JudikaturJustiz2Ob191/23m

2Ob191/23m – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, die Hofräte MMag. Sloboda und Dr. Kikinger sowie die Hofrätinnen Mag. Fitz und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadtgemeinde *, vertreten durch Dr. Christian Schubek und Dr. Michael Schubeck, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. M**, vertreten durch Mag. Sebastian Kinberger, Rechtsanwalt in Zell am See, 2. W*, vertreten durch Mag. Kurt Jelinek, Rechtsanwalt in Salzburg, und 3. F*, vertreten durch Mag. Edda Grimm, Rechtsanwältin in Salzburg, sowie die Nebenintervenientin auf Seiten der erstbeklagten Partei O*, vertreten durch Mag. Bernhard Scharmüller, Rechtsanwalt in Linz, wegen 218.935,71 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei und der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. August 2023, GZ 3 R 68/23z 66, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Der Erstbeklagte wollte 2019 für seine Skischule ein Gebäude errichten. Bei der Planung der Baustelle und vor Ort half ihm der Drittbeklagte, sein Schwager, der Dienstnehmer des zweitbeklagten Bauunternehmens ist. Teils erfolgte dessen Mitarbeit im Rahmen der Verwandtschaftshilfe, teils über die Zweitbeklagte, die vom Erstbeklagten mit Materiallieferungen und Arbeitsleistungen in Regie beauftragt wurde, ua im Zusammenhang mit der Dachkonstruktion.

[2] M* ist der Onkel des Erstbeklagten und Vertragsbediensteter der Klägerin. Er half am 25. und 26. Oktober 2019 ebenfalls im Rahmen der Verwandtschaftshilfe auf der Baustelle mit. Am 26. Oktober 2019 begab er sich aus nicht mehr feststellbaren Gründen auf das in Errichtung befindliche und nicht ausreichend abgesicherte Dach und stürzte von dort ab. Er verletzte sich dabei schwer und wird auch dauerhaft beeinträchtigt bleiben.

[3] Die Klägerin erbrachte daraufhin teils Leistungen als Arbeitgeberin und teils als Trägerin der Krankenfürsorgeanstalt der Magistratsbediensteten der *stadt *, bei der der Verunfallte als Bediensteter der Klägerin krankenversichert war, und ließ sich überdies Ansprüche des Verunfallten abtreten.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, das eine Haftung des Erstbeklagten für aufgrund des Unfalls bereits erbrachte sowie zukünftige Leistungen der Klägerin wegen einer Verletzung seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht als Bauherr bejahte, jedoch ein gleichteiliges Mitverschulden des Verunfallten annahm. Eine Haftung des zweitbeklagten Bauunternehmens verneinten die Vorinstanzen hingegen übereinstimmend, weil der Verunfallte nicht bei diesem beschäftigt gewesen sei und keine diesem zuzurechnende Person von einer Weiterarbeit am Dach durch freiwillige Helfer über das Wochenende gewusst habe. Auch der Drittbeklagte sei am Unfallstag nicht als Bauleiter der Zweitbeklagten tätig geworden, sondern habe bloß privat mitgeholfen, sodass er weder die Zweitbeklagte repräsentiert habe, noch persönlich hafte.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die außerordentlichen Revisionen der Klägerin sowie des Erstbeklagten zeigen keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Revision des Erstbeklagten:

[6] 1.1 Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt genauso von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RS0110202) wie die Beurteilung, wann die Grenze der Zumutbarkeit überschritten ist (vgl RS0111380, RS0029874). Entscheidungen über Verkehrssicherungspflichten sind daher nur dann revisibel, wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterlief, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf (RS0110202 [T14]).

1.2 Das ist hier nicht der Fall:

[7] Wer eine Gefahrenquelle schafft, hat schon nach allgemeinen Grundsätzen die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung abzuwenden (vgl RS0022778). Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung selbst bei einem bloß beschränkten Verkehr wie auf einer Baustelle (vgl RS0023355), und auch gegenüber freiwilligen Helfern bei Bauarbeiten in Eigenregie (vgl 5 Ob 116/04a: Sturz in einen offenen Kellerschacht). Besteht nach den Erfahrungen des täglichen Lebens eine naheliegende und voraussehbare Gefahrenquelle, hat der Inhaber einer Anlage die zur Gefahrenabwehr notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen auch dann zu treffen, wenn er durch die baurechtlichen Vorschriften nicht dazu verhalten wäre (RS0023437 [T3]) und alle sonstigen behördlichen Genehmigungen vorliegen (vgl RS0023419).

