JudikaturJustiz6R321/06g

6R321/06g – LG Ried/Innkreis Entscheidung

Entscheidung
20. Februar 2007

Kopf

Das Landesgericht Ried im Innkreis hat als Rekursgericht durch Dr. Johannes Payrhuber als Vorsitzenden sowie Dr. Ernst Knoglinger und Dr. Roman Bergsmann in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Mag. Christian Breit, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Parkgasse 11, wider die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Hilbert Aubauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rosenbursenstraße 8, wegen € 129.682,80 s. A., infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Ried im Innkreis vom 8. November 2006, 3 C 1220/03w-10, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird F o l g e gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur allfälligen neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

BEGRÜNDUNG:

Gleichzeitig mit der vorliegenden Klage (Widerklage zum Verfahren 3 C 555/03a des Bezirksgerichtes Ried im Innkreis, das in weiterer Folge mit dem gegenständlichen Verfahren verbunden wurde) beantragte die klagende Partei die Bewilligung der Verfahrenshilfe (einschließlich der Beigebung eines Verfahrenshilfeanwaltes). Das Erstgericht bewilligte der klagenden Partei die Verfahrenshilfe in vollem Umfang und es wurde für sie wunschgemäß der Rechtsanwalt Mag. Christian Breit zum Vertreter bestellt. Nach der vorbereitenden Tagsatzung vom 15.10.2003 beraumte das Erstgericht für 16.12.2003 eine mündliche Streitverhandlung an, zu der bei Aufruf der Rechtssache niemand erschienen ist, sodass das Erstgericht mit Amtsvermerk vom 16.12.2003 festhielt, dass das Verfahren ruhe.

Zur Prüfung der Voraussetzungen für eine Nachzahlung jener Beträge, von deren Berichtigung die Partei im Rahmen der bewilligten Verfahrenshilfe einstweilen befreit gewesen sei, trug das Erstgericht dem Kläger mit Beschluss vom 4.10.2006 auf, binnen 14 Tagen ein neues Vermögensbekenntnis (ZPF 1) über die Vermögens-, Einkommens- und Familienverhältnisse unter Anschluss von Belegen, Lohnzettel etc. dem Gericht vorzulegen. Gemäß § 71 Abs. 1 ZPO sei die die Verfahrenshilfe genießende Partei binnen drei Jahren nach Abschluss des Verfahrens zur Nachzahlung der Beträge zu verpflichten, von deren Berichtigung sie einstweilen befreit gewesen sei und die noch nicht berichtigt seien, soweit und sobald sie ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhaltes dazu imstande sei. Im Falle der Nichtbeibringung eines neuen Vermögensbekenntnisses durch die Partei binnen der eingeräumten Frist werde angenommen, dass die Voraussetzungen für die Nachzahlung der Beträge im Sinne des § 71 Abs. 1 ZPO vorlägen (vgl. ON 9). Mit dem angefochtenen Beschluss verpflichtete das Erstgericht den Kläger binnen 14 Tagen zur Nachzahlung des Betrages von € 2.165,-- an Gerichtsgebühren, von dessen Berichtigung er einstweilen aufgrund der Verfahrenshilfe befreit gewesen sei. Zur Entscheidungsbegründung verwies das Erstgericht auf § 71 Abs. 1 ZPO und auf seinen zuvor erwähnten Gerichtsauftrag zur Vorlage eines neuen Vermögensbekenntnisses und der darin für den Fall der Nichtbefolgung in Aussicht gestellten Konsequenz, nämlich, dass angenommen werde, dass die Voraussetzungen für die Nachzahlung der Beträge im Sinne des § 71 Abs. 1 ZPO vorliegen würden. Da der Kläger kein neues Vermögensbekenntnis beigebracht habe, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Dagegen richtet sich der rechtzeitige Rekurs der klagenden Partei aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Nachzahlung von Gerichtsgebühren endgültig nachgesehen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rekursbeantwortung wurde keine erstattet.

