JudikaturJustiz22R234/23a

22R234/23a – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
06. Februar 2024

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Dr Klebermaß-Janisch in der Rechtssache der klagenden Partei M***** L***** , vertreten durch JBB Rechtsanwälte Jaschinski Biere Brexl Partnerschaft mbB in Berlin (D; Einvernehmensrechtsanwalt: Dr Harald Redl, Bruckneudorf) wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 250,-- sA , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 11.05.2023, 26 C 503/22y-10, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 209,87 (darin EUR 33,51 USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeant-wortung zu Handen der Klagevertreter zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger verfügte über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchzuführenden Flug OS 905 von Wien (VIE) nach Innsbruck (INN) am 17.01.2020 mit den geplanten Flugzeiten 12:55 Uhr bis 13:55 Uhr. Die Beklagte annullierte den Flug weniger als sieben Tage vor der geplanten Durchführung und buchte den Kläger auf die Bahnverbindung von Wien nach Innsbruck mit Abfahrt um 13:03 Uhr und Ankunft um 17:44 Uhr um. Die Flugstrecke VIE – INN beträgt nicht mehr als 1.500 km.

Mit der beim Erstgericht am 16.10.2022 eingebrachten Mahnklage beantragte der Kläger den Zuspruch von EUR 250,-- samt Zinsen als Ausgleichsleistung gemäß Art 7 EU-FluggastVO und bestritt das Vorbringen der Beklagten „mit Nichtwissen“.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, sie habe den Flug OS 905 annulliert, weil aufgrund außergewöhnlicher Wetterverhältnisse – nämlich (im einzelnen näher dargestellter) starker Sichteinschränkungen in der Zeit zwischen 09:50 Uhr und 15:50 UTC [= 11:50 Uhr und 17:50 Uhr Lokalzeit] in Wien, die als außergewöhnliche Umstände iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zu qualifizieren seien – bereits der unmittelbare Vorflug (OS 904 von INN nach VIE mit den Flugzeiten 11:15 Uhr bis 12:20 Uhr) des für den gegenständlichen Flug vorgesehenen Fluggerätes (Typ Dash 8; Kennung OE LGQ) annulliert werden habe müssen. Die Sichtverhältnisse seien so schlecht gewesen, dass nur mehr eine Instrumentenlandung anstatt einer Landung auf Sicht möglich gewesen wäre. Daher hätten die Abstände zwischen den Flügen erhöht werden müssen; die Anflugrate in VIE sei von der Flugsicherung von 06:40 Uhr bis 08:50 Uhr auf 15 Anflüge, von 08:50 Uhr bis 10:30 Uhr auf 18 Anflüge, von 10:30 Uhr bis 11:00 Uhr auf 25 Anflüge und von 11:00 Uhr bis 13:40 Uhr auf 30 Anflüge pro Stunde reduziert worden. Aufgrund ihrer Erfahrungen habe sie damit gerechnet, dass für den Flug OS 904 ATC-Slots zugeteilt werden würden. Eine verspätete Durchführung der Rotation habe nicht in Erwägung gezogen werden können, weil für den gesamten Tag Sichteinschränkungen und hohe Windstärken vorhergesagt gewesen seien. Eine Durchführung der Rotation wäre daher nur mit erheblicher Verspätung möglich gewesen, wobei unklar geblieben sei, ob die Durchführung des Fluges OS 904 vor der geplanten Abflugzeit des Folgefluges OS 906 um 14:25 Uhr in INN [offenbar nach VIE] möglich gewesen wäre. Im Falle einer verspäteten Flugdurchführung der Rotation OS 904/905 wären auch die Folgeflüge verspätet gewesen. Durch die Annullierung hätte diese Verspätung vermieden werden können. Der Flug OS 905 hätte auch nicht mit einem anderen Fluggerät durchgeführt werden können, zumal dieses mit den gleichen Sichteinschränkungen und Windstärken konfrontiert gewesen wäre wie das eingeplante Flugzeug.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Es traf keine über den unstrittigen Sachverhalt hinausgehenden Feststellungen. In rechtlicher Hinsicht führte es – nach Wiedergabe der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen für die Ausgleichsleistung aufgrund von Annullierung sowie der Voraussetzungen für eine Befreiung von der Leistung der Ausgleichszahlung gemäß Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO – aus, dass widrige Wetterbedingungen, die aus den üblichen und erwartbaren Abläufe des Luftverkehrs herausragen, einen außergewöhnlichen Umstand darstellen können, wenn sie geeignet seien, die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftfahrtunternehmen zum Erliegen zu bringen. Selbst nach dem Vorbringen der Beklagten wäre die Durchführung des Vorfluges OS 904 trotz der widrigen Wetterbedingungen möglich gewesen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb eine verspätete Flugdurchführung nicht zumutbar gewesen sein sollte; das Vorbringen, dass im Falle einer verspäteten Durchführung auch die Folgeflüge verspätet gewesen wären, sei jedenfalls nicht ausreichend konkret. Es sei auch nicht erkennbar, weshalb der Flug OS 905 nicht mit einem anderen Fluggerät hätte durchgeführt werden können.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Ein Luftfahrtunternehmen kann sich gemäß Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO nur dann von der Zahlung einer Ausgleichsleistung nach Art 7 Abs 1 EU-FluggastVO befreien, wenn es nachweist, dass [a] ein außergewöhnlicher Umstand vorlag, [b] die Annullierung (oder große Verspätung) ihre Ursache in diesem Umstand hatte und [c] es alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, wobei diese drei Tatbestandselemente kumulativ vorliegen müssen (EuGH C-315/15, Rn 20; C-501/17, Rn 19; C-74/19, Rn 36; C 28/20, Rn 22).