[8] 1.3 Der Erstbeklagte sieht hier eine Sonderkonstellation aufgrund der Feststellung des Erstgerichts verwirklicht, laut der der Verunfallte äußerte, er werde am Boden helfen, weil er nicht schwindelfrei sei, und diesem gerade keine Aufgaben am Dach übertragen worden seien.

[9] Die Verkehrssicherungspflicht entfällt nach ständiger Rechtsprechung bei Schaffung oder Duldung einer besonderen Gefahrenquelle aber nicht schon dann, wenn jemand ohne Gestattung in einen fremden Bereich eingedrungen ist. Besteht die Möglichkeit, dass Personen versehentlich in den Gefahrenbereich gelangen, oder dass Kinder und andere Personen, die nicht die nötige Einsichtsfähigkeit haben, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, gefährdet werden, oder besteht eine ganz unerwartete und große Gefährdung, so kann eine Interessenabwägung ergeben, dass der Inhaber der Gefahrenquelle dennoch zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen zu ergreifen hat (RS0114361).

[10] Da hier keine konkrete Aufgabenaufteilung festgestellt werden konnte, niemandem verboten wurde, den Dachbereich zu betreten, und gerade nicht feststeht, dass die besonderen Gefahren bei Dacharbeiten allen Helfern ausreichend bekannt waren, ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen vertretbar, dass der Erstbeklagte im Rahmen der Verwandtschaftshilfe an einem Wochenende mit einem Einstieg von nicht professionellen Helfern in den äußerst gefahrenträchtigen Bereich des unfertigen und ungesicherten Daches hätte rechnen müssen und als Bauherr (technisch notwendige, mögliche, zumutbare und den Unfall verhindernde) Sicherungsmaßnahmen hätte setzen müssen. Warum es nicht zumutbar gewesen sein sollte, alle unkundigen Helfer zumindest ausdrücklich zu warnen und ihnen ein ungesichertes Begehen des Daches explizit zu untersagen, lässt das Rechtsmittel offen.

2. Revision der Klägerin:

2.1.1 Das Ausmaß eines (allfälligen) Mitverschuldens des Geschädigten kann wegen seiner Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RS0022681 [T10, T11]).

[11] 2.1.2 Bei unechtem Handeln auf eigene Gefahr, sohin wenn den Gefährder – wie hier – Schutzpflichten treffen, ist die Selbstgefährdung (nur) im Rahmen eines Mitverschuldenseinwands zu prüfen (vgl RS0023101 [insb T4]; 8 Ob 136/22s: [allfälliges] Mitverschulden des Klägers, der trotz Fehlens einer Sicherungsmöglichkeit ein Dach bestieg). Bei Schadenersatzansprüchen wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten liegt gemäß ständiger Rechtsprchung ein Mitverschulden dann vor, wenn ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig Anhaltspunkte dafür sowie die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen; erkennbaren Gefahrenstellen muss grundsätzlich ausgewichen werden (vgl RS0023704).

[12] Die von den Vorinstanzen angenommene gleichteilige Verschuldensteilung zwischen dem Kläger und dem Erstbeklagten, die beide nicht als Fachleute in Bezug auf Dacharbeiten angesehen werden können, bewegt sich innerhalb dieses Beurteilungsspielraums, zumal sie berücksichtigten, dass der Verunfallte als Laie ohne besonderen Grund und ohne Rücksprache das offensichtlich gefährliche, weil noch in Arbeit befindliche und ungesicherte Dach ohne persönliche Schutzausrüstung bestieg. Bereits damit begab er sich aber in einen schon nach allgemeiner Lebenserfahrung äußerst gefährlichen Bereich.

[13] 2.2 Auch in Bezug auf die Forderungshöhe gelingt es der Klägerin nicht, eine Unvertretbarkeit der Vorentscheidungen aufzuzeigen.

[14] 2.2.1 Das Berufungsgericht bestätigte eine Teilabweisung aus der Krankenversicherung mangels nachgewiesenen Kausalzusammenhangs mit dem Unfall. Dabei erachtete es nicht die einleitende Feststellung des Erstgerichts für maßgeblich, laut der die Klägerin insgesamt 200.261,03 EUR an Heilbehelfen sowie Transport- und Behandlungskosten bezahlt habe, „die alle durch den gegenständlichen Unfall verursacht wurden“ , sondern die sich daran anschließenden, detaillierten Einzelfeststellungen in Zusammenschau mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegten Betrag. Diese Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall begründet keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ( RS0118891 ).

