.
Artikel 9
Art. 9
(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 19 ist das Auslieferungsersuchen auf dem diplomatischen Weg zu stellen.
(2) Dem Ersuchen sind anzuschließen:
a) eine möglichst genaue Beschreibung der auszulieferenden Person sowie alle anderen zur Feststellung ihrer Identität und Staatsangehörigkeit geeigneten Angaben;
b) die Bezeichnung und Sachverhaltsdarstellung der strafbaren Handlung, derentwegen um ihre Auslieferung ersucht wird;
c) der Wortlaut der gegebenenfalls bestehenden gesetzlichen Bestimmung über den Tatbestand und die Angabe der Strafe, die für die Tat verhängt werden kann;
d) die Anführung der gesetzlichen Bestimmungen, welche die Auslieferungsfähigkeit der strafbaren Handlung nach dem Recht der ersuchenden Partei festsetzen.
(3) Betrifft das Ersuchen eine beschuldigte Person, so sind ihm auch ein von einem Richter oder einer anderen zuständigen Behörde im Gebiet der ersuchenden Partei erlassener Haftbefehl und solche Beweise anzuschließen, die nach dem Recht der ersuchten Partei ihre Überweisung zur Hauptverhandlung rechtfertigen würden, wenn die strafbare Handlung im Gebiet der ersuchten Partei begangen worden wäre.
(4) Betrifft das Ersuchen eine bereits schuldig befundene Person, so sind ihm der Nachweis des Schuldspruches und Strafausspruches sowie eine Erklärung darüber anzuschließen, inwieweit der Strafausspruch noch nicht vollstreckt worden ist; wenn die auszuliefernde Person bei der Hauptverhandlung nicht anwesend war, ist dem Ersuchen außerdem eine Erklärung anzuschließen, ob sie wegen ihrer Abwesenheit ein Recht auf eine neue Vehandlung hat und ob sie ein Rechtsmittel gegen ihren Schuldspruch einzubringen berechtigt ist.
Artikel 10
Art. 10
(1) In dringenden Fällen kann die gesuchte Person auf Ersuchen der zuständigen Behörden der ersuchenden Partei gemäß dem Recht der ersuchten Partei vorläufig in Haft genommen werden. Das Ersuchen hat zu enthalten die Erklärung, daß die Stellung eines Ersuchens um Auslieferung der Person beabsichtigt ist, die Erklärung, daß ein Haftbefehl oder ein verurteilendes Erkenntnis gegen diese Person besteht, sowie gegebnenfalls alle anderen Angaben, die zur Rechtfertigung der Erlassung eines Haftbefehles notwenig wären, wenn die strafbare Handlung im Gebiet der ersuchten Partei begangen worden oder die gesuchte Person dort schuldig befunden worden wäre.
(2) Die vorläufige Haft der gesuchten Person hat nach Ablauf von dreißig Tagen seit ihrer Verhaftung zu enden, wenn das Ersuchen um ihre Auslieferung bis dahin nicht eingelangt ist. Diese Bestimmung hindert jedoch nicht die neuerliche Verhaftung oder Auslieferung der gesuchten Person, wenn das Ersuchen um ihre Auslieferung später einlangt.
Artikel 11
Art. 11
(1) Die Auslieferung wird nur bewilligt, wenn die Beweise nach dem Recht der ersuchten Partei für ausreichend befunden werden, entweder um die Überweisung der auszuliefernden Person zur Hauptverhandlung zu rechtfertigen, falls die strafbare Handlung, deren sie beschuldigt wird, im Gebiet der ersuchten Partei begangen worden wäre, oder um nachzuweisen, daß sie mit der von den Gerichten der ersuchten Partei schuldig befundenen Person identisch ist.
(2) Reichen die vorgelegten Beweise oder beigefügten Angaben nach Ansicht der ersuchten Partei nicht aus, um eine Entscheidung über das Ersuchen zu ermöglichen, so sind innerhalb der von dieser Partei gesetzten Frist ergänzende Beweise oder Angaben beizubringen.
Artikel 12
Art. 12
Die Behörden der ersuchten Partei werden als Beweis in einem Auslieferungsverfahren eine im Gebiet der ersuchenden Partei aufgenommene beeidete oder unbeeidete Aussage, einen Haftbefehl, eine Abschrift einer solchen beeideten oder unbeeideten Aussage oder eines solchen Haftbefehls und eine Bescheinigung des Schulspruches oder eine gerichtliche Urkunde über das Bestehen eines solchen gelten lassen, wenn die Echtheit erwiesen ist:
a) bei einem Haftbefehl durch die Unterschrift, bei einer anderen urschriftlichen Urkunde durch die Beglaubigung eines Richters oder einer anderen zuständigen Behörde der ersuchenden Partei, oder bei einer Abschrift durch eine gleichartige Beglaubigung, daß sie mit der Urschrift übereinstimmt, und
b) entweder durch einen beeideten Zeugen oder durch die Siegelung mit dem Amtssiegel des zuständigen Ministers der ersuchenden Partei;
oder auf eine sonstige durch das Recht der ersuchten Partei zugelassene Weise.
