(Zu Artikel 93 und 195, Absatz 2 *) etc.) |
Obgleich die tschechoslowakische Regierung nicht der Ansicht ist, daß der Wortlaut des Artikel 93 des Staatsvertrages von Saint Germain im Sinne des archivalischen Provenienzprinzipes auszulegen ist, erklärt sie sich dennoch bereit, das von der österreichischen Regierung aus dem genannten Artikel abgeleitete archivalische Provenienzprinzip, jedoch ausschließlich im Verhältnisse zu Österreich und ohne Präjudiz, den Vereinbarungen mit der österreichischen Regierung unter der Bedingung und in Berücksichtigung dessen zugrundezulegen, daß die österreichische Regierung den kulturellen Wünschen und den Verwaltungsbedürfnissen der tschechoslowakischen Republik in der in den nachstehenden Punkten A bis M festgelegten Weise Rechnung trägt:
1. Die österreichische Regierung erklärt sich bereit, der tschechoslowakischen Regierung zur Fortführung der Staatsverwaltung aus den Archiven und Registraturbeständen der früheren österreichischen Zentralbehörden und der ihnen angegliederten sonstigen Zentralstellen und Beiräte, dann jener österreichischen Stellen, deren Verwaltungstätigkeit sich auch auf nunmehr der tschechoslowakischen Republik einverleibte Gebiete erstreckt hat, ferner aus den Archiven und Registraturbeständen der gleichartigen militärischen Stellen und der Hofbehörden, sowie aller übrigen in Österreich befindlichen Dienststellen und Anstalten, die mit der Besorgung der Agenden der staatlichen Verwaltung betraut waren oder sind, das gesamte Schriftenmaterial abzugeben, welches auf Angelegenheiten Bezug hat, die der Staatshoheit der tschechoslowakischen Republik, sei es aus dem Grunde der Personal-, sei es aus dem Grunde der Gebietshoheit ausschließlich unterstehen.
2. Unter dem Begriff “Schriftenmaterial” sind zu verstehen:
Archiv- und Registraturakten (Exhibite, Referate, Konzepte, Äußerungen, Gutachten, Verhandlungsprotokolle, Beilagen, Korrekturen, eventuell noch unerledigte, beziehungsweise nicht expedierte Stücke; ferner im Druck erschienene oder auf andere Weise vervielfältigte, auf den Verhandlungsgegenstand Bezug habende Schriften, wie Abhandlungen, Mitteilungen, Nachweise, Tabellen etc.); Register (öffentliche und Amtsbücher, wie Grundbücher, Handelsregister, Bergbücher, Eisenbahnbücher, Markenregister etc., ferner Indices, Einlaufprotokolle, Elenche, Kataloge, Rechnungen, Kassabehelfe, statistische Tabellen, Ausweise, Berichte, Kataster und Publikationen der Staatsbehörden, sowie der bis zum Umsturz unter Staatsaufsicht gestandenen kriegswirtschaftlichen Zentralen etc.); Pläne (Karten, Projekte, Skizzen, Studien, Programme, Beschreibungen, etwa vorhandene Kopien und Oleat-Matrizen); Titel und Rechtsurkunden (Dokumente aller Art, wie Stiftsbriefe, internationale und sonstige öffentliche oder private Verträge, Konzessionsurkunden, Statuten, Übernahmsbedingungen u. dgl.), insgesamt ohne Unterschied des Materials, aus welchem sie hergestellt und auf welchem sie festgelegt sind (Papier, Pergament, Leder, Metall, Stein, Holz etc.).
3. Dieses Schriftenmaterial wird nach folgenden Grundsätzen behandelt:
a) Abgegeben wird auf detaillierte Anforderung im Sinne der Punkte G und I alles Schriftenmaterial von 1918 bis einschließlich 1888;
b) für den Zeitraum von 1888 bis 1868 einschließlich, werden unter den gleichen Voraussetzungen und Bedingungen alle Vorakten abgegeben. Für folgende Verwaltungszweige wird diese Grenze auf einschließlich 1. Mai 1848 zurückverlegt: Eisenbahn, Militär, Land- und Forstwirtschaft, innere Verwaltung (einschließlich Bau- und Bergverwaltung), Post- und Telegraphen;
c) ältere Bestände werden in der Regel nicht abgegeben, wohl aber leihweise gegen Rückgabe nach Ablauf des fallweise zu bestimmenden Termines zur Verfügung gestellt.
Unbeschadet dieses Grundsatzes werden solche ältere Bestände, und zwar einschließlich des zugehörigen Verhandlungsaktes, auf spezielle Anforderung auch abgegeben, insoferne es sich um Urkunden rechtskonstitutiven Charakters handelt und die von diesen geschaffenen oder beurkundeten Rechtsverhältnisse noch aktuell sind, wie z. B.: Sanktionen von Landesgesetzen etc., Grenzbestimmungen, Konzessionsurkunden, Vertragsurkunden, Erwerbstitel (wasserrechtliche, bergrechtliche etc.), Verleihungsurkunden, Lehenssachen, Fideikommisse, Stiftungen, Widmungen etc.;
d) in Berücksichtigung der kulturellen Wünsche der tschechoslowakischen Nation werden ungeachtet der unter a) bis c) festgelegten Grundsätze und ohne Präjudiz für die österreichische Auslegung des Provenienzprinzipes, die im beiliegenden, einen wesentlichen Bestandteil dieses Übereinkommens bildenden Annexe I aufgezählten Archivalien abgegeben.
Außerdem verpflichtet sich die österreichische Regierung, aus den Archiven und Registraturen aller Zentral- und Hofstellen, auch der im Annex I genannten, einschließlich des Kriegsarchives, folgendes Material abzugeben:
a) Akten, Urkunden und Bücher, deren Provenienz aus dem Gebiete der tschechoslowakischen Republik nach Maßgabe des Punktes I/7 des Annexes I nachgewiesen wird und welche aus diesem Gebiete in das Gebiet der österreichischen Republik überführt worden sind;
b) Akten der böhmischen Kanzlei, der königlich böhmischen Kanzlei, der königlich böhmischen Hofkanzlei bis zum Jahre 1749 und der Hofkammer bis zum Jahre 1749, welche in andere Archive übertragen worden sind.
Dagegen verpflichtet sich die tschechoslowakische Regierung ihrerseits, die in ihren Archiven allenfalls vorfindlichen Archivalien österreichischer Provenienz an die österreichische Regierung abzugeben.
4. Sowohl die Abgabe als auch die leihweise Überlassung des gesamten Schriftenmateriales erfolgt unentgeltlich und ohne jedwede, wie immer geartete Zensurmaßnahme.
Für Pläne und anderes Projektsmaterial, soweit solche Behelfe von staatlichen Stellen ausgearbeitet wurden, die auf dem Gebiete der österreichischen Republik ihren Amtssitz haben, und soweit solche Behelfe Arbeiten betreffen, die vor Ende Oktober 1918 noch nicht in Angriff genommen worden sind, ist der österreichischen Regierung der Gegenwartswert zu vergüten.
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*) Von “La Belgique ...” bis “des reparations”.
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