[15] 2.2.2 Eine weitere Teilabweisung aus dem Titel „Entgeltfortzahlung“ für den Zeitraum Februar bis Juli 2020 bestätigte das Berufungsgericht wegen Unschlüssigkeit des Klagsvorbringens, weil die Klägerin – trotz entsprechender Einwände der Beklagten – nie konkret behauptet und aufgeschlüsselt habe, dass und welche Beträge sie an den Verunfallten gemäß § 174 Abs 1 und 3 szb Magistrats-Bedienstetengesetz (MagBeG ) geleistet hätte, die den allgemeinen und vom Erstgericht zugrunde gelegten Anspruch nach § 24 Abs 1 VBG von hier 91 Kalendertagen überstiegen hätten. Ob ein Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht, ist ebenso eine Frage des Einzelfalls (vgl RS0042828) wie die Schlüssigkeit einer Klage und kann daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO sein (vgl RS0037780, RS0116144).

[16] § 174 Abs 3 szb MagBeG (idF LGBl Nr 51/2012 und LGBl Nr 6/2020 ), auf den sich die Revisionswerberin beruft, lautet: „Dauert die Dienstverhinderung über die in den Abs 1 und 2 bestimmten Zeiträume hinaus an [hier ebenfalls 91 Kalendertage], gebührt den Vertragsbediensteten für die gleichen Zeiträume ein Zuschuss im Ausmaß des jeweiligen Unterschieds zwischen der laufenden Geldleistung aus der gesetzlichen Krankenversicherung oder einer gleichwertigen Leistung der Krankenfürsorgeanstalt der Magistrats-bediensteten und dem Nettomonatsbezug mit der Maßgabe, dass dieser Zuschuss 49 % dieses Nettomonatsbezugs nicht übersteigen darf.“ Die pauschale Behauptung in der Revision, dass der Klägerin „für weitere 91 Tage ein Zuschuss“ gebühre, ohne dessen konkrete Höhe und Berechnungsgrundlage zu spezifizieren, genügt nicht, um eine Unvertretbarkeit der Berufungsentscheidung darzulegen.

[17] 2.3 Eine Haftung des zweitbeklagten Bauunternehmens und des bei diesem angestellten Drittbeklagten ist zwar nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil der Verunfallte kein Arbeitnehmer war und mit ihnen auch sonst in keinem Vertragsverhältnis stand. Eine Sicherungspflicht kann sich nämlich bereits aus der Schaffung einer besonderen Gefahrenlage ergeben (siehe dazu Punkt 1.2). Die Sorgfaltspflicht darf gemäß ständiger Rechtsprechung jedoch nicht überspannt werden, um keine vom Verschulden losgelöste Haftung zu begründen ( RS0023487 [insb T2, T10]).

[18] Nach den Feststellungen bot die Zweitbeklagte diverse Schutzmaßnahmen sowie eine Bauleitung und eine Baustellenkoordination an, deren Beauftragung jedoch nicht festgestellt werden konnte. Ihr Geschäftsführer hatte keine Kenntnis davon, dass über das Wochenende – noch dazu am Dach und unter Mitwirkung von Laien – weitergearbeitet werden sollte. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Zweitbeklagte daher weder aus Eigenem Absicherungen herstellen noch Warnungen aussprechen musste, weil aus ihrer Perspektive keine naheliegende und voraussehbare Gefahr vorlag, und sie auf die Eigenverantwortung des Bauherren vertrauen durfte, bewegt sich innerhalb des ihnen eingeräumten Beurteilungsspielraums.

[19] Soweit die Revision mit einer (Wissens-)Zurechnung des Drittbeklagten und zweier weiterer Mitarbeiter der Zweitbeklagten argumentiert, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt und ist daher nicht gesetzmäßig ausgeführt. Der Drittbeklagte war gerade nicht als Bauleiter tätig. Die Helfer waren am Unfallstag privat im Rahmen der Verwandtschaftshilfe bzw gegen direkte Bezahlung vor Ort. Woraus sich eine Eigenhaftung des Drittbeklagten ergeben soll, der gerade nicht als Bauleiter eingesetzt wurde und am Unfallstag lediglich aufgrund eines Freundschaftsdienstes gegenüber dem Erstbeklagten vor Ort war, ohne dabei die Dacharbeiten und/oder den Verunfallten zu beaufsichtigen und von dessen Gang auf das Dach Kenntnis zu haben, lässt die Revision offen, die vorrangig mit einer Zurechnung zur Zweitbeklagten argumentiert.

Rechtssätze
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