Der Rekurs ist im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrages begründet.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst rügt der Rekurswerber als Verfahrensmangel, dass die Aufforderung zur Vorlage eines neuen Vermögensbekenntnisses ihm selbst zugestellt wurde anstatt seinem Verfahrenshelfer. Nach ständiger Judikatur erstreckt sich allerdings die Vertretungsbefugnis des Verfahrenshilfeanwaltes, der ohne Prozessvollmacht, sondern lediglich aufgrund des Bestellungsbescheides der zuständigen Rechtsanwaltskammer einschreitet, nicht auf die Entgegennahme und das Ausfüllen eines nach § 71 ZPO nötigen Vermögensverzeichnisses für die Partei (EFSlg. 85.258; AnwBl 2001, 347). Zustellungen im Zusammenhang mit der Nachzahlungspflicht gemäß § 71 ZPO haben an die Partei selbst zu erfolgen, auch wenn diese von einem Verfahrenshelfer oder einem frei gewählten Bevollmächtigten vertreten wird (vgl. MGA, JN-ZPO16, E 14a zu § 71 ZPO; EFSlg. 108.894). Das Erstgericht hat sich an diese Vorgabe gehalten, sodass der gerügte Verfahrensfehler nicht vorliegt.

Rechtlich meint der Rekurswerber, die im § 71 Abs. 1 ZPO normierte dreijährige Frist wäre vom Erstgericht nicht eingehalten worden, weil dem Erstrichter am 4.11.2003 fernmündlich mitgeteilt worden sei, dass der in der Verhandlung vom 15.10.2003 von der Gegenseite angebotene Vergleichsvorschlag angenommen worden sei und somit ewiges Ruhen eintrete. Lediglich aus formalen Gründen sei für den 16.12.2006 ein „Blindtermin" ausgeschrieben worden. Korrespondierend mit diesem Vorbringen ist der Aktenvermerk vom 15.11.2003 im führenden Akt 3 C 555/03a des Bezirksgerichtes Ried im Innkreis (vgl. ON 21), wonach der „BKV" bekannt gebe, dass eine außergerichtliche Einigung erfolgt sei und in beiden Verfahren Ruhen eintrete.

Gemäß § 71 Abs. 1 ZPO ist die die Verfahrenshilfe genießende Partei mit Beschluss zur gänzlichen oder teilweisen Nachzahlung der Beträge zu verpflichten, von deren Berichtigung sie einstweilen befreit gewesen ist und die noch nicht berichtigt sind, wie ebenso zur tarifmäßigen Entlohnung des ihr beigegebenen Rechtsanwalts, soweit und sobald sie ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts dazu imstande ist. Nach Ablauf von drei Jahren nach Abschluss des Verfahrens kann die Verpflichtung zur Nachzahlung nicht mehr auferlegt werden.

„Abschluss des Verfahrens" im Sinn des § 71 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist der Eintritt der Rechtskraft, der Zeitpunkt eines Vergleichsabschlusses oder eine Klagsrücknahme, aber auch die Vereinbarung ewigen Ruhens (vgl. MGA, JN-ZPO16, E 8 a zu § 71 ZPO; EFSlg. 105.716). Tritt hingegen bloß „einfaches Ruhen" des Verfahrens (durch faktische Untätigkeit beider Parteien bzw. als Folge ihres Nichterscheinens bei einer zur mündlichen Verhandlung anberaumten Tagsatzung (§ 170 ZPO)) ein, stellt dies noch keinen Abschluss des Verfahrens im Sinn des § 71 Abs. 1 Satz 2 ZPO dar. Ein Teil der Rechtsprechung sieht in einem solchen Fall – mit Hinweis auf Fasching, Kommentar-Ergänzungsband 47 – als Verfahrensabschluss ein drei Jahre übersteigendes Ruhen des Verfahrens an (OLG Wien 17.1.1992, 14 R 239/91 und 14 R 250/91 = WR 519; OLG Wien 24.5.1994, 11 R 90/94 = WR 670).