Artikel 13
Art. 13
Wird wegen derselben strafbaren Handlung oder wegen verschiedener strafbarer Handlungen um die Auslieferung einer Person zugleich von einer der Hohen Vertragschließenden Parteien und einem anderen Staat oder anderen Staaten ersucht, so entscheidet die ersuchte Partei, soweit es ihr Recht zuläßt, unter Berücksichtigung aller Umstände, einschließlich der betreffenden Bestimmungen in zwischen der ersuchten Partei und den ersuchenden Staaten bestehenden Vereinbarungen, der verhältnismäßigen Schwere der strafbaren Handlungen, des Tatortes, des Zeitpunktes der Auslieferungsersuchen, der Staatsangehörigkeit der auszuliefernden Person und der Möglichkeit einer späteren Auslieferung an einen anderen Staat.
Artikel 14
Art. 14
(1) Eine Person ist erst auszuliefern, sobald ihre Auslieferung gerichtlich für zulässig erklärt ist und jede weitere, nach dem Recht der ersuchten Partei allenfalls erforderliche Frist abgelaufen ist.
(2) Die ersuchte Partei kann, nachdem sie über das Auslieferungsersuchen entschieden hat, die Übergabe der auszuliefernden Person aufschieben, damit diese wegen einer anderen strafbaren Handlung als jener, derentwegen um ihre Auslieferung ersucht wird, gerichtlich verfolgt werden kann oder damit ein gegen sie wegen einer solchen strafbaren Handlung gefälltes Urteil vollstreckt werden kann.
Artikel 15
Art. 15
(1) Wird die Auslieferung bewilligt, so ist die auszuliefernde Person von den Behörden der ersuchten Partei an den Grenzort oder Einschiffungshafen im Gebiet dieser Partei zu überstellen, der von der ersuchenden Partei bezeichnet wird.
(2) Die ersuchende Partei hat die auszuliefernde Person vom Gebiet der ersuchten Partei innerhalb einer angemessenen, von dieser Partei allenfalls bestimmten Frist wegzuschaffen. Wird sie innerhalb dieser Frist nicht weggeschafft, so kann die ersuchte Partei ihre Auslieferung wegen derselben strafbaren Handlung ablehnen.
Artikel 16
Art. 16
(1) Im Falle der Bewilligung der Auslieferung übergibt die ersuchte Partei, soweit es ihr Recht zuläßt, der ersuchenden Partei alle Gegenstände (einschließlich Geldbeträge),
a) die als Beweis der strafbaren Handlung dienen können;
b) die als Ergebnis der strafbaren Handlung durch die auszuliefernde Person erlangt worden und in ihrem Besitz sind.
(2) Unterliegen diese Gegenstände der Beschlagnahme oder dem Verfall im Gebiet der ersuchten Partei, so kann diese sie im Zusammenhang mit einem anhängigen Verfahren zeitweilig zurückbehalten oder unter der Bedingung der Zurückstellung übergeben.
(3) Durch diese Bestimmungen werden die Rechte der ersuchten Partei oder anderer Personen als der auszuliefernden Person nicht beeinträchtigt. Bestehen solche Rechte, so sind die Gegenstände auf Verlangen nach Abschluß des Verfahrens so bald wie möglich der ersuchten Partei kostenlos zurückzustellen.
Artikel 17
Art. 17
Wenn es die ersuchte Partei in einem Einzelfall verlangt, hat die ersuchende Partei eine Übersetzung aller, gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages beigebrachten Urkunden vorzulegen.
Artikel 18
Art. 18
Kosten, die wegen der Auslieferung im Gebiet der ersuchten Partei auflaufen, werden von dieser Partei getragen. Die ersuchende Partei trägt jedoch alle Kosten, die durch ihre rechtsfreundliche Vertretung vor den Gerichten der ersuchten Partei entstehen.
Artikel 19
Art. 19
Ein Ersuchen der Österreichischen Bundesregierung um Auslieferung eines Rechtsbrechers, der in einem der im Artikel 2 Absatz 1 lit. b angeführten Gebiete betroffen wird, kann an den Gouverneur oder die sonst zuständige Behörde dieses Gebietes gerichtet werden; der Gouverneur oder die Behörde kann die Entscheidung selbst treffen oder die Sache der Regierung Ihrer Britannischen Majestät im Vereinigten Königreich zur Entscheidung vorlegen.
Artikel 20
Art. 20
(1) Dieser Vertrag ist zu ratifizieren; die Ratifikationsurkunden werden so bald wie möglich in London ausgetauscht. Der Vertrag tritt drei Monate nach dem Zeitpunkt des Austausches der Ratifikationsurkunden in Kraft.
(2) Auf vor seinem Inkrafttreten begangene strafbare Handlungen ist der Vertrag nicht anzuwenden.
(3) Jede Hohe Vertragschließende Partei kann diesen Vertrag jederzeit durch Notifikation an die andere Partei auf diplomatischem Weg kündigen. In diesem Fall tritt der Vertrag sechs Monate nach Einlangen dieser Notifikation außer Kraft.
Zu Urkund dessen haben die oben genannten Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.
Geschehen in zweifacher Ausfertigung in Wien am 9. Jänner 1963, in deutscher und englischer Sprache, wobei beide Texte in gleicher Weise authentisch sind.