BundesrechtInternationale VerträgeVollstreckung gerichtlicher Entscheidungen Zivil- und Handelssachen (Schweiz)

Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen Zivil- und Handelssachen (Schweiz)

In Kraft seit 12. Mai 1962
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Artikel 1

Art. 1

Die in einem der beiden Staaten gefällten gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, einschließlich der in Strafsachen ergangenen Entscheidungen über privatrechtliche Ansprüche werden im anderen Staat anerkannt, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllen:

1. daß die Grundsätze, die in dem Staate, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, über die zwischenstaatliche Zuständigkeit der Gerichte bestehen, die Gerichtsbarkeit des andern Staates nicht ausschließen;

2. daß die Anerkennung der Entscheidung nicht gegen die öffentliche Ordnung des Staates verstößt, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, insbesondere, daß ihr nicht nach dem Rechte dieses Staates die Einrede der entschiedenen Rechtssache entgegensteht;

3. daß die Entscheidung nach dem Recht des Staates, wo sie gefällt wurde, die Rechtskraft erlangt hat;

4. daß im Fall eines Versäumnisurteils die den Prozeß einleitende Verfügung oder Ladung der säumigen Partei oder ihrem zur Empfangnahme berechtigten Vertreter zu eigenen Handen rechtzeitig zugestellt wurde. Hatte die Zustellung im Gebiete des Staates zu geschehen, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, so muß sie im Rechtshilfewege bewirkt worden sein.

Die Behörden des Staates, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, dürfen nur prüfen, ob die in Z 1 bis 4 angeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Prüfung erfolgt von Amts wegen.

Artikel 2

Art. 2

Die Gerichtsbarkeit des Staates, wo die Entscheidung gefällt wurde, gilt für persönliche Ansprüche gegen einen zahlungsunfähigen Schuldner insbesondere dann im Sinne des Art. 1 Z 1 als ausgeschlossen, wenn der Schuldner zur Zeit der Erhebung der Klage seinen Wohnsitz in dem Staat hatte, wo die Entscheidung geltend gemacht wird.

Diese Bestimmung ist jedoch nicht anzuwenden:

1. wenn sich der Beklagte durch eine ausdrückliche Vereinbarung der Zuständigkeit des Gerichtes unterworfen hat, das in der Sache erkannt hat;

2. wenn sich der Beklagte vorbehaltlos auf den Rechtsstreit eingelassen hat;

3. wenn es sich um eine Widerklage handelt;

4. wenn der Schuldner am Orte seiner geschäftlichen Niederlassung oder Zweigniederlassung für Ansprüche aus dem Betriebe dieser Niederlassung belangt worden ist.

Als persönliche Ansprüche im Sinne dieses Artikels gelten nicht:

familienrechtliche und erbrechtliche Ansprüche, dingliche Rechte und pfandrechtlich gesicherte Forderungen.

Artikel 3

Art. 3

Die Gerichtsbarkeit des Staates, wo die Entscheidung gefällt wurde, gilt nicht als im Sinne des Art. 1 Z 1 ausgeschlossen, wenn es sich um Entscheidungen über den Ersatz von Schäden handelt, die durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen oder von Fahrrädern mit oder ohne Motor verursacht sind, und wenn der Unfall sich im Gebiet dieses Staates ereignet hat.

Die Bestimmung des vorstehenden Absatzes ist jedoch nur insoweit auch auf Entscheidungen über unmittelbare Ansprüche des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers anwendbar, als nach dem Rechte beider Vertragsstaaten dem Geschädigten ein unmittelbares Klagerecht gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers zusteht. Der Eintritt dieser Voraussetzung wird durch Notenwechsel zwischen den beiden Regierungen festgestellt werden.

Artikel 4

Art. 4

Die Gerichtsbarkeit des Staates, wo die Entscheidung gefällt wurde, gilt nicht als im Sinne des Art. 1 Z 1 ausgeschlossen, wenn es sich um Entscheidungen über familienrechtliche Unterhaltsansprüche in Geld handelt und der Unterhaltsberechtigte zur Zeit der Geltendmachung dieser Ansprüche seinen Wohnsitz in diesem Staat hatte.

Als familienrechtliche Unterhaltsansprüche im Sinne des vorstehenden Absatzes gelten auch die gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Mutter eines unehelichen Kindes gegen dessen Vater, einschließlich des Anspruches auf Ersatz der Entbindungskosten.

Artikel 5

Art. 5

Die in einem der beiden Staaten gefällten gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, einschließlich der in Strafsachen ergangenen Entscheidungen über privatrechtliche Ansprüche, werden im andern Staate vollstreckt, wenn sie die im Art. 1 Z 1 bis 4 angeführten Voraussetzungen erfüllen und in dem Staate, wo sie gefällt werden, vollstreckbar sind.

Die Behörden des Staates, wo die Vollstreckung beantragt wird, dürfen nur prüfen, ob die im Abs. 1 angeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Prüfung erfolgt von Amts wegen.

Artikel 6

Art. 6

Die Partei, die die Entscheidung geltend gemacht oder die Vollstreckung beantragt, hat beizubringen:

1. eine Ausfertigung oder Abschrift der Entscheidung;

2. eine Bescheinigung über die Rechtskraft und gegebenenfalls über die Vollstreckbarkeit der Entscheidung; die Bescheinigung ist von der Behörde, die die Entscheidung gefällt hat, oder vom Gerichtsschreiber auszustellen;

3. im Fall eines Versäumnisurteils eine Abschrift der den Prozeß einleitenden Verfügung oder Ladung und eine Bescheinigung über die Art und Zeit ihrer Zustellung an die nicht erschienene Partei;

4. wenn die Entscheidung den ihr zugrunde liegenden Sachverhalt nicht so weit erkennen läßt, daß die Prüfung im Sinne des Art. 1 möglich ist, eine Abschrift der Klage oder andere geeignete Urkunden;

5. gegebenenfalls eine Übersetzung der in Z 1 bis 4 bezeichneten Urkunden in die Amtssprache der Behörde, bei der die Entscheidung geltend gemacht oder die Vollstreckung beantragt wird. Die Übersetzung muß nach dem Recht eines der beiden Staaten als richtig bescheinigt sein.