Vereinbartes Ruhen ist ein zeitlich begrenzter Stillstand des Verfahrens aufgrund einer formgerechten Parteienvereinbarung (vgl. Fasching, Lehrbuch² Rz 609). Gemäß § 168 ZPO ist die Vereinbarung, dass das Verfahren ruhen solle, erst von dem Zeitpunkte an wirksam, in welchem sie dem Gerichte von beiden Parteien angezeigt wurde. Dazu bedarf es entweder der Übermittlung einer Vereinbarung in einem gemeinsamen Schriftsatz der Parteien an das Prozessgericht (SZ 8/39; JBl. 1959, 135; SZ 36/96) oder der Fertigung eines Gerichtsprotokolls – im Anwaltsprozess mit Unterschrift der Rechtsanwälte beider Parteien (Fasching II 802 und Lehrbuch² Rz 610 – beim Prozessgericht selbst (OGH 23.3.1995, 6 Ob 1540/95).

Diesen Erfordernissen wird die bloß fernmündliche Mitteilung an das Prozessgericht über eine außergerichtliche Einigung und eine daraus abgeleitete Ruhensvereinbarung nicht gerecht, sodass im vorliegenden Fall von einer prozessual wirksamen Vereinbarung ewigen Ruhens nicht ausgegangen werden kann, sondern lediglich von einem (einfachen) Ruhen des Verfahrens als Folge des Nichterscheinens beider Parteien zu der für 16.12.2003 anberaumten mündlichen Streitverhandlung. Damit steht aber auch fest, dass das Verfahren noch nicht im Sinn des § 71 Abs. 1 Satz 2 ZPO abgeschlossen ist, selbst wenn man der zuvor angeführten Judikatur folgt, wonach bei Ruhen des Verfahrens darauf abgestellt wird, ob dieses drei Jahre übersteigt (WR 519 und 670). Von einer Verjährung der Nachzahlungspflicht kann daher keine Rede sein. Der darauf abzielende Rekurseinwand ist somit nicht stichhältig.

Die Entscheidungsfindung des Erstgerichtes gibt aber dennoch Anlass zur Beanstandung, die eine Kassation unumgänglich macht. Der Regelung des § 71 ZPO liegt der Gedanke zugrunde, dass durch Gewährung der Verfahrenshilfe der betreffenden Partei die Zahlung der im § 64 ZPO angeführten Auslagen und Aufwendungen grundsätzlich nur gestundet werden soll; sobald die Partei während oder nach Beendigung des Verfahrens zu finanziellen Mitteln kommt, die ihr eine Begleichung der Kosten ermöglichen, soll sie zur (ganzen oder teilweisen) Rückzahlung verpflichtet werden (Bydlinski in Fasching, Zivilprozessgesetze² Rz 1 zu § 71 ZPO mit Hinweis auf ErläutRV 846 BlgNR 13 GP 15). Eine Nachzahlungsverpflichtung gemäß § 71 Abs. 1 ZPO setzt also eine objektive Verbesserung der Vermögensverhältnisses voraus (MGA, JN-ZPO16, E 1 zu § 71 ZPO; EFSlg. 108.894; EFSlg. 112.025). Dazu hat aber das Erstgericht überhaupt keine Feststellungen getroffen, sodass der angefochtene Beschluss keiner Überprüfung in der Richtung zugänglich ist, ob der Beklagte nunmehr imstande ist, ohne Beeinträchtigung seines notwendigen Unterhalts die angefallenen Gerichtsgebühren von € 2.165,-- nachzuzahlen. Zur Beurteilung, ob sich die Vermögensverhältnisse der Partei gegenüber dem Zeitpunkt der Bewilligung der Verfahrenshilfe verbessert haben, kann das Gericht gemäß § 71 Abs. 3 ZPO die Partei unter Setzung einer angemessenen Frist zur Beibringung eines neuen Vermögensbekenntnisses und, soweit zumutbar, von Belegen auffordern. Da das Gesetz für den Fall der Nichtvorlage eines neuen Vermögensbekenntnisses keine zwingenden Präklusions- oder Säumnisfolgen vorsieht, ist das Verhalten der Partei lediglich im Sinn des § 381 ZPO zu würdigen; insbesondere enthält die – gemäß § 71 Abs. 3 Satz 2 ZPO sinngemäß anzuwendende – Bestimmung des § 381 ZPO für diesen Fall keine Rechtsvermutung dahin, dass sich die Vermögensverhältnisse der Partei wesentlich verbessert haben (WR 519; EFSlg. 98.159; EFSlg. 112.031).