[1] Zunächst ist auf die schon vom Erstgericht zitierte ständige Rechtsprechung des Berufungsgerichtes zu verweisen, wonach widrige Wetterverhältnisse nur dann einen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO darstellen, wenn sie aus den üblichen und zu erwartenden Abläufen des Luftverkehrs herausragen und geeignet sind, die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftfahrtunternehmen zum Erliegen zu bringen (RKO0000046). Die von der Beklagten behauptete Einschränkung der Anflugrate erfüllt dieses Kriterium jedoch nicht. Es bedarf daher auch nicht der ergänzenden Feststellung der von ihr konkret vorgetragenen Sichtweiten.

Da somit schon die vorgetragenen Wetterverhältnisse nicht geeignet sind, der Beklagten die Berufung auf Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zur eröffnen, hat das Erst- gericht schon aus diesem Grund dem Klagebegehren zu Recht stattgegeben.

[2] Doch selbst wenn von einem außergewöhnlichen Umstand im Sinne der angeführten Norm auszugehen wäre, könnte sich das ausführende Luftfahrtunternehmen nur dann befreien, wenn es nachweist, alle „zumutbaren Maßnahmen“ ergriffen zu haben. Die zumutbaren Maßnahmen sind auf drei Ebenen zu prüfen (RKO0000014): [a] Maßnahmen zur Vermeidung der außergewöhnlichen Umstände selbst (vgl EuGH C-549/07, C-315/15); [b] Maßnahmen zur Vermeidung einer daraus resultierenden Annullierung (bzw einer großen Verspätung; vgl EuGH C-501/17, C 74/19); und [c] Maßnahmen zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung (bzw einer großen Verspätung) für den einzelnen Fluggast (C-74/19, C-264/20, C-308/21).

Das Erstgericht hat zutreffend erkannt, dass als zumutbare Maßnahme, um die Annullierung des Fluges hintanzuhalten bzw den außergewöhnlichen Umstand für die Annullierung erst gar nicht ursächlich werden zu lassen (oben [b]; vgl LG Korneuburg 22 R 83/20s uvm, zuletzt 22 R 240/23h), die verspätete Durchführung des Fluges nach dem Ende der wetterbedingten Einschränkungen zu prüfen ist (LG Korneuburg 22 R 53/23f, 22 R 240/23h uvm). Es hat gleichfalls erkannt, dass der Sachverhaltsvortrag der Beklagten nicht ausgereicht hat, um nachvollziehbar darzulegen, weshalb eine verspätete Durchführung des Fluges nicht in Betracht gekommen wäre.

Auch wenn der Berufungswerberin im Allgemeinen zuzustimmen ist, dass es für die Frage, welche Maßnahmen ihr angesichts einer drohenden Flugverspätung oder Annullierung zumutbar sind, lediglich auf die ex-ante- Sicht ankommt (vgl 22 R 53/23h = EKO0000088; 22 R 198/22f = EKO00000084; 22 R 9/22m = EKO0000069 ua), so ist es ihr im konkreten Fall nicht gelungen, die für ihre Entscheidungen maßgeblichen – ex ante erkennbaren – Faktoren, nachvollziehbar darzulegen. Sie rechtfertigt ihre Vorgangsweise allein mit „Erfahrungswerten“, die sie aber weder dem Erstgericht noch dem Berufungsgericht zur inhaltlichen Überprüfung zugänglich gemacht hat. Der Sachverhaltsvortrag der Beklagten lässt somit nicht erkennen, welche konkreten nachteiligen Folgen der Versuch einer verspäteten Durchführung des gegenständlichen Fluges (bzw der gegenständlichen Rotation OS 904/905) voraussichtlich gehabt hätte (vgl LG Korneuburg 22 R 182/20z, 22 R 373/12i uvm). Außer, dass die Beklagte behauptet hat, dass der Folgeflug OS 906 um 14:25 Uhr in INN hätte starten sollen, hat sie es im Verfahren vor dem Erstgericht verabsäumt, den weiteren Flugplan, dessen Beeinträchtigung sie behauptet, darzulegen (vgl LG Korbeuburg 22 R 60/21k; 22 R 231/22h uvm).

Sofern die Berufungswerberin nun erstmals in ihrem Rechtsmittel ausführt, aus welchen Gründen ihr eine allfällige Annullierung der darauffolgenden Rotation weniger zumutbar gewesen wäre, als die Annullierung der gegenständlichen Rotation, bzw welche Folgen eine Aufrechterhaltung des Flugplanes bezüglich OS 904/905 gehabt hätte, verstößt sie indes gegen das Neuerungsverbot (§ 482 Abs 1 ZPO).

Auch die weiteren von der Berufungswerberin gerügten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor: Entweder ist nicht erkennbar, auf Grundlage welcher Beweisergebnisse etwa festgestellt werden hätte sollen, dass OS 904 nur mit einer „großen Verspätung“ (in welchem Ausmaß?) aus INN abfliegen hätte können, oder dass die Annullierung „erzwungen“ worden sei; oder es fehlt schon an relevantem Vorbringen, etwa zur Frage, weshalb es der Beklagten nicht zumutbar gewesen sein sollte, auch den Flug OS 906 verspätet durchzuführen.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger verzeichnete kommentarlos 20 % USt, und damit im Zweifel österreichische Umsatzsteuer. Gemäß § 3a Abs 7 UStG (Unternehmereigenschaft des Klägers wurde nicht behauptet) ist die Leistung jedoch in Österreich nicht steuerbar. Es kommt vielmehr aufgrund des Sitzes der Klagevertreterin in Deutschland der deutsche Umsatzsteuersatz von 19 % zur Anwendung (LG Korneuburg 22 R 126/23v, 22 R 224/22d uvm).

Die Revision ist nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.