Auf die Beglaubigung der in diesem Artikel erwähnten Urkunden sind die Bestimmungen des Staatsvertrages vom 21. August 1916 anzuwenden.

Artikel 7

Art. 7

Die in einem der beiden Staaten gefällten Schiedssprüche werden im andern Staat anerkannt und vollstreckt, wenn sie den Vorschriften der vorstehenden Artikel, soweit diese Anwendung finden können, genügen.

Dies gilt auch für gerichtliche oder vor Schiedsgerichten abgeschlossene Vergleiche.

Die Bescheinigung über die Rechtskraft und über die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruches oder des vor einem Schiedsgericht abgeschlossenen Vergleiches wird in Österreich durch das Bezirksgericht, in dessen Sprengel das Schiedsgericht seine Entscheidung gefällt hat oder der Vergleich geschlossen wurde, in der Schweiz durch die zuständige Behörde des Kantons, wo der Schiedsspruch gefällt oder der Vergleich geschlossen wurde, ausgestellt.

Artikel 8

Art. 8

Ist ein Verfahren vor einem Gericht eines der beiden Staaten anhängig und wird die Entscheidung über den Gegenstand dieses Verfahrens im andern Staate voraussichtlich anzuerkennen sein, so hat ein später befaßtes Gericht dieses andern Staates die Durchführung eines Verfahrens über denselben Gegenstand und zwischen denselben Parteien abzulehnen.

Artikel 9

Art. 9

Entscheidungen, mit denen Ordnungsstrafen verhängt werden, Entscheidungen im Konkursverfahren sowie Entscheidungen österreichischer Gerichte im Ausgleichsverfahren und Entscheidungen schweizerischer Gerichte über die Bestätigung eines Nachlaßvertrages gelten nicht als gerichtliche Entscheidungen im Sinne dieses Vertrages.

Artikel 10

Art. 10

Entscheidungen anderer als gerichtlicher Behörden, die zur Führung von Vormundschaften oder Pflegschaften berufen sind, sowie die vor solchen Behörden abgeschlossenen Vergleiche sind den gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen im Sinne dieses Vertrages gleichgestellt. Die beiden Regierungen werden einander diese Behörden mitteilen.

Die Vollstreckung von Ansprüchen auf Herausgabe Minderjähriger oder Pflegebefohlener kann aufgeschoben werden, wenn der Durchführung vorläufige Verfügungen der zuständigen Behörden des Staates, wo die Vollstreckung beantragt wird, entgegenstehen, die auf Grund der diesen Behörden obliegenden Fürsorgepflicht wegen veränderter persönlicher Verhältnisse der beteiligten Personen getroffen werden. Die Behörde, von der die zu vollstreckende Entscheidung ausgegangen ist, sowie die Partei, die die Vollstreckung beantragt hat, sind von der Aufschiebung ungesäumt in Kenntnis zu setzen.

Artikel 11

Art. 11

Die Zuständigkeit und das Verfahren für die Zwangsvollstreckung bestimmen sich nach dem Rechte des Staates, wo die Vollstreckung beantragt wird.

Artikel 12

Art. 12

Die Bestimmungen zwischenstaatlicher Abkommen, an denen beide Staaten beteiligt sind, werden durch diesen Vertrag nicht berührt.

Die im Art. 18 Abs. 1 und 2 des Übereinkommens, betreffend das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen (der Übereinkunft über Zivilprozeßrecht) vom 1. März 1954 genannten Kostenentscheidungen, die in einem der beiden Staaten ergangen sind, werden im andern Staat auf ein von der beteiligten Partei unmittelbar zu stellendes Begehren vollstreckt.

Artikel 13

Art. 13

Die Bestimmungen dieses Vertrages sind ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien anzuwenden.

Artikel 14

Art. 14

Das österreichische Bundesministerium für Justiz und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement werden einander unmittelbar über Fragen, zu denen die Anwendung dieses Vertrages Anlaß geben sollte, auf Ersuchen Rechtsauskunft erteilen. Die Entscheidungsfreiheit der Gerichte bleibt unberührt.

Artikel 15

Art. 15

Dieser Vertrag ist auf gerichtliche Entscheidungen, Schiedssprüche und Vergleiche anzuwenden, die nach seinem Inkrafttreten erlassen oder geschlossen werden.

Auf gerichtliche Entscheidungen, Schiedssprüche und Vergleiche, die vor dem Inkrafttreten dieses Vertrages erlassen oder geschlossen wurden, ist der Vertrag zwischen Österreich und der Schweiz über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen vom 15. März 1927 weiterhin anzuwenden.

Artikel 16

Art. 16

Dieser Vertrag soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden sollen in Wien ausgetauscht werden.

Der Vertrag tritt zwei Monate nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft und bleibt nach Kündigung, die jederzeit zulässig ist, noch ein Jahr in Kraft. Mit seinem Inkrafttreten wird der Vertrag zwischen Österreich und der Schweiz über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen vom 15. März 1927 außer Kraft gesetzt, soweit sich nicht aus Art. 15 etwas anderes ergibt.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag in doppelter Ausführung unterzeichnet.

Geschehen in Bern am 16. Dezember 1960.