Um das untätige bzw. säumige Verhalten der Partei (Nichtvorlage des Vermögensbekenntnisses innerhalb der gesetzten Frist) gemäß § 381 ZPO würdigen zu können, ist es zweckmäßig, nicht bloß diese Bestimmung zu zitieren, sondern auch auf die damit mögliche Sanktion hinzuweisen. Nach der üblichen gerichtlichen Praxis enthalten Aufforderungen zur Vorlage eines neuen Vermögensbekenntnisses den Hinweis, dass das Gericht ansonsten annehmen werde, dass sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Partei dermaßen geändert hätten, dass sie nunmehr zu einer Zahlung in der Lage sei (EFSlg. 105.707). Wenn – so wie im vorliegenden Fall – ein bestimmter Nachzahlungsbetrag bereits feststeht, steht einer ziffernmäßigen Bekanntgabe an die Partei auch nichts im Wege. Im gegenständlichen Fall hat das Erstgericht die beklagte Partei lediglich darauf hingewiesen, dass „im Falle der Nichtbeibringung eines neuen Vermögensbekenntnisses binnen der eingeräumten Frist angenommen werde, dass die Voraussetzungen für die Nachzahlung der Beträge im Sinn des § 71 Abs. 1 ZPO vorlägen". Damit hat das Erstgericht nur durchblicken lassen, dass es bei Nichtbefolgung des Gerichtsauftrages einen Nachzahlungsbeschluss fassen werde, aber keine Tatsachenvermutungen in den Raum gestellt, die es in der Folge bei seiner Entscheidung verwerten hätte können. Anders hätte es sich etwa verhalten, wenn das Erstgericht dem Beklagten mitgeteilt hätte, dass im Falle der nicht fristgerechten (oder auch unvollständigen) Vorlage eines neuen Vermögensbekenntnisses angenommen werde, dass er ohne Beeinträchtigung seines notwendigen Unterhaltes dazu imstande sei, den an Gerichtsgebühren aushaftenden Betrag von € 2.165,-- nachzuzahlen. Die Unterlassung der aufgetragenen Vorlage eines neuen Vermögensbekenntnisses (samt allfälligen Belegen) hätte dann das Erstgericht dahin würdigen können, dass der Beklagte nunmehr zur Zahlung der Gerichtsgebühren von € 2.165,-- ohne Beeinträchtigung seines notwendigen Unterhaltes in der Lage sei, sofern auch alle anderen aktenkundigen Umstände eine solche Würdigung zugelassen hätten. Tatsächlich hat aber das Erstgericht die Nichtbeachtung seines Gerichtsauftrags durch den Beklagten in keiner Weise gewürdigt, sondern nur die „spruchgemäße Entscheidung" darauf gestützt, was einer Scheinbegründung gleichkommt.

Im fortgesetzten Verfahren wird daher das Erstgericht neuerlich zu beurteilen haben, ob die aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten die Auferlegung einer (gänzlichen oder teilweisen) Nachzahlungspflicht gemäß § 71 Abs. 1 ZPO rechtfertigen. Dabei bzw. bei nochmaliger Anwendung des § 71 Abs. 3 ZPO wird auf die oben dargelegten Grundsätze Bedacht zu nehmen sein. Sollte das Erstgericht neuerlich eine Nachzahlungsverpflichtung bejahen und eine diesbezügliche Entscheidung fällen, setzt diese auf Tatsachenebene Feststellungen dahin voraus, dass sich die Vermögensverhältnisse der beklagten Partei entsprechend gebessert haben.

Ein sogenannter „Rechtskraftvorbehalt" im Sinn des § 527 Abs. 2 ZPO konnte schon wegen der absoluten Unzulässigkeit des Revisionsrekurses nach § 528 Abs. 2 Z 4 ZPO nicht gesetzt werden (RIS-Justiz RS 0036182).

Landesgericht Ried im Innkreis,